Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2012, Az. 4 StR 348/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 2881

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 348/12

vom
26.
September 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Diebstahls u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 26.
Septemer 2012 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31.
Mai 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner wurden Maßregeln nach den §§
69, 69a StGB getroffen. Die auf den [X.] nach §
63 StGB
beschränkte Revision des Angeklagten führt zur Aufhe-bung des gesamten Urteils.
I.
Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer im [X.] manifest gewordenen [X.] Psychose aus dem schizo-phrenen Formenkreis. Zudem besteht bei ihm ein schädlicher Gebrauch von Alkohol.
1
2
-
3
-
Am Nachmittag des 6.
November 2011 gegen 16.50
Uhr riss der Ange-klagte auf dem Parkplatz eines Supermarktes die Fahrertür eines dort [X.] Pkw [X.] auf und sagte zu dem in seinem Fahrzeug sitzen-den Zeugen F.

und dessen Freundin, der Zeugin M.

, in bestimmtem

den Taschen seiner

Jacke stecken hatte, befürchteten die Zeugen, dass er eine Waffe bei sich führe und verließen das Fahrzeug. Der erheblich alkoholisierte Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz und fuhr davon. Den Pkw des Zeugen F.

wollte er für

ngeleiteten Fahndung wurde das entwendete Fahrzeug mit dem Angeklagten am Steuer schon nach kurzer [X.] von zwei Polizeistreifen auf einer öffentlichen Straße entdeckt. Während der anschließenden Verfolgungsfahrt missachtete der An-geklagte wiederholt Anhalteaufforderungen der ihm mit Blaulicht und Martins-horn nachfahrenden Polizeibeamten und vereitelte mehrere Überholversuche, indem er mit dem von ihm gesteuerten Pkw nach links oder rechts zog. Nach-dem es dem Polizeibeamten S.

doch gelungen war, sich mit seinem Fahr-
zeug vor den Angeklagten zu setzen, unternahm dieser nun seinerseits mehre-re erfolglose Überholmanöver. Schließlich musste er auf einem Gehweg anhal-ten. Der Aufforderung zum Aussteigen kam der Angeklagte erst nach einem Warnschuss nach. Eine ihm um 18.35
Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,51
Promille auf.
Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten als Diebstahl (§
242 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§
316 Abs.
1 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§
113 Abs.
1 StGB) ge-wertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Ge-fährlichkeitsprognose hat sich das [X.] dem angehörten Sachverständi-gen
angeschlossengeklagten neben dem Alko-3
4
-
4
-
holkonsum ein psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken n-zu haben. Die Intensität der Beeinträchtigung sei zu den [X.] so ausgeprägt gewesen, dass eine erheblich eingeschränkte Handlungs-
und Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsse. Eine vollständig aufgehobe-ne Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit könne nicht ausgeschlossen werden, wenn man davon ausgehe, dass die dokumentierten [X.] wirksam gewesen seien (UA
8). Die Prognose des Angeklagten müsse als ungünstig bezeichnet werden, weil seine Krankheitseinsicht und seine The-rapiewilligkeit erheblichen Schwankungen unterworfen seien. Bei einer soforti-gen Entlassung sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte seine Medikamente erneut absetzt und dadurch in psychotische Zustände gerät, in denen er

möglicherweise in suizidaler Absicht

Straftaten der vorliegenden Art begehen könnte. Das [X.] geht davon aus, dass [X.] in seiner Begehungsform einem Raub angenähert gewesen (UA
9).
II.
Die Voraussetzungen des §
63 StGB werden durch die [X.] nicht belegt.
1.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund einer nicht nur vor-übergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 5
6
-
5
-
11. März 2009

2
StR
42/09, [X.], 198; Beschluss
vom 8.
April 2003

3
StR
79/03, [X.], 232).
Die Diagnose einer [X.] Psychose führt nicht zwangsläufig zu der Feststellung einer generellen oder über längere [X.]räume andauernden gesicherten Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähig-keit. Es ist daher stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf sie zurückzuführen sind ([X.], Beschluss vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 2.
Oktober 2007

3
StR
412/07, [X.], 39; Beschluss vom 3.
Juli 1991

3
StR
69/91, [X.], 527, 528).
Das landgerichtliche Urteil
enthält hierzu keine ausreichenden Feststel-lungen. Soweit das [X.] im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass
bei dem Angeklagten ein auf seiner Schizophrenie beruhendes psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken im Vordergrund ge-standen habe, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs-
und Be-fundtatsachen nicht wiedergegeben, sodass eine Überprüfung nicht möglich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 14.
September 2010

5
StR
229/10, Rn.
8). Das in diesem Za-ter hat gesagt, ich solle

offenkundig nicht in einem Zusammenhang mit der Grunderkrankung des [X.] steht, sind die Feststellungen des [X.] an dieser Stelle mehrdeutig. Konkrete Ausführungen zu der Frage, wie sich die psychische Er-krankung auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten während 7
8
-
6
-
der anschließenden Trunkenheitsfahrt und der Polizeiflucht ausgewirkt hat, [X.] ganz. Schließlich war es auch rechtsfehlerhaft, dass das [X.] mit dem Sachverständigen eine gleichzeitige Aufhebung der Einsichts-
und der Steuerungsfähigkeit für möglich gehalten hat ([X.], Beschluss vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 14.
September 2010

5
StR
229/10, Rn.
8; Beschluss vom 9.
September 1986

4
StR
470/86, [X.]R StGB §
63 Schuldunfähigkeit
1).
2.
Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden recht-lichen Bedenken.
Eine
Unterbringung
nach §
63 StGB kommt nur in Betracht, wenn
eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechts-friedens zur Folge haben ([X.], Urteil vom 2.
März 2011

2
StR
550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22.
Februar 2011

4
StR
635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden
werden ([X.], Beschluss vom 22.
Februar 2011

4
StR
635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26.
April 2001

4
StR
538/00, [X.], 477
f.).
Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mitt-leren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar ([X.], Urteil vom 2.
März 2011

2
StR
550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18.
März 2008

4
StR
6/08; Beschluss vom 18.
Februar 1992

4
StR
27/92, [X.]R StGB §
63
Gefährlichkeit
16; Beschluss vom 28.
Juni 2005

4
StR
223/05, [X.], 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfas-senden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von 9
10
-
7
-
ihm begangenen [X.] zu entwickeln ([X.], Urteil vom 17.
August 1977

2
StR
300/77, [X.]St 27, 246, 248
f.; Urteil vom 17.
November 1999

2
StR
453/99, [X.]R StGB §
63 Gefährlichkeit
27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilen-den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§
62 StGB) um einen Grenzfall handelt ([X.], Beschluss vom 4.
Juli 2012

4
StR
224/12, Rn.
8; Beschluss vom 8.
November 2006

2
StR
465/06, [X.], 73, 74).
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des [X.] nicht ge-recht. Das [X.] hat keine die Biographie des Angeklagten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung vorgenommen. In diesem Zusammenhang hätte erörtert werden müssen, dass der Angeklagte bereits seit dem [X.] manifest erkrankt ist, ohne strafrechtlich in Erschei-nung getreten zu sein. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten
begangen hat, ist ein Indiz
gegen die Wahrscheinlich-keit künftiger gefährlicher Straftaten ([X.], Beschluss vom 11.
März 2009

2
StR
42/09, NStZ-RR
2009, 198, 199). Die Wertung des [X.], wo-nach sämtliche Anlassdelikte
von einem erheblichen Gewicht waren, wird durch die festgestellten Tatumstände nicht belegt. Eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß §
316 Abs.
1 StGB kann nicht ohne weiteres der mittleren [X.] zugeordnet werden (vgl. [X.]/van
Gemmeren,
2.
Aufl.,
§
63 Rn.
55). Sie ist erst bei einer zu erwartenden besonderen Häufung oder bei
außergewöhnlichen

hier nicht festgestellten

Tatumständen erheblich.
Der festgestellte Widerstand hat zu keiner [X.] zu einer Gefährdung der eingesetz-ten Polizeibeamten geführt und war daher ebenfalls nicht als eine schwere Stö-rung des Rechtsfriedens anzusehen.
11
-
8
-
III.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entschei-dung.
1.
Der
Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht
entgegen. Wird die Anordnung einer
Unterbringung nach §
63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgeho-ben, hindert das Schlechterstellungsverbot des §
358 Abs.
2 Satz
1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§
358
Abs.
2
Satz
2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anord-nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß §
20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Bege-hung der Tat schuldfähig war (BT-Drs.
16/1344,
S.
17).
Dieses gesetzgeberi-sche Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen-de [X.], sondern auch den hierauf gestützten Freispruch auf-hebt
(vgl. [X.], Beschluss vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 14.
September 2010

5
StR
229/10, Rn.
11;
Be-schluss vom 27.
Oktober 2009

3
StR
369/09, Rn.
9).
2.
Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelan-ordnung ist unwirksam, weil die Unterbringung nach §
63 StGB und der auf §
20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähig-keit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach §
358 12
13
14
-
9
-
Abs.
2 Satz
2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der [X.] nicht mehr mit der Erwä-gung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§
358 Abs.
2 Satz
1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (vgl. [X.],
Urteil vom 10.
Dezember 1953

3
StR
620/53, [X.]St 5, 267, 268). Der [X.] braucht an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob §
358 Abs.
2 Satz
2 StPO eine isolierte Anfechtung der Anordnung einer Unterbringung nach §
63 StGB auch dann hindert, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten feststeht und nur die der [X.] zugrunde liegende Gefährlich-keitsprognose zu überprüfen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 23.
April 1963

5
StR
13/63, NJW
1963, 1414, 1415).
Mutzbauer
Cierniak
Franke

Quentin
Reiter

Meta

4 StR 348/12

26.09.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2012, Az. 4 StR 348/12 (REWIS RS 2012, 2881)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2881

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 78/16

Zitiert

4 StR 348/12

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