Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.05.2020, Az. III ZR 50/19

3. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 710

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Gegenstand

Haftung des gerichtlichen Sachverständigen in Berufungsinstanz bei unanfechtbarem Berufungsurteil des Familiensenats eines Oberlandesgerichts


Leitsatz

1. Die Regelung des § 26 Nr. 9 EGZPO über den Ausschluss der Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen gilt für vor dem 1. Januar 2020 verkündete, zugestellte oder sonst bekannt gemachte Entscheidungen in Altverfahren, die vor dem Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes am 1. September 2009 eingeleitet worden sind. Berufungsurteile der Familiensenate der Oberlandesgerichte in Rechtsstreitigkeiten über den Zugewinnausgleich sind insoweit nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar.

2. Dementsprechend führt es nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB, wenn der Anspruchsteller gegen ein solches Berufungsurteil keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des [X.] vom 11. März 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte, eine öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken, unter dem Vorwurf der Erstattung eines unrichtigen Gerichtsgutachtens gemäß § 839a BGB auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Nach rechtskräftiger Scheidung seiner Ehe forderte der Kläger in einem anschließenden, 2007 eingeleiteten Rechtsstreit vor dem Amtsgericht - Familiengericht - von seiner geschiedenen Ehefrau Zugewinnausgleich. Neben anderen Positionen ging es dabei um die Bewertung eines im Eigentum der geschiedenen Ehefrau stehenden Grundstücks. Im Auftrag des Familiengerichts erstellte die Beklagte ein Gutachten, in dem sie für das Flurstück einen Verkehrswert von 45.000 € ermittelte. Das Familiengericht legte das Gutachten der Beklagten seiner Entscheidung zugrunde und sprach dem Kläger, der zuletzt 111.517,92 € (nebst Zinsen) verlangt hatte, einen Anspruch auf Zahlung von - lediglich - 27.915,42 € (nebst Zinsen) zu. Die hiergegen eingelegte Berufung des [X.] wies das [X.] - Familiensenat - im Oktober 2014 zurück; die Revision gegen sein Berufungsurteil ließ es nicht zu.

3

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger geltend gemacht, das von der Beklagten erstellte Gutachten sei unrichtig und sie habe insoweit grob fahrlässig gehandelt. Das Grundstück habe richtigerweise mit einem Verkehrswert von 180.000 € bewertet und ihm, dem Kläger, demzufolge ein um 67.000,01 € höherer Zugewinnausgleich zuerkannt werden müssen. Des Weiteren habe die Beklagte die ihm angefallenen Kosten des [X.] zu erstatten.

4

Die Beklagte ist den Vorwürfen des [X.] entgegengetreten.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des [X.] hat das [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageforderung weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.].

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob das Gutachten der [X.] im Einzelnen zutreffend sei. Der [X.] scheitere jedenfalls an § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB, weil der Kläger es schuldhaft unterlassen habe, gegen das Berufungsurteil im Vorprozess eine Nichtzulassungsbeschwerde beim [X.] einzulegen. Diese sei gemäß § 544 ZPO möglich gewesen. Wäre die Kritik des [X.] am Gutachten der [X.] zutreffend gewesen, hätten seine Nichtzulassungsbeschwerde und die nachfolgende Revision Erfolg gehabt.

II.

8

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9

1. Der [X.] ist nicht gemäß § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass der Kläger gegen das Urteil des Familiensenats des [X.]s im Vorprozess keine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen konnte.

a) Gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 des [X.] ([X.]) vom 17. Dezember 2008 ([X.] I, S. 2586, 2743) - in der Fassung nach Art. 22 Nr. 1 des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs vom 3. April 2009 ([X.] I, [X.], 723) - sind auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des [X.] am 1. September 2009 (Art. 112 Abs. 1 [X.]) eingeleitet worden sind, weiter die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Vorschriften anzuwenden. Soweit demzufolge die Zivilprozessordnung auf [X.] weiterhin Anwendung findet, gilt für diese Verfahren auch § 26 Nr. 9 EGZPO, wonach eine Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen ausgeschlossen ist, wenn die anzufechtende Entscheidung vor dem 1. Januar 2020 verkündet oder einem Beteiligten zugestellt oder sonst bekannt gemacht worden ist und das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verworfen hat. Zwar sollte § 26 Nr. 9 EGZPO durch Art. 28 Nr. 3 [X.] ([X.] I 2008, 2586, 2700) mit Wirkung ab dem 1. September 2009 (Art. 112 Abs. 1 [X.]) aufgehoben werden. Durch Art. 9 Abs. 3 des [X.] im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 ([X.] I, S. 2449, 2472), der gemäß Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am 5. August 2009 - also vor dem 1. September 2009 - in [X.] getreten ist, hat der Gesetzgeber jedoch in Reaktion auf Hinweise aus der Praxis angeordnet, dass § 26 Nr. 9 EGZPO auf [X.] bis zum 1. Januar 2020 anwendbar bleibt (s. [X.], [X.], 85 f [allerdings wohl unrichtig auf den 31. Dezember 2020 abstellend]; [X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 17 [jedoch wie [X.] auf den 31. Dezember 2020 abstellend]; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 41. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 4; vgl. auch [X.], Beschluss vom 1. März 2010 - [X.], [X.] 2010, 347, 348 Rn. 12).

b) Hiernach war die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil im Vorprozess nicht eröffnet. Der Rechtsstreit über den Zugewinnausgleich (§§ 1363 ff BGB) zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau betraf eine Familiensache (§ 23b Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 GVG a.F.; § 111 Nr. 9, § 261 FamFG) und wurde im Jahre 2007 - also vor Inkrafttreten des [X.] am 1. September 2009 - eingeleitet. Gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 [X.] waren für dieses Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss die Vorschriften der Zivilprozessordnung weiter anzuwenden; maßgebend ist insoweit insgesamt allein das Datum der Einleitung des Verfahrens in erster Instanz (s. [X.], Beschlüsse vom 1. März 2010 aaO Rn. 8 ff und vom 3. November 2010 - [X.] 197/10, NJW 2011, 386, 387 Rn. 9 f). Zum Zeitpunkt der Zurückweisung der Berufung des [X.] im Oktober 2014 war die Geltungsfrist des § 26 Nr. 9 EGZPO (für [X.]) noch nicht abgelaufen und diese Vorschrift somit weiterhin anwendbar. Dem Kläger war es demzufolge gemäß § 26 Nr. 9 EGZPO versagt, im Vorprozess eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einzulegen.

2. Der festgestellte Rechtsfehler ist - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - auch entscheidungserheblich.

a) Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung der Berufung des [X.] allein auf den [X.] nach § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB gestützt. In seinem Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO hat es insbesondere die Frage nach der (Un-)Richtigkeit des Gutachtens der [X.] ausdrücklich "dahinstehen" lassen.

b) In seinem vorgängigen Hinweisbeschluss hatte das Berufungsgericht zwar in Bezug auf eine Reihe von Punkten, welche der Kläger am Gutachten der [X.] beanstandet hatte, ausgeführt, dass eine (relevante) Unrichtigkeit des Gutachtens nicht hinreichend dargelegt worden sei. Es hat allerdings zugleich ausdrücklich offengelassen, ob die weiteren Beanstandungen des [X.], insbesondere, ob die von der [X.] zugrunde gelegte Restnutzungsdauer für das aufstehende Gebäude (Scheune mit Schießstand) zu gering war, zutreffend sind. Zudem hat es diese Ausführungen nicht in seinem Zurückweisungsbeschluss aufgegriffen. Somit kann nicht, wie die Revisionserwiderung meint, davon ausgegangen werden, das Berufungsgericht habe die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 839a Abs. 1 BGB für nicht gegeben erachtet.

c) Soweit das Berufungsgericht in seinem Hinweisbeschluss den Vortrag des [X.] zu dem ihm entstandenen Schaden für "nicht nachvollziehbar" gehalten hat, sind auch diese Ausführungen vom Zurückweisungsbeschluss nicht in Bezug genommen worden und für die Entscheidung des [X.] somit auch nicht tragend gewesen. Unbeschadet dessen verkennen die diesbezüglichen Beanstandungen im Hinweisbeschluss des [X.], dass der Kläger seine Klageforderung im Vorprozess bereits im Jahre 2009 erweitert und hierbei den Verkehrswert des Flurstücks 876 nicht mehr, wie anfangs, mit 120.000 €, sondern - entsprechend dem Gutachten des dortigen Sachverständigen [X.]. - mit 180.000 € zugrunde gelegt hatte. Demnach steht die Schadensberechnung des [X.] im vorliegenden Rechtsstreit nicht im Widerspruch zu seinem Vorbringen im Vorprozess.

III.

Nach alldem ist das Berufungsurteil gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Da weitere tatrichterliche Feststellungen zu treffen sind, kommt eine eigene Sachentscheidung des Senats nach § 563 Abs. 3 ZPO nicht in Betracht.

[X.]     

      

Tombrink     

      

Arend 

      

Böttcher     

      

Herr     

      

Meta

III ZR 50/19

07.05.2020

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Dresden, 11. März 2019, Az: 10 U 548/18

§ 839 Abs 3 BGB, § 839a Abs 2 BGB, § 26 Nr 9 ZPOEG, FGG-RG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.05.2020, Az. III ZR 50/19 (REWIS RS 2020, 710)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 1126-1127 REWIS RS 2020, 710

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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II ZB 1/10

XII ZB 197/10

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