Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.09.2017, Az. 5 StR 268/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5725

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Gegenstand

Kapitalanlagebetrug: Schätzung einer "Irrtumsquote" bei Täuschung einer Vielzahl von Anlegern


Tenor

1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 60 Fällen, jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Kreditwesengesetz, unter Einbeziehung von Strafen aus einem anderen Urteil (68 mal neun Monate Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und angeordnet, dass hiervon drei Monate als vollstreckt gelten. Zudem hat es festgestellt, dass der Angeklagte mindestens 1,5 Millionen Euro aus den zur Verurteilung führenden Straftaten erlangt hat und einer Anordnung des [X.] Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Im Übrigen hat es den Angeklagten vom Vorwurf weiterer 143 vollendeter und zwölf versuchter Taten des Betruges in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Kreditwesengesetz freigesprochen. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft führen jeweils mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.

I.

2

1. Dem Angeklagten liegt gemäß der durch Beschluss vom 4. November 2015 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] vom 2. Mai 2013 zur Last, zwischen dem 17. Januar 2006 und dem 8. Februar 2010 unter seiner Firma „I.                               “ unter Vortäuschung einer sicheren Geldanlage ohne Erlaubnis unbefristete Darlehen mit hohen Zinsversprechen abgeschlossen und hierdurch in 203 Fällen Beträge zwischen 1.000 und 500.000 Euro, insgesamt über 4,2 Millionen Euro erlangt sowie in zwölf weiteren Fällen dies erfolglos versucht zu haben.

3

2. Nach den Feststellungen des [X.]s schloss der Angeklagte in 185 Fällen unbefristete Darlehensverträge mit Einzelpersonen oder Ehepaaren, die er überwiegend über provisionsberechtigte Vermittler, teils aber auch selbst akquiriert hatte. Dabei verpflichtete er sich zu monatlichen Zinszahlungen zwischen 0,5 und 3,5 %, überwiegend zu 2,5 % (30 % p.a.). Um die Übergabe des Geldes an sich zu erreichen, erklärte er entweder selbst oder über seine insoweit gutgläubigen Vermittler der Wahrheit zuwider, dass die Gelder sicher angelegt seien und lediglich ein geringes Verlustrisiko bestehe, das sich auf Zinsen und einen geringen Prozentsatz der Anlagesumme beschränke. Einigen Anlegern wurde mitgeteilt, dass die Gelder auf einem [X.] Depotkonto hinterlegt und eine Bank in [X.] einen diese Sicherheit übersteigenden Kredit gewähren würde, mit dem [X.] an den weltweiten Börsen durchgeführt würden. Tatsächlich setzte der Angeklagte einen großen Teil der Gelder zunächst hoch spekulativ im Aktien- und Devisenhandel ein, um hohe Erträge zu erwirtschaften. Ab Dezember 2009 nahm er keine [X.] mehr vor, schloss jedoch wie zuvor bis Februar 2010 weitere Darlehensverträge ab. Insgesamt nahm er auf diese Weise Darlehen in einer Gesamthöhe von 4.129.800 Euro ein. Sämtliche Darlehensverträge zeichnete der Angeklagte selbst ab, um die Gelder von den Darlehensgebern zu erhalten. In den [X.] sicherte er die Rückzahlung der Beträge nach Kündigung zu. Um diese Geschäfte durchzuführen, hätte der Angeklagte - wie er wusste - eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG benötigt, die er nicht besaß.

4

3. Nach Vernehmung von 52 Anlegern hat das [X.] aus dem Verhältnis von Zeugen, die eine Täuschung bestätigt haben, und solchen, die über das Risiko ausreichend aufgeklärt waren oder sich keine Gedanken gemacht hatten, eine Schätzung vorgenommen, wonach jedenfalls mindestens 60 Anleger „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der dargestellten Weise getäuscht wurden“. Hierdurch sei ein Vermögensschaden in Höhe von mindestens 1,5 Millionen Euro entstanden. Die Täuschung von Ehepaaren hat die [X.] überwiegend als eine Tat angesehen, ebenso mehrere Zahlungen einer Person; die Anklage ging in beiden Konstellationen jeweils von Tatmehrheit aus. Eine Zuordnung, welche angeklagten Fälle vom Schuld- oder vom Freispruch erfasst werden, hat das [X.] nicht vorgenommen.

II.

5

Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils.

6

1. Der Senat kann auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht hinreichend entnehmen, in welchen der angeklagten Fälle die [X.] zu einer Verurteilung gelangt und in welchen ein Freispruch erfolgt ist. Schon dieser Rechtsfehler muss zur Aufhebung des Urteils zu Gunsten wie zu Lasten des Angeklagten führen.

7

2. Die mit der abstrakten Zuordnung verbundene Schätzung einer „[X.]“ auf der Grundlage der Vernehmung eines Teils der Darlehensnehmer hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. In Fällen mit individueller Motivation zur Leistung ist grundsätzlich der Irrtum eines jeden [X.] konkret festzustellen (vgl. [X.] in [X.], § 261 Rn. 380 mwN).

8

a) Eine vom [X.] anerkannte Ausnahme liegt nicht vor. In [X.], also einfach gelagerten Fällen standardisierter, auf massenhafte Erledigung ausgerichteter Abrechnungsverfahren, hat der [X.] die Schätzung einer [X.] unbeanstandet gelassen, insbesondere wenn es um Kleinbeträge geht (vgl. [X.], Urteil vom 27. März 2014 - 3 [X.], NJW 2014, 2054, 2056 m. Anm. [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom 4. September 2014 - 1 [X.], [X.], 98 je mwN). Darum geht es im angegriffenen Urteil nicht.

9

b) Das [X.] durfte sich vorliegend auch nicht ohne weiteres auf die Vernehmung einer Auswahl von Darlehensgebern beschränken, um auf dieser Grundlage den Irrtum bei anderen Darlehensgebern festzustellen.

aa) Beim Anlagebetrug (auch in Form der Darlehenshingabe) kann auf einen Irrtum immer schon dann geschlossen werden, wenn der Täter vorspiegelt, das Geld werde in einer Kapitalanlage angelegt, es aber - wie von vorneherein beabsichtigt - nur für eigene Zwecke oder die Aufrechterhaltung eines „Schneeballsystems“ verbraucht. In derartigen Fällen kann sich das Tatgericht rechtsfehlerfrei aus der Vernehmung einiger Anleger oder aus den äußeren Umständen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 4. September 2014 - 1 [X.], [X.], 98; Urteil vom 22. November 2013 - 3 [X.], [X.], 215, 216 je mwN) die Überzeugung verschaffen, alle Anleger hätten irrtumsbedingt ihre von vorneherein verlorene „Geldanlage“ getätigt. Eine solche Konstellation liegt nach den bisherigen Feststellungen allenfalls für den Zeitraum ab [X.] 2009 bzw. Dezember 2009 nahe (vgl. [X.], 29).

bb) [X.] unterscheidet sich auch von der vom Senat im Beschluss vom 19. Februar 2014 (5 [X.], [X.], 318) entschiedenen Konstellation in erheblicher Weise. Denn dort waren - anders als hier - mit den Verkaufsprospekten, Werbematerialien und den Inhalten der (standardisierten [X.] weitere aussagekräftige Indizien vorhanden, auf die das dortige [X.] seine Überzeugung vom Vorliegen eines Irrtums stützen konnte, so dass allenfalls im Hinblick auf die unterschiedliche Höhe der gezeichneten Beträge ein repräsentativer Teil der Anleger als Zeugen zu vernehmen war.

Demgegenüber waren nach den bisherigen Feststellungen sowohl die Beratungsgespräche als auch die Vorstellungen der Darlehensgeber von der Sicherheit ihrer Anlage durchaus unterschiedlich. Unter diesen Vorzeichen war es hier erforderlich, in jedem Einzelfall das Vorstellungsbild des Darlehensgebers bei Vornahme der Vermögensverfügung konkret festzustellen. Den Notwendigkeiten der Prozessökonomie kann in solchen Anlagebetrugsfällen durch die Konzentration auf klare Fälle mit erheblicher Schadenshöhe mittels einer großzügigen Anwendung der hierfür vorgesehenen Einstellungs- und Beschränkungsmöglichkeiten nach §§ 154, 154a StPO entsprochen werden.

3. Nicht nachvollziehbar sind auch die Ausführungen des [X.]s zur Schadenshöhe. Die getäuschten Anleger haben dem Angeklagten ausweislich der vertraglichen Gestaltung ein verzinsliches Darlehen gewährt. Ob die Hingabe eines Darlehens einen Vermögensschaden bewirkt, ist durch einen für den Zeitpunkt der Darlehenshingabe anzustellenden [X.] mit dem Rückzahlungsanspruch des [X.] zu ermitteln. Die Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruchs wird dabei durch die Bonität des Schuldners und den Wert etwa bestellter Sicherheiten bestimmt; entscheidend ist die wirtschaftliche Betrachtung (vgl. [X.], Beschluss vom 28. September 2016 - 2 StR 401/14, [X.], 170 mwN; vgl. zum Anlagebetrug hingegen [X.], Beschluss vom 28. Juni 2017 - 4 StR 186/16 mwN). Wie bei einem „Schneeballsystem“ nur durch neue Straftaten erwirtschaftete Beträge haben bei dieser Betrachtung außen vor zu bleiben. Ebenso berührt ein lediglich als Schadenswiedergutmachung zu bewertender Rückfluss von [X.] die Höhe des bereits zuvor eingetretenen Vermögensschadens nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 2. März 2016 - 1 [X.], [X.], 409 mwN). Sicherheiten waren vorliegend nicht bestellt, so dass lediglich die Bonität des Angeklagten zu bewerten war. Feststellungen hierzu fehlen jedoch.

4. Die Freisprüche haben auch deshalb keinen Bestand, weil das [X.] in allen angeklagten Fällen die Voraussetzungen eines strafbaren Verstoßes nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 KWG aufgrund ungenehmigter gewerbsmäßiger [X.] festgestellt hat (vgl. hierzu auch [X.], Beschluss vom 9. Februar 2011 - 5 StR 563/10, [X.], 410). Weshalb insoweit keine Verurteilung erfolgt ist, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht.

5. All dies entzieht auch dem Ausspruch nach § 111i Abs. 2 StPO die Grundlage.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Eine Verurteilung wegen Betruges setzt voraus, dass die Darlehensgeber konkret über für die Darlehensvergabe relevante Tatsachen wie etwa die Sicherheit der damit verfolgten Geldanlage getäuscht wurden, einem entsprechenden Irrtum erlagen und deshalb dem Angeklagten das Darlehen gewährt haben. Für die Feststellung eines Schadens sind die Vermögensverhältnisse des Angeklagten und dessen Rückzahlungswille entscheidend (vgl. [X.], Urteil vom 26. November 2015 - 3 [X.], [X.], 343 m. Anm. [X.], je mwN; eingehend hierzu [X.] in [X.], 3. Aufl., § 263 Rn. 279 ff.). Erreicht etwa zum Zeitpunkt der Darlehenshingabe die (voraussichtliche) Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu den Fälligkeitszeitpunkten einen Grad an Unsicherheit, der über das übliche, von den Beteiligten vorausgesetzte und auch in Kauf genommene Maß an Risiken hinausgeht, ist der Rückzahlungsanspruch minderwertig ([X.] aaO Rn. 279 mwN). Dieser Minderwert ist nach wirtschaftlichen Maßstäben zu bestimmen. Hierbei wird die Kammer in den Blick nehmen müssen, in welchem Ausmaß sich der Angeklagte bereits zur Rückzahlung erheblicher [X.] verpflichtet und wie sich der Stand seiner Anlagen entwickelt hatte. Die bloße Hoffnung, mit riskanten Anlagen oder durch Anwerbung neuer Anleger Darlehen zurückzahlen zu können, würde auch der Annahme von Eventualvorsatz insoweit nicht entgegenstehen.

2. Beim Ausspruch nach § 111i Abs. 2 StPO wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob § 73c Abs. 1 Satz 2 oder Satz 1 StGB aF der Feststellung zumindest teilweise entgegenstehen (vgl. [X.], Beschluss vom 6. November 2014 - 4 StR 290/14, [X.], 44; zur Anwendbarkeit von § 111i StPO aF vgl. § 14 [X.], hierzu [X.], Beschluss vom 13. Juli 2017 - 5 [X.]/17; zur Anwendbarkeit von § 73c StGB aF vgl. Art. 316h EGStGB, hierzu [X.], Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 StR 227/17).

[X.]     

       

Dölp     

       

König 

       

[X.]     

       

[X.]     

       

Meta

5 StR 268/17

06.09.2017

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Chemnitz, 9. Januar 2017, Az: 380 Js 42578/09 - 5 KLs

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 52 StGB, § 53 StGB, § 263 StGB, § 154 StPO, § 154a StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.09.2017, Az. 5 StR 268/17 (REWIS RS 2017, 5725)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5725

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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