Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.03.2018, Az. B 1 KR 80/17 B

1. Senat | REWIS RS 2018, 11659

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Entscheidung ohne mündliche Verhandlung


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 12. September 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Versorgung mit einer subkutanen Mastektomie und angleichender Liposuktion bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das [X.] hat zur Begründung - unter teilweiser Bezugnahme auf die [X.] - ausgeführt, beim Kläger liege keine Krankheit im Rechtssinne vor. Ob wegen der Gynäkomastie ein [X.] psychischer Leidensdruck bestehe, könne dahinstehen, da dies nach der Rspr des [X.] jedenfalls keinen operativen Eingriff rechtfertige. Der Kläger sei durch die Gynäkomastie auch nicht entstellt, sodass sich auch dadurch kein Leistungsanspruch begründen lasse (Beschluss vom 12.9.2017).

2

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Beschluss.

3

II. [X.] ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.] [X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] [X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] [X.] - hierzu 1.) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 [X.] [X.] - hierzu 2.).

4

1. Wer sich - wie der Kläger - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB [X.] [X.]-1500 § 160a [X.] 21 [X.]8; [X.] [X.]-4100 § 111 [X.] S 2 f; [X.] [X.]-2500 § 240 [X.]3 S 151 f mwN). Daran fehlt es.

5

Der Kläger formuliert die Frage:
"Besteht nach § 27 [X.]B V ein Behandlungsanspruch auf eine Operation am (vermeintlich) gesunden Körper mit dem Ziel der Beeinflussung psychischer Leiden?"

6

Es fehlen hingegen Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB [X.] [X.]-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.] 6; [X.] Beschluss vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - Juris Rd[X.] 7 mwN). Der Kläger geht selbst davon aus, dass die aufgeworfene Rechtsfrage in der Rspr des [X.] bereits geklärt ist und zitiert hierfür mehrere Entscheidungen des erkennenden Senats ([X.]E 82, 158 = [X.]-2500 § 39 [X.] 5; [X.]E 100, 119 = [X.]-2500 § 27 [X.]4; [X.] [X.]-2500 § 27 [X.] 28); er ist indes der Meinung, dass diese Rspr einer Überprüfung bedürfe. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann zwar erneut klärungsbedürftig werden, wenn ihr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB [X.] [X.] 1500 § 160a [X.]3 S 19 mwN; [X.] Beschluss vom 27.1.2012 - [X.] KR 47/11 B - Juris Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom 5.2.2013 - [X.] KR 72/12 B - Rd[X.] 7; [X.] [X.]-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.] 7). Dies ist im Rahmen der Beschwerdebegründung darzulegen (vgl zB [X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris Rd[X.] 7; [X.] [X.]-1500 § 160a [X.]2 Rd[X.] 5). Daran fehlt es. Der Kläger trägt vielmehr nur seine eigene Meinung vor, ohne näher auf die Entscheidungslinien und Gründe der Rspr des erkennenden Senats einzugehen.

7

2. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.] und § 128 Abs 1 S 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB [X.] [X.] 1500 § 160a [X.]4, 24, 36). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.

8

Er rügt eine Verletzung des § 153 Abs 4 [X.]. Das [X.] habe seine Entscheidung nicht durch Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung treffen dürfen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 [X.] vorzugehen, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann"). Sie wird daher vom [X.] nur darauf überprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, also ob etwa der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl [X.] [X.]-1500 § 153 [X.] S 4; [X.] [X.]-1500 § 153 [X.]3 [X.]8; [X.] [X.]-1500 § 153 [X.] 7 Rd[X.] 27; [X.] [X.]-1500 § 153 [X.]4 Rd[X.] 9). Das Vorliegen einer groben Fehleinschätzung ist anhand der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen. Dabei kommt es vor allem auch darauf an, ob die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens berücksichtigt worden ist (vgl [X.] Beschluss vom 14.11.2013 - [X.] SB 31/13 B - Juris Rd[X.] 7). Nur wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt und das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 [X.] zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist, ist das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 [X.] sinnvoll (vgl [X.]E 44, 292, 293 = [X.] 1500 § 124 [X.] 2 S 2). Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung nur dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass [X.] in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn etwa im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird. Diese Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss das Berufungsgericht auch bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob es im vereinfachten Verfahren gemäß § 153 Abs 4 [X.] ohne mündliche Verhandlung entscheiden will. Demgemäß sind für diese Ermessensentscheidung die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von [X.] relevant. Ist bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung gegen den ausdrücklichen Willen eines Beteiligten unter keinen Umständen zu rechtfertigen, liegt eine grobe Fehleinschätzung im obigen Sinne vor (vgl [X.] [X.]-1500 § 153 [X.]3 [X.]8; [X.] Beschluss vom 11.12.2002 - B 6 [X.] 13/02 B - Juris Rd[X.] 9; [X.] Beschluss vom 27.12.2011 - [X.]3 R 253/11 B - Juris Rd[X.]3; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 15/15 B - Rd[X.]5).

9

Der Kläger trägt zwar vor, das [X.] habe sein Erscheinungsbild in der mündlichen Verhandlung - ohne ihn davon vorher in Kenntnis zu setzen - in bekleidetem Zustand als nicht entstellend bewertet. Nach der Ankündigung einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 [X.] im Berufungsverfahren habe er schriftsätzlich darauf hingewiesen, dass das tatsächliche Erscheinungsbild der [X.] im Verfahren nie in Augenschein genommen worden sei. Es hätte ihm zugestanden werden müssen, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zur Feststellung einer entstellenden Wirkung äußern zu dürfen - dies auch mittels einer Präsentation in üblicher Kleidung, aber ohne die stets eingenommene Schonhaltung. Er zeigt damit keine grobe Fehleinschätzung des [X.] auf. Er legt nicht dar, dass das [X.] wegen neuer Tatsachen oder wesentlicher neuer rechtlicher Gesichtspunkte im Berufungsverfahren verpflichtet gewesen wäre, mit dem Kläger mündlich zu verhandeln. Es fehlen Ausführungen zur rechtlichen Relevanz des "tatsächlichen Erscheinungsbildes der [X.]"; auch legt er nicht dar, warum die Tatsachenfeststellungen des [X.] zu seinem Erscheinungsbild im bekleideten Zustand und die in der Verwaltungsakte der Beklagten enthaltenen, vom [X.] berücksichtigten beiden Aufnahmen seines nackten Oberkörpers nicht ausreichend gewesen sein sollen, um die Voraussetzungen des erhobenen Leistungsanspruchs zu beurteilen. Er setzt sich auch nicht damit auseinander, warum er in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] keine Gelegenheit gehabt haben soll, sich in "üblicher Kleidung, aber ohne die stets eingenommene Schonhaltung" zu präsentieren.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 1 KR 80/17 B

23.03.2018

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 19. Dezember 2016, Az: S 6 KR 50/16, Urteil

§ 124 Abs 2 SGG, § 128 SGG, § 153 Abs 4 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.03.2018, Az. B 1 KR 80/17 B (REWIS RS 2018, 11659)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11659

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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