Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.08.2018, Az. 2 StR 142/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 4370

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Gegenstand

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung: Anwendungsbereich der fünfzehnjährigen Rückfallverjährungsfrist


Leitsatz

1. Die Rückfallverjährungsfrist von fünfzehn Jahren gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB ist nur im Verhältnis zweier Sexualstraftaten zueinander anwendbar.

2. Folgt eine Straftat aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität einer Sexualstraftat nach, so gilt die fünfjährige Rückfallverjährungsfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. November 2017 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

2

Das Rechtsmittel erweist sich zum Schuld- und zum Strafausspruch als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch hält die [X.] rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3

1. Das [X.] hat die [X.] auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt. Es hat die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht, wonach der Täter wegen Straftaten der in § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Art bereits zweimal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sein muss. Insoweit hat das [X.] festgestellt:

4

Wegen im Oktober 1990 sowie im Januar und Februar 1991 begangener Taten wurde der Angeklagte durch Urteil des [X.] vom 5. November 1991 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des [X.]s Dortmund wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Raub, sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und schwerer räuberischer Erpressung, schweren Raubes sowie Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Er verbüßte die Jugendstrafe vollständig bis Februar 1997. Darüber hinaus wurde er wegen im Mai und im Juli 2003 begangener Taten des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch Urteil des [X.]s Dortmund vom 26. Mai 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach seiner bewährungsweisen Entlassung aus dem Straf- und Maßregelvollzug durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des [X.]s Bonn vom 9. August 2016 beging der Angeklagte die verfahrensgegenständliche [X.] am 26. August 2016.

5

2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Das [X.] hätte die Verurteilung des Angeklagten durch das [X.] vom 5. November 1991 unberücksichtigt lassen müssen. Insoweit ist bereits Rückfallverjährung eingetreten (§ 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB).

6

a) Gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB bleibt eine frühere Tat außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. Nach § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB beträgt die Frist „bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ fünfzehn Jahre. § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB stellt mit der „Rückfallverjährung“ die gesetzliche Vermutung auf, dass Vorverurteilungen nach einer „Wohlverhaltensphase“ von mehr als fünf Jahren bzw. von fünfzehn Jahren (Sexualstraftaten) in Freiheit für die Prognose irrelevant sind (vgl. Senat, Urteil vom 26. November 2003 – 2 [X.], [X.], 25, 28; MüKo-StGB/Ullenbruch/Drenkhahn/[X.], 3. Aufl., § 66 Rn. 84). Eine Verwertung der Vorverurteilungen als Symptomtaten scheidet danach aus ([X.], Beschluss vom 3. September 2008 – 5 [X.], [X.], 435).

7

b) Das [X.] hat ersichtlich angenommen, dass die dem Urteil des [X.] zugrunde liegenden Sexualstraftaten nicht der sogenannten Rückfallverjährung unterliegen, weil insoweit § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB anzuwenden sei, der einer Verwertung einer Sexualstraftat erst nach einer Wohlverhaltensphase von fünfzehn Jahren entgegen steht. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Die Rückfallverjährungsfrist von fünfzehn Jahren gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB ist nur im Verhältnis zweier Sexualstraftaten zueinander anwendbar. Folgt eine Straftat aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität einer Sexualstraftat nach, so findet die fünfjährige Rückfallverjährungsfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB Anwendung (noch offen gelassen von [X.], Beschluss vom 15. Januar 2015 – 5 StR 473/14, [X.], 210; ebenso [X.] in Festschrift [X.], 2011, [X.]173, 1182; [X.], in: [X.], StGB, § 66 Rn. 69).

8

aa) Für diese einengende Auslegung dahin, dass die Frist von fünfzehn Jahren für den Eintritt der Rückfallverjährung auf Fälle beschränkt ist, in denen Sexualstraftaten einander nachfolgen, spricht bereits der Gesetzeswortlaut. Anderenfalls wäre nicht zu erklären, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Frist ausdrücklich auf „Sexualstraftaten“ beschränkt hat. Hätte er der längeren Rückfallverjährung einen weiteren Anwendungsbereich eröffnen wollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich – etwa durch eine – dem Halbsatz 1 entsprechende und konkret auf die frühere Tat abstellende – Formulierung – zum Ausdruck zu bringen.

9

bb) Für eine enge Auslegung der Vorschrift sprechen auch der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Wille des Gesetzgebers sowie der Zweck der Norm. Mit der durch das [X.] und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 ([X.] I vom 31.12.2010, [X.]) eingeführten und zum 1. Januar 2011 in [X.] getretenen Neuregelung sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass „kriminologische Untersuchungen“ die Annahme nahe legen, dass Sexualstraftäter „nicht ganz selten erst nach fünf bis zehn Jahren in Freiheit erstmalig rückfällig werden und sich insoweit deutlich von anderen Tätergruppen, wie zum Beispiel Räubern, unterscheiden“ (BT-Drucks. 17/3403, [X.]); die längere Rückfallverjährung sollte für „einschlägige“ Rückfälle gelten (so ausdrücklich BT-Drucks. 17/3403, [X.]). Die ursprünglich im Gesetzesentwurf der Fraktionen von [X.] und [X.] (BT-Drucks. 17/3403) für Sexualstraftaten vorgesehene besondere Rückfallverjährungsfrist von zehn Jahren wurde nach einer am 10. November 2010 durchgeführten Anhörung, in der von [X.] darauf hingewiesen worden war, dass eine Verlängerung auf zehn Jahre nach den Erfahrungen der Praxis noch nicht als ausreichend angesehen werden könne (vgl. BT-Drucks. 17/4602, [X.]) – der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des [X.] (BT-Drucks. 17/4062, [X.]) folgend – auf fünfzehn Jahre angehoben, ohne dass sich diese beschränkte Zielsetzung verändert hätte [X.], [X.], 122, 129; [X.]/Sinn, 9. Aufl., § 66 Rn. 19; kritisch [X.], [X.] 2011, 82, 86).

Damit hat der Gesetzgeber einer Besonderheit Rechnung getragen, die ausschließlich für Sexualstraftäter Geltung beansprucht. Weil sie – im Gegensatz zu Straftätern aus den anderen in § 66 Abs. 1 StGB benannten Deliktsbereichen – nach forensischer Erfahrung häufig deutlich später rückfällig werden, soll die „Wohlverhaltensphase“, an die das Gesetz die Vermutung mangelnder Prognoserelevanz der Vortat knüpft, um das Dreifache verlängert werden.

cc) Für eine einengende Auslegung der Norm sprechen auch systematische Gründe, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Ein solches Verständnis der Vorschrift erscheint schließlich auch vorzugswürdig, weil eine auf fünfzehn Jahre bemessene Rückfallverjährung in ein Spannungsverhältnis zur Feststellung des Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu geraten droht, der für die Verhängung der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung konstitutiv ist (vgl. [X.], aaO; ebenso [X.]/[X.]/[X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 67).

3. Bei dieser Sachlage kann der [X.] keinen Bestand haben.

Der neue Tatrichter wird nunmehr zu prüfen haben, ob er auf der Grundlage des § 66 Abs. 3 StGB Sicherungsverwahrung anordnet; diese Entscheidung steht in seinem Ermessen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. August 2003 – 3 [X.], [X.], 12). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

Schäfer     

      

[X.]     

      

[X.]

      

Bartel     

      

Schmidt     

      

Meta

2 StR 142/18

28.08.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 30. November 2017, Az: 21 KLs 31/16

§ 66 Abs 4 S 3 Halbs 1 StGB, § 66 Abs 4 S 3 Halbs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.08.2018, Az. 2 StR 142/18 (REWIS RS 2018, 4370)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4370

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 178/19

Zitiert

5 StR 473/14

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