Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.01.2018, Az. VIII R 15/16

8. Senat | REWIS RS 2018, 14816

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Gegenstand

(Zulässigkeit von Rücklagen im Regiebetrieb einer Verbandskörperschaft - Teilweise Parallelentscheidung zu BFH-Urteil vom 30. Januar 2018 VIII R 42/15)


Leitsatz

Die Bildung einer Rücklage i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ist bei Regiebetrieben einer Verbandskörperschaft unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Regiebetrieben einer kommunalen Gebietskörperschaft zulässig. Mangels gesetzlicher Beschränkungen reicht für deren steuerliche Anerkennung jedes "Stehenlassen" der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital aus, sofern anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden kann, dass dem Regiebetrieb die entsprechenden Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen sollen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. März 2016  6 K 2099/13 [X.] wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterhielt in den Streitjahren 2005 bis 2007 einen Betrieb gewerblicher Art "[X.]" (BgA [X.]). Dessen Gewinne unterwarf der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) für die [[X.].], 8/2007 und 8/2008 der Kapitalertragsteuer, obwohl der Kläger die Einstellung der Gewinne in die Rücklagen geltend machte.

2

Der Kläger ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die als Berufsverband und [X.] tätig ist. Mitglieder sind ... Die in den Handelsbilanzen des [X.] ermittelten [X.] in Höhe von ... € (2005), ... € (2006) und ... € (2007) wurden in die (satzungsmäßigen) Gewinnrücklagen eingestellt.

3

Nach den Ergebnissen der Betriebsprüfung buchte der Kläger sämtliche Einnahmen und Ausgaben im Rechnungswesen der [X.]. Für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche habe es weder getrennte Buchführungen noch getrennte Bankkonten gegeben. Die rechnerische Zuordnung der Aufwendungen sei über eine Aufteilung nach [X.] erfolgt. Die Prüfung kam zu dem Ergebnis, die handelsrechtlichen [X.] des BgA [X.] seien in den Bilanzen des [X.] zutreffend ausgewiesen. Soweit die Aufwendungen dem Berufsverband zuzurechnen seien, würden sie durch die (echten) Mitgliedsbeiträge ausgeglichen. Überschüsse seien insoweit nicht erzielt worden. Soweit der [X.] durchführe und hierfür (noch) keine Sonderbeiträge (unechte Mitgliedsbeiträge) erhalten habe, seien in den Handelsbilanzen "Vorräte" aktiviert worden. Dies gelte in den Streitjahren insbesondere für das Projekt "...".

4

Auf die Handelsbilanzgewinne des BgA [X.], deren Höhe sich gemäß § 3 Abs. 1 der Satzung des [X.] aus einer Verzinsung der freien Rücklagen mit der Bruttodurchschnittsrendite aller Kapitalanlagen ergebe, falle gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. [X.]. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c und § 43a Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) eine 10 %-ige Kapitalertragsteuer an. Die Bildung von Rücklagen sei nicht zulässig, da der BgA [X.] als Regiebetrieb anzusehen sei, dessen Zweck auch ohne eine solche Rücklagenbildung nachhaltig habe erfüllt werden können. Außerdem seien in den Streitjahren Beträge in Höhe von jeweils 48 bis 60 Mio. € nicht verbraucht und auch nicht zur Bildung von Rücklagen oder Rückstellungen verwendet, sondern den Mitgliedern als Rückgaben erstattet worden.

5

Das [X.] erließ daraufhin gegenüber dem Kläger die Bescheide über die Festsetzung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer vom 12. November 2012 für den [X.] mit einer Kapitalertragsteuer in Höhe von ... €, für den [X.] mit einer Kapitalertragsteuer in Höhe von ... € und für den [X.] mit einer Kapitalertragsteuer in Höhe von ... €. Der gegen diese Bescheide gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

6

Dagegen urteilte das Finanzgericht ([X.]), das [X.] habe gegenüber dem Kläger zu Unrecht Kapitalertragsteuer festgesetzt. Zwar führe der Kläger einen BgA [X.] ohne eigene Rechtspersönlichkeit, der von seiner Tätigkeit als Berufsverband und dem Betrieb gewerblicher Art "Projekte" (BgA Projekte) zu trennen sei und für dessen Gewinne er unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG Kapitalertragsteuer schulde. Allerdings seien die Gewinne des als Regiebetrieb geführten BgA [X.] in den Streitjahren in die Rücklagen eingestellt worden, so dass keine Kapitalertragsteuer anfalle. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2016, 1179 veröffentlicht.

7

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, bei [X.] setze die Anerkennung von Rücklagen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG voraus, dass die Zwecke des Betriebs gewerblicher Art ohne die Rücklagenbildung nachhaltig nicht erfüllt werden könnten (vgl. Schreiben des [X.] --BMF-- vom 8. August 2005 IV B 7 [X.] 2706a- 4/05, [X.], 831, Rz 23; vom 9. Januar 2015 IV C 2 [X.] 2706- a/13/10001, [X.], 111, Rz 35). Dies folge daraus, dass die [X.] im Fall eines Regiebetriebs --im Gegensatz zu einem Eigenbetrieb-- unmittelbar über die Gewinne des Betriebs gewerblicher Art verfügen könne, und werde durch das entsprechende obiter dictum im Urteil des [X.] ([X.]) vom 16. November 2011 I R 108/09 ([X.]E 236, 48, [X.], 328) bestätigt. Ließe man die Rücklagenbildung bei [X.] voraussetzungslos zu, stünde es im Belieben der [X.], ob für die Gewinne eines Regiebetriebs Kapitalertragsteuer anfalle.

8

Im Streitfall seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Insbesondere sei eine Zuführung zu den freien und unbelasteten Eigenmitteln nicht erforderlich gewesen, ...

9

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des [X.] als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I[X.]

Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die an den Kläger gerichteten Bescheide über die Festsetzung von Kapitalertragsteuer vom 12. November 2012 für die [X.], 8/2007 und 8/2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2013 rechtswidrig waren.

1. Zwar durfte das [X.] den Kläger wegen fehlender Abgabe der Kapitalertragsteueranmeldungen i.S. des § 45a EStG grundsätzlich für die Entrichtungsschulden des [X.] im Wege des Nachforderungsbescheids in Anspruch nehmen (§ 167 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 der Abgabenordnung --AO-- [X.]. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO, § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG und § 44 Abs. 6 Sätze 1 und 4 sowie Abs. 1 Sätze 3 bis 5 EStG). Die Kapitalertragsteuer beträgt aber jeweils 0 €, da die vom [X.] in den Jahren 2005 bis 2007 erzielten Gewinne gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG den Rücklagen zugeführt worden sind.

2. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn eines Betriebs gewerblicher Art [X.] 4 des [X.] ([X.]) ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Weitere Voraussetzungen sind, dass der Betrieb gewerblicher Art nicht von der Körperschaftsteuer befreit ist und seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt oder mehr als 350.000 € Umsatz im Kalenderjahr oder mehr als 30.000 € Gewinn im Wirtschaftsjahr hat. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 2 EStG führt die spätere Auflösung der Rücklagen zu Zwecken außerhalb des Betriebs gewerblicher Art ebenfalls zu einem Gewinn i.S. des Satzes 1.

Die Regelungen enthalten eine Ausschüttungsfiktion, da wegen der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit des Betriebs gewerblicher Art keine tatsächlichen Ausschüttungen möglich sind ([X.]-Urteile vom 11. Juli 2007 I R 105/05, [X.], 327, [X.], 841, unter [X.]; in [X.], 48, [X.], 328, Rz 12). Soweit für diese fiktiven Ausschüttungen gemäß § 27 Abs. 1 bis 6 [X.], die gemäß § 27 Abs. 7 [X.] sinngemäß anwendbar sind, Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto als verwendet gelten, liegen keine steuerpflichtigen Einkünfte vor (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 5 [X.]. Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Im Ergebnis soll für juristische Personen des öffentlichen Rechts und deren wirtschaftliche Betätigung in der Form eines rechtlich unselbständigen Betriebs gewerblicher Art eine zweite [X.] geschaffen werden, die aus Gründen der [X.] zu einer ähnlichen Gesamtsteuerbelastung wie bei Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern führt (vgl. [X.]-Urteile in [X.], 327, [X.], 841, unter [X.]; vom 23. Januar 2008 I R 18/07, [X.], 357, [X.], 573, unter [X.] aa; vom 25. März 2015 I R 52/13, [X.], 46, [X.], 172).

Für die Einkünfte [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG fällt gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG Kapitalertragsteuer an, die gemäß §§ 2 Nr. 2, 32 Abs. 1 Nr. 2 [X.] abgeltende Wirkung hat und in den Streitjahren gemäß § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG 10 % beträgt. Auch wenn der Betrieb gewerblicher Art mangels eigener Rechtspersönlichkeit mit seiner [X.] zivilrechtlich identisch ist, gelten dabei gemäß § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG die juristische Person des öffentlichen Rechts als Gläubigerin der Kapitalerträge (und damit gemäß § 44 Abs. 6 Satz 4 [X.]. Abs. 1 Satz 1 EStG als Schuldnerin der Kapitalertragsteuer) und der Betrieb gewerblicher Art als Schuldner der Kapitalerträge, der gemäß § 44 Abs. 6 Satz 4 [X.]. Abs. 1 Sätze 3 bis 5 EStG grundsätzlich der [X.] der Kapitalertragsteuer ist.

Alleiniges Steuersubjekt bleibt aber auch für die Entrichtungsschuld der Kapitalertragsteuer des Betriebs gewerblicher Art ausschließlich die [X.], da dem Betrieb gewerblicher Art eine rechtliche Organisationsform fehlt, die nach den Regelungen der Abgabenordnung handlungsfähig ist (zur Körperschaftsteuer des Betriebs gewerblicher Art grundlegend [X.]-Urteil vom 13. März 1974 I R 7/71, [X.], 61, [X.] 1974, 391; zum Streitstand [X.] in [X.], [X.], § 4 Rz 19 ff., und [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 4 [X.] Rz 6, jeweils m.w.N.).

Die Kapitalertragsteuer für Gewinne des Betriebs gewerblicher Art entsteht gemäß § 44 Abs. 6 Satz 2 EStG zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung, spätestens aber acht Monate nach Ablauf des [X.]. Davon zu trennen ist der Zufluss der Einkünfte aus Kapitalvermögen [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG bei der [X.]. Im Fall eines Regiebetriebs fließen diese Einkünfte zeitgleich (phasenkongruent) mit der Entstehung der Gewinne zum Abschluss des jeweiligen [X.] zu, im Fall eines Eigenbetriebs dagegen grundsätzlich erst im Folgejahr (vgl. [X.]-Urteil vom 11. September 2013 I R 77/11, [X.], 481, [X.] 2015, 161, Rz 20, m.w.N.). Dies folgt aus den unterschiedlichen haushalterischen Grundlagen. Während Eigenbetriebe finanzwirtschaftlich Sondervermögen der [X.] sind, deren Gewinn erst dann in den allgemeinen Haushalt der [X.] überführt wird, wenn dies das hierfür zuständige Gremium beschließt, fließen Einnahmen der [X.] unmittelbar in den Haushalt der [X.] und Ausgaben werden unmittelbar aus dem Haushalt der [X.] bestritten ([X.]-Urteile in [X.], 357, [X.], 573, unter [X.] cc; in [X.], 48, [X.], 328, Rz 14).

3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das [X.] rechtsfehlerfrei entschieden, dass die vom [X.] in den Jahren 2005 bis 2007 erzielten Gewinne nicht zu kapitalertragsteuerpflichtigen Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG geführt haben.

a) Das [X.] geht zutreffend von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG auf den [X.] aus.

§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ist nicht auf die Betriebe gewerblicher Art kommunaler Gebietskörperschaften beschränkt, sondern gilt wegen des allgemeinen Verweises auf § 4 [X.] auch für Betriebe gewerblicher Art anderer Körperschaften. Entsprechendes gilt für die Unterscheidung zwischen Eigen- und [X.]n, da hierbei nicht auf das Haushaltsrecht abgestellt wird, sondern auf die Frage, ob ein finanzwirtschaftliches Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit gebildet worden ist (gl.[X.] in Dötsch/Pung/[X.] --D/P/M--, Kommentar zum [X.] und EStG, § 4 [X.] Rz 302).

Im Streitfall kommen nach der Satzung der Klägerin zwar sämtliche überschüssigen Beiträge, die nicht für die satzungsmäßige Rücklage erforderlich sind, über die Rückgaben ausschließlich den [X.] zugute. Dies reicht aber nicht für eine Vermögensabgrenzung i.S. eines finanzwirtschaftlichen Sondervermögens aus, zumal es nichts an der unmittelbaren Verfügungsbefugnis der Klägerin als [X.] ändert. Im Ergebnis liegt ein Betrieb gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit in der Form eines Regiebetriebs vor.

b) Der [X.] ist nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) nicht von der Körperschaftsteuer befreit und ermittelt den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Dass lediglich eine Gesamtbilanz für die Tätigkeiten Verband, BgA Projekte und [X.] erstellt worden ist, schadet hier deshalb nicht, weil diese nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) in zutreffender Höhe den handelsrechtlichen Gewinn des [X.] ausweist. Die nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zutreffenden [X.] [X.] 275 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind für den "Gewinn" [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG die maßgebende Größe (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 481, [X.] 2015, 161, Rz 21).

c) Auch die Entscheidung des [X.], die Zuführung der Gewinne des [X.] in die Rücklagen steuerlich anzuerkennen und dadurch für die Streitjahre steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG zu verneinen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Bildung einer Rücklage [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG ist auch bei einem als Regiebetrieb geführten Betrieb gewerblicher Art möglich (a.A. [X.], [X.] Steuer-Zeitung [X.], 710, 724; kritisch auch [X.]/[X.]/[X.], § 4 [X.] Rz 127; [X.], [X.], 112, 122).

Im Gesetz werden weder der Begriff der "Rücklagen" noch die Voraussetzungen einer Zuführung zu den Rücklagen definiert. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen zu den Betrieben gewerblicher Art grundsätzlich das Ziel verfolgt, die Gleichbehandlung dieser Betriebe mit Kapitalgesellschaften zu erreichen (BTDrucks 14/2683, S. 114 f.). Die Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG und die Fiktion des § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG, die [X.] als Gläubigerin der Kapitalerträge und den Betrieb gewerblicher Art als Schuldner der Kapitalerträge anzusehen, beruhen auf dem Gedanken, den Betrieb gewerblicher Art zur Schaffung zweier [X.]n wie eine "virtuelle Kapitalgesellschaft" ([X.] in [X.], [X.], 3. Aufl., § 4 Rz 22) zu behandeln. Dieser Gedanke einer virtuellen Kapitalgesellschaft gilt sowohl für Eigen- als auch für [X.] und umfasst grundsätzlich auch die Möglichkeit, Gewinne des Betriebs gewerblicher Art nicht sofort im Wege der Ausschüttung der zweiten [X.] zuführen zu müssen, sondern speichern zu dürfen. Dem entspricht die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit, Rücklagen bilden zu dürfen, die erst zum Zeitpunkt der späteren Auflösung die zweite [X.] auslösen.

Die Unterschiede zwischen Eigen- und [X.]n führen zu keinem anderen Ergebnis. Zwar kann die [X.] bei [X.]n im Gegensatz zu Eigenbetrieben unmittelbar über den Gewinn verfügen. Dem Gesetz ist aber hinsichtlich der Zulässigkeit der Rücklagenbildung keine Differenzierung zwischen Eigen- und [X.]n zu entnehmen. Vielmehr spricht das Ziel einer Gleichbehandlung sämtlicher Betriebe gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit mit Kapitalgesellschaften für ein steuerrechtliches Verständnis der Rücklagen, das grundsätzlich sowohl für Eigen- als auch für [X.] gilt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Annahme der kapitalertragsteuerpflichtigen Ausschüttung bei einem Betrieb gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit lediglich auf einer Fiktion beruht. Damit ist auch die Ausnahme der Zuführung zu den Rücklagen nur eine Fiktion, die nicht allein unter Hinweis auf die tatsächliche unmittelbare Verfügungsbefugnis der [X.] verneint werden kann.

bb) Der Senat folgt nicht der Auslegung der Finanzverwaltung, wonach die Rücklagenbildung bei [X.]n nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen zuzulassen ist (BMF-Schreiben in [X.], 111, Rz 35; zustimmend [X.]/ [X.], § 20 EStG Rz 344).

Für diese zusätzlichen Voraussetzungen fehlt eine gesetzliche Grundlage (gl.A. [X.], [X.], 112, 122; [X.]/Schiffers, [X.], 886, 900). Sie wurden auch nicht durch das Urteil des [X.] Senats des [X.] in [X.], 48, [X.], 328 (Rz 16) bestätigt (a.A. wohl [X.] in [X.]/[X.], Die Besteuerung der öffentlichen Hand, § 5 Rz 884 f.). Bei diesen Ausführungen handelte es sich lediglich um ein obiter dictum. Entscheidend war in jener Entscheidung allein, aus den unterschiedlichen haushalterischen Vorgaben für Regie- und Eigenbetriebe abzuleiten, dass die zu diesem Zeitpunkt nach Auffassung der Finanzverwaltung für sämtliche Betriebe gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit geltenden Einschränkungen für die Bildung von Rücklagen (BMF-Schreiben in [X.], 831, Rz 23) jedenfalls nicht auf Eigenbetriebe anwendbar seien.

cc) Die Zuführung zu den Rücklagen [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG setzt darüber hinaus weder den --im Streitfall gegebenen-- formalen Ausweis als handelsbilanzielle Rücklage i.S. des § 272 HGB noch eine --bei der Klägerin als Verbandskörperschaft nicht in Betracht kommende-- haushaltsrechtlich bindende Mittelreservierung auf [X.] der [X.] voraus (vgl. [X.] in D/P/M, a.a.[X.], § 4 [X.] Rz 305a und 309). Für eine entsprechende Einschränkung der vom Gesetzgeber ausdrücklich eingeräumten Dispositionsbefugnis ist in § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG ebenfalls keine ausreichende gesetzliche Grundlage erkennbar.

Die Auslegung des Rücklagenbegriffs muss sich vielmehr an dem steuerlichen Zweck orientieren, auch Betrieben gewerblicher Art die Möglichkeit zu eröffnen, ihre handelsrechtlichen Gewinne erst dann der Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, wenn sie nicht mehr für Zwecke des Betriebs genutzt, sondern auf die [X.] der [X.] überführt werden. Außerdem ist der fiktive Charakter der Rücklagen [X.] 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Dem würden sowohl das Erfordernis eines formalen Ausweises als Rücklage als auch die Anknüpfung an eine haushaltsrechtlich bindende Mittelreservierung auf [X.] der [X.] widersprechen.

dd) Dementsprechend hat der [X.] für den Fall eines Eigenbetriebs entschieden, dass dessen Gewinne schon dann als den Rücklagen zugeführt gelten, wenn sie nicht durch einen Ausschüttungsbeschluss oder durch eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) an die [X.] für Zwecke außerhalb des Betriebs gewerblicher Art überführt worden sind ([X.]-Urteil in [X.], 48, [X.], 328, Rz 15 und 22). Damit hat der [X.] für Eigenbetriebe bestätigt, dass grundsätzlich jedes "Stehenlassen" der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital für Zwecke des Betriebs gewerblicher Art ausreicht, unabhängig davon, ob dies in der Form der Zuführung zu den Gewinnrücklagen, als Gewinnvortrag oder unter einer anderen Position des Eigenkapitals geschieht (vgl. auch BMF-Schreiben in [X.], 111, Rz 34; Verfügung der [X.] [X.] vom 7. Oktober 2015 S 270.6/43-St 212, unter [X.]; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 4 Rz 452.5; Gastl in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 6 Rz 101).

ee) Von dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich auch im Fall eines Regiebetriebs auszugehen, da Eigen- und [X.] mangels einer entsprechenden Differenzierung in § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG so weit wie möglich gleich zu behandeln sind. Dies gilt nicht nur im Bereich kommunaler Gebietskörperschaften, sondern auch für [X.] anderer Körperschaften. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei einem Regiebetrieb --im Gegensatz zu einem Eigenbetrieb-- kein Ausschüttungsbeschluss erforderlich ist, um der [X.] die Verfügung über die Gewinne des Betriebs gewerblicher Art zu ermöglichen. Deshalb muss anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden können, dass dem Regiebetrieb die entsprechenden Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen. Angesichts der auf Fiktionen basierenden Besteuerungsmerkmale sind hieran aber keine strengen Anforderungen zu stellen.

ff) [X.] an die [X.], beispielsweise durch Gewährung eines Darlehens des Betriebs gewerblicher Art an die [X.], gelten grundsätzlich keine weiteren Einschränkungen. Dies folgt zum einen aus der Anknüpfung der Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG an die bilanzielle Größe des handelsrechtlichen Jahresüberschusses, für den [X.] grundsätzlich keine Rolle spielen (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 481, [X.] 2015, 161, Rz 22 und 25; von [X.] in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 20 Rz 64; [X.]/Intemann, § 20 EStG Rz 360; kritisch zur Berücksichtigung von [X.] [X.] in D/P/M, a.a.[X.], § 4 [X.] Rz 313 und [X.]/Schiffers, [X.], 886, 892 und 899), und zum anderen aus der grundsätzlichen Anerkennung von Rechtsbeziehungen zwischen dem Betrieb gewerblicher Art und seiner [X.] ([X.]-Urteil vom 9. Juli 2003 I R 48/02, [X.]E 203, 71, [X.] 2004, 425). Allerdings sind im Verhältnis zwischen [X.] und Betrieb gewerblicher Art die für Kapitalgesellschaften und deren Alleingesellschafter entwickelten Grundsätze über vGA entsprechend anwendbar (vgl. auch [X.]-Urteile vom 10. Juli 1996 I R 108-109/95, [X.]E 181, 277, [X.] 1997, 230; vom 17. Mai 2000 I R 50/98, [X.]E 192, 92, [X.] 2001, 558; [X.]-Beschluss vom 6. November 2007 I R 72/06, [X.]E 219, 545, [X.] 2009, 246), wobei wegen der rechtlichen Identität zwischen [X.] und Betrieb gewerblicher Art die zivilrechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts keine Rolle spielen kann (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 5 Rz 421).

gg) Im Streitfall sind die ermittelten [X.] in der Bilanz ausdrücklich in eine satzungsmäßige (Gewinn-)Rücklage eingestellt worden. Das Zusammenspiel zwischen der in § 3 Abs. 1 der Satzung vorgesehenen Gewinnrücklage und dem tatsächlichen Ausweis einer solchen Rücklage in der Bilanz reicht aus, um nachvollziehen zu können, dass die erzielten Gewinne weiterhin für Zwecke des [X.] als Eigenkapital zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus führt der Liquiditätsabfluss durch die Vorfinanzierung der Ausgaben des BgA Projekte nicht zu einer vGA des [X.]. Zwar hat der [X.] dem BgA Projekte Finanzmittel zur Verfügung gestellt, die in der Bilanz nicht als ([X.] gegenüber dem BgA Projekte, sondern lediglich als Vorräte ausgewiesen werden. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) hat der [X.] dem BgA Projekte die Finanzmittel aber trotzdem "wie Darlehen" und nicht "wie Gewinne" zur Verfügung gestellt, da sie mit Zinsen zurückgezahlt worden seien. Dies widerspricht weder Denkgesetzen noch allgemeinen [X.], da sich im Rahmen der konsolidierten Gesamtbilanz die vom [X.] angenommene Darlehensforderung und die entsprechende Verbindlichkeit des BgA Projekte aufheben. Auch dass das [X.] als Beleg für die Annahme eines Darlehens auf den [X.] vom ... Dezember 2004 Bezug nimmt, der ausschließlich dem BgA Projekte zuzuordnen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn im Zusammenhang mit den Satzungsregelungen in § 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 4 wird aus diesem Vertrag trotzdem deutlich, dass die aus diesen Verträgen zufließenden Einnahmen letztlich beim [X.] zu einer verzinsten Rückführung der dem BgA Projekte vorfinanzierten Ausgaben führen.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII R 15/16

30.01.2018

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 18. März 2016, Az: 6 K 2099/13 KE, Urteil

§ 167 Abs 1 S 1 AO, § 20 Abs 1 Nr 10 Buchst b EStG 2002, § 43 Abs 1 S 1 Nr 7c EStG 2002, § 43a Abs 1 Nr 6 EStG 2002, § 44 Abs 1 EStG 2002, § 44 Abs 6 EStG 2002, § 4 KStG 2002, EStG VZ 2006, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, KStG VZ 2006, KStG VZ 2007, KStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.01.2018, Az. VIII R 15/16 (REWIS RS 2018, 14816)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14816

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