Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2020, Az. StB 4/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11854

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:260220BSTB4.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 4/20

vom
26. Februar 2020
in dem Strafverfahren
gegen

wegen
Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
hier:
sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung eines
[X.]s

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und seiner Verteidiger am 26.
Februar 2020 gemäß §
143a Abs.
4, §
304 Abs.
4 Satz
2 Halbsatz
2 Nr.
1 StPO beschlossen:

1.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Be-schluss des [X.] in [X.] vom 20.
Januar 2020 wird verworfen.
2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
I.
Das [X.] führt gegen den Angeklagten eine Hauptverhand-lung wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroris-tischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, dabei in einem Fall in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, im anderen Fall in Tateinheit mit Beihilfe zu einer solchen Vorbereitung. Der Angeklagte hat beantragt, die Bestellung des ihm auf seinen Antrag am 17.
April 2019 bestell-ten Pflichtverteidigers Dr.
E.

aufzuheben und ihm Rechtsanwalt G.

als
neuen Pflichtverteidiger zu bestellen, da das Vertrauensverhältnis zu dem bis-herigen Pflichtverteidiger unheilbar zerrüttet sei. Diesen Antrag hat der [X.] befassten Strafsenats des [X.]. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
sofortigen Beschwerde, 1
-
3
-
die er im Wesentlichen damit begründet, dass fortlaufend nicht nur die [X.], sondern die konkrete Gefahr einer Interessenkollision in der Person des Pflichtverteidigers bestehe. Diese beruhe darauf, dass der Verteidiger zuvor einen in der Anklageschrift benannten Zeugen verteidigt habe. Hierfür sei uner-heblich, dass sich der Zeuge bislang auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach §
55 StPO berufen habe.
II.
Die nach §
143a Abs.
4, §
304 Abs.
4 Satz
2 Halbsatz
2 Nr.
1 StPO zu-lässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat den Antrag auf [X.] zu Recht abgelehnt.
1.
Der Vorsitzende des [X.]ssenats hat seine [X.] zutreffend gemäß §
142 Abs.
3 Nr.
3 StPO angenommen. Da es sich [X.] um eine allgemeine Regelung über die Zuständigkeit handelt, gilt sie auch für Entscheidungen über den Pflichtverteidigerwechsel. Hierfür spricht zudem, dass die Norm inhaltlich an §
141 Abs.
4 StPO
aF angeknüpft und insofern die Zuständigkeit des Vorsitzenden auch für [X.] anerkannt war (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
November 2003 -
1
StR
481/03, NStZ
2004, 632 Rn.
5; BT-Drucks.
19/13829 S.
41).
2.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestel-lung von Rechtsanwalt Dr.
E.

liegen nicht vor.
Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine 2
3
4
5
-
4
-
angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. §
143a
Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 StPO). Auch im Übrigen bestehen keine Gründe zur Aufhebung der Verteidigerbestellung.
a)
Nach §
143a Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 StPO ist die Bestellung des [X.] aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des [X.] gewährleistet ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift, die am 13.
Dezember 2019 in
Kraft getreten ist (BGBl.
I S.
2128, 2130, 2134), das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fäl-le des Rechts auf [X.] zu normieren. Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurück-gegriffen werden (s. BT-Drucks.
19/13829 S.
48).
Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des [X.] die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von [X.] oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. [X.], Urteile vom 26.
August 1993 -
4
StR
364/93, [X.]St
39, 310, 314
f.; vom 24.
Februar 2016
-
2
StR
319/15, NStZ
2017, 59, 61; KG, Beschluss vom 9.
August 2017 -
4
Ws 101/17, juris Rn.
10 mwN; s. auch [X.], Beschluss vom 25.
September 2001 -
2
BvR
1152/01, NJW
2001, 3695, 3697 mwN).
Unabhängig davon kann ein konkret manifestierter Interessenkonflikt
einen Grund dafür bieten, die bestehende Bestellung aufzuheben, wenn an-sonsten die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (s. [X.], Urteil vom 11.
Juni 2014 -
2
StR
489/13, 6
7
8
-
5
-
[X.]R StPO §
142 Abs.
1 Auswahl
11 Rn.
33 mwN; Beschluss vom 15.
Januar 2003
-
5
StR
251/02, [X.]St
48, 170, 173). Mit Blick auf die Ausgestaltung des Verbots der Mehrfachverteidigung nach §
146 StPO hat der Gesetzgeber in der sukzessiven Verteidigung von mehreren derselben Tat beschuldigten Personen keine die Verteidigung im Allgemeinen hindernde Interessenkollision gesehen (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
Januar 2003 -
5
StR
251/02, [X.]St
48, 170, 173
f.; BT-Drucks.
10/1313 S.
22). Indes steht eine Mandatsbeendigung einem etwaigen Interessenkonflikt nicht grundsätzlich entgegen (vgl. [X.], Urteil
vom 11.
Juni 2014 -
2
StR
489/13, NStZ
2014, 660 Rn.
38; Beschluss vom 15.
November 2005 -
3
StR
327/05, [X.]R StPO §
142 Abs.
1 Auswahl
10). Ob ein solcher vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und objektiv zu bestimmen ([X.], Urteile vom 11.
Juni 2014 -
2
StR 489/13, [X.]R StPO §
142 Abs.
1 Auswahl
11 Rn.
35; vom 23.
April
2012
-
AnwZ
(Brfg)
35/11, NJW
2012, 3039, 3040).
b)
Daran gemessen ist ein [X.] auf der Grundlage des derzeitigen [X.] nicht erforderlich.
aa)
Ein konkreter Interessenkonflikt in Bezug auf die bereits beendete Verteidigung des Zeugen W.

und die Verteidigung des Angeklagten be-
steht nicht.
(1)
Die Verteidigung des Zeugen einerseits und des Angeklagten ande-rerseits hatte nicht denselben Sachverhalt als maßgeblichen [X.] (vgl. -
zu §
356 StGB
-
[X.], Urteil vom 25.
Juni 2008 -
5
StR
109/07, [X.]St
52, 307
Rn.
20).
9
10
11
-
6
-
Dem Angeklagten wird die mitgliedschaftliche Beteiligung am "[X.]
[im [X.] und [X.]]" seit November 2013 in zwei Fällen in Tatein-heit mit weiteren Delikten zur Last gelegt. Im [X.] sind insoweit eine Ausreise des Angeklagten nach [X.] am 21.
November 2013, seine anschlie-ßende Ausbildung als Kämpfer in [X.] sowie eine Vermittlung im April 2014 bei der Ausreise von

M.

aufgeführt. Demgegenüber wurde der Zeu-
ge am 15.
Februar 2018, rechtskräftig seit dem 7.
Juni 2018, wegen [X.] einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Das Urteil hatte -
entsprechend der zugrundeliegenden Anklage
-

Widerstandshandlungen am 3.
März 2017 und eine Ausreise auf dem Landweg Richtung [X.] am 7.
April 2017 zum Gegenstand. Der Angeklagte findet we-der in der den Zeugen betreffenden Anklageschrift noch im schriftlichen Urteil Erwähnung.
(2)
Das frühere Verteidigerverhältnis überschneidet sich auch nicht in anderer Weise mit der Zeugenaussage.
Der
Zeuge wurde im gegen den jetzigen Angeklagten geführten Ermitt-lungsverfahren am 8.
Mai 2019 vernommen, mithin zu einem Zeitpunkt, als das gegen ihn geführte Strafverfahren seit beinahe einem Jahr rechtskräftig abge-schlossen war. Die Vernehmung befasste sich unter anderem mit der [X.] Zugehörigkeit zu einer islamistischen ("[X.] und 2017. Die Angaben des Zeugen werden im wesentlichen Ergebnis der gegen den Angeklagten erhobenen Anklageschrift als ein Beleg neben an-deren Beweismitteln für das Bestehen der Gruppe und die Bezeichnung des Angeklagten als "

" angeführt.
12
13
14
-
7
-
Bei der etwaigen gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit handelte es sich für den Zeugen um einen vor oder nach dem eigentlichen Tatgeschehen lie-genden Aspekt, nicht aber um den Kern der damals unterbreiteten [X.]. Diese sind, wie dargelegt, ihrerseits nicht Gegenstand der hiesigen Anklagevorwürfe.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass in der Hauptverhandlung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen (§
55 Abs.
1 StPO) angenommen worden ist; denn ein solches setzt allgemein die Gefahr der Strafverfolgung voraus. Grundsätzlich kann es nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu den ab-geurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn darstellen würden (s. im Einzelnen [X.], Urteile vom 19.
Dezember 2006 -
1
StR
326/06, NStZ
2007, 278
Rn.
6; vom 6.
April 2017 -
3
StR
5/17, NStZ
2017, 546, 547). Mithin beinhaltet die Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts gerade keinen Hinweis darauf, dass die abgeurteilten Taten des Zeugen mit den nun-mehr angeklagten in verfahrensrechtlichem Zusammenhang stehen.
(3)
Im Übrigen ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die frühere [X.] des Zeugen und die nunmehrige Verteidigung des Angeklagten ge-genläufige Interessen berühren. Im Verfahren gegen den jetzigen [X.] kein Tatvorwurf gegen den hiesigen Angeklagten; dieser war für die vor allem auf geständigen Einlassungen beruhende Verurteilung des Zeugen ohne Belang.
Das frühere Mandatsverhältnis hindert den Pflichtverteidiger nicht daran, sich unter Beachtung seiner Verschwiegenheitspflicht mit der den Angeklagten potentiell belastenden Aussage des Zeugen kritisch auseinanderzusetzen. Dies 15
16
17
18
-
8
-
gilt sowohl dann, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung Angaben machen sollte, als auch für den Fall, dass seine frühere Aussage anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt wird. Besondere Umstände, nach denen sich konkret anderes ergibt (so etwa für das im Wesentlichen einzige Beweismittel, das für die Überführung des Angeklagten von ausschlaggebender Bedeutung ist, [X.], Beschlüsse vom 15.
November 2005 -
3
StR
327/05, [X.]R StPO §
142 Abs.
1 Auswahl
10; vom 15.
Januar 2003 -
5
StR
251/02, [X.]St
48, 170, 176), sind nicht gegeben.
bb)
Das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt Dr.
E.

und
dem Angeklagten ist, wie bereits vom [X.] im Einzelnen zutref-fend dargelegt, aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht endgültig [X.].
Da die frühere Verteidigung des Zeugen aus den zuvor erörterten Grün-den keinen konkreten Interessenkonflikt zur Folge hat, besteht für einen ver-ständigen Angeklagten insofern kein Anlass, dem Pflichtverteidiger das [X.] zu entziehen.
Soweit der Angeklagte einen Vertrauensbruch darin sieht, dass ihm Rechtsanwalt Dr.
E.

den Ausgang des gegen den Zeugen geführten Ver-
fahrens verschwiegen habe, reicht dies für eine Entpflichtung ebenfalls nicht aus. Die Verurteilung des Zeugen ist bereits aus der Anklageschrift zu entneh-men, die dem Angeklagten im September 2019 übersandt worden ist. [X.] der eher nachrangigen Bedeutung des Zeugen für die gegen den Ange-klagten erhobenen Vorwürfe und der im angefochtenen Beschluss näher aufge-zeigten Bezüge des Angeklagten zu dem gegen den Zeugen geführten Straf-verfahren ergibt sich selbst dann keine endgültige Zerstörung des Vertrauens-19
20
21
-
9
-
verhältnisses, wenn der Verteidiger den Angeklagten nicht von sich aus über Einzelheiten des damaligen Verfahrens, insbesondere die Hintergründe einer Verständigung (§
257c StPO), sowie das vorangegangene Mandat in Kenntnis gesetzt hat.
cc)
Da kein Grund für eine Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt Dr.
E.

besteht, bedarf
es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass der
beantragten Bestellung von Rechtsanwalt G.

gemäß §
143a Abs.
2 Satz
2,
§
142 Abs.
5 Satz
3 Halbsatz
2 StPO die von ihm mitgeteilten Terminkollisionen entgegenstehen könnten.
Schäfer
Wimmer
Anstötz
22

Meta

StB 4/20

26.02.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2020, Az. StB 4/20 (REWIS RS 2020, 11854)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11854

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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