Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2010, Az. VI R 55/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 3131

STRASSENVERKEHR STEUERRECHT STEUERN DIENSTRECHT

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Gegenstand

(Zuschlagsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht formell verfassungswidrig)


Leitsatz

Die mit dem Jahressteuergesetz 1996 nach Anrufung des Vermittlungsausschusses auf Grundlage der Beschlussempfehlungen dieses Gremiums zu Stande gekommenen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs überschreiten nicht die von Verfassungs wegen zu beachtenden Grenzen für die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses .

Tatbestand

1

I. I. Streitig ist die zutreffende Anwendung der 0,03 %-Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die Kläger und [X.] (Kläger) wurden als Eheleute in den Streitjahren (2004, 2005) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war als angestellter Bauleiter [X.] tätig. Sein Arbeitgeber hatte ihm einen Kraftwagen zur auch privaten Nutzung überlassen. Der Kläger hatte den geldwerten Vorteil daraus mittels Fahrtenbücher ermittelt. Auf dieser Grundlage wurden der [X.] vorgenommen und die Kläger erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt.

3

Im [X.] an eine beim Arbeitgeber des [X.] durchgeführte [X.] vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die Ansicht, dass die vom Kläger geführten Fahrtenbücher nicht ordnungsgemäß seien, weil Angaben zu den Zwecken der dienstlichen Fahrten und aufgesuchten Personen/Firmen überwiegend fehlten. Das [X.] änderte daher die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung mit den hier streitigen [X.]. Die geldwerten Vorteile aus der Kraftfahrzeugnutzung für private Zwecke sowie für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ermittelte das [X.] nun auf Grundlage der 1 %-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG und nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG (0,03 %-Regelung). Dadurch erhöhten sich die Lohneinkünfte des [X.] um 6.222 € (1. Mai bis 31. Dezember 2004) sowie um 9.170 € (2005).

4

Die von den Klägern nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) gelangte zwar zu der Auffassung, dass das vom Kläger geführte Fahrtenbuch nicht ordnungsgemäß sei, so dass das [X.] den geldwerten Vorteil aus der Nutzung des dem Kläger von seinem Arbeitgeber überlassenen Kraftfahrzeugs zu privaten Zwecken zu Recht nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG bemessen habe. Entgegen der Auffassung des [X.] sei aber auf Grundlage der Entscheidung des [X.]. Senats (vgl. Senatsurteil vom 4. April 2008 [X.] R 85/04, [X.], 11, [X.], 887) der Vorteil aus der Kraftfahrzeugnutzung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht pauschal nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG, sondern nach der konkreten Anzahl der Fahrten zu ermitteln.

5

Mit der dagegen eingelegten Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Das [X.] beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil des Niedersächsischen [X.] vom 11. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Das [X.] ([X.]) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat zu Recht im Rahmen der Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 5 EStG im Streitjahr 2004 nur 68 Fahrten und im Streitjahr 2005 nur 61 Fahrten zu Grunde gelegt und das zu versteuernde Einkommen und die festzusetzende Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt.

1. Der Senat hält auch nach erneuter Überprüfung an seiner Rechtsprechung fest, dass die Zuschlagsregelung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG einen [X.] zum Werbungskostenabzug darstellt und sie deshalb nur insoweit zur Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt hat (Entscheidungen in [X.], 11, [X.], 887; vom 4. April 2008 [X.], [X.], 17, [X.], 890). Die Zuschlagsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG hat insbesondere nicht die Funktion, eine irgendwie geartete zusätzliche private Nutzung des Dienstwagens zu bewerten. Sie bezweckt vielmehr lediglich einen Ausgleich für abgezogene, aber tatsächlich nicht entstandene Erwerbsaufwendungen. Denn die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) gestattet einen Werbungskostenabzug unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte tatsächlich Kosten entstanden waren. Angesichts dieser Korrekturfunktion ist der Zuschlag nur insoweit gerechtfertigt, als tatsächlich Werbungskosten überhöht zum Ansatz kommen konnten. Bei der Ermittlung des Zuschlags ist deshalb darauf abzustellen, ob und in welchem Umfang der Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt worden ist; der Senat verweist zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom 22. September 2010 [X.]/09, [X.], 139.

2. Der Senat geht auch weiterhin davon aus, dass die streitige Regelung formell verfassungsgemäß zu Stande gekommen ist, insbesondere der Vermittlungsausschuss die ihm von [X.] wegen gezogenen Grenzen nicht überschritten hat. Das beigetretene [X.] hat zwar u.a. vorgebracht, dass die Regelung im Jahr 1996 erst durch den Vermittlungsausschuss in das Gesetz aufgenommen worden sei und eine detaillierte Dokumentation des historischen gesetzgeberischen Willens zur 0,03 %-Zuschlagsregelung daher fehle. Aber auch das [X.] selbst leitet daraus nicht ab, dass die streitige Regelung deshalb formell verfassungswidrig sei.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) darf der Vermittlungsausschuss eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom [X.] beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des [X.] und des ihm zu Grunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Dabei ist die Stellungnahme des Bundesrates auch dann in den Vermittlungsvorschlag einzubeziehen, wenn diese vom [X.] in seinem Gesetzesbeschluss nicht berücksichtigt worden ist ([X.]-Urteil vom 7. Dezember 1999  2 BvR 301/98, [X.]E 101, 297, 307).

b) Daran gemessen überschreiten die mit dem Jahressteuergesetz 1996 nach Anrufung des Vermittlungsausschusses auf Grundlage der Beschlussempfehlungen dieses Gremiums zu Stande gekommenen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs nicht die von [X.] wegen geltenden Grenzen für die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Zwar war die Frage der einkommensteuerrechtlichen Erfassung des Vorteils aus der privaten Nutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge im Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.] zum Jahressteuergesetz 1996 (BTDrucks 13/901) und im Gesetzentwurf der Bundesregierung dazu (BTDrucks 13/1173), die vom [X.] am 2. Juni 1995 in zweiter und dritter Lesung beraten worden waren, noch nicht enthalten. Zuvor war jedoch schon von der Fraktion [X.]/[X.] mit Antrag vom 28. März 1995 (BTDrucks 13/936) --insoweit noch ohne [X.] ausformulierten [X.] die Einschränkung der Absetzbarkeit betrieblich genutzter PKW und die Änderung der bis dahin pauschal unterstellten Annahme, dass [X.] regelmäßig zu 65 % bis 70 % geschäftlich genutzt würden, gefordert worden. Weiter hatte auch ein Änderungsantrag der Fraktion der [X.] (BTDrucks 13/1590) in Verbindung mit der vorgeschlagenen Entfernungspauschale bereits in [X.] ausformulierter Weise die Kürzung des [X.] für betrieblich genutzte Kraftfahrzeuge in Höhe von 0,04 % des Listenpreises des Kraftfahrzeugs je Entfernungskilometer und Monat zum Gegenstand. Überdies nahm der Bundesrat, der ebenfalls am 2. Juni 1995 das Jahressteuergesetz 1996 beraten hatte, in seiner Stellungnahme u.a. auf die Empfehlungen des Finanzausschusses vom 23. Mai 1995 Bezug ([X.] 171/95 --Beschluss-- mit Anlage [X.] 171/2/95, [X.] ff.). Dieser hatte u.a. ebenfalls schon in [X.] ausformulierter Weise die Regelungen zu § 8 Abs. 2 Sätze 3, 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG vorgeschlagen, wie sie im Wesentlichen dann auch nach zweimaliger Anrufung des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 13/1779, BTDrucks 13/2016) Gesetz geworden waren. Angesichts dessen hatten sich die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses vom 7. Juli 1995 (BTDrucks 13/1960) sowie vom 2. August 1995 (BTDrucks 13/2100) im Rahmen der Kontroversen zwischen [X.] und Bundesrat und der parlamentarischen Debatte bewegt und mit den §§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2, 8 Abs. 2 Sätze 3, 4 EStG keinen [X.] zum Gegenstand, der außerhalb dieser bisherigen [X.] und [X.] zwischen [X.] und Bundesrat im Sinne der Rechtsprechung des [X.] liegt (vgl. Urteil in [X.]E 101, 297, 308; Beschluss vom 15. Januar 2008  2 BvL 12/01, [X.]E 120, 56 <75 f.>).

Meta

VI R 55/09

22.09.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 11. Mai 2009, Az: 4 K 355/08, Urteil

§ 8 Abs 2 S 3 EStG 2002, Art 77 Abs 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2010, Az. VI R 55/09 (REWIS RS 2010, 3131)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3131

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

VI R 51/10

Zitiert

2 BvR 301/98

2 BvL 12/01

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