Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.07.2022, Az. 1 StR 470/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5935

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Gegenstand

Steuerhinterziehung durch Beteiligung an der Herstellung illegaler Zigaretten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Mai 2021 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden ist; insoweit wird der Angeklagte freigesprochen und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen;

b) im verbliebenen Strafausspruch.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung, wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei sowie wegen Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (richtig: [X.]) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es den Angeklagten nicht betreffende Einziehungen angeordnet. Mit Zustimmung des [X.] hat der [X.]nat mit Beschluss vom 28. Juli 2022 den Vorwurf der strafbaren Teilnahme am Verstoß gegen das [X.] von der Strafverfolgung ausgenommen (§ 154a Abs. 2, 1 Satz 1 Nr. 1 StPO). Die gegen seine Verurteilung im nach Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s ließ sich der Angeklagte in der [X.] im Juni 2020 von unbekannt gebliebenen Hintermännern anwerben, um in einer illegalen Zigarettenproduktionsstätte in [X.]         ab dem 16. Juli 2020 zu arbeiten und dadurch 3.000 € monatlich zu verdienen. Dort ließen die Organisatoren unversteuerten [X.] anliefern, maschinell trocknen, in [X.] zerteilen und in Cellophan verpacken. Dabei wurden bei den Zigarettenpapieren, -filtern und -verpackungen die [X.]rken „[X.]“, „[X.].      “ und „[X.].    “ verwendet, ohne dass die Inhaber dieser im Register eingetragenen [X.], die [X.] mit Sitz in [X.]      bzw. die [X.], dem zugestimmt hätten. Der Angeklagte, als Ingenieur ausgebildet, arbeitete an der Produktionsmaschine, bediente die Elektrik sämtlicher [X.]schinen und wartete die Generatoren. Wöchentlich ließen die Hintermänner unter Mitarbeit von mindestens weiteren elf gesondert verfolgten [X.] und Fahrern etwa 10 Millionen Zigaretten herstellen und innerhalb der [X.] ausliefern, ohne dass auf den [X.] [X.] angebracht oder [X.] abgegeben wurden. Nach längerer Observation stellten die Ermittlungsbehörden am 18. August 2020 11.006.050 Stück unter unberechtigter Verwendung der drei genannten [X.]rken gefälschte versandfertige Zigaretten sowie rund 17.360 Kilogramm [X.] sicher, worauf Tabaksteuer in Höhe von rund 1,8 Millionen € bzw. 1,2 Millionen € lastete.

3

2. Die Verfahrensbeschränkung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Würdigung des [X.]s, die [X.]rken [X.], [X.].        und [X.].     seien unionsweit geschützt ([X.]), nicht belegt ist. Es ist bereits nicht festgestellt, dass die genannten [X.]rken im beim Amt der [X.] für geistiges Eigentum geführten Register eingetragen waren (vgl. insbesondere [X.] f.) und nicht etwa nur beim Patent- und [X.]rkenamt des [X.]; letzteres würde keinen strafrechtlichen Schutz nach § 143a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 143 Abs. 2, 5 [X.]rkenG, Art. 9 Abs. 1, 2, Buchst. a, Abs. 3 Buchst. a [X.]verordnung bewirken.

4

Infolge der Verfahrensbeschränkung kann offenbleiben, ob nach dem Austritt des [X.] aus der [X.] [X.]rken von Gesellschaften mit Sitz in [X.] weiterhin dem Tatbestandsmerkmal „einer Unionsmarke nach Art. 9 Abs. 1 der [X.]verordnung“ (§ 143a Abs. 1 [X.]rkenG) unterfallen, etwaige Eintragungen im [X.] Registeramt heute also noch strafrechtliche Schutzwirkungen zugunsten dieser Gesellschaften entfalten können (vgl. § 2 Abs. 3 StGB und die eine Fortgeltung der Schutzvorschriften bis zum 31. Dezember 2020 bestimmenden Übergangsregelungen der Art. 126, 127 Abs. 1 des Abkommens über den Austritt des [X.] und Nordirland aus der [X.] und der [X.] [[X.] 2020, L 29, S. 7]; vgl. im Übrigen Art. 54 Abs. 1 Buchst. a, 59 Abs. 1 des [X.], die den umgekehrten Fall, nämlich den Schutz [X.] [X.] in [X.], betreffen, und dazu [X.] 2021, 72 f.; zu § 2 Abs. 3 StGB vgl. insbesondere [X.], Urteile vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18 Rn. 19; vom 9. März 2017 – 3 [X.], [X.]R StGB § 283 Abs. 1 Nr. 1 Beiseiteschaffen 6 Rn. 15 ff. [zur Neuregelung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen durch §§ 30 ff. [X.] und deren Auswirkung auf den unveränderten Bankrottstraftatbestand des § 283 StGB] und vom 24. Juli 2014 – 3 [X.], [X.]St 59, 271 Rn. 13; Beschluss vom 8. August 2018 – 2 [X.], [X.]R StGB § 2 Abs. 3 Gesetzeslage 20 Rn. 5 ff., 9).

5

3. Im verbliebenen Verfahrensumfang ist die Revision teilweise begründet.

6

a) Das Urteil birgt Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten.

7

aa) Die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 [X.], § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 [X.]) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; der Angeklagte ist insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

8

(a) Der [X.] hat zur Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 [X.]) bzw. der Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) zutreffend ausgeführt:

„Die Steuerhehlerei bezieht sich nach den Urteilsgründen auf den [X.], der auf dem Fabrikgelände sichergestellt worden ist (UA S. 22).

[…]

Der Angeklagte hat den Feinschnitt auch nicht sich oder einem [X.] verschafft gemäß § 374 Abs. 1 [X.].

Unerheblich ist, ob der Angeklagte selbst, die elf gesondert Verfolgten oder die unbekannten Hintermänner durch die Anlieferung und Einlagerung des Feinschnitts auf dem Fabrikgelände Besitz an dem Feinschnitt erlangt haben. Zwar ist es Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren gemäß § 374 Abs. 1 [X.], dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 2016 - 1 [X.] -, Rn. 33; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07 -, Rn. 15). Aus den Urteilsgründen geht jedoch nicht hervor, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.

Nach den Urteilsgründen steuerten unbekannte Hintermänner die Belieferung der illegalen Fabrik mit den zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen [X.]terialien, die Produktion der Zigaretten und deren Abtransport ([X.]). Aufgabe des Angeklagten war es, an der Produktionsmaschine zu arbeiten, die Produktionsmaschine mit Tabak zu bestücken, die Elektrik sämtlicher [X.]schinen zu bedienen und die Generatoren zu warten ([X.]). Für die Belieferung mit den zur Herstellung erforderlichen [X.]terialien und den Abtransport der Zigaretten waren die getrennt Verfolgten Krz.       , [X.]und [X.].      zuständig, denen es auch oblag, den verwendeten Lastkraftwagen zu be- und entladen ([X.] ff.; vgl. auch [X.] f. zur Hierarchie unter den Beteiligten). Außer diesen drei Personen waren nach den Urteilsgründen lediglich in einem Fall die getrennt Verfolgten Kr.  und [X.].       an der Beladung eines Transportfahrzeugs beteiligt ([X.]. Da die Fabrik über einen Gabelstapler verfügte (vgl. ebd.), scheint die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an den Ladearbeiten auch nicht notwendig gewesen zu sein.“

9

(b) Auch auf die Tatvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 [X.]) oder einer versuchten Absatzhilfe (§ 374 Abs. 3 [X.], § 22 StGB) kann die Verurteilung nicht gestützt werden. Denn der [X.] lagerte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 18. August 2020 noch unbearbeitet auf dem Gelände. Mithin hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder Absatzbemühungen entfaltet noch der Angeklagte mit der ihm zugewiesenen Arbeit begonnen. Neue Feststellungen zu bestimmten Tatbeiträgen des Angeklagten, die eine Verurteilung wegen Steuerhehlerei oder zumindest der Beihilfe hierzu tragen könnten, sind nach alledem von einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Auch die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeitstatbestände der § 381 [X.], §§ 36 f. [X.] sind nicht erfüllt. Der [X.]nat entscheidet daher selbst auf Freispruch (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

[X.]) Die Strafzumessung für die nach Teilbeschränkung und -freispruch allein verbleibende Steuerstraftat begegnet durchgreifenden Bedenken; denn das straffreie Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) ist weder bei der Prüfung, ob die Indizwirkung der Regelbeispiele der Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 [X.]) und der bandenmäßigen Verbrauchsteuerverkürzung (§ 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 5 [X.]) entkräftet ist, noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne erkennbar berücksichtigt worden. Dies ist rechtsfehlerhaft, da es sich insoweit um einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt handelt (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. März 2022 – 6 StR 61/22 Rn. 2; vom 27. Oktober 2020 – 1 [X.] Rn. 9 und vom 29. [X.]ptember 2016 – 2 [X.] Rn. 15). Das neue Tatgericht darf seiner Strafzumessung weitere Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

b) Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

aa) Die Verfahrensrüge erweist sich aus den auch insoweit zutreffenden Erwägungen der Antragsschrift des [X.] als erfolglos.

[X.]) Die bezüglich der sichergestellten 11.006.050 Zigaretten den Schuldspruch der Steuerhinterziehung tragende Vorschrift ist indes – ebenfalls mit dem Antrag des [X.] – vorrangig § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] und nicht § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] macht sich strafbar, wer pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen unterlässt und dadurch Steuern verkürzt. Auf die nachgelagerte – nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] strafbewehrte – Pflicht, unverzüglich eine Tabaksteuererklärung abzugeben (§ 17 Abs. 3 Satz 1 [X.]), um nachträglich die Tabaksteuer festzusetzen, kommt es damit nicht mehr an.

(a) Im Einzelnen gilt:

(aa) Die – auf den Kleinverkaufsverpackungen anzubringenden, dadurch entwerteten (§ 17 Abs. 1 Satz 2 [X.]) und der Publizitätswirkung dienenden – Steuerzeichen müssen verwendet sein, wenn die Steuerschuld entsteht (§ 17 Abs. 1 Satz 3 [X.]); die [X.] lassen sofort erkennen, ob Tabaksteuer auf die im steuerrechtlich freien Verkehr befindlichen Tabakwaren erhoben worden ist oder nicht. Zigaretten ohne Steuerzeichen sind grundsätzlich nicht verkehrsfähig (vgl. die Ausnahme in § 34 Abs. 3, 4 TabStV) und damit sicherzustellen sowie zu vernichten (vgl. für den Fall des [X.] aus einem anderen Mitgliedstaat der [X.] in das [X.] Steuergebiet: § 23 Abs. 1 Satz 5 [X.], §§ 215 f. [X.]; vgl. auch §§ 73 ff. StGB; § 375 Abs. 2 [X.]). Ohne Erlaubnis, deren Einzelheiten § 6 [X.] bestimmt, besteht ein Herstellungsverbot. Die Begleichung der Tabaksteuerschuld soll bereits vor deren Entstehung gewährleistet sein. Deshalb regelt § 17 Abs. 2 [X.], wie der eng begrenzte Kreis der Hersteller, Einführer oder der in § 17 Abs. 2 Satz 2, § 3 Abs. 2 [X.] bezeichneten Personen die Steuerzeichen gegen Entgelt zu beziehen haben. Die Erklärungspflichten der Steuerschuldner (für den Bereich der unerlaubten Herstellung: § 17 Abs. 3 Satz 1, § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a [X.]; für den Fall des [X.]: § 23 Abs. 1 Satz 2, 3[X.]) dienen der gebotenen zügigen Durchführung des Besteuerungsverfahrens, damit wenigstens nachträglich die Tabaksteuer erhoben werden kann. Mitnichten beziehen die Steuerschuldner im Nachhinein Steuerzeichen; die „illegalen“ Tabakwaren können in diesem Sinne nicht in „legale“ überführt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 13. [X.]i 2009 – 2 BvL 19/08, [X.]K 15, 457 Rn. 66; [X.] in [X.]/[X.]/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 [X.], Rn. 390).

([X.]) Diese auch für das Verbrauchsteuerrecht besondere Fallkonstellation – Vorrang der [X.] vor der nachgelagerten Erklärungspflicht – unterfällt § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Diese auf Vorschlag des Finanzausschusses eingefügte Tatbestandsvariante sollte den pflichtwidrigen Verstoß gegen die damaligen normierten Pflichten zur Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern erfassen; damit sollte eine befürchtete [X.] geschlossen werden, weil § 370 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 [X.] ein Handeln bzw. Unterlassen gegenüber Finanzbehörden voraussetzen (BT-Drucks. 7/4292, S. 44).

(cc) Der Täterkreis des § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] umfasst nicht nur die berechtigen Bezieher von Steuerzeichen (§ 17 Abs. 2 [X.]), sondern auch die Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 [X.]). Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang des § 15 [X.] mit § 17 Abs. 1 Satz 3 [X.] (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Randt, aaO Rn. 392; [X.], [X.], 197, 204 f.; vgl. auch [X.] in Gosch, Abgabenordnung/Finanzordnung, 166. Lieferung, Stand 1. Februar 2022, § 370 Rn. 117; [X.] in Tipke/[X.], [X.], 170. Lieferung, Stand [X.]i 2022, § 370 [X.] Rn. 75; Muhler in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl., Steuerhinterziehung, Rn. 44.82). Andernfalls hätte § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nicht den vom Gesetzgeber beabsichtigten effektiven Anwendungsbereich. Diese Tatbestandsvariante würde dann nur die Sachverhalte erfassen, in denen berechtigte Bezieher im Einzelfall unversteuerte Tabakwaren illegal in den freien Verkehr bringen.

([X.]) Für das illegale Herstellen von Zigaretten gilt damit nichts anderes als für das Verbringen von Zigaretten ohne Steuerzeichen aus einem anderen Mitgliedstaat der [X.] in das [X.] Steuergebiet (§ 23 Abs. 1 Satz 1, 2, § 17 Abs. 1 Satz 3 [X.]; vgl. dazu [X.], Urteile vom 11. Juli 2019 – 1 [X.], [X.]St 64, 146 Rn. 11 mwN, auch zur Gegenmeinung; vom 11. Juli 2019 – 1 [X.], [X.]St 64, 152 Rn. 11 und vom 7. Oktober 2021 – 1 [X.] Rn. 15, 17; ebenfalls für die Anwendung des § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.], allerdings ohne Begründung: [X.], Beschluss vom 9. Juli 1996 – [X.] Rn. 10). Das dem § 23 [X.] zu entnehmende [X.] (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 13. [X.]i 2009 – 2 BvL 19/08, [X.]K 15, 457 Rn. 84 f.; BT-Drucks. 6/1982 S. 167; [X.] in [X.]/[X.]/Randt, aaO Rn. 389 mwN; [X.], [X.], 197, 198, 202, 205; [X.], [X.] [X.]n Verbrauchsteuerrechts, [X.]) entspricht dem Herstellungsverbot des § 15 [X.].

(b) Für das Tilgen der Tabaksteuerschuld war der Angeklagte als „an der Herstellung beteiligte Person“ und damit als Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]) verantwortlich; er hat „pflichtwidrig“ keine Steuerzeichen verwendet, durch die das (vorherige) Entrichten der Tabaksteuer nachgewiesen werden soll.

(aa) Der Angeklagte wirkte insbesondere am Zuschnitt und an der Ummantelung des [X.]s zu einzelnen Zigaretten mit; dies gehörte zum erlaubnispflichtigen Herstellungsprozess (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a [X.], § 4 Abs. 3 Satz 2 TabStV aF).

([X.]) Der Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht Steuerzeichen beim Hauptzollamt [X.].      beziehen konnte, ihm also die Erfüllung der gebotenen Handlungspflicht unmöglich gewesen wäre. Entscheidend ist, dass er sich im Sinne eines Vorverschuldens durch sein Mitwirken am unerlaubten Herstellen in eine Situation brachte, in der er nachfolgend zwingend gegen die Pflicht zur Verwendung von Steuerzeichen verstoßen musste (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 370 [X.] Rn. 69; zur „omissio libera in causa“ beim Verstoß gegen die Pflicht zum Abführen der Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen des § 266a Abs. 1 StGB: [X.], Beschlüsse vom 11. Oktober 2018 – 1 [X.] Rn. 9, 11 und vom 28. [X.]i 2002 – 5 StR 16/02, [X.]St 47, 318, 320 ff.); er konnte indes ohne Weiteres seine Mitwirkung unterlassen (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Randt, aaO Rn. 392; Ransiek in [X.], Steuerstrafrecht, 75. Lieferung, Stand [X.]i 2021, § 370 [X.] Rn. 362; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., 23. Kapitel, Zollstraftaten, Rn. 373).

Bereits im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] entspricht es der ständigen Rechtsprechung des [X.]nats, das Tatbestandsmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ vornehmlich auf den Verstoß gegen eine steuerlich normierte Erklärungspflicht zu beziehen, daneben aber die Fähigkeit des Betroffenen, die Erklärungspflicht erfüllen zu können, nicht eigens zu prüfen. Dies wird insbesondere bei vorgeschobenen Geschäftsführern erkennbar (vgl. [X.], Beschluss vom 14. April 2010 – 1 [X.]; vgl. im Übrigen [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO Rn. 69).

(cc) Die weite Fassung des § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.] („jede an der Herstellung beteiligte Person“) ist nicht unter Heranziehen der allgemeinen Grundsätze der §§ 25 ff. StGB einschränkend auszulegen:

(1) Die Wertung des Verbrauchsteuerrechts gilt auch für das Steuerstrafrecht; darauf, ob die beteiligten Produktionshelfer, im illegalen Steuerlager auf der untersten Hierarchieebene angesiedelt, unabhängig von verbrauchsteuerrechtlichen Erklärungs- oder Verwendungspflichten eher als Gehilfen (§ 27 StGB) einzuordnen wären, kommt es nicht an. Dies folgt aus der Systematik des Steuerstrafrechts als Blankettstrafrecht, die dazu führt, dass nicht nur die Steuerstrafvorschriften der §§ 369 ff. [X.], sondern auch die sie ausfüllenden Vorschriften des Steuerrechts den sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen genügen müssen (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 16. Juni 2011 – 2 BvR 542/09, [X.]K 18, 482 Rn. 58; [X.], Urteil vom 10. Oktober 2017 – 1 [X.], [X.]St 63, 29 Rn. 57 ff., 59; je mit weiteren umfangreichen Nachweisen). An die allein nach dem Verbrauchsteuerrecht zu klärenden Vorfragen knüpft das Steuerstrafrecht an (ungenau etwa, weil die Auslegung des in § 19 Abs. 1 [X.] aF [entspricht § 23 Abs. 1 [X.] nF] verwendeten Begriffs des „[X.]“ mit Tatherrschaftsgedanken vermengend: [X.], Beschluss vom 23. März 2017 – 1 [X.] Rn. 15 ff.); die vom Bundesgesetzgeber gewählte [X.] der §§ 370 ff. [X.] i.V.m. den in Bezug genommenen Normen des Steuerrechts ist spezieller als die allgemeinen Vorschriften der §§ 25 ff. StGB und geht daher vor.

(2) Dies ist – ungeachtet der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „pflichtwidrig“ bei der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] in gleicher Weise auszulegen ist (vgl. [X.], [X.], S. 161; [X.]/[X.] in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Wirtschaftsstrafrecht, § 370 [X.] Rn. 76) – für den Anwendungsbereich des § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] bereits entschieden und ständige Rechtsprechung des [X.]nats: Danach rekurrieren über das Tatbestandsmerkmal der „Pflichtwidrigkeit“ die von § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erfassten Erklärungs-, Offenbarungs- oder Aufklärungspflichten auf außerstrafrechtliche [X.]; damit ist gar eine besondere Pflichtenstellung des [X.] beschrieben, die als besonderes persönliches Merkmal dem § 28 Abs. 1 StGB unterfällt ([X.], Urteil vom 23. Oktober 2018 – 1 [X.], [X.]St 63, 282 Rn. 17-19; vgl. auch [X.], Urteil vom 9. April 2013 – 1 [X.], [X.]St 58, 218 Rn. 51 ff., 64).

(3) § 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.] in der Fassung des [X.] zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15. Juli 2009 ([X.] I S. 1870) setzt den in gleicher Weise weit gefassten Art. 8 Abs. 1 Buchst. c Alternative 2, Art. 7 Abs. 2 Buchst. c der [X.]chtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der [X.]chtlinie 92/12/EWG ([X.] [X.] vom 14. Januar 2009) um. Der Gesetzgeber hat damit richtlinienkonform den Kreis der Steuerschuldner für den Fall der unerlaubten Herstellung erweitert und in Befolgung der Vorgabe des Art. 8 Abs. 1 Buchst. c Alternative 2 der [X.]chtlinie 2008/118/EG die Haftungstatbestände der Abgabenordnung als nicht mehr ausreichend angesehen (vgl. BT-Drucks. 16/12257, [X.]). An diese Wertung ist das Steuerstrafrecht gebunden.

(4) In der Strafzumessung hat das [X.] die untergeordnete Stellung des Angeklagten, der weder Hersteller noch Profiteur des Gewinns aus dem Zigarettenverkauf war, zutreffend bedacht (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

(c) Der Schuldspruch ist nicht auf Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 [X.], § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 [X.]) oder auf Beihilfe (§ 27 StGB) hierzu umzustellen. Durch das Herstellen entsteht erstmals Tabaksteuerschuld auf die Zigaretten; an diesen neuen Entstehungstatbestand knüpft die Steuerhinterziehung hier an. Damit kommt es nicht darauf an, dass bereits der [X.] der Tabaksteuerpflicht unterfällt und nach Beendigung der Steuerhinterziehung als Vortat, namentlich nach einem längeren (Zwischen-)Lagern, allein der Tatbestand der Steuerhehlerei anzuwenden ist (vgl. dazu [X.], Urteile vom 24. April 2019 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 370 Abs. 1 Nr. 2 Täter 6 Rn. 14-36; vom 11. März 2019 – 1 [X.], [X.]St 64, 152 Rn. 22-24 und vom 7. Oktober 2021 – 1 [X.] Rn. 17).

Eine Konkurrenzfrage stellt sich nicht. Ähnlich wie beim Teilfreispruch unter 3. a) aa) besteht auch insoweit kein belastbarer Anhalt dafür, dass der Angeklagte bezüglich der sichergestellten versandfertigen Zigaretten am Verschaffungsvorgang bezüglich des [X.]s beteiligt war.

(d) Die Annahme einer Tat (§ 52 Abs. 1 StGB) beschwert den Angeklagten jedenfalls nicht. Voneinander abtrennbare [X.] bezüglich der sichergestellten Zigaretten waren nicht aufzuklären. Auch belastet es den Angeklagten nicht, dass das [X.] nicht die weiteren 10 Millionen Zigaretten pro Woche in den Schuldumfang eingestellt hat.

(e) Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, die Verurteilung vorrangig auf § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] statt auf § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zu stützen. Denn es ist auszuschließen, dass sich der geständige Angeklagte hiergegen effektiver als geschehen hätte verteidigen können.

Jäger     

      

Fischer     

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Leplow     

      

Meta

1 StR 470/21

28.07.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 17. Mai 2021, Az: 190 KLs 2/21

§ 215f AO, § 370 Abs 1 Nr 3 AO, § 1 Abs 2 Nr 2 TabStG, § 3 Abs 2 TabStG, § 15 Abs 4 S 1 Nr 2 Alt 2 TabStG, § 17 Abs 1 S 2 TabStG, § 17 Abs 1 S 3 TabStG, § 17 Abs 2 S 2 TabStG, § 17 Abs 3 S 1 TabStG, § 23 Abs 1 S 5 TabStG, § 25 StGB, §§ 25ff StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.07.2022, Az. 1 StR 470/21 (REWIS RS 2022, 5935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5935

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