Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2021, Az. 4 StR 214/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 10035

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Jugendstrafe: Anwendbarkeit der sog. Vollstreckungslösung zur Kompensation überlanger Verfahrensdauer


Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Oktober 2019 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass drei Monate der verhängten Jugendstrafe als vollstreckt gelten.

2. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen (§ 74 JGG).

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten mit Urteil vom 18. Oktober 2019 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Revision, mit der der Angeklagte allgemein die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, erzielt lediglich wegen einer nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen Verfahrensverzögerung den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg.

2

1. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge genügt nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 StPO und ist daher unzulässig.

3

2. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

4

3. Von der verhängten Jugendstrafe sind indes drei Monate für vollstreckt zu erklären, weil das Verfahren nach Ablauf der [X.] wegen des Verlusts der [X.] unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] um etwa eineinhalb Jahre verzögert worden ist.

5

a) Das Verfahren ist dadurch in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden, dass die nach Übermittlung an die Staatsanwaltschaft am 23. Januar 2020 in Verlust geratenen [X.] erst ab Mai 2021 teilweise rekonstruiert und die Ersatzakten dem [X.] am 28. Juni 2021 vorgelegt worden sind. Nachdem auf Veranlassung des [X.]s weitere, für die Durchführung des Revisionsverfahrens notwendige Unterlagen beim [X.] und bei der Staatsanwaltschaft beschafft worden waren, sind die am 14. September 2021 dem [X.] vorgelegten teilrekonstruierten Akten am 30. September 2021 beim [X.] eingegangen. Am 12. Oktober 2021 sind die Ende September 2021 aufgefundenen [X.] dem [X.] vorgelegt worden. Insgesamt hat sich nach Ablauf der [X.] dadurch eine Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren ergeben, die auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 [X.], [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20 mwN; Beschluss vom 12. Februar 2015 - 4 StR 391/14).

6

b) Auch bei Verzögerungen im Jugendstrafverfahren ist eine Kompensation bei Verstößen gegen den Beschleunigungsgrundsatz jedenfalls für die - hier vorliegende - sowohl auf schädliche Neigungen als auch auf die Schwere der Schuld gestützte Jugendstrafe in der Weise zu gewähren, einen bestimmten Teil der Strafe für bereits vollstreckt zu erklären, wenn ein solcher über die Feststellung der Verzögerung hinausgehender Ausgleich geboten ist (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 2018 - 1 StR 551/17). Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist die Kompensation nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 - 4 [X.], [X.]R [X.] Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 41 mwN).

7

c) Im vorliegenden Fall erscheint dem Senat eine Kompensation von drei Monaten angesichts der insgesamt eingetretenen Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren als angemessen. Diese Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO selbst aussprechen (vgl. [X.], Urteil vom 6. März 2008 - 3 [X.], [X.], 208, 209; Beschluss vom 3. November 2011 - 2 StR 302/11, [X.], 320, 321).

Sost-Scheible     

        

Quentin     

        

Bartel

        

Rommel     

        

Scheuß     

        

Meta

4 StR 214/21

27.10.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 18. Oktober 2019, Az: 5 KLs 8/19

Art 6 Abs 1 S 1 MRK, § 17 JGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2021, Az. 4 StR 214/21 (REWIS RS 2021, 10035)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 10035

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 391/14 (Bundesgerichtshof)

Rechtsstaatswidrige Verzögerung eines Strafverfahrens: Bemessung der Kompensation


4 StR 391/14 (Bundesgerichtshof)


3 StR 358/23 (Bundesgerichtshof)


1 StR 617/16 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Entscheidung des Revisionsgerichts über die Kompensation von Verfahrensverzögerungen


3 StR 250/09 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.