Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2010, Az. VIII ZR 90/10

8. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1313

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erleichterte Kündigung des Vermieters von Wohnraum: Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen


Leitsatz

Ein Wohnhaus, in dem sich neben je einer Wohnung im Erdgeschoss und im Obergeschoss eine selbstständig als Wohnung nutzbare Einliegerwohnung im Untergeschoss befindet, ist auch dann kein "Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen" im Sinne des § 573a Abs. 1 BGB, wenn der Vermieter neben der Erdgeschosswohnung auch die Einliegerwohnung nutzt .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist seit dem [X.] Eigentümerin eines Wohnhauses in [X.] Die Beklagten bewohnen den ersten Stock des Gebäudes aufgrund eines im März 2004 mit dem Rechtsvorgänger der Klägerin geschlossenen Mietvertrages. Im ersten Halbjahr 2004 waren die Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock des Hauses sowie ein Raum im [X.] des [X.]/Dusche und einer Küchenzeile vermietet. Nach Erwerb des Hauses im [X.] bezogen die Klägerin und ihr Ehemann die Wohnung im Erdgeschoss; den ausgebauten [X.]raum nutzen sie seither als Besucherzimmer, Arbeitszimmer und Bügelraum.

2

Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit den Beklagten gemäß § 573a Abs. 1 BGB mit Schreiben vom 24. Mai und 29. Juni 2007 sowie 2. Oktober 2008. Das Amtsgericht hat die unter anderem auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

5

Die Kündigungen der Klägerin hätten das Mietverhältnis mit den Beklagten nicht beendet, da der Klägerin kein berechtigtes Interesse gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] zur Seite stehe. Auf die erleichterte Kündigungsmöglichkeit des § 573a Abs. 1 [X.] könne sich die Klägerin nicht berufen. Stelle man mit einer von einigen Instanzgerichten und Teilen der Literatur vertretenen Meinung darauf ab, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 573a Abs. 1 [X.] bereits bei Begründung des Mietverhältnisses vorliegen müssten, scheitere die Klage bereits daran, dass sich bei Abschluss des [X.] im Streitfall drei Wohnungen in dem Gebäude befunden hätten. Folge man der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur und stelle auf die Verhältnisse im [X.]punkt des Ausspruchs der Kündigung ab, hätten sich zu diesem [X.]punkt zwar nur noch zwei Wohnungen in dem Gebäude befunden, da die Klägerin den ausgebauten [X.]raum in ihre Wohnung integriert habe. Der Klägerin sei es jedoch nach § 242 [X.] verwehrt, sich auf den an sich erfüllten Tatbestand des § 573a Abs. 1 [X.] zu berufen. Denn die Einliegerwohnung im [X.] sei bei Abschluss des [X.] im Jahr 2004 als Wohnraum vermietet gewesen. Deshalb hätten die Beklagten redlicherweise darauf vertrauen dürfen, dass sie in ein Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen einziehen. Verändere der Vermieter einseitig die Nutzung von Räumen, die zur selbständigen Haushaltsführung geeignet seien, verkleinere er den Wohnungsbestand in einer für den Mieter bei Begründung des Mietverhältnisses in aller Regel nicht vorhersehbaren Weise. Die Kündigung der Klägerin sei daher rechtsmissbräuchlich.

II.

6

Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Die auf § 573a Abs. 1 [X.] gestützte Kündigung der Klägerin hat das Mietverhältnis der Parteien allerdings schon deshalb nicht beendet, weil die Voraussetzungen einer Kündigung nach dieser Vorschrift weder zu Beginn des Mietverhältnisses mit den Beklagten noch im [X.]punkt des Ausspruchs der Kündigung erfüllt waren. Der Klägerin steht daher kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung zu.

7

1. Ein Mietverhältnis über Wohnraum kann grundsätzlich nur dann ordentlich gekündigt werden, wenn der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat (§ 573 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Eines berechtigten Interesses bedarf es nach § 573a Abs. 1 Satz 1 [X.] ausnahmsweise nicht, wenn ein Mietverhältnis über Wohnraum in einem vom Vermieter selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen gekündigt wird. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegen diese Voraussetzungen im Streitfall nicht vor, denn in dem Wohnhaus der Klägerin befinden sich seit Beginn des Mietverhältnisses mit den Beklagten unverändert drei Wohnungen.

8

a) Für die Beurteilung, ob in einem Gebäude mehr als zwei Wohnungen vorhanden sind, ist die Verkehrsanschauung maßgebend (vgl. Senatsurteil vom 25. Juni 2008 - [X.], [X.], 564 Rn. 20; [X.], [X.], 215; [X.]/[X.], [X.], Neubearb. 2006, § 573a Rn. 6; MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl., § 573a Rn. 10; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 573a Rn. 14); auf eine eventuelle baurechtswidrige Errichtung kommt es danach schon deshalb nicht an, weil trotz [X.] eine tatsächliche Wohnnutzung erfolgen kann ([X.], [X.], 133 f.; [X.], [X.], 63; [X.], Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rn. [X.]; Sonnenschein, [X.], 1, 4; Soergel/[X.], [X.], 13. Aufl., § 573a Rn. 4). Unter einer Wohnung wird gemeinhin ein selbständiger, räumlich und wirtschaftlich abgegrenzter Bereich verstanden, der eine eigenständige Haushaltsführung ermöglicht (vgl. [X.], [X.], 616, 617; [X.], aaO; [X.], aaO; [X.]/[X.], aaO; MünchKomm[X.]/[X.], aaO Rn. 11; [X.]/[X.]/[X.], aaO Rn. 14 f.; [X.], aaO Rn. 397; Sonnenschein, aaO S. 2).

9

b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllen die Räumlichkeiten im [X.] des Wohnhauses der Klägerin diese Anforderungen, denn neben einem 42 qm großen Wohn-/Schlafraum verfügen sie über eine Küchenzeile und ein Tageslichtbad mit Toilette. Dass sich die Ausstattung der [X.]äume oder die baulichen Gegebenheiten in der Folgezeit so verändert hätten, dass eine eigenständige Wohnnutzung dort nicht mehr möglich wäre, ist nicht festgestellt; die Revision zeigt übergangenen Sachvortrag der Klägerin hierzu nicht auf.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat sich die Tatsache der Existenz von drei Wohnungen in dem Wohnhaus der Klägerin nicht dadurch geändert, dass die Klägerin die im [X.] befindlichen Räume in ihren Wohnbereich integriert hat, indem sie die Einliegerwohnung seit dem Erwerb des [X.] als Besucherzimmer/Bügelzimmer/Arbeitszimmer nutzt. Denn durch diese Erweiterung des Wohnbereichs der Klägerin hat sich der einmal gegebene Wohnungsbestand nicht reduziert.

Das Berufungsgericht stützt sich zur Begründung seiner abweichenden Auffassung zu Unrecht auf das Senatsurteil vom 25. Juni 2008 ([X.], aaO). Die in dieser Entscheidung vom Senat gebilligte tatrichterliche Beurteilung, die Aufteilung einander ergänzender Räume auf zwei Stockwerke hindere nicht die Annahme einer (einzigen) Wohnung (aaO Rn. 20), beruhte auf anderen tatsächlichen Gegebenheiten. Die betreffenden Räume im Dachgeschoss jenes Gebäudes stellten - anders als die Einliegerwohnung im [X.] - keine eigenständige Wohnung dar.

3. Da die Einliegerwohnung vom Einzug der Beklagten bis zum Ausspruch der Kündigung eine eigenständige Wohnung war, waren die Voraussetzungen einer erleichterten Kündigung nach § 573a Abs. 1 [X.] zu keiner [X.] erfüllt. Daher bedarf die in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstrittene Frage, ob es hinsichtlich des Wohnungsbestandes auf den [X.]punkt des Beginns des Mietverhältnisses oder den [X.]punkt der Kündigung ankommt (zum [X.]: [X.]/[X.], aaO Rn. 16), keiner Entscheidung.

[X.]                                       Dr. Frellesen                                       Dr. Milger

                  Dr. Hessel                                       Dr. Schneider

Meta

VIII ZR 90/10

17.11.2010

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Gießen, 24. Februar 2010, Az: 1 S 239/09, Urteil

§ 573a Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2010, Az. VIII ZR 90/10 (REWIS RS 2010, 1313)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1313

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZR 90/10 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 127/14 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummietvertrag: Ausschluss eines Sonderkündigungsrechts für eine Wohnung in einem vom Vermieter mitbewohnten Gebäude mit zwei …


VIII ZR 127/14 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 325/09 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummiete in einem "Reihenhausblock": Realteilung eines mit Zweifamilienhäusern bebauten Grundstücks und entsprechende Anwendung der Vorschriften …


VIII ZR 325/09 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

VIII ZR 213/21

VIII ZR 127/14

VIII ZR 127/14

VIII ZR 90/10

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.