Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2012, Az. 5 AR (VS) 40/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 9252

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafvollstreckung: Vorwegvollzug von Strafresten nach Bewährungswiderruf


Leitsatz

Strafreste, deren Aussetzung widerrufen worden ist, nehmen nicht an der durch § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO in Verbindung mit §§ 57, 57a StGB gewährleisteten gemeinsamen Aussetzungsentscheidung teil (§ 454b Abs. 2 Satz 2 StPO) und sind deshalb regelmäßig der Vorwegvollstreckung überantwortet.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des [X.] vom 20. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung (§ 23 Abs. 1 Satz 1 [X.]) gegen eine Verfügung der Vollstreckungsbehörde verworfen, mit der die Vorwegvollstreckung mehrerer widerrufener Strafrestaussetzungen vor einer unbedingt verhängten Freiheitsstrafe angeordnet wurde. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde (§ 29 Abs. 1 [X.]). Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.

2

Folgender Sachverhalt liegt zugrunde:

3

Das [X.] hatte gegen den Beschwerdeführer wegen mehrfachen Betrugs eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt sowie ein Berufsverbot und die – zwischenzeitlich nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 [X.] für erledigt erklärte – Sicherungsverwahrung angeordnet. Drei Monate nach Beginn der Vollstreckung dieser Strafe hat die Strafvollstreckungskammer Strafrestaussetzungen hinsichtlich zweier durch länger zurückliegende Verurteilungen verhängter Freiheitsstrafen widerrufen. Daraufhin hat die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe unterbrochen und aus wichtigem Grund die Vorwegvollstreckung beider [X.] angeordnet (§ 43 Abs. 4 [X.]). Die Beschwerde des Verurteilten (§ 24 Abs. 2 [X.]) mit dem Ziel, diese Entscheidung rückgängig zu machen und eine – nochmalige – Bewährungsentscheidung auch hinsichtlich der widerrufenen Strafrestaussetzungen zum [X.] der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren zu ermöglichen (vgl. § 454b Abs. 2 Satz 1 [X.]), hat die Generalstaatsanwaltschaft [X.] zurückgewiesen.

4

Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat das [X.] als unbegründet verworfen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Das [X.] erblickt in § 43 Abs. 4 [X.] eine Rechtsgrundlage für die angeordnete Vorwegvollstreckung der vom Widerruf der Strafaussetzung betroffenen [X.]. Diese Regelung sei § 43 Abs. 3 [X.] vorrangig. Mit seiner auf vollstreckungs- und verfassungsrechtliche Einwände sowie auf die Rüge einer Verletzung des [X.] gestützten Rechtsbeschwerde begehrt der Verurteilte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

II.

5

Der Rechtsbeschwerde, die nach herkömmlicher (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 1990 – 2 [X.], NStZ 1991, 205), hier nicht in Frage gestellter Auffassung statthaft und auch im Übrigen zulässig ist (§ 29 Abs. 3 [X.] i.V.m. § 71 FamFG), bleibt der Erfolg versagt.

6

Die durch die Vollstreckungsbehörde angeordnete Vollstreckungsreihenfolge entspricht der in § 454b Abs. 2 Satz 1, 2 [X.] zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers. Danach nehmen [X.], die aufgrund Widerrufs ihrer Aussetzung vollstreckt werden, nicht an der durch § 454b Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. §§ 57, 57a StGB gewährleisteten gemeinsamen Aussetzungsentscheidung teil (§ 454b Abs. 2 Satz 2 [X.]). Die hier angewendeten Verwaltungsvorschriften nach § 43 Abs. 4, Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 [X.] setzen diesen gesetzlichen Auftrag in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für das Verfahren der Vollstreckungsbehörde um.

7

1. Im Grundsatz in Übereinstimmung mit dem [X.] geht der Senat davon aus, dass § 454b Abs. 2 [X.] den vollstreckungsrechtlichen Rahmen für den hier zu entscheidenden Fall vorgibt.

8

a) Nach der durch das [X.] vom 13. April 1986 ([X.]) eingeführten Vorschrift des § 454b Abs. 2 Satz 1 [X.] ist die Vollstreckung mehrerer nacheinander zu vollstreckender Freiheitsstrafen zum [X.] (Nr. 1) oder [X.] (Nr. 2) sowie, bei lebenslangen Freiheitsstrafen (Nr. 3), nach fünfzehn Jahren zu unterbrechen. Die Regelung dient dem Zweck, hinsichtlich der Reste sämtlicher Strafen eine einheitliche Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung nach §§ 57, 57a StGB zu ermöglichen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. August 2010 – 5 AR ([X.]) 22 und 23/10, [X.]St 55, 243, 246 f. und [X.], 353, 354; Regierungsentwurf in BT-Drucks. 10/2720 S. 9, 15). Dem Verurteilten steht ein gesetzlicher Anspruch auf eine diesen Vorgaben entsprechende Unterbrechung der Strafvollstreckung zur frühestmöglichen Verwirklichung eines gemeinsamen Aussetzungszeitpunkts bei mehreren zu vollstreckenden Freiheitsstrafen zu (vgl. [X.] [Kammer], [X.], 474, 475).

9

b) Von dieser Regelung nimmt § 454b Abs. 2 Satz 2 [X.] ausdrücklich [X.] aus, die nach einem Widerruf der Strafaussetzung vollstreckt werden, und überantwortet sie folglich jedenfalls grundsätzlich der Vorabvollstreckung. Die Vorschrift ist eindeutig und – entgegen dem Vortrag des Beschwerdeführers – nicht etwa dem bloßen Umstand geschuldet, dass es bei [X.]n (in der Regel) keinen [X.] mehr gibt. Gegen die Auffassung des Beschwerdeführers spricht schon, dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 454b [X.] die heute in § 43 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 [X.] eingestellte Verwaltungsvorschrift zur Vorabvollstreckung von [X.]n nach Widerruf der Strafaussetzung gerade vor Augen hatte (vgl. Regierungsentwurf aaO). Zudem hätte es für eine bloße Selbstverständlichkeit keiner gesetzlichen Normierung bedurft und wäre dann konsequenterweise zumindest eine Ausnahmeregelung für Halbstrafenaussetzungen zu erwarten gewesen. Dass dem Gesetzgeber die Problematik bewusst ist, erweist ferner die für das Jugendstrafrecht getroffene Spezialbestimmung des § 89a Abs. 1 Satz 4 JGG, nach der die Vollstreckung eines Strafrests, der auf Grund Widerrufs seiner Aussetzung vollstreckt wird, unterbrochen werden kann, wenn ein Teil des Strafrests verbüßt ist und eine erneute Aussetzung in Betracht kommt. Eine vergleichbare Regelung hält § 454b [X.] für das allgemeine Strafrecht nicht bereit.

c) Hinter der gesetzgeberischen Entscheidung stehen in der Sache schlüssige Erwägungen. Für sie streitet, dass das Bedürfnis, einem Verurteilten nach einem Bewährungsversagen die Chance auf abermalige Strafaussetzung zu gewähren, deutlich geringer wiegt (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 1990 – 2 [X.], NStZ 1991, 205; [X.], [X.] 1993, 261, 262). Ferner bliebe die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung im Hinblick auf den Aufschub der Strafvollstreckung bis zur Verbüßung von zwei Dritteln der originär vollstreckten Freiheitsstrafe(n) andernfalls regelmäßig ohne alsbald spürbare Wirkung auf den Verurteilten. Dies zu vermeiden, mithin die mit dem [X.] vorrangig verfolgte negative spezialpräventive Zielsetzung nicht leerlaufen zu lassen, entspricht dem in § 454b Abs. 2 Satz 2 [X.] verankerten gesetzgeberischen Willen (vgl. hierzu auch [X.], [X.] 1986, 353, 357; [X.], [X.], 511; [X.], [X.], 54. Aufl., § 454b Rn. 7; vgl. ferner [X.], [X.], 282, 284). Ob dieser darüber hinaus etwa gar dahin ging, dass eine erneute Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests nach deren Widerruf mit Blick auf die abschließenden Regelungen des § 57 StGB generell ausscheidet (vgl. hierzu [X.], NStZ 1989, 293), kann der [X.] abermals (vgl. [X.] aaO) dahingestellt lassen.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Zusammenspiel von gesetzlicher Regelung und Verwaltungsvorschrift unter dem Blickwinkel von Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. [X.]E 29, 312, 315) hegt der Senat nicht. Grundlagen der Reststrafenvollstreckung sind das verurteilende Erkenntnis ([X.]E aaO, S. 316; 1, 418, 420) und die Widerrufsentscheidung der Strafvollstreckungskammer. Die die Rechtsstellung des Verurteilten nachrangig berührenden Rahmenbedingungen der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen – Anschlussvollstreckung und Unterbrechung der Vollstreckung – sind normenklar in § 454b [X.] festgelegt. Wenn § 43 Abs. 4 [X.] der Vollstreckungsbehörde durch Einräumung eines – gerichtlich nachprüfbaren (vgl. [X.] aaO) – Ermessens erlaubt, unter besonderen Umständen, etwa bei bereits begonnener Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und einem dann erfolgten Widerruf des Rests einer zeitigen Freiheitsstrafe, zugunsten des Verurteilten von der gesetzlich vorgegebenen, in § 43 Abs. 2 und 3 [X.] näher ausgeformten Reihenfolge abzuweichen (vgl. auch [X.] in KK, 6. Aufl., [X.], § 454b Rn. 17), so beeinträchtigt dies – nicht anders bei anderen Ermessensentscheidungen (vgl. etwa §§ 455, 456, 456a [X.]) oder bei Gnadenentscheidungen (vgl. [X.], BtMG, 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 1211 f.) im Rahmen der Strafvollstreckung – dessen Rechtsstellung nicht. Dies gilt namentlich auch mit Blick auf die Gesamtlänge der Strafvollstreckung (vgl. [X.] [Kammer], NStZ 1994, 452, 453). Besondere Umstände für eine anderweitige Vollstreckungsreihenfolge sind hier nicht ersichtlich.

[X.]                                                 Brause                                          Schaal

                           Schneider                                          [X.]

Meta

5 AR (VS) 40/11

09.02.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Karlsruhe, 20. Mai 2011, Az: 2 VAs 2/11

§ 454b Abs 2 S 1 StPO, § 454b Abs 2 S 2 StPO, § 43 StrVollstrO, § 57 StGB, § 57a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2012, Az. 5 AR (VS) 40/11 (REWIS RS 2012, 9252)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9252

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 AR (VS) 40/11 (Bundesgerichtshof)


203 VAs 215/20 (BayObLG München)

Zurückstellung der Strafvollstreckung


2 VAs 60/18 (Oberlandesgericht Karlsruhe)


1 VAs 27/19 (Oberlandesgericht Hamm)


5 AR (VS) 23/10 (Bundesgerichtshof)

Strafvollstreckung bei Betäubungmittelabhängigen: Zurückstellung der Vollstreckung bei einer nach Teilverbüßung zu vollstreckenden zurückgestellten Strafe


Referenzen
Wird zitiert von

2 VAs 60/18

5 AR (VS) 40/11

203 VAs 215/20

1 VAs 120/17

1 VAs 156/16

1 VAs 27/19

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.