Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2011, Az. B 13 R 33/11 R

13. Senat | REWIS RS 2011, 2249

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Hinterbliebenenrentenanspruch - Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe - erneute Eheschließung - Motive der Eheschließung - Vernehmung des Standesbeamten


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 27. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

2

Die 1939 geborene Klägerin war mit dem im selben Jahr geborenen [X.] (Versicherter) bereits (von 1986 bis zur Scheidung im Jahr 1993) verheiratet; in diese Ehe hatte sie zwei Kinder aus einer vorangegangenen Ehe mitgebracht.

3

Im Mai 2002 wurde bei dem Versicherten ein Hirntumor diagnostiziert. Nach einer Strahlentherapie bis September 2003 nahm er an einer onkologischen Rehabilitationsmaßnahme teil. Zu dieser Zeit litt er an gelegentlichem Schwindel, einer leichten Gangunsicherheit bei deutlicher allgemeiner Schwäche, Gedächtnisstörungen und einer leichten Aphasie (Sprachstörung). Die Befunde besserten sich nicht wesentlich. Eine am 26.4.2004 durchgeführte Magnetresonanztomographie des Kopfes belegte eine Persistenz des [X.]. Ab Oktober 2004 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Versicherten zunehmend. Er wurde mehrfach stationär behandelt und erhielt ab November 2004 Leistungen aus der [X.] Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III.

4

Seit Juni 2003 wohnte der Versicherte wieder bei der Klägerin; im Dezember 2003 bezogen sie gemeinsam eine neue Wohnung. Die Klägerin bezieht seit Februar 2004 eine Rente aus eigener Versicherung. Der Versicherte und sie meldeten am 4.5.2004 beim Standesamt die Eheschließung an, die dort am 11.5.2004 erfolgte. Am 16.4.2005 verstarb der Versicherte.

5

Den Antrag der Klägerin vom [X.] auf Gewährung einer großen Witwenrente lehnte die Beklagte ab, weil die Ehe kein volles Jahr gedauert und die Klägerin die Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt habe (Bescheid vom 26.7.2005, Widerspruchsbescheid vom 30.11.2006).

6

Das [X.] hat nach Beiziehung von Pflegegutachten des [X.] vom November und Dezember 2004 sowie des Gutachtens einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie die Klage mit Urteil vom 16.12.2008 abgewiesen. Die besonderen Umstände des Falls stünden einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe entgegen. Die Sachverständige habe bestätigt, dass sich die Tumorerkrankung bereits bis zur Eheschließung wesentlich verschlimmert habe. Die am 26.4.2004 durchgeführte Magnetresonanztomographie habe eindeutig eine Persistenz des [X.] belegt. Es hätten weiterhin generalisierte Anfälle und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine deutlich wahrnehmbare Sprachstörung bestanden. Der Versicherte und die Klägerin hätten daher nicht annehmen können, dass der Tumor durch die Therapien zurückgedrängt worden sei. Zudem hätten sie sich erst zu einem Zeitpunkt zur Heirat entschlossen, als ihnen die Verschlechterung des Gesundheitszustands des Versicherten und die schlechte Prognose bereits bekannt gewesen seien.

7

Das L[X.] hat in der mündlichen Verhandlung vom 27.1.2011 die Klägerin persönlich angehört sowie den [X.] der Klägerin aus erster Ehe und eine gemeinsame Freundin der Klägerin und des Versicherten als Zeugen vernommen. Die ebenfalls als Zeugin geladene Tochter der Klägerin aus erster Ehe hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

8

Mit Urteil vom selben Tage hat das L[X.] die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide und des Urteils des [X.] verurteilt, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des Verstorbenen zu gewähren. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs 2a [X.]B VI sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens widerlegt, weil zur Überzeugung des Senats die erneute Eheschließung am 11.5.2004 nicht ausschließlich oder überwiegend von [X.] der Ehepartner motiviert gewesen sei. Nach den glaubhaften Einlassungen der Klägerin und der Zeugen stehe fest, dass bei beiden Ehepartnern von finanziellen Erwägungen unabhängige bzw diesen zumindest gleichwertige emotionale Beweggründe für die Heirat vorgelegen hätten, die aus der langjährigen inneren Verbundenheit sowie von dem Wunsch nach Beistand und Unterstützung des Versicherten in dessen schwerer Lebensphase getragen gewesen seien. Dies seien besondere Umstände iS des § 46 Abs 2a [X.]B VI, die die Annahme zuließen, dass die Eheschließung nicht bzw nicht überwiegend zum Zwecke der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung erfolgt sei.

9

Der Senat habe sich nicht gedrängt gefühlt, dem in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag der Beklagten zu folgen und "den damals zuständigen Standesbeamten hinsichtlich der Durchführung der Heirat des Verstorbenen mit der Klägerin, insbesondere dem Inhalt der Vorgespräche, die Daten der Bestellung des Aufgebots, die Motivation zur Heirat zu vernehmen". Das von der Beklagten unter Beweis gestellte Datum der Bestellung des Aufgebots sei bereits bekannt. Soweit sie die Vernehmung des Standesbeamten zu den weiteren Umständen der Eheschließung, insbesondere zum Inhalt der Vorgespräche und der Motivation der Eheleute beantragt habe, begehre sie Ermittlungen "ins Blaue hinein", zu denen der Amtsermittlungsgrundsatz nicht verpflichte. Der Beweisantrag ziele auf eine unzulässige Ausforschung ab, weil noch nicht einmal eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass sich die Eheleute dem Standesbeamten gegenüber zu den Motiven der Eheschließung geäußert haben könnten. Denn es sei kein Grund für die Annahme ersichtlich, ein Standesbeamter, der eine reguläre Eheschließung im Standesamt vornehme, könne sich zu [X.] äußern. Dass die schwerwiegende Erkrankung des Versicherten gegenüber dem Standesbeamten thematisiert worden sei, liege auch deshalb fern, weil an der anschließenden Hochzeitsfeier ca 20 Gäste teilgenommen hätten, die gemeinsam mit dem Brautpaar in einer Gaststätte das [X.] eingenommen hätten.

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 103, 128 [X.]G. Das L[X.] hätte sich gedrängt fühlen müssen, ihrem Beweisantrag, den zuständigen Standesbeamten zu vernehmen, nachzugehen. Dies gelte nicht nur für den Fall einer Nottrauung am Krankenbett (Hinweis auf das Senatsurteil vom [X.] - B 13 R 134/08 R - veröffentlicht in Juris), sondern auch für den hier vorliegenden besonderen Umstand, dass zwischen der Anmeldung der Eheschließung beim Standesamt kurz nach einer ärztlichen Untersuchung, bei der eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustands dokumentiert worden sei, und der Vornahme der Trauung lediglich sechs Tage gelegen hätten. Der Beweisantrag ziele nicht auf eine unzulässige Ausforschung ab. Vielmehr sei die Vernehmung des Standesbeamten zur Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse geboten gewesen. Denn dessen Aussage hätte Anhaltspunkte zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin und weitere Erkenntnisse zu den Beweggründen beider Eheleute ergeben können. Indem das L[X.] die Vernehmung des Standesbeamten mit der Begründung abgelehnt habe, es sei fernliegend, dass die schwerwiegende Erkrankung des Versicherten gegenüber dem Standesbeamten thematisiert worden sei, habe es die Beweiswürdigung unzulässig vorweggenommen.

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des [X.] vom 27. Januar 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Nach Einlegung der Revision hat die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 10.5.2011 "aufgrund des Urteils vom 27.01.2011" große Witwenrente ab 1.5.2005 bewilligt. Diesen hat sie nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 31.8.2011 zurückgenommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 [X.]G).

Entscheidungsgründe

A. Die statthafte Revision der [X.] ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt sowie begründet worden (§ 164 Abs 1 Satz 1, Abs 2 [X.]).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Revision nicht durch den [X.] vom 10.5.2011 unzulässig geworden. Der - nach der am 18.3.2011 eingelegten Revision erlassene - Bescheid ist ausdrücklich "aufgrund des Urteils vom 27.01.2011" ergangen. Allein in dem Erlass eines solchen Ausführungsbescheids liegt kein durch die Beklagte erfolgtes Anerkenntnis des Witwenrentenanspruchs der Klägerin in dem vom [X.] festgestellten Umfang (vgl [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 154 Rd[X.]6, Stand: Einzelkommentierung März 1996).

B. Die Revision der [X.] ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht der von der Vorinstanz bereits zugesprochene Anspruch auf große Witwenrente gemäß § 46 Abs 2 Satz 1 [X.] ab 1.5.2005 zu (§ 99 Abs 2 Satz 1 [X.]).

1. Der Leistungsausschlussgrund des § 46 Abs 2a [X.] (hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom [X.] - [X.] R 55/08 R - [X.], 99 = [X.]-2600 § 46 [X.], Rd[X.]8 ff) liegt bei der Klägerin nicht vor. Nach dieser Vorschrift haben zwar Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat ([X.]); die Klägerin erfüllt jedoch den Ausnahmetatbestand, "dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen".

Das [X.] hat aufgrund der Beweisaufnahme, insbesondere der Zeugenvernehmung und der persönlichen Anhörung der Klägerin festgestellt, dass bei ihrer Heirat mit dem Versicherten nicht allein oder überwiegend der Zweck verfolgt wurde, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Im Vordergrund standen vielmehr von finanziellen Erwägungen unabhängige bzw diesen zumindest gleichwertige emotionale Beweggründe für die Heirat, die aus der langjährigen inneren Verbundenheit sowie von dem Wunsch nach Beistand und Unterstützung des Versicherten in dessen schwerer Lebensphase getragen waren.

2. Das Berufungsgericht hat ausreichende [X.] festgestellt, aus denen es die vorgenannten Schlussfolgerungen gezogen hat. Das BSG ist an die vom [X.] getroffenen klaren und einander nicht widersprechenden Feststellungen gebunden. Denn die Beklagte hat in Bezug auf diese keine zulässige und begründete [X.] vorgebracht (§ 163 [X.]).

Der Senat hat zuletzt in seiner Entscheidung vom [X.] ([X.] R 134/08 R) darauf hingewiesen, dass der Frage, ob besondere (innere und äußere) Umstände im Sinne des [X.] vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, anhand aller Ermittlungsmöglichkeiten (§ 103 [X.]) nachzugehen ist. Sie ist in erster Linie auf [X.] zu beantworten. Somit obliegt es zuvörderst den Tatsacheninstanzen, sich nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und unter Würdigung aller Tatsachen bzw Indizien eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob im Einzelfall die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass die Erlangung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war. Ein Rentenversicherungsträger, der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit seine Annahme, dass eine Versorgungsehe vorliege, verteidigen will, kann deshalb durch das Stellen von Beweisanträgen darauf hinwirken, dass alle Umstände - auch die für eine Versorgungsehe sprechenden Tatsachen bzw Indizien - in die Beweiswürdigung des Gerichts einbezogen werden (aaO - Juris Rd[X.]9). Im Übrigen hat er bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren (zeitnah) entsprechende eigene Ermittlungen durchzuführen (§ 20 SGB X).

3. Die auf § 103 Satz 1 [X.] gestützte Verfahrensrüge der [X.] greift nicht durch. Das [X.] musste sich, ausgehend von seiner Rechtsansicht, nach den Umständen des vorliegenden Falls nicht gedrängt fühlen, weiter zu ermitteln. Insbesondere musste es nicht dem von der [X.] in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag nachgehen, "den damals zuständigen Standesbeamten hinsichtlich der Durchführung der Heirat des Verstorbenen mit der Klägerin, insbesondere dem Inhalt der Vorgespräche, die Daten der Bestellung des Aufgebots, die Motivation zur Heirat zu vernehmen". Es konnte auf die Vernehmung des Zeugen verzichten, ohne gegen das Verbot einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung zu verstoßen.

a) Das Gericht muss im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 [X.]) von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Von einer Beweisaufnahme darf es nur dann absehen bzw einen Beweisantrag nur dann ablehnen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie also als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG vom [X.] - [X.]-1500 § 160 [X.] Rd[X.]0; BSG vom 28.5.2008 - B 12 KR 2/07 B - Juris Rd[X.]1; Senatsurteil vom [X.] - [X.] R 134/08 R - Juris Rd[X.]1; [X.] B 9 SB 47/10 B - Juris Rd[X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 103 RdNr 8, jeweils mwN). Ferner ist das Gericht nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (vgl BFH vom [X.] - [X.]/04 - Juris Rd[X.]; [X.] vom 13.6.2007 - 4 BN 6/07 - Juris Rd[X.]0). [X.] sind nicht nur Beweisanträge, die das Beweisthema nicht hinreichend konkretisieren, sondern auch Beweisanträge, die dazu dienen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen, etwa solche, die ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen bestimmter Tatsachen aufgestellt worden sind (vgl [X.] vom 29.3.1995 - [X.] 310 § 86 Abs 1 VwGO [X.]; [X.] in [X.], ZPO, 28. Aufl 2010, Vor § 284 Rd[X.]; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 69. Aufl 2011, Einf § 284 Rd[X.]7).

b) Zwar darf eine Tatsachenbehauptung nicht schon dann als unsubstantiiert oder unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Prozessbeteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben, wozu auch innere Tatsachen (also Vorgänge des Seelenlebens, [X.] Beweggründe, Überlegungen, Willensrichtungen; vgl hierzu [X.]/[X.]/[X.]/[X.], aaO, Einf § 284 Rd[X.]0) bei einer anderen Person zählen (vgl [X.] vom 29.3.1995 - aaO; [X.] vom 25.4.1995 - NJW 1995, 2111, 2112; [X.], aaO, Vor § 284 Rd[X.]). Daher steht es ihm - insbesondere wenn er von dieser Person keine wahrheitsgemäße Aussage erwartet - frei, andere Zeugen, denen gegenüber die betreffende Person sich über ihre Absichten und Motive geäußert hat, zu benennen und so einen mittelbaren Beweis der inneren Tatsache anzustreben (vgl [X.] vom [X.] - NJW 1983, 2034, 2035; [X.] vom 11.2.1992 - NJW 1992, 1899, 1900; [X.] vom 30.4.1992 - NJW 1992, 2489). Allerdings muss dann regelmäßig auch dargelegt werden, wie der Zeuge die innere Tatsache bei der anderen Person erfahren hat, die in sein Wissen gestellt wird (vgl [X.] vom 30.4.1992 - aaO; [X.], aaO, Vor § 284 Rd[X.]). Ausnahmen hiervon sind allerdings denkbar, wenn [X.] nach der Lebenserfahrung naheliegt, dass eine Person regelmäßig Kenntnis von den bei einer anderen Person eingetretenen inneren Tatsachen hat - etwa im Verhältnis von Ehegatten (vgl [X.] vom [X.] - NJW 1983, 2034, 2035 f).

c) Einer "aufs Geratewohl" gemachten oder "ins Blaue hinein" aufgestellten Tatsachenbehauptung braucht das Gericht jedoch nicht nachzugehen (vgl BSG vom 19.9.1979 - 11 RA 84/78 - [X.] S 5 - in Juris nur als Kurztext veröffentlicht; Senatsbeschluss vom 19.11.2009 - [X.] R 303/09 B - Juris Rd[X.]; [X.] vom 29.3.1995 - aaO; [X.] vom 12.3.2010 - 8 [X.]/09 - Juris Rd[X.]1; [X.] vom 3.5.2011 - XI ZR 374/08 - Juris Rd[X.]6; [X.], aaO, Vor § 284 Rd[X.]; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], aaO, Einf § 284 Rd[X.]9). Beweisanträge, die so unbestimmt bzw unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw die allein den Zweck haben, dem [X.], der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, brauchen dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahezulegen (vgl BSG vom 19.9.1979 - aaO; Senatsbeschluss vom 19.11.2009 - aaO; [X.] vom 29.3.1995 - aaO; [X.] vom [X.] - [X.] zu § 1 [X.] 1969 Betriebsbedingte Kündigung; [X.]/[X.]/[X.]/ [X.], aaO, Einf § 284 Rd[X.]7; vgl auch [X.] vom 18.6.1993 - DVBl 1993, 1002, 1003); sie sind als Beweisausforschungs- bzw -ermittlungsanträge auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig.

Dies ist vorliegend der Fall. Denn soweit die Beklagte die Vernehmung des damals zuständigen Standesbeamten "insbesondere" zum Inhalt der Vorgespräche und der Motivation der Eheleute beantragt hat, hat sie keine in das Wissen des Standesbeamten gestellten Tatsachen benannt, die belegen könnten, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, für die Klägerin einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung aus der Versicherung des Verstorbenen zu begründen.

d) Zu Unrecht bezieht sich die Beklagte auf das Senatsurteil vom [X.] ([X.] R 134/08 R). Wenn der Senat damals als Verfahrensfehler gewertet hat, dass das [X.] den zuständigen Standesbeamten zu den Umständen der Eheschließung nicht vernommen hat, lag dies darin begründet, dass dort die Eheschließung nicht routinemäßig in der neutralen Umgebung des Standesamts, sondern als sogenannte Nottrauung gemäß § 7 Personenstandsgesetz (PersStdG) aF (ab 1.1.2009: § 13 Abs 3 PersStdG) auf einer Krankenstation erfolgte (aaO - Juris Rd[X.]2 f). Denn durch eine solche Nottrauung soll den Verlobten auch die Möglichkeit eröffnet werden, dem überlebenden Verlobten die mit der Ehe verbundenen materiellen Vorteile zu sichern (vgl [X.]/[X.], [X.], [X.], Stand Februar 2009, 42. Lieferung, § 5 Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.], Personenstandsgesetz, Handkomm, 2. Aufl 2010, § 13 Rd[X.]9; vgl auch [X.] vom 13.7.1989 - NJW 1990, 505; OLG Düsseldorf vom 15.10.2003 - FamRZ 2004, 703, 704; Sprau in [X.], [X.], 70. Aufl 2011, § 839 Rd[X.]41; hiernach obliegt dem Standesbeamten gegenüber den Verlobten die Amtspflicht, ihnen in [X.] eine unverzügliche Eheschließung zu ermöglichen. Bei schuldhafter Verletzung dieser Amtspflicht und dem Eintritt eines wirtschaftlichen Schadens haftet er dem Hinterbliebenen nach § 839 [X.] iVm Art 34 GG). Schon deshalb ist in derartigen Fällen nicht auszuschließen, dass bei einer solchen Trauung etwaige Versorgungsgesichtspunkte bzw finanzielle Motive zwischen dem Standesbeamten und den Verlobten zur Sprache kommen können.

e) Demgegenüber lag hier kein Fall einer Nottrauung vor. Denn die Heirat zwischen der Klägerin und dem Versicherten erfolgte im Standesamt. Hier aber ist kein Grund für die Annahme ersichtlich, der als Zeuge benannte Standesbeamte könne sich zu den Heiratsmotiven des Versicherten und der Klägerin äußern. Auch hat die Beklagte keine konkreten (greifbaren) Anhaltspunkte dargelegt, woraus sie ihre Annahme herleiten will, die Aussage des damals zuständigen Standesbeamten könne - auch nach einem zeitlichen Abstand von über 6 ½ Jahren zwischen Trauung und Beweisantrag - (weitere) Erkenntnisse zu den Motiven des Versicherten und der Klägerin für die Heirat erbringen.

aa) Zutreffend hat das [X.] darauf hingewiesen, dass das PersStdG vom [X.] ([X.]l I 833) in der hier maßgeblichen bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (aF) den Standesbeamten nicht dazu verpflichtet, die Heiratsmotive zu ermitteln. Vielmehr hat er gemäß § 5 Abs 2 Satz 1 PersStdG aF (vgl ab 1.1.2009: § 13 Abs 1 Satz 1 PersStdG) lediglich zu prüfen, ob der Eheschließung ein materiell-rechtliches Ehehindernis entgegensteht. Ein solches liegt vor, wenn eine der Voraussetzungen für die Eheschließung nicht erfüllt ist, dh die Ehefähigkeit (§ 1303 [X.] und § 1304 [X.] ) nicht gegeben ist oder ein Eheverbot (§ 1306 [X.] , § 1307 [X.] und § 1308 [X.] ) vorliegt. Ferner muss der Standesbeamte gemäß § 1310 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 [X.] seine Mitwirkung an der Eheschließung verweigern, wenn offenkundig ist, dass die Ehe aus einem der in § 1314 Abs 2 [X.] genannten Gründe aufhebbar wäre ([X.] aaO: Bewusstlosigkeit oder vorübergehende Störung der Geistestätigkeit iS des § 105 Abs 2 [X.] eines Ehegatten bei der Erschließung; [X.] aaO: Unkenntnis, dass es sich um eine Eheschließung gehandelt hat; [X.] aaO: Eingehung der Eheschließung durch arglistige Täuschung; [X.] aaO: Herbeiführung der Eheschließung durch Drohung; [X.] aaO: Eingehung einer sog "Scheinehe"). All dies war hier nicht einschlägig (zum Verhältnis von Scheinehe und Versorgungsehe vgl Senatsurteil vom [X.] - [X.], 91 = [X.]-2600 § 46 [X.], Rd[X.]5, 43 mwN; vgl auch [X.]/[X.], [X.], [X.], Stand Februar 2009, 42. Lieferung, § 5 Rd[X.]7). Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute ihre Heiratsmotive dem Standesbeamten ungefragt offenbart haben, sind nicht ersichtlich.

bb) Soweit die Beklagte meint, dass sich im hier zu beurteilenden Fall "besondere Umstände" daraus ergäben, dass zwischen der Anmeldung der Eheschließung beim Standesamt kurz nach einer ärztlichen Untersuchung, bei der eine - weitere - Verschlechterung des Gesundheitszustands des Versicherten dokumentiert worden sei, und der Vornahme der Trauung lediglich "sechs Tage" gelegen hätten, ist dies nicht zutreffend.

Zwar mag der Versicherte zur [X.] der Anmeldung der Eheschließung und Trauung äußerlich bereits von der Krankheit gezeichnet gewesen sein. Jedoch ist weder ersichtlich, dass der zuständige Standesbeamte von einer aktuellen Verschlechterung des Gesundheitszustands oder gar von einer lebensgefährlichen Erkrankung des Versicherten Kenntnis gehabt hätte, noch, dass aus einer solchen etwaigen Kenntnis etwas zum entscheidungserheblichen Beweisthema hätte folgen können.

Zwar war der Abstand zwischen Anmeldung beim Standesamt (4.5.2004) und Eheschließung (11.5.2004) kurz; eine gesetzliche Mindest- oder Regelfrist wurde damit aber nicht unterschritten. Denn nach dem 2004 geltenden [X.] war eine bestimmte Aufgebotsfrist gesetzlich nicht (mehr) vorgegeben. Aus § 6 Abs 1 Satz 2 PersStdG aF ergab sich lediglich, dass die Anmeldung frühestens sechs Monate vor der Eheschließung erfolgen durfte. Im Übrigen wäre aber selbst die bis zum 30.6.1998 noch geltende (kürzbare) (Mindest-)Aufgebotsfrist von einer Woche (vgl § 3 Satz 2 und 3 PersStdG in der bis dahin geltenden Fassung) nicht unterschritten worden. Denn die Eheschließung am 11.5. erfolgte eine Woche nach deren Anmeldung beim Standesamt am 4.5., sodass selbst nach der bis zum 30.6.1998 geltenden Rechtslage kein (besonderer) Ausnahmefall vorgelegen hätte.

4. Nach allem durfte das [X.] zu Recht den von der [X.] gestellten Beweisantrag ablehnen, ohne gegen § 103 [X.] zu verstoßen. Anhaltspunkte dafür, dass das [X.] die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]; vgl hierzu BSG vom 8.11.2005 - [X.]-2500 § 44 [X.] Rd[X.]6; Senatsurteil vom [X.] - [X.] R 101/08 R - Juris Rd[X.]5; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 128 Rd[X.]0 ff) überschritten hat, bestehen nicht.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 [X.].

Meta

B 13 R 33/11 R

19.10.2011

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Itzehoe, 16. Dezember 2008, Az: S 19 R 382/06, Urteil

§ 46 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 6, § 46 Abs 2a SGB 6, § 99 Abs 2 S 1 SGB 6, § 103 S 1 SGG, § 128 Abs 1 SGG, § 202 SGG, § 292 ZPO, § 5 Abs 2 S 1 PersStdG vom 04.07.2008, § 6 Abs 1 S 2 PersStdG vom 04.05.1998, § 7 PersStdG vom 04.05.1998, § 839 BGB, § 1310 Abs 1 S 2 BGB, § 20 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2011, Az. B 13 R 33/11 R (REWIS RS 2011, 2249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2249

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8 B 90/09

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