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Öffentlich-rechtlichen Unterbringung in Bayern: Voraussetzung der Aufhebung einer freien Willensbestimmung aufgrund psychischer Krankheit
Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayPsychKHG setzt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift voraus, dass die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist.
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 19. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
I.
Die 55jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer floriden manischen Episode einer schizoaffektiven Störung, die zu von psychotischem Erleben motivierten Handlungen ohne Rücksicht auf die hierdurch entstehenden Gefährdungen der eigenen Gesundheit oder derjenigen Anderer führt. Im Hinblick darauf war sie zuletzt mit Genehmigung des Amtsgerichts durch Beschluss vom 28. August 2020 bis längstens zum 27. Februar 2021 zivilrechtlich in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Nachdem sie die Medikation verweigert habe und es zu „Aggressionen im Grade einer Fremdgefährdung“ gegenüber dem Krankenhauspersonal und Konflikten mit Mitpatienten gekommen sei, regte das Klinikum die Änderung der Unterbringungsart in eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nach dem [X.] (BayPsychKHG) an.
Auf Antrag des Ordnungsamts hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 17. September 2020 die öffentlich-rechtliche Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses angeordnet und zudem ihre Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände und Isolierung in [X.] mit lückenloser Kameraüberwachung in Fällen von [X.], Unruhezuständen, Verhaltensauffälligkeiten, distanzlosem Verhalten gegenüber Dritten sowie eigen- und fremdgefährlichen Handlungen bis zum Ablauf des 15. März 2021 genehmigt, wobei die Maßnahme durch eine Ärztin oder einen Arzt anzuordnen und eine ausreichende ärztliche Überwachung sicherzustellen sei.
Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde, mit der sie nach Erledigung der [X.] noch die Feststellung begehrt, durch die Beschlüsse des Amts- und des [X.]s in ihren Rechten verletzt zu sein.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der bei der Betroffenen festgestellte psychopathologische Befund bedinge eine erheblich beeinträchtigte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht. Von ihr gehe aufgrund ihrer Erkrankung eine erhebliche Gefährdung von Rechtsgütern anderer aus, insbesondere von Mitpatienten und Pflegekräften.
Die Unterbringung könne nicht durch weniger einschneidende Mittel abgewendet werden, da die Betroffene auf freiwilliger Grundlage keinerlei Kontakt, Gespräch oder gar Behandlung zulasse. Nur durch die in der geschlossenen Unterbringung sichergestellte ständige Beaufsichtigung und Betreuung könne im Rahmen der geeigneten Behandlung ihrer Erkrankung die Gefährdung anderer Personen abgewendet werden.
In Anbetracht der Erheblichkeit der bestehenden Gefahr sei die Unterbringung auch angemessen und die Maßnahme insgesamt verhältnismäßig. Ein erheblicher Nachteil entstehe für die Betroffene hierdurch nicht, vielmehr sei Ziel der Unterbringung, die Betroffene vor den aus dem psychotischen Erleben und der mangelnden Impulskontrolle resultierenden Gefährdungen zu schützen und ihr durch eine geeignete Behandlung wieder ein höheres Maß an Selbstbestimmtheit zu ermöglichen. Der Aufenthalt in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sei vor diesem Hintergrund unabdingbar, um der Betroffenen überhaupt eine Behandlungsoption zu eröffnen. Auch die Dauer der Unterbringung sei aufgrund der Schwere des bereits längere Zeit andauernden Krankheitsbildes und ihrer fehlenden Krankheitseinsicht angemessen.
Die Genehmigungsvoraussetzungen für das [X.] lägen ebenfalls vor. Der dokumentierte Verlauf ihres Verhaltens seit März 2020 belege, dass von ihr aufgrund ihrer Erkrankung mit hoher Frequenz Gewalttätigkeiten insbesondere gegen andere Personen ausgingen und in Form dieser tätlichen Angriffe eine Gefahr für bedeutende Rechtsgüter vorliege. Die Maßnahme [X.] sei insofern als mildere Maßnahme zu einer Fixierung anzusehen und als solche verhältnismäßig. Weniger einschneidende Mittel, die ebenso geeignet seien dieser Gefahr zu begegnen, seien nicht ersichtlich, insbesondere seien Behandlungsmaßnahmen aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht der Betroffenen aussichtslos.
2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Ihre Statthaftigkeit ergibt sich auch im Fall der - hier vorliegenden - Erledigung der [X.] aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 5 mwN).
3. Der nach Zeitablauf der Unterbringung von der Betroffenen noch verfolgte Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amts- und des [X.]s (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) ist jedoch unbegründet, da die angefochtene Entscheidung einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis standhält.
a) Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayPsychKHG kann ohne oder gegen seinen Willen untergebracht werden, wer auf Grund einer psychischen Störung, insbesondere Erkrankung, sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährdet, es sei denn seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist nicht erheblich beeinträchtigt.
aa) Zu Unrecht rügt in dem Zusammenhang die Rechtsbeschwerde, das [X.] habe gemäß dem Wortlaut dieser Vorschrift lediglich eine „erheblich beeinträchtigte“ Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Betroffenen bei fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht festgestellt, während eine öffentlich-rechtliche Unterbringung aus verfassungsrechtlichen Gründen erst bei einer vollständigen Aufhebung der freien Willensbildung erfolgen dürfe.
Zwar setzt die öffentlich-rechtliche Unterbringung voraus, dass die Gefahr sowohl auf der Krankheit als auch darauf beruhen muss, dass die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2019 - [X.] 444/18 - [X.], 626 Rn. 12 mwN zur Einrichtung der Betreuung; Senatsbeschluss vom 13. April 2016 - [X.] 95/16 - FamRZ 2016, 1068 Rn. 11 zur zivilrechtlichen Unterbringung und [X.] 146, 294 = FamRZ 2017, 1708 Rn. 32 mwN zur Zwangsbehandlung), so dass der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayPsychKHG insoweit hinter dem verfassungsrechtlich geforderten Maß an Kausalität zurückbleibt (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.] Freiheitsentziehung und Unterbringung 6. Aufl. [X.]. [X.]. 142). In verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift kann eine öffentlich-rechtliche Unterbringung aber auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayPsychKHG gestützt werden, wenn die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist.
Insoweit hat bereits das Amtsgericht festgestellt, worauf das [X.] Bezug nimmt, dass die Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, ihr Verhalten wie etwa Tötungsandrohungen gegenüber einem Dritten, Verletzung der körperlichen Integrität eines Menschen durch Zufügen von Schmerzen, der Angriff mit einer Flasche auf eine Person sowie das Beißen und Schlagen des Pflegepersonals und von Mitpatienten zu ändern oder Vermeidungsstrategien zu entwickeln, und mangels Krankheitseinsicht die daraus resultierende Notwendigkeit ihrer Unterbringung nicht erkennen kann. Damit ist das Beruhen der Gefahr auf der Aufhebung des freien Willens der Betroffenen hinreichend festgestellt.
bb) Ebenfalls zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayPsychKHG, wonach für eine Unterbringung nach diesem Gesetz anstelle einer Unterbringung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in Fällen der Selbstgefährdung insbesondere sprechen kann, dass die Unterbringung voraussichtlich nicht länger als sechs Wochen dauern wird und keine Betreuung und keine ausreichende Vorsorgevollmacht besteht.
Denn soweit dieser Vorschrift für längerfristige Maßnahmen ein Vorrang der zivilrechtlichen Unterbringung entnommen werden kann, gilt dieser nur für Fälle der Selbstgefährdung und nicht - wie hier - für Fälle der Fremdgefährdung.
cc) Soweit die Rechtsbeschwerde den Zeitraum von sechs Monaten dauerhafter Isolation und dauerhafter Überwachung als unverhältnismäßig bezeichnet, weil für einen derart langen Zeitraum nicht das gesetzlich geforderte Merkmal einer „gegenwärtigen Gefahr“ festgestellt werden könne, hat das Amtsgericht die Dauer der Anordnung mit Blick auf eine bereits längere Entwicklung mit mehrfach vorangegangenen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Unterbringungen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begründet. Entgegen der Empfehlung des Sachverständigen, der eine Unterbringung sogar für die Dauer von zwölf Monaten für erforderlich gehalten hat, hat es die affektive Komponente der Erkrankung als so entscheidend bewertet, dass sich bei einer deutlichen Besserung der Impulskontrollstörung innerhalb der nächsten sechs Monate die manische Symptomatik soweit bessern könnte, dass die Unterbringung nicht mehr erforderlich wäre, wobei eine vorzeitige Entlassung bei früherer Besserung ohnehin vorzunehmen sei. Die Gegenwärtigkeit der von der Betroffenen ausgehenden Gefahren in Form von Aggressionsausbrüchen bis zum Erreichen einer derartigen Besserung ist dabei ausreichend festgestellt.
dd) Schließlich ist die angeordnete dauerhafte Überwachung nicht deshalb unrechtmäßig, weil eine durch sie auszuschließende Selbstgefährdung nicht ausreichend festgestellt sei, sondern nur im Rahmen einer gutachterlich prognostizierten Möglichkeit liege.
Gemäß Art. 29 Abs. 1 BayPsychKHG können gegen eine untergebrachte Person besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres Gesundheitszustands in erhöhtem Maße die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, die Gefahr einer Selbsttötung oder Selbstverletzung oder die Gefahr besteht, dass die untergebrachte Person entweicht. Zulässig als besondere Sicherungsmaßnahme ist nach Art. 29 Abs. 2 Nr. 8 BayPsychKHG die Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum ohne gefährdende Gegenstände, wobei nach Art. 29 Abs. 4 BayPsychKHG diese Maßnahme auch zulässig ist, wenn eine erhebliche Störung des geordneten Zusammenlebens in der Einrichtung nicht anders abgewendet werden kann. Gemäß Art. 29 Abs. 6 BayPsychKHG hat die Anordnung dieser Sicherungsmaßnahme durch eine Ärztin oder einen Arzt zu erfolgen und hat diese eine angemessene ärztliche Überwachung sicherzustellen. Diesen gesetzlichen Vorgaben entsprechen die diesbezüglich getroffenen gerichtlichen Anordnungen.
Dose |
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[X.] |
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Botur |
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Guhling |
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Meta
12.05.2021
Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: ZB
vorgehend LG Ingolstadt, 19. Oktober 2020, Az: 24 T 2868/20
Art 5 Abs 1 S 1 PsychKG BY
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.05.2021, Az. XII ZB 505/20 (REWIS RS 2021, 5947)
Papierfundstellen: MDR 2021, 1069-1070 REWIS RS 2021, 5947
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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