Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2014, Az. III ZR 228/13

3. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 3958

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Entschädigungsprozess wegen überlanger Verfahrensdauer: Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge im Übergangsfall


Leitsatz

1. Die Frage der Erhebung beziehungsweise Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit einer Entschädigungsklage nach § 198 GVG.

2. Eine Verzögerungsrüge ist noch "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht eingegangen ist (Anschluss an Senatsurteil vom 10. April 2014, III ZR 335/13, NJW 2014, 1967).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 22. Mai 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt das beklagte Land im Wege der Feststellungs- und Leistungsklage auf Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Zivilrechtsstreits in Anspruch.

2

Das Ausgangsverfahren betrifft einen Zivilprozess, der im Januar 2001 vor dem [X.]eingeleitet wurde und Schadensersatzansprüche des Klägers wegen unberechtigter außerordentlicher Kündigung eines Vertrags zur Jungviehaufzucht zum Gegenstand hat. Hinsichtlich eines Betrags von 30.000 € erklärten die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens und mehrerer ergänzender Stellungnahmen erging am 21. April 2009 ein Teilurteil. Soweit das [X.] darin auf Zahlung eines Betrags von rund 44.000 € an den Kläger erkannte, wurde das Urteil rechtskräftig. Im Übrigen wurde es durch Berufungsurteil des [X.]     vom 1. Oktober 2009 aufgehoben. Im weiteren Verfahrensgang holte das [X.] ein Obergutachten ein und verkündete schließlich am 23. März 2012 ein Schlussurteil, in dem es dem Kläger weitere 116.700 € zusprach. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es befindet sich derzeit im Berufungsrechtszug.

3

Mit [X.] vom 28. Dezember 2011, der am 30. Dezember 2011 beim [X.] einging, erhob der Kläger eine [X.] unter Hinweis auf § 198 [X.]. Bereits zuvor hatte er am 8. April 2004 und 16. Januar 2009 förmliche [X.] erhoben, die das [X.] als unzulässig verwarf. Einen mit Schriftsatz vom 22. Januar 2009 gegenüber der Justizverwaltung geltend gemachten Anspruch auf immateriellen Schadensersatz in Höhe von 10.000 € lehnte der Präsident des [X.]s mit Bescheid vom 11. Mai 2011 ab. Die dagegen an das [X.] des beklagten [X.] gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

4

Mit [X.] vom 23. April 2012, der am 26. April 2012 beim [X.] R.       einging, reichte der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage ein, die dem Beklagten - nach verzögerter Einzahlung des [X.] durch den Kläger - erst am 9. August 2012 zugestellt wurde.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, die streitgegenständliche Verfahrensdauer von inzwischen mehr als elf Jahren sei schon dem ersten Anschein nach nicht mehr angemessen. Der derzeit noch nicht bezifferbare materielle Schaden resultiere daraus, dass ihm während der Prozessdauer ein Betrag von nahezu 200.000 € vorenthalten worden sei. Wegen der erlittenen Existenzängste und des offenkundigen Desinteresses der Justiz an der Bearbeitung seiner Ansprüche sei eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von mindestens 50.000 € gerechtfertigt. Da er die Verfahrensdauer kontinuierlich beanstandet habe, komme es auf die am 30. Dezember 2011 erhobene [X.] nicht mehr an.

6

Das [X.] hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

I.

8

Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9

Die [X.] sei unzulässig. Nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) vom 24. November 2011 ([X.] I S. 2302) sei die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff [X.] auf das seit Januar 2001 anhängige Ausgangsverfahren anwendbar. Die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] habe der Kläger zwar nicht einhalten müssen, weil das verzögerte erstinstanzliche Verfahren bei Erhebung der [X.] am 23. April 2012 bereits abgeschlossen gewesen sei und die [X.] deshalb die ihr vom Gesetzgeber beigemessene Funktion nicht mehr habe entfalten können. Der Kläger habe jedoch die Vorgabe des Art. 23 Satz 2 [X.], wonach die [X.] unverzüglich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (am 3. Dezember 2011) zu erheben sei, nicht erfüllt. Die am 30. Dezember 2011 eingegangene [X.] sei mehr als drei Wochen und sechs Tage nach diesem Zeitpunkt erhoben worden. Sie sei daher verspätet, da "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 [X.] "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 [X.]) bedeute. Die in der Regel als Obergrenze anzunehmende Frist von zwei Wochen gelte auch im Streitfall. Die neue Entschädigungsregelung sei frühzeitig Gegenstand von Fachpublikationen gewesen. Der eindeutige Gesetzeswortlaut habe dem Prozessbevollmächtigten des [X.] bekannt sein müssen. Der Kläger sei daher zur Wahrung seiner Rechte gehalten gewesen, eine [X.] gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GV binnen zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu erheben. Er könne sich auch nicht darauf berufen, die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung mehrfach gerügt zu haben. Frühere Beanstandungen der Verfahrensdauer stünden einer [X.] gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht gleich.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in mehreren Punkten nicht stand.

Entgegen der Auffassung des [X.]s betrifft die Frage der Erhebung beziehungsweise Rechtzeitigkeit einer [X.] nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der [X.].

Die am 30. Dezember 2011 beim [X.] eingegangene [X.] ist "unverzüglich" nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) erhoben worden. Sie hat damit gemäß Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] Entschädigungsansprüche auch für den der Rüge vorausgehenden Zeitraum gewahrt.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das [X.] angenommen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff [X.]) nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] auf den Streitfall Anwendung findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 [X.]) bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das im Januar 2001 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.

2. Anders als das [X.] meint, hat das Fehlen einer [X.] (§ 198 Abs. 3 Satz 1 [X.]) oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge (Art. 23 Satz 2 [X.]) nicht die Unzulässigkeit der [X.] zur Folge. Vielmehr ist die [X.] als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert und nicht als Zulässigkeitskriterium für dessen prozessuale Geltendmachung (BT-Drucks. 17/3802 S. 20). § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] normiert als zwingende Entschädigungsvoraussetzung, dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine [X.] erhoben hat. Dabei handelt es sich um eine haftungsbegründende Obliegenheit ([X.]surteile vom 23. Januar 2014 - [X.], NJW 2014, 939 Rn. 27 und vom 10. April 2014 - [X.], NJW 2014, 1967 Rn. 21; siehe auch [X.], 126 Rn. 24 und BSG, NJW 2014, 253 Rn. 27). Wird die [X.] nicht unverzüglich gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] erhoben, hat dies zur Folge, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer bis zum Rügezeitpunkt materiell-rechtlich präkludiert sind (grundlegend [X.]surteil vom 10. April 2014 aaO Rn. 27 ff). Die Zulässigkeit der Klage bleibt davon unberührt (vgl. [X.] aaO; BSG aaO).

3. Entgegen der Auffassung der Revision haben die förmlichen Untätigkeitsbeschwerden des [X.] vom 8. April 2004 und 16. Januar 2009 sowie sein Schadensersatzverlangen vom 22. Januar 2009 die Erhebung einer [X.] nicht entbehrlich gemacht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 23 Satz 2 [X.] muss in anhängigen, bereits verzögerten Verfahren die [X.] "unverzüglich nach Inkrafttreten" des Gesetzes erhoben werden. Allein dadurch wird der Entschädigungsanspruch rückwirkend in vollem Umfang gewahrt (Art. 23 Satz 3 [X.]; BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene [X.]n erfüllen diese Voraussetzung nicht. Da sie keine präventive Warnfunktion im Sinne der §§ 198 ff [X.] entfalten konnten, sind sie nicht geeignet, einen Entschädigungsanspruch zu begründen ([X.] aaO Rn. 25; [X.], NJW 2013, 2209, 2010). Dementsprechend bestimmt Art. 23 Satz 4 [X.], dass es einer [X.] dann nicht bedarf, wenn bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer - bei Inkrafttreten des Gesetzes - schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist (siehe auch BT-Drucks. 17/3802 S. 31).

4. Dem [X.] kann nicht darin gefolgt werden, dass die Einhaltung der Wartefrist gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] im Streitfall entbehrlich war. Allerdings hat das Gericht zugleich verkannt, dass die [X.] nicht schon am 23. April 2012 (Fertigung der am 26. April beim [X.] eingegangenen Klageschrift), sondern erst am 9. August 2012 (Zustellung der Klageschrift an den [X.]) - mithin nicht vorzeitig - erhoben worden ist.

a) Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] kann der Entschädigungsanspruch frühestens sechs Monate nach wirksamer Erhebung der [X.] gerichtlich geltend gemacht werden. Der Sinn dieser Wartefrist besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden ([X.]surteil vom 21. Mai 2014 - [X.] 355/13, BeckRS 2014, 12289 Rn. 17). Zugleich sollen die Entschädigungsgerichte vor verfrühten [X.]n geschützt werden ([X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 [X.] Rn. 245). Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig. Es liegt kein heilbarer Mangel vor. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für die Einhaltung der Wartefrist allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an. Zudem könnte andernfalls die vorgenannte Schutzfunktion der Frist für die Entschädigungsgerichte unterlaufen werden ([X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 [X.] Rn. 152, 154; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 247, 250; anders [X.], [X.] 2014, 293, 295 f für den Fall, dass bei Klageerhebung bereits mehrere Monate seit der [X.] vergangen sind).

b) Nach der Rechtsprechung des [X.]s kann eine [X.] ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der [X.] abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des [X.] an eine [X.] zulässig ist ([X.]surteil vom 21. Mai 2014 aaO Rn. 17). So liegt der Fall hier aber nicht.

Das Ausgangsverfahren ist noch nicht beendet, da das am 23. März 2012 verkündete [X.] des [X.]s mit der Berufung angefochten wurde. Vor dem Hintergrund des Zwecks des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] - das Ausgangsgericht soll genügend Zeit haben, das Verfahren zu fördern und in angemessener Zeit abzuschließen oder jedenfalls eine weitere Verzögerung zu vermeiden - besteht keine Veranlassung, auf das Fristerfordernis bereits dann zu verzichten, wenn lediglich die Instanz, auf deren Dauer das Entschädigungsverlangen gestützt wird und in der die [X.] erhoben wurde, vor Ablauf von sechs Monaten nach Rügeerhebung abgeschlossen wurde (so aber [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 150 f). Das zunächst verzögerte Verfahren kann in einer höheren Instanz besonders zügig geführt werden, so dass die Wahrung der [X.] auch nach Abschluss einer Instanz sinnvoll ist. Sie gibt nämlich dem Rechtsmittelgericht Gelegenheit, eine in der Vorinstanz eingetretene Verzögerung zu kompensieren. Demgemäß muss das Entschädigungsgericht bei der abschließenden Würdigung nach § 198 Abs. 1 [X.] das gesamte Verfahren in den Blick nehmen und prüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Prozesses ausgeglichen wurden ([X.]surteile vom 14. November 2013 - [X.] 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 - [X.] 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 41; vom 23. Januar 2014 - [X.], NJW 2014, 939 Rn. 37; vom 13. Februar 2014 - [X.] 311/13, NJW 2014, 1183 Rn. 28 und vom 10. April 2014 - [X.] 335/13, NJW 2014, 1967 Rn. 39). Es ist zudem nicht erkennbar, dass ein Zuwarten von wenigen Wochen oder Monaten bis zum Ablauf der Frist eine nennenswerte Einschränkung des Rechtsschutzes für den Entschädigungskläger darstellen würde (vgl. [X.], Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 166).

c) Der Kläger hat die sechsmonatige Wartefrist eingehalten. Die Fristberechnung bestimmt sich nach § 201 Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m § 222 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 [X.] ([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 153; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 249). Für den Beginn der Frist war der Eingang der [X.] am 30. Dezember 2011 als Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 [X.] maßgebend. Die Frist endete gemäß § 188 Abs. 2 [X.] mit Ablauf des 30. Juni 2012. Der Umstand, dass die [X.] bereits am 26. April 2012 beim [X.] eingereicht wurde, ist unschädlich. Vielmehr ist entscheidend, dass die Klage, nachdem der Kläger den [X.] gemäß §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. KV Nr. 1212 erst am 7. August 2012 eingezahlt hatte, an das beklagte Land am 9. August 2012 zugestellt worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einhaltung der Wartefrist ist nach dem klaren Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] nicht die Einreichung, sondern die Erhebung der [X.] ([X.] aaO Rdnr. 154). Letztere erfolgt nach § 201 Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den [X.], sobald die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen gemäß §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG eingezahlt ist.

Eine Rückwirkung der Zustellung der Klageschrift nach § 167 ZPO kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht in Betracht. Die Vorschrift soll den [X.] vor den Nachteilen aus Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahren (vgl. nur [X.]surteil vom 6. März 2008 - [X.] 206/07, [X.], 1674 Rn. 12 mwN), ihm aber nicht - umgekehrt - einen Nachteil zufügen. Aus diesem Grund besteht vorliegend auch keine Veranlassung zu prüfen, ob der Kläger alles Erforderliche unternommen hat, um eine zügige Zustellung zu gewährleisten.

5. Die Annahme des [X.]s, die am 30. Dezember 2011 eingegangene [X.] sei nicht "unverzüglich" im Sinne von Art. 23 Satz 2 [X.] erhoben worden, wird von der Revision zu Recht beanstandet. Diese Frage hat der [X.] - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - mit Urteil vom 10. April 2014 ([X.] 335/13, NJW 2014, 1967) grundlegend dahin entschieden, dass eine [X.] noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht einging. Da die neue Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 in [X.] getreten ist, lag die [X.] noch innerhalb der dem Kläger eingeräumten Zeitspanne.

Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] auf Altfälle angewandt, die am 3. Dezember 2011 bereits anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der [X.] durch Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die [X.] "unverzüglich" erhoben werden.

Da das [X.] zu dem bestrittenen Vorbringen des [X.], das Ausgangsverfahren hätte bei angemessener Verfahrensförderung innerhalb eines Jahres vollständig abgeschlossen werden können, keine Feststellungen getroffen hat, ist bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugunsten des [X.] davon auszugehen, dass das Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der §§ 198 ff [X.] bereits erheblich verzögert war.

"Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 [X.] hinaus gilt ([X.]/[X.], [X.], 73. Aufl., § 121 Rn. 3).

Soweit Art. 23 Satz 2 [X.] die unverzügliche Erhebung der [X.] nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein sofortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu können, ob er seine Rechte durch eine [X.] wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121 [X.] herausgebildete Obergrenze von zwei Wochen beziehungsweise die zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.] stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar ([X.]surteil vom 10. April 2014 aaO 25 mwN). Bei der Bemessung der gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 [X.]) gerecht wird (BT-Drucks. 17/3802 S. 15). Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 [X.]). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Begriff der "Unverzüglichkeit" in Art. 23 Satz 2 [X.] weit zu verstehen. Der [X.] hat deshalb eine Drei-Monats-Frist für erforderlich gehalten, um den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu entsprechen und den Betroffenen in allen Fällen ausreichend Zeit für die Prüfung zu geben, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist ([X.]surteil aaO; siehe auch [X.], 126 Rn. 31 ff; [X.], [X.] 2014, 293, 295).

III.

Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das [X.] wird nunmehr erstmals zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1, 2 [X.] vorliegen.

Schlick                     Herrmann                     Wöstmann

               Seiters                          Reiter

Meta

III ZR 228/13

17.07.2014

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Rostock, 22. Mai 2013, Az: 1 SchH 2/12

§ 198 Abs 3 S 1 GVG, Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2014, Az. III ZR 228/13 (REWIS RS 2014, 3958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3958

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III ZR 228/13 (Bundesgerichtshof)


III ZR 335/13 (Bundesgerichtshof)

Entschädigung für eine unangemessene Verfahrensdauer in einem Arzthaftungsprozess: Unverzüglichkeit der Verzögerungsrüge in einem Übergangsfall; Entschädigungsanspruch …


III ZR 335/13 (Bundesgerichtshof)


5 C 31/15 D (Bundesverwaltungsgericht)

Überlanges verwaltungsgerichtliches Verfahren; maßgeblicher Zeitpunkt für die Erhebung der Verzögerungsrüge und die Berechnung der Verfahrensdauer


B 10 ÜG 2/14 R (Bundessozialgericht)

Überlanges Gerichtsverfahren - unverzügliche Verzögerungsrüge in Altfällen - Dreimonatsfrist - Entschädigungsklage - Nichteinhaltung der sechsmonatigen …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.