Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.03.2020, Az. IX ZR 171/18

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11754

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:050320BIXZR171.18.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX
ZR 171/18

vom

5. März 2020

in dem Rechtsstreit

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Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] Dr.
Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, [X.], die Richterin Möhring
und den Richter Dr. Schultz

am
5. März 2020
beschlossen:

Auf die
Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird die Revision gegen das Urteil des [X.] des
[X.]s Bam-berg vom 11.
Mai
2018 zugelassen.

Auf die Revision des [X.] wird das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens vor dem [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Der Streitwert für das
Revisionsverfahren
wird auf 236.981,60

festgesetzt.

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Gründe:

I.

Der Kläger ist der Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 18. Februar 2011 am 29. April 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T.

-

GmbH (nachfolgend Schuldnerin). Die Schuldnerin war mit der Befrach-tung und Bewirtschaftung von [X.] befasst. Sie gehörte zur O.

-[X.]e, zu der auch die
O.

gesellschaft mbH (nach-folgend O.

), eine Schwestergesellschaft der Schuldnerin, zählte.

Zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten bestand ein so bezeichne-ter [X.]charter-Vertrag. Dieser verpflichtete den Beklagten, der Schuldnerin das Tankmotorschiff "C.

"
zur regelmäßigen Befrachtung zur Verfügung zu stel-len. Als Gegenleistung hatte die Schuldnerin ein Nutzungsentgelt zu entrichten. In der [X.] vom 1. November 2010 bis zum 15. Februar 2011 beglich die Schuldnerin gegenüber dem
Beklagten offene Nutzungsentgelte in Höhe von elf
Teil-zahlungen.

von der Schuldnerin, sondern auf deren Anweisung von ihrer Schwestergesell-schaft der O.

geleistet. Die O.

tilgte mit dieser Zahlung eine Verbind-lichkeit in entsprechender Höhe gegenüber der Schuldnerin.

Der Kläger verlangt die Rückgewähr aller elf
Teilzahlungen unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung. Er behauptet, die Schuldnerin sei [X.] ab dem 1. November 2010 zahlungsunfähig gewesen und sowohl
die 1
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Schuldnerin selbst als auch der Beklagte hätten
um die Zahlungsunfähigkeit gewusst.

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, soweit
zu seinem Nachteil entschieden worden ist.

II.

Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angefochtene Urteil den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in ent-scheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Das Berufungsgericht hat die letzte angefochtene Teilzahlung vom 15.

für anfechtbar gehalten. Eine Kenntnis des Beklagten von der sich bis zu die-sem [X.]punkt manifestierenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin könne nicht mehr verneint werden. Die vorhergehenden Teilzahlungen seien nicht an-fechtbar. Im hierfür maßgeblichen [X.]raum sei die Schuldnerin weder zah-lungsunfähig gewesen noch habe der Beklagte eine -
zu diesem Zweck unter-stellte -
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erkannt.

2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht,
das tat-sächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen 4
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und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen ([X.], Beschluss vom 26. März 2015 -
IX [X.], [X.], 1025 Rn. 5
mwN; st. Rspr.). Dieser Ver-pflichtung ist das Berufungsgericht
nicht nachgekommen. Es hat entschei-dungserheblichen Vortrag des [X.] zu der von ihm behaupteten Zahlungs-unfähigkeit nicht in Erwägung gezogen.

a)
Mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt,
dass eine Anfechtbarkeit aller noch streitgegenständlichen Teilzahlungen nach § 133 Abs. 1 [X.] aF in Betracht kommt. Die in der [X.] von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen Zahlungen könnten zudem nach §
130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] anfechtbar sein. Eine Deckungsanfechtung nach §
131 [X.] scheidet aus. Zwar hat der Beklagte nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vorbringen des [X.] in Gestalt der von der [X.] vorgenommenen (Dritt-)Zahlung
eine inkongruente Deckung erhalten (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 2015 -
IX ZR 287/14, [X.]Z 208, 243 Rn. 16 mwN). Die [X.] erfolgte jedoch am 5. November 2010 und damit außerhalb des kritischen [X.]raums von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag.

b)
Sowohl für die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] aF als auch für eine Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist die Zahlungsunfä-higkeit des Schuldners in dem
nach § 140 [X.] maßgeblichen [X.]punkt von Bedeutung.

Für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] folgt dies aus dem Gesetz selbst. Danach
muss der Schuldner (objektiv)
zahlungs-unfähig gewesen sein und
der Anfechtungsgegner muss die Zahlungsunfähig-keit gekannt haben. Im Rahmen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] 8
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aF ist die -
erkannte -
Zahlungsunfähigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ein gewichtiges Beweisanzeichen für den Gläubiger-benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungs-gegners von
diesem Vorsatz. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig
ist und seine Zahlungsunfähigkeit
kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz ([X.], Urteil vom 14. September 2017 -
IX ZR 3/16, [X.], 2319 Rn. 8). Dementsprechend erkennt der
Anfechtungsgegner regelmäßig den Gläubiger-benachteiligungsvorsatz des Schuldners, wenn er um dessen Zahlungsunfähig-keit weiß (§
133 Abs.
1 Satz
2 [X.]; [X.], Urteil vom 14. Juli 2016 -
IX [X.], [X.], 1701 Rn.
14).

c)
Zur Feststellung
der Zahlungsunfähigkeit
im Sinne des §
17 Abs.
2 Satz
1 [X.] ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung nach §
17 Abs.
2 Satz
2 [X.] die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit
begründet ([X.], Urteil vom 7.
Mai 2015
-
IX [X.], [X.], 1202 Rn. 12). Kennt der Gläubiger die Tatsachen, aus denen sich die Zahlungseinstellung ergibt, kennt er damit auch die Zahlungsunfähigkeit
([X.], Urteil
vom 18. Juli 2013
-
IX ZR 143/12, [X.], 1993 Rn. 17;
vgl. auch Urteil vom 12. Oktober 2017 -
IX ZR 50/15, [X.], 2322 Rn. 19).

Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der [X.] ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genü-gen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbind-lichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu 11
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den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung be-gründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist ([X.], Urteil vom 12.
Oktober 2017, aaO Rn. 12 mwN). Eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, deuten [X.] auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 2016 -
IX [X.], [X.], 797 Rn. 8).

d)
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet. Unter
Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat es allerdings bei seiner Würdigung entschei-dungserheblichen Vortrag des [X.] unberücksichtigt gelassen.

aa) Der Kläger hat in erster Instanz unter
Beweisantritt vorgetragen, dem Beklagten sei "jedenfalls im Spätsommer 2010 (August)"
mitgeteilt worden, dass eine vollständige Begleichung offener Verbindlichkeiten nicht möglich sei. Es könne nur das gezahlt werden, was da sei. Man werde sich bemühen, ent-sprechende Abschläge zu leisten.
Eine derartige Erklärung spricht deutlich für die vom Kläger geltend gemachte
Zahlungseinstellung zum 1. November 2010. Dies gilt insbesondere deshalb, weil dem Beklagten Tragweite und Wahrheits-gehalt der Erklärung
in der Folge dadurch vor Augen geführt worden ist, dass die Nutzungsentgelte für August, September und Oktober 2010
zunächst nicht entrichtet wurden.

Schon das [X.] hätte deshalb dem
Vortrag nachgehen müssen, Der Vortrag war auch im Blick auf den [X.]punkt der Erklärung hinreichend [X.] und deutete nicht nur auf eine schlechte wirtschaftliche Situation der O.

-[X.]e hin.
In der Berufungsinstanz hat der Kläger seinen Vortrag 13
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ausdrücklich aufrechterhalten.
Nur um darzutun, dass er keine Behauptungen "aufs Geratewohl"
oder "ins Blaue hinein"
aufgestellt habe, hat er darauf [X.], dass auch der Beklagte Vertröstungen durch den Geschäftsführer
der Schuldnerin vorgetragen habe.
Den
Vortrag
des [X.]
hat das Berufungsge-richt
gehörswidrig nicht in Erwägung gezogen. In der irrigen Annahme, der Klä-ger habe sich den Vortrag des Beklagten zu eigen gemacht, hat es vielmehr dessen Vortrag gewürdigt, wonach es wiederholt Zahlungsrückstände gegeben habe und der Beklagte an solche Zahlungsverzögerungen gewöhnt gewesen sei. Der Geschäftsführer der Schuldnerin habe stets damit beruhigt, dass die ausbleibenden Zahlungen nur eine vorübergehende Erscheinung seien.

[X.])
Hätte das Berufungsgericht den Vortrag des [X.] in Erwägung
gezogen, hätte es auch erkannt, dass die von ihm herangezogene Senatsent-scheidung vom 14. Juli 2016 (IX [X.], [X.], 1701) einen anders ge-lagerten Einzelfall betrifft. Nach dem Vortrag des [X.] gab es insbesondere kein konkretes Angebot, Ratenzahlungen zu leisten. Vielmehr soll gesagt [X.] sein, man könne nur zahlen, was da sei,
und sei bemüht, [X.] zu leisten.
Erst recht
wurde keine vollständige ratenweise Tilgung offe-ner Forderungen in Aussicht gestellt. Nach dem Vortrag des [X.] soll die Mitteilung der Schuldnerin auch nicht ohne weiteres mit dem Ziel erfolgt sein, Forderungen durch Ratenzahlung zu befriedigen. Der Erklärung sollen vielmehr entsprechende Mahnungen des Beklagten vorausgegangen sein.

III.

Die angefochtene Entscheidung kann folglich keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung 16
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an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO). Dieses wird
die Zahlungseinstellung und die Kenntnis von der Zahlungseinstellung auf der Grundlage des -
erforderlichenfalls zu beweisenden -
Vortrags des [X.] er-neut zu würdigen haben.

Kayser
Gehrlein
[X.]

Möhring
Schultz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.01.2017 -
73 O 2297/14 -

OLG [X.], Entscheidung vom 11.05.2018 -
3 U 26/17 -

Meta

IX ZR 171/18

05.03.2020

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.03.2020, Az. IX ZR 171/18 (REWIS RS 2020, 11754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11754

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