Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.06.2016, Az. 2 BvR 468/16

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 9930

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Auslieferung eines Deutschen an Polen auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls - Fehlen einer detaillierten, einzelfallbezogenen Abwägung trotz potentiellen Inlandsbezugs der Tat


Tenor

Die Bewilligungsentscheidung der [X.] vom 3. März 2016 - 151 [X.] - und der Beschluss des [X.] vom 2. März 2016 - (4) 151 [X.] (10/16) - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes.

Die Bewilligungsentscheidung der [X.] vom 3. März 2016 - 151 [X.] - wird aufgehoben. Der Beschluss des [X.] vom 2. März 2016 - (4) 151 [X.] (10/16) - wird aufgehoben, soweit er die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt. Das Verfahren wird insoweit an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Auslieferung an die [X.] aufgrund eines [X.] Haftbefehls.

2

Der Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Ihm wird vorgeworfen, in der [X.] zwischen dem 17. und 18. Juni 2015 zusammen mit anderen Mittätern das Opfer [X.] in [X.] in einem Wald vorsätzlich getötet zu haben. Der Beschwerdeführer und andere Personen hätten das Opfer mit einem stumpfkantigen Werkzeug geschlagen und gewürgt, anschließend mit einer Folie und einer Plastiktüte umwickelt und vor Ort vergraben. Daraufhin hätten sie das Fahrzeug des Opfers weggenommen, um es sich anzueignen.

3

Die [X.] Behörden haben durch die Übermittlung eines [X.] Haftbefehls um die Festnahme und Auslieferung des Beschwerdeführers zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Mit Schreiben vom 1. März 2016 beantragte die [X.], die Auslieferung für zulässig zu erklären. Sie beabsichtige, nach einer Zulässigkeitsentscheidung gemäß §§ 29, 79 Abs. 2 [X.] die Auslieferung zu bewilligen, da [X.] im Sinne des § [X.] [X.] letztlich nicht erkennbar seien. Der Auslieferung eines [X.] zum Zweck der Strafverfolgung an einen Mitgliedstaat der [X.] sei nach § 80 Abs. 1 [X.] zulässig, wenn die vom Verfolgten gewünschte Rücküberstellung zur Vollstreckung gesichert sei (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]) und die Tat - wie im vorliegenden Fall - einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat aufweise (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]). Dieser ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer die Tat in [X.] zum Nachteil des [X.] Staatsangehörigen [X.] begangen haben solle.

4

Mit Beschluss vom 2. März 2016 erklärte das [X.] die Auslieferung mit der Maßgabe für zulässig, dass die [X.] die Auslieferung nur unter der Voraussetzung bewilligt, dass der Beschwerdeführer nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen freiheitsentziehenden Sanktion auf seinen Wunsch von der [X.] zur Strafvollstreckung in die [X.] zurück überstellt wird. Der Zulässigkeit der Auslieferung stehe nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer [X.] Staatsangehöriger sei. Die Auslieferung eines [X.] zum Zweck der Strafverfolgung an einen Mitgliedstaat der [X.] sei nach § 80 Abs. 1 [X.] zulässig, wenn die vom Verfolgten gewünschte Rücküberstellung zur Vollstreckung gesichert sei (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]) und die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat aufweise (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]). Der maßgebliche Bezug der Tat gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] zum ersuchenden Staat sei gegeben.

5

Mit Verfügung vom 3. März 2016 bewilligte die [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers unter der Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen freiheitsentziehenden Sanktion auf seinen Wunsch von der [X.] zur Strafvollstreckung in die [X.] zurück überstellt wird.

6

Mit Beschluss vom 9. März 2016 hat die [X.] des Zweiten Senats des [X.] die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der [X.] bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen ausgesetzt.

7

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 16 Abs. 2 GG. Das [X.] habe bei der Anwendung von § 80 Abs. 1 [X.] die Bedeutung von Art. 16 Abs. 2 GG verkannt. Wenn die Tat auch nur teilweise in [X.] stattgefunden habe, seien die [X.] Stellen verpflichtet, in eine konkrete Einzelfallprüfung der widerstreitenden Rechtspositionen einzutreten. Dieser Einzelfallabwägung seien das [X.] und die Generalstaatsanwaltschaft nicht nachgekommen, obwohl die Tat einen Inlandsbezug aufweise. Die Tatverdächtigen (der Beschwerdeführer und die Mitbeschuldigten [X.] und N…) seien [X.] Staatsangehörige und lebten in [X.]. Das Tatopfer sei [X.] Staatsangehöriger gewesen und habe zur Tatzeit seinen Wohnsitz in [X.] gehabt. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen (Vernehmungsprotokolle der Mitbeschuldigten N… vom 22. Juli und [X.] vom 28. Juli 2015) sei die Tatplanung in [X.] erfolgt und hätten die Ausführungshandlungen in [X.] begonnen. Das Tatopfer sei in Ausführung des Tatplans möglicherweise betäubt von [X.] nach [X.] verbracht worden und nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen seien die Tatverdächtigen sofort wieder nach [X.] zurückgekehrt.

8

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem [X.] vorgelegen. Die [X.] in [X.] und die [X.] hatten Gelegenheit zur Äußerung. Die Generalstaatsanwaltschaft hat von einer Stellungnahme abgesehen. Nach Ansicht der [X.] liegt der Schwerpunkt des Tatgeschehens ausschließlich in [X.]. Mit Ausnahme des Umstands, dass die Autofahrt nach [X.] mit dem Geschädigten [X.] in [X.] ihren Anfang genommen und der Geschädigte noch vor der [X.] Grenze von dem Beschuldigten [X.] betäubt worden sei, hätten sämtliche sonstigen Vorbereitungs-, Tat- und Nachtathandlungen in [X.] stattgefunden. Es seien nicht nur die Erfolge der Tat (Tod des Opfers und Diebstahl des Kraftfahrzeugs) in [X.] eingetreten; auch die überwiegenden und maßgeblichen Anteile der Tat seien in [X.] begangen worden, so dass die allenfalls als Vorbereitungshandlungen zu qualifizierenden Tatbeiträge in [X.] nicht als eine in [X.] begangene Tat zu betrachten seien. Sämtliche Ermittlungen seien von den [X.] Behörden geführt worden und sämtliche Beweismittel befänden sich in [X.]. Ob unter diesen Umständen ein Strafverfahren in [X.] durchgeführt werden könne, könne aus Sicht der Staatsanwaltschaft [X.] derzeit nicht beurteilt werden, zumal nicht einschätzbar sei, ob die beiden Hauptbelastungszeugen, die Mitbeschuldigten N… und [X.], in absehbarer [X.] nach [X.] überführt werden könnten und ob die [X.] Behörden dies (vor einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung in [X.]) veranlassen würden, damit diese ihre den Beschwerdeführer belastenden Angaben vor einem [X.] Gericht wiederholten.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende [X.] nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 [X.] sind erfüllt. Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 GG angezeigt. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die angegriffenen Entscheidungen stammen vom 2. und 3. März 2016. Eingegangen ist die Verfassungsbeschwerde am 6. März 2016, so dass die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] offensichtlich gewahrt ist. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer den Rechtsweg erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 [X.], § 13 Abs. 1 Satz 2, § 78 Abs. 1 [X.]). Überdies sind die Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]) gewahrt. Die Verfassungsbeschwerde genügt den Begründungsanforderungen hinsichtlich der Darstellung des grundrechtsrelevanten Sachverhalts, der einfachgesetzlichen Rechtslage und der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts.

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Der angegriffene Beschluss des [X.]s vom 2. März 2016 und die Bewilligungsentscheidung der [X.] vom 3. März 2016 verstoßen gegen Art. 16 Abs. 2 GG.

1. Art. 16 Abs. 2 GG schützt [X.] Staatsangehörige grundsätzlich vor Auslieferung. Ausnahmsweise ist eine Auslieferung gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zulässig, "soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind". Die damit verbundenen Anforderungen werden durch § 80 Abs. 1 und 2 [X.] konkretisiert, der zugleich die von Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses 2002/[X.] des Rates der [X.] über den [X.] Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ([X.] vom 18. Juli 2002 - RbEuHb -) eröffneten Spielräume ausfüllt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 13).

a) Vor diesem Hintergrund ist die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den konkreten Fall zwar grundsätzlich Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das [X.] entzogen (vgl. [X.]E 18, 85 <92 f.>; stRspr). Die Fachgerichte haben jedoch Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der [X.] gewahrt bleibt (vgl. [X.]E 7, 198 <205 ff.>; 115, 320 <367>; stRspr).

b) Mit dem Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen unter anderem die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen [X.] gewahrt werden. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche Voraussetzung der Freiheit, das heißt der Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seine Umsetzung. Zusammen mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet Art. 16 Abs. 2 GG das Vertrauen der Grundrechtsberechtigten darauf, dass ihr dem jeweils geltenden Recht entsprechendes Verhalten nicht nachträglich als rechtswidrig qualifiziert wird (vgl. [X.]E 113, 273 <301 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 15).

Dieses Vertrauen des Verfolgten in die eigene Rechtsordnung ist von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Handlung ganz oder teilweise auf [X.]m Staatsgebiet, auf [X.] Schiffen und Luftfahrzeugen oder an Orten unter [X.] Hoheitsgewalt begangen wurde. Straftatvorwürfe mit einem insofern maßgeblichen Inlandsbezug sind bei tatverdächtigen [X.] Staatsangehörigen prinzipiell im Inland durch [X.] Strafermittlungsbehörden aufzuklären (vgl. [X.]E 113, 273 <302>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 16).

aa) Ein maßgeblicher Inlandsbezug liegt jedenfalls dann vor, wenn wesentliche Teile des Handlungs- und Erfolgsortes auf [X.]m Staatsgebiet liegen. In dieser Konstellation treffen die Verantwortung des Staates für die Unversehrtheit seiner Rechtsordnung und die grundrechtlichen Ansprüche des Verfolgten dergestalt zusammen, dass regelmäßig ein Auslieferungshindernis entsteht. Wer als [X.] im eigenen Rechtsraum eine Tat begeht, muss grundsätzlich nicht mit einer Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen. Für den Verfolgten bedeutet die Überstellung in eine andere, auch in eine durch die [X.] Integration näher gerückte, mitgliedstaatliche Rechtsordnung nicht nur eine verfahrensrechtliche Schlechterstellung, die in [X.], kulturellen Unterschieden sowie andersartigem Prozessrecht und Verteidigungsmöglichkeiten liegen kann. Sie bindet ihn auch im Ergebnis an ein materielles Strafrecht, das er demokratisch mitzugestalten nicht in der Lage war, das er - anders als das [X.] Strafrecht - nicht kennen muss und das ihm in vielen Fällen wegen mangelnder Vertrautheit der jeweiligen nationalen öffentlichen Kontexte auch keine hinreichend sichere Parallelwertung in der [X.] erlaubt ([X.]E 113, 273 <302 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 17).

bb) Anders fällt die Beurteilung aus, wenn die vorgeworfene Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug hat. Wer in einer anderen Rechtsordnung handelt, muss damit rechnen, auch hier zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der [X.] begangen wurde und der Erfolg dort eingetreten ist ([X.]E 113, 273 <303>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 18).

cc) Während in den genannten Fallgestaltungen das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung in aller Regel vorgezeichnet ist, bedarf es wegen der norminternen Direktiven von Art. 16 Abs. 2 GG der konkreten Abwägung im Einzelfall, wenn ganz oder teilweise in [X.] gehandelt worden, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen werden insbesondere das Gewicht des [X.] und die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines [X.] verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen sein (vgl. [X.]E 113, 273 <303>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 19).

dd) Soweit der Gesetzgeber die ihm durch Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a RbEuHb eröffneten Spielräume nicht durch tatbestandliche Konkretisierung nutzt, hat er mit seinem gesetzlichen Prüfungsprogramm dafür Sorge zu tragen, dass die das Gesetz ausführenden Stellen in einem Auslieferungsfall in eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen eintreten ([X.]E 113, 273 <303>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 20). Das Grundgesetz fordert insbesondere bei der Auslieferung von eigenen Staatsangehörigen die konkrete Prüfung in jedem Einzelfall, ob die entsprechenden Rechte des Verfolgten gewahrt sind. Diese Prüfung ist gerade auch deshalb notwendig, weil die souveräne Strafgewalt anderer [X.] prinzipiell nicht an das Territorialitätsprinzip gebunden ist und nach klassischer völkerrechtlicher Vorstellung neben dem Erfordernis eines geringfügigen Bezuges der inkriminierten Handlung zum strafenden Staat dadurch begrenzt wird, dass es die freie Entscheidung aller anderen [X.] ist, ob sie Rechtshilfe in Strafsachen leisten. Insofern hat der Rahmenbeschluss lediglich das Muster einer gerichtlich nicht kontrollierbaren politischen Entscheidung hin zu einer juristischen Abwägung verschoben, bei der die Vereinfachungsziele des Rahmenbeschlusses angemessen zu würdigen sind (vgl. [X.]E 113, 273 <304>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 20).

2. Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Das [X.] wie auch die Generalstaatsanwaltschaft haben bei der Anwendung des § 80 Abs. 1 [X.] Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG verkannt, weil dieses von den das Gesetz ausführenden Stellen verlangt, in eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen einzutreten, wenn ein [X.] ausgeliefert werden soll und ganz oder teilweise in [X.] gehandelt worden ist. § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] trägt dem insofern Rechnung, als die Auslieferung eines [X.] nur zulässig ist, wenn die Tat einen "maßgeblichen" Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist.

a) Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das [X.] und die Generalstaatsanwaltschaft den durch den besonderen Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 2 GG erteilten Abwägungsauftrag gesehen hätten. Sie sind mit Blick auf die Bejahung des "maßgeblichen" [X.] insbesondere nicht in eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Belange eingetreten und haben das nach Art. 16 Abs. 2 GG geschützte Vertrauen des Beschwerdeführers in die [X.] Rechtsordnung daher nicht im Einzelfall gewichtet.

b) Das [X.] wie auch die Generalstaatsanwaltschaft gehen zwar davon aus, dass sich der maßgebliche Bezug der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tat zum ersuchenden Staat im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] daraus ergebe, dass der Beschwerdeführer die Tat in [X.] zum Nachteil eines (zumindest auch) [X.] Staatsangehörigen begangen haben soll. Dies ist insofern zutreffend, als dem Beschwerdeführer im [X.] Haftbefehl vorgeworfen wird, in einem Wald in [X.] das Opfer getötet und dessen Fahrzeug entwendet zu haben.

Sie gehen jedoch nicht darauf ein, dass womöglich alle Beteiligten die [X.] Staatsangehörigkeit besaßen, ihren Wohnsitz im Inland haben beziehungsweise hatten, die Tat in [X.] geplant wurde und hier möglicherweise ihren Anfang genommen hat. Aus dem in den Akten des Ausgangsverfahrens enthaltenen Vernehmungsprotokoll des N… vom 22. Juli 2015 ergibt sich, dass die Tat durch eine auf [X.] stattgefundene Betäubung des Opfers ihren Anfang genommen haben könnte. [X.] und Generalstaatsanwaltschaft hätten auf diese Umstände näher eingehen müssen. Sie hätten auch darlegen müssen, weshalb es sich, wie von der [X.] in ihrer Stellungnahme angedeutet, insoweit um eine reine Vorbereitungshandlung handelt, die keinen Tatort und daher auch keinen Inlandsbezug begründet (vgl. Böse, in: [X.]/[X.]/[X.], Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 80 [X.] Rn. 21 m.w.N.).

c) Hieraus folgt allerdings nicht, dass eine Auslieferung des Beschwerdeführers nach [X.] unzulässig wäre. Es erscheint denkbar, dass sich nicht alle für einen Inlandsbezug angeführten Gesichtspunkte erhärten lassen und das [X.] trotz des von Art. 16 Abs. 2 GG geschützten Vertrauens, trotz der [X.] Staatsangehörigkeit der Beteiligten einschließlich des Opfers, trotz ihres Wohnsitzes im Inland und trotz der in [X.] belegenen Hintergründe und Motive der vorgeworfenen Tat zu dem Ergebnis gelangt, dass die für eine Auslieferung sprechenden Belange - der untergeordnete Charakter der vor Erreichen der [X.] Grenze durchgeführten Handlungen, die praktischen Möglichkeiten der effektiven Strafverfolgung (wie z.B. die Verfügbarkeit der maßgeblichen Beweismittel) und die mit der Schaffung eines [X.] verbundenen Ziele, insbesondere das mit dem Rahmenbeschluss über den [X.] Haftbefehl verfolgte Ziel der Vereinfachung der Auslieferungsverfahren (vgl. Erwägungsgrund 5 Präambel RbEuHb) - die von Art. 16 Abs. 2 GG geschützten Belange überwiegen. Dies bedarf, um den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu genügen, jedoch einer detaillierten und vollständigen Abwägung der für und gegen einen "maßgeblichen" Auslandsbezug sprechenden Belange. Dabei dürfen die grundrechtlich geschützten Interessen des Beschwerdeführers nicht leichtfertig mit dem Hinweis darauf überspielt werden, dass die [X.] Behörden um Rechtshilfe ersucht werden müssten und den [X.] Stellen dadurch ein zusätzlicher Arbeits- und [X.]aufwand entstünde.

1. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 [X.].

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

2 BvR 468/16

15.06.2016

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend KG Berlin, 2. März 2016, Az: (4) 151 AuslA 218/15 (10/16), Beschluss

Art 16 Abs 2 S 1 GG, Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 4 Nr 7 Buchst a EGRaBes 584/2002, § 79 Abs 2 IRG, § 80 Abs 1 S 1 Nr 1 IRG, § 83b IRG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.06.2016, Az. 2 BvR 468/16 (REWIS RS 2016, 9930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9930

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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 545/16

2 BvR 1238/14

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2 BvR 1860/15

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