Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.11.2005, Az. 2 StR 389/05

2. Strafsenat | REWIS RS 2005, 1047

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 389/05 vom 2. November 2005 in der Strafsache gegen

wegen schweren Raubes
- 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 2. November 2005, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.]

und [X.] am [X.] [X.], [X.]in am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] Prof. [X.], [X.],

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt: - 3 - Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 2. Mai 2005 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tra-gen.
Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren Raubs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrem wirksam auf den Strafausspruch be-schränkten und auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel, dass das [X.] bei dem Angeklagten für die zu beurteilende [X.] wegen "ex-orbitant hohen Suchtverlangens" nach andauerndem Konsum von Crack eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit für nicht ausschließbar er-achtet und deshalb eine Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hat. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat keinen [X.]. Die Beurteilung des [X.]s, die Steuerungsfähigkeit des Angeklag-ten sei nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen und die Strafrah-menmilderung halten der sachlich-rechtlichen Prüfung stand. - 4 - 1. Das [X.] hat zum Drogenkonsum und dem Tatgeschehen festgestellt: a) Der Angeklagte hatte erstmals in der berufsbildenden Schule Kontakt mit Drogen und rauchte gelegentlich Haschisch. Den [X.] [X.] er in der Folgezeit und es kam zum [X.] von Alkohol. Vor allem an Wochenenden begann er, Amphetamin zu schnupfen. Nach phasenweisem [X.] von Ecstasy und LSD schnupfte er ab Anfang 2003 Kokain, wobei der durchschnittliche Konsum 2 bis 3 Gramm pro Tag erreichte. Den Beikon-sum von Haschisch und Alkohol setzte er fort. Zum Jahreswechsel 2003/2004 begann der Angeklagte Kokain zu rau-chen, das er bevorzugt mit Ammoniak zu Crack verkochte. Fortan konsumierte er regelmäßig Crack, oft zusammen mit dem Mittäter [X.] zuletzt täglich 2 bis 3 Gramm. Die erforderlichen Geldmittel erlangte der Angeklagte u.a. aus [X.]. Im Zusammenhang mit seinem Drogenkonsum befand sich der Ange-klagte mehrfach in der psychiatrischen Universitätsklinik [X.]. Unmittelbar nach seiner Verhaftung befand sich der Angeklagte zur Klä-rung seiner Haftfähigkeit erneut in der Klinik. Es wurden Politoxikomanie und eine Mischintoxikation mit Alkohol, Kokain und THC festgestellt. Anfangs traten kurzzeitige akustische Wahrnehmungsstörungen/Halluzinationen auf, die [X.] behandelt werden mussten. Im Übrigen war der psychopathologi-sche Befund jedoch unauffällig. b) Als der Angeklagte am Tattag (5. November 2004) den befreundeten [X.] traf, verfügte er über 2 Gramm Kokain. In der Wohnung des [X.] verkochten sie das Kokain mit Ammoniak zu "Cracksteinen", die sie anschließend rauch-- 5 - ten. Dazu tranken sie 0,7 l Kräuterlikör. Gegen 19.00 Uhr hatten beide das Crack vollständig konsumiert. Nachdem die jeweils nur wenige Minuten andau-ernde berauschende Wirkung des letzten Steins nachgelassen hatte, "gierten" der Angeklagte und [X.] nach weiterem Kokain. Da beide kein Geld hatten, schlug der Angeklagte vor, eine Tankstelle zu überfallen. [X.] lehnte dies [X.] ab. Die beiden trennten sich, trafen aber 20.45 Uhr erneut zusammen. Der Angeklagte hatte kein weiteres Kokain oder Crack erlangen können, [X.] hatte jedoch 1 bis 1,5 Gramm Kokain beschaffen können. Nachdem auch die-ses Kokain zu Crack verkocht und gemeinsam konsumiert worden war, drängte der Angeklagte aus Angst vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm erlebt hatte und nahe bevorstehend einschätzte, den [X.] erneut, gemeinsam die Tankstelle zu überfallen, um Geld zum Erwerb weiteren Cracks zu erlangen. [X.] war nunmehr einverstanden. Er fuhr mit dem Angeklagten, der als Drohmittel einen Teleskopschlagstock mitführte, zu der Tankstelle. Als [X.] erneut Bedenken bekam, forderte ihn der Angeklagte zum Weitermachen auf. Sodann betraten sie maskiert den Verkaufsraum. Während [X.] die Eingangstür blockierte, bedrohte der Angeklagte den herbeigerufenen Tankwart mit seinem Schlagstock und verlangte Geld. Der Angeklagte nahm insgesamt 2.800 • aus der offenen Kasse. Der Angeklagte und [X.] flüchteten und teilten kurz danach die Beute. Mit einem Taxi fuhren sie von [X.] nach [X.], um Drogen zu kaufen. Der Angeklagte erwarb für 500 • konsumfertiges Crack und für 200 • Haschisch. Er trennte sich vorübergehend von [X.], konsumierte einen Teil des Cracks und gab 200 • in einem [X.] aus. Nach zwei Stunden trafen sich der Angeklagte und [X.] wieder und konsumierten weiter von dem [X.]. Gegen 5.00 Uhr fuhren sie nach [X.] zurück. Dort setzte der An-geklagte den [X.] fort bis nichts mehr übrig war. Noch am [X.] desselben Tages wurde der Angeklagte festgenommen. - 6 - c) Das sachverständig beratene [X.] meint, nicht ausschließen zu können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung erheblich vermindert war. Dies ergebe sich zwar noch nicht allein aus der Drogenabhängigkeit des Angeklag-ten. Auch konnten in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverstän-digen Prof. Dr. G. weder schwerste Persönlichkeitsveränderungen infolge des Drogenkonsums festgestellt werden, noch bestanden zur Tatzeit bereits starke Entzugserscheinungen, der Angeklagte befand sich auch nicht in einem akuten Drogenrausch. Das [X.] kommt jedoch auf Grund einer Würdigung der gesamten Tatumstände - insoweit abweichend von der Beurteilung des Sach-verständigen - zu dem Ergebnis, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aus Angst vor weiterem Entzugserle-ben, das der Angeklagte als unmittelbar bevorstehend einschätzte, einge-schränkt und er hierdurch zu der Tat getrieben wurde. 2. Die Erwägungen mit denen das [X.] eine erhebliche [X.] der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung für nicht ausschließbar erachtet hat, halten im Ergebnis der sachlich-rechtlichen Prü-fung stand. Die von der Beschwerdeführerin hiergegen vorgebrachten [X.] greifen nicht durch. a) Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des [X.], dass die Anwendung des § 21 StGB bei Beschaffungsdelikten eines Rauschgiftabhängigen nicht in jedem Fall davon abhängt, dass er zur Tatzeit unter akuten körperlichen Entzugserscheinungen gelitten hat. Es ist vielmehr nicht ausgeschlossen, dass die Angst des [X.] vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm ("grausamst") erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, sein Hemmungsvermögen erheblich beeinträchtigen - 7 - kann. Ausdrücklich ist dies bisher für Fälle der Abhängigkeit von Heroin ange-nommen worden (vgl. [X.] 1989, 831; NStZ 2001, 83, 84; NStZ-RR 1997, 227; BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5, 7, 9, 11 jew. m.w.N.). Der [X.] hat jedoch die Anwendung dieses Grundsatzes auch auf Fälle der Abhängigkeit von Kokain (vgl. BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 10, 12) und Amphetamin (vgl. [X.], 83, 84) trotz der bei den ver-schiedenen Drogen unterschiedlichen Entzugsfolgen nicht von vornherein aus-geschlossen. Ob bei [X.] aufgetretene [X.] oder Angst vor Entzugserscheinungen zu einer erheblichen Ver-minderung der Steuerungsfähigkeit geführt haben, ist eine Frage, die der [X.] und nicht der Sachverständige zu entscheiden hat. Dabei ist insbeson-dere auf die konkrete Erscheinungsform der Sucht bei dem zu beurteilenden Täter abzustellen. Auch die Verlaufsform der Sucht und die suchtbedingte [X.] sind in die notwendige Ge-samtwürdigung des Zustands einzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5 m.w.N.). b) Diesen Anforderungen trägt das angefochtene Urteil noch hinreichend Rechnung. Der hinzugezogene Sachverständige hat zwar bei dem [X.] Angeklagten eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Zusammenhang mit Ängsten vor drohenden Entzugserscheinungen bereits deshalb verneint, weil sie nur bei solchen Giften in Betracht komme, deren [X.] mit einer körperlichen Abstinenzsymptomatik verbunden sei und diese Vor-aussetzung sowohl für Kokain als auch für Amphetamin nicht gegeben sei. Dies entspricht aber nicht den von der oben dargelegten Rechtsprechung hier-zu entwickelten Grundsätzen. - 8 - c) Das [X.] hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte bereits zuvor den Drogenentzug als in hohem Maße unangenehm erlebt hat. Dass der Angeklagte bei der Tatbegehung unter "exorbitant hohem Sucht-druck" stand, wird durch das Nachtatverhalten mit dem sofortigen Kauf von neuem Crack und dessen alsbaldigen vollständigen Verbrauch deutlich belegt. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.] eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der hier zu be-urteilenden [X.] als nicht ausschließbar angesehen hat. 3. Auch die Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB ist nicht zu beanstanden. Ihr stehen keine schulderhöhenden Umstände entgegen. 4. Die aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten des Angeklagten gebotene Prüfung des Strafausspruchs (§ 301 StPO) hat kei-nen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. [X.] Bode [X.]

Fischer

Appl

Meta

2 StR 389/05

02.11.2005

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.11.2005, Az. 2 StR 389/05 (REWIS RS 2005, 1047)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1047

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 362/20 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit: Erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei einem Betäubungsmittelabhängigen


1 StR 310/00 (Bundesgerichtshof)


1 StR 15/12 (Bundesgerichtshof)

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei Beschaffungskriminalität: Steuerungsfähigkeit bei Drogenabhängigkeit, schweren Entzugserscheinungen und bei bevorstehenden Entzugserscheinungen; Aussagekraft …


5 StR 36/13 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit bei Beschaffungsdelikten: Angst vor bevorstehenden Entzugserscheinungen als Schuldminderungsgrund bei unschwerem Zugriff auf Cannabis …


1 StR 15/12 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.