Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2017, Az. IV ZR 551/15

4. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 2755

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Besonderer Gerichtsstand des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers: Anwendbarkeit auf juristische Personen


Leitsatz

§ 215 Abs. 1 Satz 1 VVG erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz im Sinne des § 17 ZPO abzustellen ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] - 14. Zivilsenat - vom 17. Dezember 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in [X.], verlangt von der [X.], einem Versicherer mit Sitz in [X.], aus bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung sowie aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung die Erstattung des [X.] zu einer Lebensversicherung mit Vermögensverwaltung.

2

Die Versicherung wurde im [X.] gegen Zahlung einer [X.] von 20.000 € abgeschlossen. Versicherungsnehmerin war die [X.] Versicherungsvermittlung. Dem Versicherungsvertrag lagen Allgemeine Versicherungsbedingungen (im Folgenden: [X.]) der [X.] zugrunde, die folgende Regelung enthalten:

"§ 22. Wo ist der Gerichtsstand?

(1) Ansprüche aus Ihrem Versicherungsvertrag können gegen uns bei dem für unseren Geschäftssitz örtlich zuständigen Gericht geltend gemacht werden. Ist Ihre Versicherung durch Vermittlung eines Versicherungsvertreters zustande gekommen, kann auch das Gericht des Ortes angerufen werden, an dem der Vertreter zur Zeit der Vermittlung seine gewerbliche Niederlassung oder, wenn er eine solche nicht unterhielt, seinen Wohnsitz hatte.

..."

3

Der Vertragsschluss wurde durch einen Versicherungsmakler vermittelt, der hierbei Informationsbroschüren verwandte. Die Klägerin, die angibt, jetzt Versicherungsnehmerin zu sein, macht geltend, dass die Angaben in diesen Broschüren nicht ordnungsgemäß seien, weshalb die Beklagte ihr zum Schadensersatz verpflichtet sei.

4

Das [X.] hat ihre auf [X.] gerichtete Klage mangels internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts als unzulässig abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten den Widerspruch nach § 5a [X.] erklären lassen und das geltend gemachte Rückforderungsbegehren auch hierauf gestützt. Das [X.] hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat keinen Erfolg.

6

I. Das Berufungsgericht hat in seiner angefochtenen Entscheidung ([X.], 213) ausgeführt, die [X.] Gerichte seien im Streitfall international zuständig.

7

Mangels Sitzes der Beklagten in [X.] bestimme sich die internationale Zuständigkeit grundsätzlich gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 ([X.]) nach dem nationalen Zuständigkeitsrecht der lex fori. Ferner werde die in § 22 Abs. 1 [X.] enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung nicht von Art. 23 [X.] erfasst und zwar auch nicht in ihrer Wirkung einer möglichen [X.] der Zuständigkeit [X.] Gerichte. Art. 23 [X.] regele allein Gerichtsstandsvereinbarungen, die eine Prorogation zugunsten eines mitgliedstaatlichen Gerichts anordneten.

8

Damit sei autonomes [X.] internationales Zuständigkeitsrecht maßgeblich, aus dessen § 215 Abs. 1 [X.] sich die Zuständigkeit [X.] Gerichte ergebe. Die Regelung sei hier in zeitlicher Hinsicht einschlägig. Für ihre Anwendbarkeit könne offen bleiben, ob Versicherungsnehmerin aktuell die klagende GmbH oder deren Geschäftsführerin als natürliche Person sei. Die Vorschrift erfasse nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen und sei auch auf Versicherungsnehmer anwendbar, die nach Vertragsschluss insbesondere im Wege der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme in die Vertragsstellung des bisherigen Versicherungsnehmers eingerückt seien. Dem Wortlaut sei eine Beschränkung in personeller Hinsicht nicht ohne weiteres zu entnehmen. Die Einbeziehung von juristischen Personen in den Anwendungsbereich bewege sich noch innerhalb des Wortlauts, wobei der Begriff des Wohnsitzes insoweit berichtigend als Sitz im Sinne von § 17 ZPO interpretiert werden müsse. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber den Ausschluss juristischer Personen gewollt habe. Vor allem entspreche es insgesamt der Systematik und Zielsetzung des [X.], den Schutz des Versicherungsnehmers grundsätzlich nicht davon abhängig zu machen, ob eine natürliche Person bzw. ein Verbraucher Versicherungsnehmer sei.

9

II. Das hält rechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu Recht bejaht.

1. Es hat richtig erkannt, dass die nationalen Zuständigkeitsvorschriften hier nicht durch die Regelungen der [X.] oder des [X.] vom 30. Oktober 2007 ([X.]) verdrängt werden. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 1. Juni 2016 ([X.], [X.], 277 Rn. 14) und in dem ebenfalls die hiesige Beklagte betreffenden Urteil vom 8. März 2017 ([X.], [X.], 779 Rn. 12) entschieden. Die internationale Zuständigkeit für die Klage ergibt sich danach mittelbar aus den nationalen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (Senatsurteile vom 8. März 2017 aaO Rn. 13; vom 1. Juni 2016 aaO Rn. 15 m.w.N.), hier aus § 215 Abs. 1 Satz 1 [X.].

a) Die Vorschrift ist in sachlicher Hinsicht einschlägig, weil sie auch Klagen erfasst, die auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses nach Widerspruch sowie auf Schadensersatz aus [X.] bei Anbahnung des Versicherungsvertrages - einschließlich eventueller Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren und weiteren Sinne - gerichtet sind (Senatsurteil vom 8. März 2017 aaO Rn. 15 f.).

b) § 215 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obgleich der Versicherungsvertrag noch vor der Reform des Versicherungsvertragsrechts abgeschlossen wurde. Wie der Senat in seinem Urteil vom 8. März 2017 (aaO) entschieden und eingehend begründet hat, ist die neue [X.] gemäß Art. 12 Abs. 1 des [X.] vom 23. November 2007 ([X.]) seit dem 1. Januar 2008 geltendes Recht, das unabhängig vom [X.]punkt des Vertragsschlusses anzuwenden ist (aaO Rn. 23 ff.).

c) Der Anwendung von § 215 Abs. 1 Satz 1 [X.] steht ferner nicht entgegen, dass es sich bei der Klägerin, die nach ihrem der Zuständigkeitsprüfung zugrunde zu legenden Vortrag inzwischen Versicherungsnehmerin ist, weder um einen Verbraucher noch um eine natürliche Person handelt.

aa) Die Norm begründet für Klagen aus dem Versicherungsvertrag die Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur [X.] der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ob sie auch einschlägig ist, wenn es sich bei dem Versicherungsnehmer um eine juristische Person handelt, wird unterschiedlich beurteilt.

Dies wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Vorschrift abgelehnt, weil er eine natürliche Person voraussetze, eine juristische Person aber weder einen "Wohnsitz" noch einen "gewöhnlichen Aufenthalt" haben könne ([X.], 67, 68; [X.], 1629; [X.], 481; [X.], 1395, 1396; [X.], 609; [X.], 338; LG Ravensburg [X.], 216; [X.]/[X.] in PK-[X.], 3. Aufl. § 215 Rn. 13 f.; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 29. Aufl. § 215 Rn. 11 f.; von [X.] in [X.]/Matusche-[X.], [X.] 3. Aufl. § 23 Rn. 6 f.; [X.] in [X.]/[X.], Das Neue [X.] kompakt 4. Aufl. Rn. 1489; [X.], [X.], 298, 307; [X.], [X.], 161, 162 ff.). Einige fordern überdies, dass der Versicherungsnehmer Verbraucher sein müsse (HK-[X.]/Muschner, 3. Aufl. § 215 Rn. 11; [X.]/[X.], BB 2007, 2689, 2701).

Nach der Gegenansicht können auch juristische Personen Versicherungsnehmer im Sinne des § 215 Abs. 1 Satz 1 [X.] sein ([X.], 1422, 1423 f.; [X.], Urteil vom 9. September 2013 - 14 O 322/12, juris Rn. 14; [X.] in Bruck/[X.], 9. Aufl. § 215 Rn. 10 ff.; [X.] in Langheid/[X.], [X.] 5. Aufl. § 215 Rn. 2; [X.] in [X.], [X.] 3. Aufl. § 215 Rn. 5; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 215 Rn. 14; [X.]/[X.]beck, Allgemeines Versicherungsvertragsrecht 2. Aufl. § 9 Rn. 20; Armbrüster, [X.], 441, 456; [X.]/Rajkowski, [X.], 1559; [X.], [X.], 15, 16; [X.]/[X.]ig, [X.], 265, 266 f.; [X.], [X.], 1589; für eine analoge Anwendung des § 215 [X.] insoweit: [X.], [X.]. U. Rn. 13; [X.], Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. [X.] Rn. 99; [X.], [X.] 2015, 361, 362).

bb) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung. § 215 Abs. 1 Satz 1 [X.] erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz im Sinne des § 17 ZPO abzustellen ist.

Zwar lässt die reine Wortlautinterpretation ein abweichendes Verständnis möglich erscheinen. Bei dieser darf die Auslegung aber nicht Halt machen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist vielmehr der zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, dessen Erfassung die nebeneinander zulässigen, sich ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, aus ihrem Zusammenhang, aus ihrem Zweck sowie aus den [X.] und der Entstehungsgeschichte dienen ([X.], Beschluss vom 12. Dezember 2007 - [X.], [X.], 120 Rn. 14 f. m.w.N.). Nach dieser Maßgabe ist davon auszugehen, dass juristische Personen als Versicherungsnehmer im Rahmen des § 215 [X.] nicht anders behandelt werden sollen als natürliche Personen oder Verbraucher.

(1) Entgegen der Auffassung der Revision ist schon die Wortlautauslegung nicht eindeutig. So ist in der Norm - abweichend von der Regelung des § 29c ZPO, an der sich der Gesetzgeber bei der Fassung von § 215 [X.] orientierte (vgl. Regierungsentwurf BT-Drucks. 16/3945 S. 117) - nicht vom Verbraucher die Rede oder von einer natürlichen Person, obgleich dem [X.] diese Begriffe nicht fremd sind (vgl. § 7 Abs. 5 Satz 2, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]; ähnlich: [X.] aaO Rn. 10; MünchKomm-[X.]/[X.] aaO Rn. 13). Für eine entsprechende Einschränkung des [X.] der Versicherungsnehmer lässt sich lediglich anführen, dass juristische Personen weder über einen Wohnsitz noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt verfügen.

(2) Gegen ein solch begrenztes Verständnis spricht aber - worauf das Berufungsgericht zu Recht abstellt - in systematischer Hinsicht, dass das [X.] den Versicherungsnehmer grundsätzlich unabhängig von seiner Rechtsform oder seiner eventuellen Verbrauchereigenschaft schützt (vgl. Abschlussbericht der [X.] vom 29. April 2004, S. 21 f.; so auch [X.] aaO 1423; [X.] aaO; MünchKomm-[X.]/[X.] aaO Rn. 13; [X.]beck/[X.] aaO Rn. 19; [X.]/[X.]ig aaO 267). Insofern ist nicht entscheidend, ob juristischen Personen, wie die Revision einwendet, anders als natürlichen Personen das Merkmal der strukturellen Unterlegenheit fehlt (ähnlich [X.]/[X.] aaO Rn. 14; [X.] aaO 164). Eine entsprechende Differenzierung nach der Rechtspersönlichkeit sieht das Gesetz bei seinen Schutzvorschriften zugunsten des Versicherungsnehmers, insbesondere bei den Regelungen zu den Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers nach den §§ 6, 7 [X.] und zum Widerrufsrecht nach den §§ 8, 9 [X.] nicht vor. Sie ist auch im Übrigen nicht erkennbar.

(3) Insbesondere die Gesetzgebungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 215 [X.] sprechen für die Anwendbarkeit der Norm auch auf juristische Personen.

Dass sich der Gesetzgeber - wie die Revision meint - von der Erwägung leiten ließ, es sei natürlichen anders als juristischen Personen in typisierender Betrachtungsweise weniger zumutbar, sich zur Durchsetzung ihrer Ansprüche eines entfernteren Gerichtsstands zu bedienen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr sollten mit der Einführung der Norm die Unklarheiten und Streitigkeiten des bisherigen § 48 [X.] ausgeräumt werden, der mit der Reform des [X.]es außer [X.] trat (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 117).

Diese Norm, die unter anderem die Zuständigkeit eines Gerichts begründen sollte, das in der Regel den bei der Entscheidung des Rechtsstreits in Betracht kommenden tatsächlichen Verhältnissen näher steht und die erforderlichen Beweise leichter sowie schneller erheben kann als das Gericht am Sitz des Versicherers (Motive zum [X.], Neudruck 1963 S. 122), schloss - wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt - unstreitig juristische Personen als Versicherungsnehmer mit ein ([X.] aaO 1423; [X.] aaO Rn. 11; [X.]/[X.]ig aaO 267). Die mit der Vorschrift verbundenen Probleme, die der Gesetzgeber zu beheben suchte, bestanden nicht in der unbeschränkten Einbeziehung der verschiedenen Versicherungsnehmergruppen (vgl. BT-Drucks. 16/3945 aaO). Vielmehr trifft die genannte gesetzgeberische Erwägung, die der alten Vorschrift auch zugrunde lag und nicht auf die Person des Versicherungsnehmers abstellte, in gleicher Weise für die Neuregelung zu. Danach spricht nichts dafür, dass die Neuregelung eine Verschlechterung der Rechtsstellung der juristischen Personen als Versicherungsnehmer zur Folge haben sollte (so auch: [X.] aaO; MünchKomm-[X.]/[X.] aaO Rn. 9; [X.] aaO 1589). Mit Blick darauf ist die fehlende Aufnahme des Begriffs "Sitz" in den Wortlaut der Vorschrift nicht als bewusste Auslassung (a.A. [X.]/[X.] aaO Rn. 14), sondern als redaktionelles Versehen des Gesetzgebers anzusehen.

Abweichendes folgt nicht daraus, dass die [X.] (BT-Drucks. 16/3945 S. 117) einen ausdrücklichen Hinweis auf die verbraucherschützende Wirkung der Vorschrift enthalten (so aber [X.] aaO; [X.] aaO Rn. 12). Vielmehr kann die entsprechende Passage in der Begründung des Gesetzesentwurfs entgegen der Ansicht der Revision mit dem Berufungsgericht auch so verstanden werden, dass die Regelung neben anderen Zwecken der Stärkung des prozessualen Rechtsschutzes des Verbrauchers dienen soll, was einem weiten Verständnis der Vorschrift nicht entgegenstünde (vgl. [X.] aaO 1423; [X.] aaO Rn. 12; [X.] aaO Rn. 2; [X.]/[X.] aaO Rn. 11).

(4) Schließlich steht die weite Auslegung des Versicherungsnehmerbegriffs in § 215 [X.], soweit es um die internationale Zuständigkeit geht, in Einklang mit Art. 9 Abs. 1 Buchst. b [X.]. Danach kann ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, unter anderem bei Klagen des Versicherungsnehmers in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat. Wohnsitz ist dabei auch der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung einer juristischen Person (Art. 60 Abs. 1 [X.]). Anhaltspunkte dafür, dass der [X.] Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der nationalen Vorschriften zum Schutz des Versicherungsnehmers für außerhalb des Geltungsbereichs der [X.] liegende Sachverhalte hinter deren Schutzniveau zurückbleiben wollte, sind nicht ersichtlich (vgl. [X.], Urteil vom 30. Oktober 2014 - [X.], [X.], 2414 Rn. 25; [X.] aaO; so auch [X.], [X.] 2015, 361, 364).

2. Der damit gegebene [X.] Gerichtsstand konnte nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten derogiert werden.

a) Dabei kann dahinstehen, ob § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] - wie die Revision meint - überhaupt im Sinne der Abbedingung des [X.] Gerichtsstands verstanden werden kann. Schon die tatbestandlichen Voraussetzungen einer zulässigen Vereinbarung nach § 215 Abs. 3 [X.] sind nicht gegeben. Eine darüber hinausgehende Wahl des zuständigen Gerichts sieht das Gesetz nicht vor (Senatsurteil vom 1. Juni 2016 - [X.], [X.], 277 Rn. 16 m.w.N.).

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer erweiterten Anwendung des Art. 23 [X.], für die entgegen der Meinung der Revision im Streitfall kein Raum ist.

Die Vorschrift kann im Falle entsprechender Parteivereinbarung die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedsstaats begründen. Zwar wird in der Literatur vertreten, dass sich bei Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem Drittstaat der [X.]seffekt der Absprache ebenfalls nach Art. 23 [X.] bestimmen soll, um eine einheitliche Beurteilung der [X.] in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten (vgl. [X.] in [X.]/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 41; [X.]/Mankowski, [X.]/[X.] (2011) Art. 23 [X.] Rn. 3b; [X.] in Musielak/[X.], ZPO 12. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 2; [X.]/[X.], ZPO 30. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 12; [X.], Internationales Zivilverfahrensrecht 6. Aufl. Rn. 531; [X.] in Festschrift [X.], 2006 S. 343, 354; [X.]ze/[X.], [X.] 2005, 224, 228; [X.]/[X.], [X.] 2012, 43, 46, 48). Der [X.] ist insofern aber nicht einheitlich. Einige wollen die Zulässigkeit der [X.] nur dann an Art. 23 [X.] messen, wenn sie auf den Ausschluss einer nach der [X.] gegebenen Zuständigkeit gerichtet ist ([X.], [X.]/Mankowski, [X.] und [X.]ze/[X.], jeweils aaO). Andere stellen darauf ab, ob mindestens in zwei Mitgliedstaaten gegebene Zuständigkeiten ausgeschlossen werden sollen (etwa [X.] aaO). Nach diesen beiden Ansichten ist die Ausnahmevorschrift hier nicht einschlägig, weil keine Zuständigkeit nach der [X.] abbedungen werden soll und außer der Zuständigkeit [X.] und [X.] Gerichte keine Zuständigkeit von Gerichten eines zweiten Mitgliedstaats in Betracht kommt.

Für die Revision spricht nur eine dritte Meinung, die allein die [X.] eines mitgliedstaatlichen Gerichts für ausreichend hält ([X.] und [X.]/[X.] aaO) und damit Art. 23 [X.] auch dann anwenden will, wenn die internationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ausgeschlossen werden soll, die sich allein aus dessen autonomem Recht ergibt. Diese Ansicht überzeugt nicht. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb das autonome Recht eines Mitgliedstaats, das eine Zuständigkeit seiner Gerichte begründet, nicht auch für deren Abbedingung durch Parteivereinbarung maßgebend sein soll. Im Übrigen hat der [X.] zur Vorgängervorschrift des Art. 23 [X.] entschieden, dass diese nicht auf eine Klausel angewandt werden könne, die als zuständiges Gericht das Gericht eines [X.] bezeichnet, sondern insoweit die lex fori des angerufenen Gerichts anwendbar sei (ZIP 2001, 213 Rn. 19 - "[X.]" unter Bezugnahme auf den Bericht von Prof. [X.] zu dem Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des [X.], [X.] und des [X.] zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, ABl. 1979 [X.] S. 71 Nr. 176). Damit in Einklang steht die bisherige Rechtsprechung des [X.] (vgl. Urteile vom 24. November 1988 - [X.], NJW 1989, 1431 unter IV 1 b und vom 20. Januar 1986 - [X.], NJW 1986, 1438 unter I). Diese Sicht entspricht auch für Art. 23 [X.] nach wie vor herrschender Meinung (Kropholler, [X.]. Art. 23 [X.] Rn. 14; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 4; [X.]/[X.], 4. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 9; Nagel/[X.], Internationales Zivilprozessrecht 7. Aufl. § 3 Rn. 191; [X.] in Reithmann/[X.]y, Internationales Vertragsrecht 8. Aufl. Rn. 8.18; [X.] in [X.]/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen 2. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 22; [X.] in [X.], ZPO 22. Aufl. Art. 23 [X.] Rn. 30; von [X.], [X.] 2006, 16, 17).

Die von der Revision angeregte Durchführung eines [X.] zur Auslegung der Norm nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) ist in Anbetracht der genannten Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] nicht veranlasst. Dem steht dessen Urteil in der Rechtssache "[X.]" ([X.]/02, [X.] 2005, 345) nicht entgegen, weil es - wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat - nicht erkennen lässt, dass der Gerichtshof darin von seiner Beurteilung von Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten eines [X.] Abstand genommen hat.

[X.]     

       

Harsdorf-Gebhardt     

       

Lehmann

       

Dr. Brockmöller     

       

Dr. Bußmann     

       

Meta

IV ZR 551/15

08.11.2017

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 17. Dezember 2015, Az: 14 U 3409/14, Urteil

§ 215 Abs 1 S 1 VVG, § 17 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2017, Az. IV ZR 551/15 (REWIS RS 2017, 2755)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 148-149 WM2017,2379 REWIS RS 2017, 2755


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZR 551/15

Bundesgerichtshof, IV ZR 551/15, 08.11.2017.


Az. 14 U 3409/14

OLG München, 14 U 3409/14, 17.12.2015.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 551/15 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 435/15 (Bundesgerichtshof)

Versicherungsvertrag: Anwendbarkeit der neuen Gerichtsstandsregelung auf Streitigkeiten aus Altverträgen


14 U 3409/14 (OLG München)

Gerichtsstand des § 215 Abs. 1 VVG: Zeitlicher und persönlicher Anwendungsbereich


IV ZR 435/15 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 80/15 (Bundesgerichtshof)

Rückabwicklung eines mit einer liechtensteinischen Gesellschaft geschlossenen Lebensversicherungsvertrages nach Widerspruch: Anwendbarkeit deutschen Sachrechts wegen Behandlung …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.