Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.01.2020, Az. 8 B 35/19

8. Senat | REWIS RS 2020, 11776

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Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 28. November 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 70 499,49 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich gegen zwei [X.]escheide über die Rückforderung von Hauptentschädigung für Anteile an der [X.] Er ist Erbeserbe nach seinen unmittelbar geschädigten Großeltern E. und [X.]. S. [X.]eide waren Gesellschafter der [X.], die in [X.] ein 1949/51 in Volkseigentum überführtes Webereiunternehmen betrieb. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Der Kläger erstrebt mit seiner [X.]eschwerde die Zulassung der Revision.

2

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Dazu hätte der Kläger eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen müssen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung zukäme. Daran fehlt es hier.

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Die aufgeworfene Frage,

ob und unter welchen Voraussetzungen das bisher angewendete Regel-Ausnahme-Prinzip bei eingeschränkten richterlichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten Geltung beanspruchen kann und welche Anforderungen an die Darlegung von Verfahrensmängeln im Einzelfall und bezogen auf jeden einzelnen Verfahrensfehler gestellt werden dürfen, wenn die [X.]barkeit doch erklärtermaßen insgesamt blockiert und verstopft ist,

wäre für das angestrebte Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Sie beruht auf der [X.]ehauptung des [X.], angesichts der Vielzahl der bei den Verwaltungsgerichten seit 2017 eingegangenen Asylklagen könne an der seines Erachtens restriktiven Rechtsprechung des [X.] zum Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht mehr festgehalten werden. Die aufgeworfene Frage betrifft allein die an eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde zu stellenden Darlegungsanforderungen. Sie steht in keinem Zusammenhang mit dem angestrebten Revisionsverfahren.

5

2. Die Revision ist nicht wegen eines [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

6

a) Der behauptete Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO liegt nicht vor. Der Kläger macht geltend, das angegriffene Urteil verletze § 138 Nr. 6 VwGO, weil ihm "jede Rechtsgrundlage und jede Rechtsauffassung des Gerichts" fehle. Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund - und damit zugleich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vor, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die [X.]egründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind. § 138 Nr. 6 VwGO ist verletzt, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den [X.] zu tragen (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Juli 2010 - 8 [X.] - juris Rn. 13 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

7

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung ausführlich begründet. Dabei hat es weitgehend die Ausführungen seines [X.]eschlusses vom 5. Oktober 2017, der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in gleicher Sache zwischen denselben [X.]eteiligten ergangen war, in den Urteilsgründen wiedergegeben. Das Verwaltungsgericht durfte wesentliche Teile seiner Urteilsgründe durch [X.]ezugnahme auf diesen [X.]eschluss und dessen Wiedergabe ersetzen, zumal er allen [X.]eteiligten bekannt war (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 1. Juni 2016 - 3 [X.] - [X.] 418.6 [X.] Nr. 25 Rn. 17 m.w.N.). Es hat die Rechtsgrundlage der Rückforderungen bezeichnet und deren Tatbestandsvoraussetzungen in nachvollziehbarer Weise erörtert. Insbesondere hat es sich mit der Frage der Objektidentität befasst und seine Auffassung dargelegt, dass der bei der Gewährung von Lastenausgleich zugrunde gelegte Schaden an den Anteilsrechten der [X.] mit dem vor dem [X.] geschlossenen Vergleich vollständig ausgeglichen worden sei. Der Vorwurf des [X.] entbehrt danach jeder Grundlage.

8

b) Die Revision ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. [X.] dieses Grundsatzes entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Fehler in der Sachverhalts- oder [X.]eweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 14. Juli 2010 - 10 [X.] 7.10 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4). Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind. Diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. Dezember 2018 - 8 [X.] 12.18 - juris Rn. 23). Der Kläger legt einen solchen als Verfahrensfehler einzuordnenden Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht dar.

9

Er macht sinngemäß geltend, die freie Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung des Gerichts sei durch die "[X.]eweisregel" des § 98 VwGO i.V.m. § 418 ZPO eingeschränkt; diese Einschränkungen habe das Verwaltungsgericht nicht beachtet. Das trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht, das keine [X.]eweisaufnahme im Sinne des § 98 VwGO durchgeführt hat, hat die Richtigkeit der in öffentlichen Urkunden bekundeten Tatsachen nicht in Frage gestellt. § 418 Abs. 1 ZPO bestimmt nur, dass die dort bezeichneten öffentlichen Urkunden vollen [X.]eweis der darin bezeugten Tatsachen begründen. Die [X.]eweiskraft öffentlicher Urkunden erstreckt sich auf das Zeugnis für die Abgabe der beurkundeten Erklärung sowie auf deren Richtigkeit. Sie entbindet das Verwaltungsgericht jedoch nicht davon, die beurkundeten Erklärungen auszulegen und rechtlich zu würdigen. Auf dieser Grundlage hat das Verwaltungsgericht das Urteil des [X.], die vor dem [X.] abgegebenen Erklärungen der dortigen Prozessparteien (einschließlich der Rücknahme des [X.]), den Prozessverlauf und den geschlossenen Vergleich interpretiert und gewürdigt. Es ist davon ausgegangen, dass mit der vor dem [X.] vereinbarten Zahlung in Höhe von 1 560 000 € nicht nur die Schäden der L. und R. OHG, sondern auch diejenigen der [X.] ausgeglichen worden seien. Das [X.]eschwerdevorbringen zeigt insoweit weder objektive Willkür noch einen Verstoß gegen die Denkgesetze auf. Die [X.]ehauptung sachwidriger Motive bleibt völlig unsubstantiiert. Dass der Kläger die Würdigung des [X.] nicht teilt, begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz.

Das Verwaltungsgericht hat auch keinen nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergangen. Es hat das Urteil des [X.] [X.]erlin, die vor dem [X.] am 21. Dezember 2010 abgegebenen Erklärungen der Parteien, den vor diesem Gericht geschlossenen Vergleich sowie den [X.]eschluss des [X.]s vom 16. Juni 2011 in seinem Urteil erörtert und gewürdigt ([X.] ff.). Dass es nicht jedes vom Kläger für relevant gehaltene Detail des Sachverhalts in seinem Urteil erwähnt und in dessen Tatbestand auch nicht das Schreiben der [X.]undesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben an das [X.] zur Regelung offener Vermögensfragen vom 28. Januar 2010 aufgenommen hat, begründet ebenfalls keinen Verfahrensmangel.

Mit dem [X.]eschwerdevorbringen, das verwaltungsgerichtliche Urteil habe den vor dem [X.] gestellten Antrag der dortigen Klägerin nicht erwähnt, ist keine [X.] dargetan. [X.] liegt nur bei einem zweifelsfreien, ohne weitere [X.]eweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen und dem Akteninhalt vor ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 24. Juni 2019 - 8 [X.] 33.18 - juris Rn. 14). Ein solcher Widerspruch ist hier nicht dargelegt. Dass das Verwaltungsgericht den [X.]erufungsantrag aus dem zivilgerichtlichen Verfahren nicht in sein Urteil aufgenommen hat, begründet keinen Widerspruch zwischen den vorinstanzlichen Feststellungen und dem Akteninhalt.

3. Soweit die nach dem 14. März 2019 eingegangenen Schriftsätze des [X.] neues Vorbringen enthalten, kann dieses nicht berücksichtigt werden, weil es nach Ablauf der [X.]egründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgebracht wurde.

a) Der Auffassung des [X.], die am 14. März 2019 endende [X.]eschwerdebegründungsfrist habe sich im Hinblick auf die erst am 18. März 2019 vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung über seinen Antrag auf [X.] gemäß § 119 VwGO verlängert, ist nicht zu folgen. Die Entscheidung über einen [X.]erichtigungsantrag lässt die Rechtsmittelfrist grundsätzlich unberührt. Anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn erst die [X.]erichtigung die [X.]eschwer erkennen lässt oder dem [X.]etroffenen die nötige Klarheit über sein prozessuales Verhalten verschafft (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 13. Oktober 2015 - 9 [X.] 31.15 - juris Rn. 6 und vom 6. Mai 2010 - 6 [X.] 48.09 - [X.] 310 § 118 VwGO Nr. 6 Rn. 4). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Unabhängig davon hat sich der [X.]eschluss des [X.] vom 18. März 2019 schon deshalb nicht auf den Lauf der [X.]egründungsfrist ausgewirkt, weil mit ihm die [X.] überwiegend abgelehnt wurde. Neben der von Amts wegen vorgenommenen [X.]erichtigung der [X.]ezeichnung eines Flurstücks ist das Verwaltungsgericht dem Antrag des [X.] nur insoweit gefolgt, als es die unzutreffend genannte Vorschrift des § 6 Abs. 6a Satz 3 VermG im Tatbestand seines Urteils gestrichen hat. Im Übrigen hat es den Antrag des [X.] abgelehnt. Damit unterscheidet sich die berichtigte Fassung des Urteils nur äußerst geringfügig von der dem Kläger zunächst zugestellten Urteilsfassung.

b) Die vorsorglich beantragte Wiedereinsetzung in die [X.]eschwerdebegründungsfrist ist nicht zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Kläger hat seine [X.]eschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO mit Schriftsatz vom 14. März 2019 begründet. In den beiden nach Fristablauf eingereichten Schriftsätzen vom 23. April 2019 und vom 13. Mai 2019 macht der Kläger als Hindernis geltend, erst durch die [X.]eschlüsse des [X.] vom 18. März 2019, mit denen seine Anträge auf [X.]erichtigung des Tatbestands sowie der Niederschrift abgelehnt wurden, habe er Kenntnis von [X.] erlangt. Ungeachtet der Frage, ob derartige Umstände die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, legt der Kläger nicht einmal dar, welcher der Restitutionsgründe des § 153 VwGO i.V.m. § 580 ZPO gegeben sein soll. Soweit der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag auf den [X.] des § 153 VwGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO stützt, liegen dessen Voraussetzungen offenkundig nicht vor. Entgegen der Auffassung des [X.] werden Zweifel an der vorschriftsmäßigen [X.]esetzung des erkennenden Gerichts nicht schon dadurch begründet, dass das angegriffene Urteil an einzelnen Stellen dem Vorbringen eines [X.]eteiligten folgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Meta

8 B 35/19

30.01.2020

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.01.2020, Az. 8 B 35/19 (REWIS RS 2020, 11776)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11776

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