9. Zivilsenat | REWIS RS 2000, 1139
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Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. Dezember 1999 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 83 O 64/99 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 15.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet. Die Sicherheit kann jeweils auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft eines deutschen als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin schloß im März 1998 mit der Beklagten einen Transportversicherungsvertrag (Police GA 5 ff.). Versichert waren gemäß Ziffer 2.2.1 der Police "Mützen mit Propeller". Die Höchstversicherungssumme sollte gemäß Ziffer 3.1 "für jedes Transportmittel" 950.000 DM betragen. Vorprozessual teilte die Klägerin der Beklagten mit, die Firma E. S. habe in ihrem Auftrag 70.059 Schirmmützen mit solarbetriebenen Propellermotoren von Italien nach Deventer bringen sollen. Die Ware sei in der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 1998 auf dem Parkplatz des Hotels P. in Dordrecht gestohlen worden. Dies sei der niederländischen Polizei gemeldet worden. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des behaupteten Schadens in Höhe von 500.000 DM in Anspruch. Die ihr eventuell zustehenden Ansprüche wurden an die Kreissparkasse S. abgetreten, die mit der prozessualen Geltendmachung des Anspruchs durch die Klägerin einverstanden ist (GA 96, 138).
Die Klägerin hat behauptet, sie habe entsprechend ihrer Auftragsbestätigung vom 20. März 1998 (GA 23) einer italienischen Firma namens F. 73.000 (+/- 3%) Sonnenkappen mit Solarmotor und Propeller zu einem Preis von je 13.500 lit verkauft. Bei insgesamt 70.059 versandten Kappen und einem Wechselkurs von 1,0171 pro 1.000 lit ergebe sich ein Gesamtpreis im DM-Wert von 961.910,01 DM. Die Lieferung habe im Mai 1998 "per Lkw frei" zum Lager der Käuferin in Deventer (Niederlande) erfolgen sollen. Die für die Kappen benötigte Ware sei von den Firmen R. B. und T. geliefert und von einer Firma P. bearbeitet und in Kartons verpackt worden, nämlich in 281 Kartons mit Solarmotoren und 960 Kartons mit Schirmmützen. Sodann sei die Ware von der italienischen Spedition A. (vgl. den "Lieferschein" GA 24 und das "Transportdokument" GA 98) an die niederländische Lieferanschrift "L. M. M." in der G. Vs S. in Deventer versandt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 500.000 DM nebst 4% Zinsen seit dem 17. Oktober 1998 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, nach dem Ergebnis ihrer Ermittlungen seien die von der Klägerin zum Nachweis der behaupteten Geschäftsabwicklung vorgelegten Einkaufsrechnungen Fälschungen. Eine der Lieferfirmen existiere seit 1996 nicht mehr, die andere wisse nichts von dem fraglichen Geschäft. Der alleinige Geschäftsführer der Firma F., ein Herr de S. , sei zugleich Geschäftsführer der Firma P. , die die Ware nach Darstellung der Klägerin versandfertig gemacht habe. De S. sei vielfach vorbestraft. Unter der Anschrift der Firma A. , bei der die Ware eingelagert und auf einen Lkw verladen worden sein solle, befinde sich nur ein Einfamilienhaus, das über keine Räume zur Einlagerung der vielen Kartons verfüge. Der Firmeninhaber habe dem Ermittler der Beklagten erklärt, er habe lediglich Versandpapiere ausgestellt. Eine Firma "A. S. E." gebe es nicht, nur einen Herrn E. S. , der den Transport angeblich mit einem auf einen Dritten zugelassenen Fahrzeug durchgeführt haben solle. Das Hotel P. in Dordrecht verfüge nur über einen Parkplatz für Personenwagen und biete einem Lastkraftwagen mit einer Gesamtlänge von 10 m, wie er hier verwandt worden sein solle, keinen Platz. Im übrigen sei im Hotel von dem behaupteten Diebstahls nichts bekannt geworden. Papiere für den grenzüberschreitenden Verkehr wie ein CMR-Frachtbrief oder Zolldokumente gebe es nicht. Unter der angeblichen Lieferadresse werde eine aus einem Raum bestehende italienische Imbißstube betrieben, die keine Möglichkeit zur Lagerung der streitgegenständlichen Ware biete und die in einer Fußgängerzone liege, die von dem angeblich eingesetzten Lkw nicht befahren werden könne.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der behauptete Transportschaden sei nicht versichert, weil die Voraussetzungen von Ziffer 2.1.1 der Versicherungspolice nicht erfüllt seien. Die Transportgefahr sei spätestens mit der Übergabe der Sendung an den Frachtführer auf den Käufer übergegangen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das am 16. Dezember 1999 verkündete Urteil verwiesen, das der Klägerin am 27. Dezember 1999 zugestellt worden ist und gegen das sie am 26. Januar 2000 Berufung eingelegt hat. Sie hat das Rechtsmittel nach entsprechenden Fristverlängerungen am 10. Mai 2000 begründet.
Die Klägerin stellt klar, bei der Geltendmachung der 500.000 DM handele es sich um eine Teilklage. Sie trägt weitere Einzelheiten zum Verlauf der Vertragsverhandlungen mit der Firma F. und zum tatsächlichen Ablauf der Materialeinkäufe, der Verpackung und des Transports der Ware vor, sie nimmt dabei zu den von der Beklagten vorgetragenen Ermittlungsergebnissen Stellung und bietet für ihre Darstellung Beweis an. Zum behaupteten Diebstahl trägt die Klägerin Einzelheiten vor und beruft sich zum Beweis der Richtigkeit ihrer Darstellung auf den in Italien lebenden Zeugen E. S. und den niederländischen Polizeibeamten R. P. B. in Dordrecht. Sie behauptet, sie habe sich gegenüber der Firma F. verpflichtet, den Transport der Ware bis zur Ablieferung zu versichern. Im Anschluß an diese Vereinbarung habe sie den für die Beklagte tätigen Zeugen S. angerufen, um einen entsprechenden Versicherungsvertrag abzuschließen. Ein bereits bestehender Vertrag sei daraufhin entsprechend dem Inhalt der vorgelegten Police angepaßt und erweitert worden. Der für F. tätig gewordene Zeuge A. habe geplant, die Kappen in den Niederlanden nur zwischenzulagern und sodann in die USA zu verschiffen. Über die räumlichen Verhältnisse des Empfängers in den Niederlanden wisse sie nichts. Im übrigen wiederholt und vertieft die Klägerin ihren erstinstanzlichen Sachvortrag.
Die Klägerin beantragt,
nach ihren erstinstanzlichen Schlußanträgen zu entscheiden, mit der Maßgabe, daß Zahlung an sie, hilfsweise an die Kreissparkasse S. beantragt werde,
hilfsweise,
ihr zu gestatten, Sicherheit durch Beibringung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank, Raiffeisenbank oder Sparkasse zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
sowie vorsorglich, für den Fall der Sicherheitsleistung, ihr zu gestatten, diese durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder eines Sparkasseninstituts zu erbringen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie ist weiterhin der Ansicht, für den Transport habe schon deswegen kein Versicherungsschutz bestanden, weil die Klägerin nur eigene Interessen versichert habe, während die Transportgefahr nach ihren eigenen Geschäftsbedingungen schon mit der behaupteten Übergabe der Sendung an den italienischen Beförderer auf den Empfänger übergegangen sei.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15. August 2000 und auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
A. Zweifel an der Prozeßführungsbefugnis der Klägerin bestehen mit Rücksicht auf die unbestrittenen Erklärungen der Kreissparkasse S. nicht. Das Landgericht hat hierzu zutreffend Stellung genommen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil werden von der Beklagten auch nicht angegriffen, so daß eine weitere Begründung sich erübrigt.
B. Die Klage ist mit Recht schon deswegen abgewiesen worden, weil der Vortrag der Klägerin zum behaupteten Versicherungsfall unzureichend und nicht unter Beweis gestellt gewesen ist. Auch im Berufungsverfahren kann der Klägerin kein Anspruch auf Zahlung aus dem Versicherungsvertrag zuerkannt werden. Sie hat entgegen den [ref=12e9f11f-5895-4cf8-a93f-c7c2c1a710de]§§ 130 Nr. 4, 282 Abs. 1 ZPO[/ref] in erster Instanz weder in der Klagebegründung noch in ihrer Stellungnahme auf die Klageerwiderung noch in ihrem undatierten nachgelassenen Schriftsatz in substantiierter Weise zum Diebstahlsereignis vorgetragen. Erst recht wurde insoweit kein Beweis angetreten. Die Voraussetzungen zur Zulassung ihres neuen Vortrags, mit dem sie in der Berufungsbegründung erstmals substantiiert zum äußeren Bild des Diebstahls Stellung nimmt, liegen nicht vor.
I. Nach § 528 Abs. 2 ZPO ist neuer Sachvortrag nur zuzulassen, wenn die Zulassung die Erledigung nicht verzögert und wenn das Vorbringen nicht aus grober Nachlässigkeit in erster Instanz unterlassen wurde. Daß die Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung neuen Vortrags entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht alternativ, sondern kumulativ vorliegen müssen, ist allgemein anerkannt. Insoweit wird auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 1992 mit weiteren Nachweisen (NJW 1992, 2556 f) verwiesen.
1. Die Zulassung des neuen Sachvortrags und der angebotenen Beweismittel würde zu einer erheblichen Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen. Zunächst wären die von der Klägerin benannten Zeugen S. , wohnhaft in Italien, und B. , wohnhaft in den Niederlanden, sowie der gegenbeweislich zu den örtlichen Verhältnissen von der Beklagten benannte Zeuge S. zu vernehmen, der in Luxemburg lebt. Bei dieser Beweisaufnahme wäre zu klären, ob die Klägerin Tatsachen beweisen kann, aus denen sich das äußere Bild des behaupteten Diebstahls, also des Versicherungsfalls, ergibt. Diese Beweisaufnahme konnte nicht vor der mündlichen Verhandlung vom 15. August 2000 stattfinden und sie war auch nicht im Verhandlungstermin durchzuführen.
Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß die Durchführung einer Beweisaufnahme im Ausland gemäß § 363 ZPO, also in Italien, in den Niederlanden und in Luxemburg, vor dem Verhandlungstermin aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre. Ob der alternative Weg, nämlich die Anordnung einer Vernehmung vor dem Senat sich angeboten hätte (zweifelnd und abratend Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 377 Rn. 1a), kann dahinstehen, denn der Senat war nicht in der Lage, durch sich anbietende vorbereitende Maßnahmen die Zeugen rechtzeitig zum Termin zu laden. Es wäre eine Übersetzung der Ladung in die niederländische - für den Zeugen B. - und in die italienische - für den Zeugen S. - Sprache erforderlich gewesen. Außerdem wäre der Zeuge S. in Luxemburg (vgl. GA 114) zu laden gewesen. Ob auch hierzu eine Übersetzung erforderlich gewesen wäre, hätte der Klärung bedurft. Hinzu kommt, daß - zumal die Entstehung hoher Kosten angestanden hätte - vor einer Ladung ein Vorschuß angefordert worden wäre. All dies hätte nach Eingang der Berufungserwiderung, also nach dem 17. Juli 2000, geschehen müssen, denn grundsätzlich kann mit vorbereitenden Maßnahmen gewartet werden, bis die Berufungserwiderung vorliegt (vgl. dazu z.B. BGH NJW 1980, 1848, 1849). Ob das Gericht schon nach Eingang der Berufungsbegründung eine Ladung von Zeugen veranlassen darf (so Zöller/Greger, a.a.O. § 273 Rn. 10), bedarf keiner Klärung, denn ein solches Vorgehen ist innerhalb des Senats nicht üblich und zu besonderen Eilmaßnahmen besteht auch dann kein Anlaß, wenn die Zurückweisung verspäteten Vorbringens für eine Partei droht (allgemeine Meinung, vgl. z.B. BVerfG NJW 1990, 2373; BGH [ref=3391228c-92e9-4f78-892c-0652f996fb86]NJW 1980, 1102[/ref], 1104; Zöller/Gummer a.a.O. § 527 Rn. 18 m. w. Nachw.). Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend machte, sie habe den Zeugen S. , wäre ein entsprechender Hinweis erfolgt, im Termin stellen können (in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 30.8.2000 meint sie, sie habe auch den niederländischen Polizeibeamten mitbringen können), führt dies, auch wenn man von ihrem Vorbringen ausgeht, zu keiner anderen Wertung. Es bestand kein Anlaß, der Klägerin einen Hinweis zu erteilen, um sie zu veranlassen, Zeugen zum Termin zu stellen. Die Beweisbedürftigkeit des klägerischen Vorbringens war - anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des BGH vom 25. März 1980 zugrunde lag ([ref=10de4800-b30d-4f97-b92b-23058ae387b1]NJW 1980, 1848[/ref] f.) - offensichtlich, und es bestand kein Anlaß anzunehmen, die Klägerin könne alle zum äußeren Bild des Diebstahls zu vernehmenden Zeugen - einschließlich des niederländischen Polizisten und des von der Gegenseite benannten Zeugen - stellen.
Letztlich kommt es aber auf die Frage, ob die Beweisaufnahme zum äußeren Bild des Diebstahls ohne Eintritt einer Verzögerung möglich gewesen wäre, hier nicht einmal an, denn das neue Vorbringen wäre selbst dann zurückzuweisen gewesen, wenn die Klägerin die zum äußeren Bild des Diebstahls von beiden Parteien benannten Zeugen zum Termin gestellt hätte. Eine Vernehmung der Zeugen hätte nicht erfolgen müssen, denn die Erledigung des Rechtsstreits wäre im Fall der gelungenen Beweisführung durch die Zulassung des verspäteten Vorbringens auf jeden Fall weiter verzögert worden. Wären nämlich die Tatsachen bewiesen worden, die nach ihrem äußeren Bild mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Diebstahl schließen ließen, so hätte über die weiteren Indiztatsachen Beweis erhoben werden müssen, die die Beklagte vorträgt, um die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalls darzulegen (vgl. Römer in Römer/Langheid VVG, § 49 Rn. 17). Der Vortrag hierzu - die Beklagte hat insoweit in zulässiger Weise im wesentlichen auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen Bezug genommen - und die beiderseitigen Beweisanträge sind extrem umfangreich und hätten zumindest einen weiteren Termin erforderlich werden lassen (vgl. zu einer entsprechenden Fallkonstellation BGH [ref=a4ce0695-3621-43b9-aef7-a3859007bf76]NJW 1983, 1495[/ref]).
2. Es beruht auch auf grober Nachlässigkeit, daß die Klägerin erstmals in der Berufungsbegründung Tatsachen zum äußeren Bild des Diebstahls vorträgt und unter Beweis stellt. Um grobe Nachlässigkeit anzunehmen, "muß die im Prozeß erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im Streitfall jeder Partei hätte einleuchten müssen"(Zöller/Gummer, a.a.O. § 528 Rn. 23). Eine solche Nachlässigkeit liegt hier vor. Es muß als "ausnehmend sorgloses Verhalten und besonders schwerwiegender Pflichtverstoß" (BGH WPM 1991, 1183) gewertet werden, daß die Klägerin weder in der Klageschrift noch in einem späteren Schriftsatz Einzelheiten zum Diebstahlsgeschehen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung vom 19. Juli 1999 ausdrücklich bestritten, daß sich der von der Klägerin behauptete Versicherungsfall ereignet habe (GA 53, 55). Es liegt auf der Hand und bedarf keiner Spezialkenntnisse im Versicherungsrecht, daß die Frage, ob der behauptete Diebstahl überhaupt stattgefunden hat, vom Gericht vorrangig zu prüfen und gegebenenfalls zu klären ist. Aus dem behaupteten Diebstahlsgeschehen werden Ansprüche hergeleitet und daß die Partei die Tatsachen vortragen und beweisen muß, aus denen sich ihr Anspruch ergibt, ist juristisches Allgemeingut. Daß die Beklagte alle weiteren Tatsachen zum Randgeschehen, insbesondere zu den Vorgängen in Italien, die vor dem behaupteten Transport lagen, nur vortrug, um ihre Zweifel am Diebstahlsgeschehen nachvollziehbar zu machen, war erkennbar. Die Klägerin durfte sich nicht damit begnügen, allein hierzu Stellung zu nehmen. Auch um dies festzustellen, waren keine Spezialkenntnisse im Versicherungsrecht erforderlich. Im übrigen muß das System der Beweiserleichterungen, das für Diebstahlsfälle durch die Rechtsprechung geschaffen wurde (vgl. z.B. BGH [ref=a913d778-4a47-40ff-ac63-3bd77943a9f1]NJW 1991, 2493[/ref] = VersR 1991, 1047 = r+s 1991, 294; BGH VersR 1987, 146; BGH VersR 1984, 29), spätestens nach dem 1996 veröffentlichten Aufsatz Römers (NJW 1996, 2329; vgl. auch Kollhosser NJW 1997, 969) bei Anwälten als bekannt vorausgesetzt werden. Daß sich zum Diebstahlgeschehen in den erstinstanzlichen Schriftsätzen der Klägerin ein einziger Satz findet ("Bei vertragsgemäßem Transport von Italien nach Deventer [Niederlande] wurde die Ware gestohlen, dieses auch der Polizei in der Provinz Südholland [...] gemeldet."), der keine Substantiierung und keinen Beweisantritt enthält, ist schlechterdings nicht zu entschuldigen. Soweit die Klägerin am Ende der Klageschrift die Einreichung weiterer Dokumente - ggf. nach richterlichem Hinweis - anbietet, bezieht sich dies nicht auf die Diebstahlsanzeige, denn es ist an dieser Stelle nur von Dokumenten in italienischer Sprache die Rede.
Die Klägerin trägt in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vor, die Diebstahlsanzeige sei im Rahmen eines Prozeßkostenhilfeverfahrens, das dem vorliegenden Rechtsstreit voranging, überreicht worden. Hierzu ist festzustellen, daß dies nicht der Fall ist. Die Prozeßkostenhilfeakten (Landgericht Köln [ref=32addbb6-fc4a-432e-83c0-2910cce8ed30]24 O 412/98[/ref]) sind - soweit ersichtlich - auch in erster Instanz nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Ihr Aktenzeichen wurde dem Senat erstmals in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt. Die Akten wurden daraufhin vorsorglich angefordert, damit ihr Inhalt gegebenenfalls bei der Entscheidung der Frage, ob eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in Betracht zu ziehen sei, berücksichtigt werden konnte. Die Parteien sind darüber, daß so vorgegangen werden sollte, in der Verhandlung informiert worden. Es bleibt vorsorglich klarzustellen, daß die Vorlage der Diebstahlsanzeige, sei es in niederländischer Sprache oder auch in deutscher Übersetzung, Sachvortrag und Beweisantritte der Klägerin nicht ersetzt hätten, so daß es letztlich nicht darauf ankommt, ob die Anlage BB 11, die mit der Berufungsbegründung überreicht wurde, bereits zu einem früheren Zeitpunkt aktenkundig war oder nicht.
Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, das erstinstanzliche Gericht habe sie auf den unzulänglichen Vortrag hinweisen müssen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Beklagte hatte den Diebstahl bestritten. Daß hierzu Stellung zu nehmen war, bedurfte keines Hinweises, sondern war selbstverständlich. Es ergab sich aus dem Gesetz, [ref=c53f17e8-c18a-4b16-96b0-f22eb161d5a8]§§ 282 Abs. 1, 130 Nr. 4 ZPO[/ref]. Ein Fall des § 139 ZPO oder gar des § 278 Abs. 3 ZPO lag nicht vor. Der unzureichende Sachvortrag der Klägerin konnte aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts vor dem Hintergrund des Beklagtenvorbringens und der nicht eindeutigen Ausführungen am Ende des Schriftsatzes vom 3. September 1999 sogar als bewußt und gewollt lückenhaft erscheinen. Daß Sachvortrag versehentlich unterblieb, war nicht erkennbar. Soweit die Klägerin das angefochtene Urteil in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 30. August 2000 als Überraschungsentscheidung wertet, kann dies nicht überzeugen. Aus dem von ihr zugleich überreichten Terminsbericht ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 26. Oktober 1999 ergibt sich vielmehr, daß das Landgericht den Sach- und Streitstand mit den Parteien ausführlich erörtert hat und daß hierbei auch die Zweifel daran, ob überhaupt ein echter Diebstahl vorlag, zur Sprache kamen. Zusätzlich heißt es, der Vorsitzende habe angedeutet, daß die zu verkündende Entscheidung ein Urteil sein könne. Nach Lage der Sache und nach dem Inhalt des Terminsberichts konnte dies nur ein klageabweisendes Urteil sein. Auch danach hat die Klägerin ihren Vortrag zum Kern des Rechtsstreits, also zum Diebstahlsgeschehen, nicht ergänzt, so daß ihr am 16. November 1999 beim Landgericht eingegangener nachgelassener Schriftsatz keinen Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gab.
Sollten die Hinweise des Landgerichts von den Vertretern der Klägerin nicht richtig verstanden worden sein - dies wird im Schriftsatz vom 30. August 2000 geltend gemacht oder zumindest angedeutet -, so kann dies die Klägerin nicht entlasten, zumal nichts dafür ersichtlich ist, daß das Gericht Anlaß zu der Annahme hatte, es könne ein Mißverständnis vorliegen.
II. Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, daß die Frage, ob der neue Vortrag der Klägerin zuzulassen ist oder nicht, hier nach § 528 Abs. 2 ZPO und nicht nach § 528 Abs. 1 ZPO zu beurteilen ist, weil die Frist, die der Klägerin am 20. Juli 1999 (GA 65) zur Stellungnahme auf die Klageerwiderung gesetzt wurde, durch ein Mitglied der damals (noch) zuständigen Zivilkammer und nicht durch den Vorsitzenden dieser Kammer gesetzt wurde. Dieses Vorgehen entsprach nicht der Bestimmung des § 276 Abs. 3 ZPO. Ob das Mitglied der Zivilkammer möglicherweise in Vertretung des Vorsitzenden tätig wurde, läßt sich der Verfügung nicht entnehmen. War dies der Fall, so hätte dies erklärt werden müssen, denn nur eine den gesetzlichen Anforderungen - auch in formaler Hinsicht - genügende Fristsetzung kann zur Anwendung des § 528 Abs. 1 ZPO führen.
III. Die Klageabweisung war auf die Zurückweisung des neuen Vorbringens zu stützen, weil der Senat die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung, nur die eigenen Interessen der Klägerin seien versichert, es liege keine Fremdversicherung vor, nicht teilt. Der in der Versicherungspolice unter Ziffer 2.1.1 enthaltene Text, in dem von einer Versicherung "für fremde Rechnung" die Rede ist, bedeutet, wie der Klammerdefinition des [ref=1a6b5a70-fdc0-49ca-a4b2-c1daeecba497]§ 74 Abs. 1 VVG[/ref] zu entnehmen ist, grundsätzlich nur, daß die Versicherung "im eigenen Namen für einen anderen, mit oder ohne Benennung der Person des Versicherten genommen" wird. "Für fremde Rechnung" bedeutet also nicht, daß der Dritte die Kosten der Versicherung übernehmen müßte.
IV. Daß die Schriftsätze der Klägerin vom 30. August und 1. September 2000 keinen Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geben, bedarf keiner weiteren Ausführungen mehr. Zu den fraglichen Schriftsätzen wurde im Rahmen dieses Urteils jeweils dort Stellung genommen, wo dies inhaltlich angezeigt erschien.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den [ref=9ffec99e-ed9b-4a07-8aaf-f71d1f964142]§§ 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO[/ref].
Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Urteilsbeschwer für die Klägerin: 500.000 DM
Meta
19.09.2000
Oberlandesgericht Köln 9. Zivilsenat
Urteil
Sachgebiet: U
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 19.09.2000, Az. 9 U 80/00 (REWIS RS 2000, 1139)
Papierfundstellen: REWIS RS 2000, 1139
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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