Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2012, Az. VI ZR 122/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5844

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/11
Verkündet am:

5. Juni 2012

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 844; ZPO § 287
a)
Zur Berücksichtigung der Aufwendungen für eine Unfallversicherung und eine Le-bensversicherung eines Selbständigen als "fixe Kosten" bei der Ermittlung des Ba-runterhaltsschadens.
b)
Zur Berücksichtigung der Altersentwicklung von Kindern bei der Höhe des Barun-terhaltsschadens eines Elternteils.

[X.], Urteil vom 5. Juni 2012 -
VI [X.]/11 -
OLG [X.]

LG Duisburg

-
2
-
Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2012 durch den [X.] Zoll, die [X.]in [X.], die [X.] [X.] und [X.] und die [X.]in von [X.]
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin zu 1 wird das Urteil
des 1.
Zivilsenats des [X.] vom 15.
März 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Ehemann der Klägerin zu 1 (im Folgenden: Klägerin) und Vater des [X.] zu 2 starb am 22. September 2004 infolge eines Verkehrsunfalls. Die volle Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit. Im vorliegenden Rechts-streit verlangen die Kläger den Ersatz entgangenen Unterhalts. Die Klägerin begehrt mit der Leistungsklage die Zahlung einer Geldrente, deren Höhe sie in erster Instanz für die [X.] vom 1. o-1
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3
-
natlich und für die [X.] vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2034 mit 707

o-natlich beziffert hat. Daneben begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für ihren darüber hinausgehenden [X.]. Der Kläger zu 2 hat die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monat-lichen Geldrente begehrt. Das [X.] hat der Klage teilweise stattgege-ben. Gegen dieses Urteil haben nur die Beklagten Berufung eingelegt, und zwar allein mit dem Ziel der vollständigen Abweisung des Leistungsantrags der Klä-gerin. Die Berufung hatte teilweise Erfolg und führte zur Ermäßigung und zeitli-chen Kürzung der von den Beklagten an die Klägerin zu zahlenden [X.]. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klä-gerin ihr Begehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil ent-schieden und die Klage abgewiesen hat.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagten ein Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfalltod ihres Eheman-nes entstandenen [X.]s in Form einer monatlich zu zahlenden Geldrente zu, jedoch für die [X.] vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 nur in Höhe von monatlich 179,07

28.
Februar 2015 mit der Vollendung des 16. Lebensjahres des [X.] zu 2. Von diesem [X.]punkt an sei die betriebliche Arbeitsleistung der Klägerin in ih-rem Schausteller-
und Imbissbetrieb wegen des dann geringeren [X.] auf 50
% zu erhöhen. Da der sich für diese [X.] errechnen-de Unterhaltsrentenbetrag der Klägerin in Höhe von monatlich 327,77

n-2
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4
-
ger sei als die
ihr zustehende Witwenrente, entfalle ein Rentenanspruch gegen die Beklagten.

II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht stellt zutreffend darauf ab, dass nach §
844 Abs.
2 BGB bei der Tötung eines gesetzlich zum Unterhalt Verpflichteten die unterhaltsberechtigte Person Anspruch auf Ersatz des Schadens hat, der ihr durch Entzug des Unterhaltsrechts entsteht (vgl. [X.], [X.] bei Personenschaden, 10.
Aufl., Rn.
319). Der Ersatz ist grundsätzlich durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten. Dabei hat nach §
823 Abs.
1, §
844 Abs.
2 BGB der Schädiger dem Geschädigten bei Vorliegen der vom [X.] festgestellten weiteren Voraussetzungen insoweit Schadenser-satz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Le-bens zur Gewährung des Unterhalts nach dem Gesetz verpflichtet gewesen wäre. Dies zwingt den [X.] zu einer Prognose, wie sich die Unterhaltsbezie-hungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltspflichtigen bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt hätten. Er muss daher gemäß §
287 ZPO eine vorausschauende Betrachtung vornehmen, in die er alle voraussehbaren Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berech-tigten und der (hypothetischen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wäre er noch am Leben, einzubeziehen hat. Dabei hat der Tatrichter bei der Festsetzung der Unterhaltsrente für die Zukunft sämtliche für die Bemessung dieser Rente im Bezugszeitraum zukünftig maßgebend werdenden Faktoren zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 24.
April 1990 -
VI
ZR 183/89, VersR 3
4
-
5
-
1990, 907; vom 4.
November 2003 -
VI
ZR 346/02, [X.], 75, 77 mwN; vom 27.
Januar 2004 -
VI
ZR 342/02, [X.], 653 und vom 25.
April 2006 -
VI
ZR 114/05, [X.], 1081
Rn.
8).
2. Der Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmt sich nicht nach §
844 Abs.
2 BGB, sondern nach den unterhaltsrechtlichen Vorschriften. Den nach diesen Normen geschuldeten Unterhalt setzt §
844 Abs.
2 BGB vo-raus (vgl. Senatsurteil vom 4.
November 2003 -
VI
ZR 346/02, aaO [X.]).
a) Bei der Ermittlung des [X.] geht das Berufungsge-richt zutreffend von den Grundsätzen der Rechtsprechung des [X.] aus (vgl. z.B. Senatsurteile vom 6.
Oktober 1987 -
VI
ZR 155/86, [X.], 1243
f.; vom 31.
Mai 1988 -
VI
ZR 116/87, [X.], 954, 955, 957; vom 5.
Dezember 1989 -
VI
ZR 276/88, [X.], 317 f. und vom 2.
Dezember 1997 -
VI
ZR 142/96, [X.]Z 137, 237, 240; vgl. auch
Jahnke in: van [X.]/[X.], Anwalts-Handbuch Verkehrsrecht, 2.
Aufl., Teil 4 Rn.
1352 ff.; [X.]/Zoll, Der [X.], 2012, Kap.
2 Rn.
2264 ff.; [X.] in[X.]/[X.]/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 2012, Kap.
7 Rn.
459 ff.). Zu Recht beanstandet die Revision jedoch, dass dem [X.] bei der Errechnung der "fixen Kosten" des Haushalts Rechtsfehler unterlaufen sind.
b) Zur Berechnung des [X.] sind nach der Ermittlung des für [X.] verfügbaren fiktiven Nettoeinkommens des Getöteten in einem zweiten Schritt die "fixen Kosten" vorweg abzusetzen und -
nach [X.] Verteilung des verbleibenden Einkommens auf den Getöteten und seine unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen
-
in voller Höhe den einzelnen Un-terhaltsgeschädigten anteilig zuzurechnen (Senatsurteil vom 1.
Oktober 1985 -
VI
ZR 36/84, [X.], 39, 40). Unter "fixen Kosten" sind jene Ausgaben zu 5
6
7
-
6
-
verstehen, die weitgehend unabhängig vom Wegfall eines Familienmitgliedes als feste Kosten des Haushalts weiterlaufen und deren Finanzierung der [X.] familienrechtlich geschuldet hätte (Senatsurteile vom 11.
Oktober 1983 -
VI
ZR 251/81, [X.], 79, 81 und vom 31.
Mai 1988 -
VI
ZR 116/87, aaO S. 955).
aa) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht hätte als "fixe Kosten" die Aufwendungen für die Unfallversicherung der Klägerin be-rücksichtigen müssen. Insoweit ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der verstorbene Ehemann unterhaltsrechtlich zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet gewesen wäre.
bb) Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Prämien für die Lebensversicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin als "fixe Kosten" von dem Nettoeinkommen abzusetzen seien. Da diese Lebensversi-cherungen mit dem Tod des Ehemannes endeten, sind darauf keine weiteren Prämien mehr zu entrichten.
[X.]) Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das [X.] die Aufwendungen für die Lebensversicherungen der Klägerin nicht als "fixe Kosten" des Haushalts berücksichtigt, sondern in vollem Umfang als individuelle Aufwendungen angesehen hat. Sie verweist mit Recht darauf, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann nach den getroffenen [X.] gemeinsam selbständig in ihrem Schausteller-
und Imbissbetrieb tätig gewesen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind Aufwendungen und Rücklagen von Selbständigen zur Altersvorsorge, die wäh-rend der [X.] der aktiven beruflichen Tätigkeit erbracht würden, jedoch als "fixe Kosten" des Haushalts zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 26.
Mai 1954 -
VI
ZR 69/53, [X.], 325, 326 und
vom 14.
April 1964 -
VI
ZR 89/63, 8
9
10
-
7
-
VersR 1964, 778, 779; [X.], Urteil vom 3.
Dezember 1951 -
III
ZR 68/51, [X.], 97, 98). Aufwendungen und Rücklagen zur Altersvorsorge können, soweit den betreffenden Personen keine ausreichende gesetzliche Altersrente zur Verfügung steht, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht stets in vollem Umfang als Beiträge für "freiwillige" Versicherungen behandelt werden. Insoweit kann es sich vielmehr durchaus um "notwendige" und damit "fixe Kosten" des Haushalts handeln. Da Prämien für [X.] je nach Lage des Falles sowohl der Eigen-
bzw. Altersvorsorge als auch der Absicherung der Unterhaltsberechtigten dienen können und insoweit eine besondere Form des Unterhalts darstellen, sind sie gegebenenfalls mit dem Anteil, der nicht der Vermögensbildung dient, bei der Bemessung der [X.] gemäß §
844 Abs.
2 BGB vom unterhaltsrechtlich relevanten Nettoein-kommen abzuziehen ([X.], Urteil vom 3.
Dezember 1951 -
III
ZR 68/51, aaO S.
98 f.; [X.]/Zoll, aaO Rn.
2284). Dabei unterfällt die Höhe des als "fixe Kosten" zu berücksichtigenden Anteils regelmäßig der tatrichterlichen Schät-zung gemäß §
287 ZPO (vgl. [X.], [X.], 613, 614 mit NA-Beschluss des erkennenden Senats vom 26.
Oktober 1993 -
VI
ZR 6/93; [X.], Urteil vom 6.
Juni 2008 -
I-9 [X.]/055, juris Rn.
148), wobei nach Lage des Falles auch zu berücksichtigen sein kann, in welchem Maße beide [X.] zum Familieneinkommen beigetragen haben.
[X.]) Die Revision beanstandet auch mit Recht, dass das Berufungsgericht bei der Schadensschätzung gemäß §
287 ZPO ermessensfehlerhaft die der Klägerin zu ersetzenden Fixkosten über 16 ¼ Jahre hinweg um je 25
% für die beiden Kinder des Getöteten gekürzt hat, obwohl möglicherweise dessen Un-terhaltspflicht seit dem 1.
Oktober 2008 gegenüber der am 1.
September 2008 volljährig gewordenen Tochter (und Schwester des [X.] zu
2) nicht mehr bestanden hätte und ab 1. März 2017 gegenüber dem am 25. Februar 2017 volljährig werdenden Kläger zu 2 nicht mehr bestehen würde. Insoweit hat das 11
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-
Berufungsgericht bei der Aufteilung der "fixen Kosten" die Altersentwicklung der beiden Kinder
nicht hinreichend berücksichtigt.
ee) Die Revision rügt ferner mit Recht, dass das Berufungsgericht diesen Fehler wiederholt hat, indem es bei der Verteilung des nach Abzug der "fixen Kosten" verbleibenden Unterhaltsbeitrags des Getöteten den Anteil der Klägerin über 16 ¼ Jahre hinweg konstant mit 35 % bemessen hat. Auch dabei hat es den sich durch das Heranwachsen der Kinder ergebenden Veränderungen nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen.
3. In dem dargestellten Umfang ist das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die Höhe des [X.]s unter Beachtung der Rechtsauffas-sung des erkennenden Senats zu ermitteln. Dabei wird im Rahmen der [X.] gemäß §
287 ZPO gegebenenfalls auch das Vorbringen der

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-
Revisionserwiderung zur Berechnung des Rentenanspruchs zu berücksichtigen sein.
Zoll
[X.]
[X.]

[X.]
von [X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.04.2010 -
1 O 311/07 -

OLG [X.], Entscheidung vom 15.03.2011 -
I-1 [X.] -

Meta

VI ZR 122/11

05.06.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2012, Az. VI ZR 122/11 (REWIS RS 2012, 5844)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5844

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VI ZR 122/11

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