Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.08.2015, Az. 1 StR 329/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 7110

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 329/15

vom
4. August
2015
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchter sexueller Nötigung

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 4. August
2015
gemäß §
349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nöti-gung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Siche-rungsverwahrung angeordnet.
Die Revision des Angeklagten, mit der er seine Verurteilung bean-standet, hat mit der Sachrüge Erfolg (§
349 Abs.
4 StPO).

I.
1. Nach den Urteilsfeststellungen lernte der Angeklagte die Geschädigte, die auf einer Internet-Plattform sexuelle Dienstleistungen anbot, über eine An-1
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frage zu einer möglichen Sado-Maso-Beziehung, in welcher er den unterwürfi-gen Teil übernehmen wollte, kennen.
Im [X.] an ein Abendessen am 9.
April 2014 in seiner Wohnung, [X.], wollte sie nach Hause gehen. Dem Angeklagten gelang es jedoch, sie [X.]. Hierbei manipulierte die auf einem Stuhl sitzende Geschädigte mit der Hand am Glied des Angeklagten und begann, den Oralverkehr auszuüben.
Als die Geschädigte dann äußerte, dies nicht mehr zu wollen, packte der Angeklagte sie, zog sie gewaltsam hoch und schob sie in Richtung seines [X.]. Die Geschädigte wehrte sich und äußerte, dass er damit aufhören solle, sie ihre ablehnende Bemerkung hin, das sei nicht ausgemacht, das wolle sie nicht, äußerte der Angeklagte, das sei ihm egal. Dann schubste der etwa 140 kg schwere Angeklagte die Geschädigte auf das Bett und legte sich neben sie, wobei er mit einem Bein über ihrem Bein lag. Dabei hielt er ihre Arme an den Handgelenken umfasst neben ihrem Kopf fest
und äußerte, dass er sie jetzt dem Griff des Angeklagten nicht befreien.
Nach einem nicht näher feststellbaren Zeitraum lockerte der Angeklagte seinen Griff um die Handgelenke der Geschädigten, worauf diese sich aus dem Griff befreien und das Bett verlassen konnte. Anschließend nahm die [X.] ihre Jacke und verließ die Wohnung. Auf der Treppe kehrte sie noch ein-4
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mal um und ging in die Wohnung des Angeklagten zurück, weil sie ihr [X.] dort vergessen zu haben meinte, verließ dann aber umgehend das Ge-bäude. Der Angeklagte, der merkte, dass er seinen Plan, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr auszuüben, nicht mehr zu Ende bringen konnte, hin-derte sie nicht am Verlassen der Wohnung und entschuldigte sich später per [X.] für sein Verhalten.
2. Die Überzeugung vom Tatgeschehen stützt das [X.] allein auf die Aussage der Geschädigten, die das Geschehene wie festgestellt geschil-dert habe ([X.]).
3. Das [X.] hat das Verhalten (statt als versuchte Vergewalti-gung) lediglich als versuchte sexuelle Nötigung gewertet. Einen strafbefreien-den Rücktritt des Angeklagten vom Versuch (§
24 Abs.
1 Satz
1 StGB) hat es mit der Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs verneint.

[X.]
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg

349 Abs.
4 StPO).
1.
Zwar hat sich das [X.] rechtsfehlerfrei vom Handeln des [X.] mit dem Vorsatz, die Geschädigte zum Geschlechtsverkehr zu nöti-gen, überzeugt. Jedoch erweisen sich die Erwägungen, mit denen es zur An-nahme eines fehlgeschlagenen Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch verneint hat, als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
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a)
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach [X.] des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des [X.] nach Abschluss der letzten Ausfüh-rungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Er-folgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 11.
März 2014

1 [X.], [X.], 396 sowie [X.], Urteil vom 25.
Oktober 2012

4 [X.], [X.], 156 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), so dass ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des §
24 Abs.
1 oder Abs.
2 StGB ausscheidet. Mithin kommt es auf das Vorstellungsbild des [X.] nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an.
b) Im Rahmen der rechtlichen Würdigung ist das [X.] hinsichtlich des für einen Rücktritt vom Versuch bedeutsamen Vorstellungsbilds von einem falschen Zeitpunkt ausgegangen. Denn es
stellt nicht auf die Sicht des Ange-klagten nach der letzten Ausführungshandlung ab, sondern darauf, dass der Angeklagte nach dem Herauswinden der Geschädigten aus dem kurzzeitig [X.] Festhaltegriff und deren Flucht
vom Bett und aus der Wohnung der von ihm beabsichtigte [X.] nicht mehr erreichbar war, ohne dass er eine völlig neue und nicht geplante Handlungskette in Gang gesetzt hätte (UA S. 36
f.). Den Umstand, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht am [X.] der Wohnung hinderte (UA S.
24), sie also jedenfalls freiwillig gehen ließ, nimmt das [X.] dabei rechtsfehlerhaft nicht in den Blick.
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c) Auf diesem fehlerhaften rechtlichen Ansatz würde das Urteil jedoch an sich nicht beruhen, weil den Urteilsfeststellungen zu entnehmen ist, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht am Verlassen der Wohnung hinderte, nach-dem er erkannt hatte, dass er seinen Plan, mit der Geschädigten den [X.] auszuüben, nicht mehr zu Ende bringen konnte (UA S.
24). Diese Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach der letzten Ausführungshandlung beruhen jedoch auf einer lückenhaften Beweiswürdigung und sind damit durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Es wird bereits nicht deutlich, auf welche Tatsachen das [X.] seine Überzeugung stützt, der Angeklagte habe sein Vorhaben schon als ge-scheitert angesehen, als die Geschädigte seine Wohnung noch nicht verlassen hatte. Dem Angeklagten, der einen völlig anderen als den festgestellten Ge-schehensablauf geschildert hatte, hat das [X.] nicht geglaubt. Woran die Geschädigte gegebenenfalls erkannt haben will, dass der Angeklagte sein Vorhaben für fehlgeschlagen gehalten habe, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Auch die auf der nicht näher mitgeteilten Aussage der Geschädig-ten beruhenden Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf belegen die Annahme, der Angeklagte könnte nach der letzten Ausführungshandlung ge-meint haben, die Tat nicht mehr vollenden zu können, nicht.
Das [X.] hätte daher im Einzelnen darlegen müssen, aus wel-chen Umständen es auf dieses Vorstellungsbild des Angeklagten geschlossen hat. Insbesondere hätte es sich dabei mit der Frage auseinandersetzen müs-sen, aus welchem Grund der 140 kg schwere Angeklagte, der es geschafft [X.], die Geschädigte auf sein Bett zu werfen und dort für einige Zeit an den Handgelenken zu fixieren, geglaubt haben sollte, er sei nicht in der Lage, die 13
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Geschädigte am Verlassen der Wohnung zu hindern und könne sie auch nicht erneut auf das Bett werfen, um nun den Geschlechtsverkehr auszuüben.
Zwar könnte der Umstand, dass sich die Geschädigte aus dem Griff des Angeklagten befreien konnte, dafür sprechen, dass der Angeklagte der [X.] für einen gewaltsam durchgesetzten Geschlechtsverkehr nicht aus-reichend körperlich überlegen war. Das [X.] lässt jedoch offen, ob der Angeklagte den Griff freiwillig oder aus [X.] gelockert hatte. Auch wird nicht erörtert, ob die Umstände, dass der Angeklagte die Geschädigte nicht am Verlassen der Wohnung hinderte und diese unmittelbar danach sogar noch einmal in die Wohnung zurückkehrte, um ihr Mobiltelefon zu holen, für ein vorheriges freiwilliges Abstandnehmen des Angeklagten von der weiteren [X.] sprachen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 27. Mai 2003

4 StR
140/03, [X.] 2003, 386). Damit können die Annahme eines fehlgeschlage-nen Versuchs und die Verneinung eines freiwilligen Rücktritts keinen Bestand haben. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
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2. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht diejenige des [X.] nach sich. Der Senat hebt das Urteil mit sämtlichen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zum Tatgeschehen und zur Frage eines Rücktritts zu ermöglichen.
Raum

Graf Jäger

Cirener Mosbacher
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Meta

1 StR 329/15

04.08.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.08.2015, Az. 1 StR 329/15 (REWIS RS 2015, 7110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7110

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 735/13

4 StR 346/12

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