Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.11.2016, Az. V R 10/16

5. Senat | REWIS RS 2016, 1630

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur Steuerfreiheit von Leistungen eines Sozialtrainers


Leitsatz

1. NV: Die Leistungen eines selbständigen Sozialtrainers können nach § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei sein, wenn der Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe diese Leistungen im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil unmittelbar oder mittelbar (durchgeleitet) vergütet hat .

2. NV: Ist dieser Sozialtrainer als Subunternehmer für einen Hauptunternehmer (z.B. eine psychologische Praxis) tätig und vergütet der Kostenträger Leistungen des Hauptunternehmers, ohne die Kosten für den Subunternehmer ausdrücklich zu übernehmen, so werden die Leistungen des Subunternehmers nicht von einem Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe, sondern nur vom Hauptunternehmer vergütet .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 1. April 2015 12 K 428/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist freiberuflich als Sozialtrainer tätig. Er ließ sich als Kommunikationstrainer ausbilden und wurde für Volkshochschulen, Unternehmen und Verbände praktisch tätig. Seit 1993 arbeitet er mit Personen, die unter Autismus leiden und bildet auf diesem Spezialgebiet auch Trainer aus.

2

Im Streitjahr (2009) erbrachte er Leistungen an fünf Auftraggeber, nämlich

a) an den Verein ...
b) an den Verein ...,
c) an die [X.],
d) an das Landratsamt ...
e) und an den Dipl. Psychologen ... .

3

Nachdem der Kläger seinen Gewinn zur Einkommensteuer zunächst unter Berücksichtigung von Umsatzerlösen, Eigenverbrauch und vereinnahmter Umsatzsteuer ermittelt hatte, erklärte er steuerfreie Umsätze und setzte die Umsatzsteuer in seiner Jahreserklärung 2009 mit 0 € an. Hingegen setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 16. August 2011 die Umsatzsteuer 2009 unter Abzug der Vorsteuerbeträge mit ... € fest.

4

Mit seinem Einspruch berief sich der Kläger auf die [X.]. Das [X.] wies diesen Einspruch zurück. Es fehle zum einen an einem beruflichen Befähigungsnachweis. Der Kläger habe sich lediglich autodidaktisch Kenntnisse angeeignet. Überdies scheide z.B. die Anwendung von § 4 Nr. 16 Buchst. k des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (UStG) aus, weil die Vergütungen nicht unmittelbar von Sozialversicherungsträgern an den Kläger gezahlt wurden.

5

Die Klage hatte (auch im zweiten Rechtsgang) in der Sache keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) folgte in seiner Begründung der Einspruchsentscheidung. Eine Steuerbefreiung der Tätigkeiten des [X.] scheitere insbesondere deshalb, weil seine Tätigkeiten nicht unmittelbar vom Sozialleistungsträger vergütet worden seien. Er habe außerdem keine Unterlagen vorgelegt, aus denen ersichtlich sei, dass er die Leistungen persönlich habe erbringen müssen und seine Kosten von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der [X.] Sicherheit unmittelbar oder mittelbar übernommen worden seien. Die Steuerbefreiung lasse sich auch nicht aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ableiten, weil Leistungen von Subunternehmern nicht anerkannt werden könnten.

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, die er auf Verletzung materiellen und formellen Rechts stützt. Das Urteil verstoße gegen materielles Recht. Es komme nicht nur auf unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen ihm und den Trägern der [X.] Sicherheit an. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) sei maßgebend, ob es sich beim Kläger um eine Einrichtung mit sozialem Charakter handele. Die Tätigkeit des [X.], sich um psychisch kranke Autisten zu kümmern, stehe im Gemeinwohlinteresse. Er arbeite als freier Mitarbeiter in einem Team, bei dem die anderen Mitarbeiter, wie Sozialpsychologen, Pädagogen, Heilpädagogen, Sonderpädagogen und Motopäden trotz gleichartiger Tätigkeit umsatzsteuerbefreit seien. Das Autismustraining sei konzeptionell von einem Team aus Ärzten, Psychologen sowie dem Kläger entwickelt worden. Er habe auch belegt, dass die Kosten dieser Leistungen zum großen Teil von Krankenkassen oder [X.] Einrichtungen übernommen worden sind.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des [X.] vom 1. April 2015 sowie den Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 16. August 2011 in Form der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2012 sowie den Umsatzsteuerbescheid vom 5. August 2014 aufzuheben.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der [X.] ([X.]) habe in seinem Urteil vom 8. November 2007 V R 2/06 ([X.], 634, [X.]E 219, 428) selbst bei unmittelbaren Absprachen zwischen dem freien Mitarbeiter und dem Sozialträger eine Anerkennung verneint. Der Kläger habe keine eigenen Absprachen mit dem Sozialträger vorgetragen. Ebenfalls fehle es an konkreten Darlegungen des [X.] zur Übernahme von Kosten durch Sozialträger. Seine Tätigkeit sei auch nicht mit der eines Dipl. Psychologen vergleichbar, weil die berufliche Qualifikation des [X.] hierzu nicht ausreiche.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Das Urteil ist aufzuheben, weil es die Steuerfreiheit der Leistungen  allein  von der Voraussetzung abhängig macht, ob der Kläger seine Vergütungen vom Träger der Jugendhilfe oder des [X.] unmittelbar erhalten hat. Damit hat das [X.] § 4 Nr. 25 [X.]uchst. b Doppelbuchst. [X.] UStG verletzt.

1. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 [X.]uchst. b Doppelbuchst. [X.] UStG setzt voraus, dass Leistungen erbracht werden, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil entweder durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Alternative 1) oder durch Einrichtungen nach [X.]uchst. a (Alternative 2) vergütet wurden. Der Senat legt § 4 Nr. 25 [X.]uchst. b Doppelbuchst. [X.] UStG unionsrechtskonform dahingehend aus, dass eine Vergütung durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht nur im Falle einer unmittelbaren, sondern auch bei einer nur mittelbaren (durchgeleiteten) Kostentragung (eingehend [X.]FH-Urteil vom 22. Juni 2016 V R 46/15, [X.], 272, Rz 51; ebenso schon [X.]FH-Urteil vom 18. August 2015 V R 13/14, [X.], 282) zu durchgeleiteten Zahlungen eines Vereins an Pflegehelfer, und [X.]FH-Urteil vom 8. Juni 2011 XI R 22/09, [X.], 448 zu [X.]). Diese Auslegung entspricht dem Zweck der Steuerbefreiung, die begünstigten Leistungen durch Kostensenkung zugänglicher zu machen (EuGH-Urteil [X.] vom 26. Mai 2005 [X.]/03, [X.]:C:2005:322).

Das bedeutet aber nicht, dass jede nur mittelbare Kostentragung ausreicht, um die Voraussetzungen des § 4 Nr. 25 [X.]uchst. b Doppelbuchst. [X.] UStG zu erfüllen. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Vorschrift muss es sich um Leistungen handeln, die im vorangegangenen Kalenderjahr vergütet wurden. Das heißt: Der Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe muss die Leistung  des Unternehmers  vergüten. So verhielt es sich im Fall des [X.] in [X.], 272. Dort wurde dem Jugendamt unter Mitteilung des jeweiligen Subunternehmers ein Kostenvoranschlag unterbreitet, worauf das Jugendamt den Auftrag mündlich erteilte. Es sagte in Kenntnis der Person des Subunternehmers zu und übernahm die Kosten. Damit hatte es die Durchführung der Maßnahme durch den jeweiligen Subunternehmer genehmigt ([X.]FH-Urteil in [X.], 272, Rz 31). [X.] der Kostenträger aber Leistungen eines Unternehmers, ohne die Kosten für den Subunternehmer ausdrücklich zu übernehmen, so werden die Leistungen des Subunternehmers gerade nicht, wie es § 4 Nr. 25 [X.]uchst. b Doppelbuchst. [X.] UStG verlangt, von einem Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe vergütet. Es bleiben dann lediglich Leistungen an den Hauptunternehmer (den Auftraggeber), die dieser vergütet (vgl. zur Abgrenzung [X.]FH-Urteil vom 8. November 2007 V R 2/06, [X.], 428, [X.], 634).

2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie den in [X.] dargestellten Maßstäben nicht entspricht und lediglich darauf abgestellt hat, ob die Leistungen des [X.] direkt von den zuständigen Kostenträgern vergütet wurden. Darüber hinaus fehlen jegliche Feststellungen zu den entscheidenden Verhältnissen des Vorjahres. Deshalb kann der erkennende Senat nicht selbst entscheiden. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] wird in einer neuen Verhandlung und Entscheidung die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben.

[X.]ei seiner anderweitigen Verhandlung wird das [X.] Folgendes zu berücksichtigen haben:

a) Der Kläger hat Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch ([X.]) [X.] erbracht. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 [X.] [X.] umfasst die Jugendhilfe u.a. die "Hilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und ergänzende Leistungen nach § 35a bis 37". Nach § 35a [X.] [X.] ist Kostenersatz zu leisten für Maßnahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, wobei diese "in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen durch geeignete Pflegepersonen und in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie in Wohnform geleistet" werden. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gehören zu den Kosten der Eingliederungshilfe auch Aufwendungen für autistische Kinder und Jugendliche einschließlich Kosten des --durch den Kläger geleisteten-- Sozialtrainings (Urteil des [X.] vom 15. Oktober 2013  10 [X.] 1254/13). Denn Autismus ist eine seelische oder psychische Erkrankung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, die sich in schweren Kontaktstörungen äußert (vgl. Stähr in [X.]/[X.], Kommentar zum Sozialgesetzbuch, § 35a [X.] [X.] Rz 27f).

b) Es kommt auch in [X.]etracht, dass der Kläger als "Einrichtung" anzusehen ist, der Leistungen erbringt, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder Einrichtungen nach [X.]uchstabe a vergütet wurden. Hierbei fallen unter den [X.]egriff der "Einrichtung", da das nationale Recht an die [X.]egrifflichkeit des Unionsrechts anknüpft ([X.]TDrucks 16/6290, S. 78), nicht nur juristische, sondern auch natürliche Personen wie der Kläger (vgl. z.[X.]. EuGH-Urteil [X.] vom 21. Januar 2016 [X.]/14, [X.]:[X.], Rz 39, m.w.N.). Weitere unternehmerbezogene Voraussetzungen im Sinne eines akademischen Abschlusses oder einer Fachausbildung verlangt § 4 Nr. 25 [X.]uchst. b Doppelbuchst. [X.] UStG nicht. Die Eigenschaft als "Einrichtung mit sozialem Charakter" ergibt sich nach dem Gesetzeswortlaut ("Einrichtungen mit sozialem Charakter sind"...) ausschließlich daraus, dass Leistungen erbracht werden, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil nach den unter [X.] und 2. dargestellten Grundsätzen vergütet wurden. Im Übrigen werden auch sozialrechtlich nach § 35a Abs. 2 [X.] [X.] für Leistungen der [X.] keine besonderen fachlichen Anforderungen gestellt. Soweit die Leistungen in einer Pflege bestehen, wird lediglich eine "geeignete Pflegeperson" vorausgesetzt (§ 35a Abs. 2 Nr. 3 [X.] [X.]), bei Hilfen in ambulanter Form nach § 35a Abs. 2 Nr. 1 [X.] [X.] werden keine Einschränkungen gefordert. Für eine entsprechende Eignung des [X.] zur Durchführung der ambulanten Hilfen in Form des Sozialtrainings von Autisten spräche seine jahrelange praktische Erfahrung.

c) Soweit es um Leistungen des [X.] an erwachsene Autisten geht, wird das [X.] außerdem § 4 Nr. 16 [X.]uchst. k UStG a.F. zu prüfen haben. Diese Steuerbefreiung setzt voraus, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die [X.]etreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.

d) Hinzu kommt Folgendes: Da sich der Kläger --wie sich den Akten entnehmen lässt-- im [X.] zum gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer verpflichtet und nach seiner Gewinnermittlung Umsatzsteuer tatsächlich vereinnahmt hat, muss der Kläger durch Vorlage der Rechnungen oder Gutschriften nachweisen, dass er Rechnungen ohne Umsatzsteuer gestellt oder Gutschriften ohne Umsatzsteuerausweis entgegengenommen hat, um eine Steuerschuld bereits wegen unberechtigten [X.] nach § 14c Abs. 1 UStG zu vermeiden. Die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiungen trägt der Kläger.

3. Da das Urteil bereits aus den unter [X.] bis 2. dargestellten Gründen aufzuheben ist, kommt es auf das Vorliegen der geltend gemachten Verfahrensfehler nicht an (vgl. z.[X.]. [X.]FH-Urteil vom 24. September 2014 V R 11/14, [X.]FH/NV 2015, 528, Rz 49).

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 10/16

30.11.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 1. April 2015, Az: 12 K 428/15, Urteil

§ 4 Nr 16 Buchst k UStG 2005, § 4 Nr 25 Buchst b DBuchst bb UStG 2005, § 14c Abs 1 UStG 2005, § 2 Abs 2 SGB 8, § 35a SGB 8, UStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.11.2016, Az. V R 10/16 (REWIS RS 2016, 1630)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1630

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V R 46/15 (Bundesfinanzhof)

Steuerfreie Leistungen eines Erziehungsbeistands


XI B 88/13 (Bundesfinanzhof)

AdV bei Berufung auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h und i …


XI R 20/16 (Bundesfinanzhof)

Zur Umsatzsteuerbefreiung von Subunternehmerleistungen im Bereich der ambulanten Eingliederungshilfe


XI R 25/13 (Bundesfinanzhof)

Keine Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze eines "Reiterhofs"


V R 52/10 (Bundesfinanzhof)

Zur Umsatzsteuerbefreiung für heilpädagogisches Reiten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.