Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2016, Az. StB 1/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16603

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:040216BSTB1.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

StB 1/16
vom
4. Februar 2016
in dem Strafverfahren
gegen

wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im

Ausland
u.a.

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 4. Februar 2016 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des [X.] vom
14. April 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
[X.] Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Er-mittlungsrichters des [X.] vom 6. September 2014 seit diesem Tage in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen [X.] beteiligt (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Ihm wird darüber hinaus vorgeworfen, tateinheitlich eine schwere staatsgefähr-dende Gewalttat vorbereitet zu haben (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB). Nach dem Haftbefehl liegt dem Beschwerdeführer im Sinne eines dringenden Tatverdachts Folgendes zur
Last:
Die 2006 aus dem extremistischen Flügel der [X.] (Union of Islamic Courts -
Union Islamischer Gerichtshöfe) hervorgegangene [X.], die viele Anhänger der islamistischen Gruppierung Al-Ittihad Al-1
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Islamiya an sich binden konnte, propagiert den "[X.]" als einen Befreiungs-kampf gegen "Imperialisten" und "[X.] Kreuzfahrer". Ihre primären Ziele sind die Vertreibung der in [X.] stationierten Truppen der [X.] ([X.]), der Sturz der von dieser gestützten somalischen Regie-rung, die Errichtung eines Kalifats in [X.] und die dortige Einführung der Scharia. Schon 2009 hatte der frühere Führer von [X.], [X.], die Kämpfer von [X.] zum weiteren "[X.]" aufgerufen und [X.] als einen Schauplatz des Kampfes zwischen dem Islam und den "internationalen Kreuzfahrern" bezeichnet. Seit Februar 2012 ist die Gruppierung Bestandteil des Netzwerks von [X.]. Sie hat eine global-jihadistische Ausrichtung. Zur Erreichung ihrer Ziele kämpft die Vereinigung zum einen militärisch gegen Truppen benachbarter [X.] und [X.]verbände, die versuchen, die soma-lische Regierung zu stabilisieren. Zum anderen begeht sie regelmäßig Überfälle sowie Entführungen und verübt Anschläge sowie Selbstmordattentate innerhalb und außerhalb [X.]s, darunter den Sprengstoffanschlag in [X.] ([X.]) im Juli 2010, bei dem mehr als 70 Menschen getötet und zahlreiche Personen, darunter ein [X.], verwundet wurden. Im Jahre 2013 bekannte sich die Vereinigung u.a. zu einem Überfall auf ein Einkaufszentrum in [X.] ([X.]), bei dem mehr als 60 Besucher sowie Sicherheitskräfte starben. Auch im Jahre 2014 wurden bei von ihr zu verantwortenden Anschlägen mehr als 100 Personen getötet. Die [X.] ist wie andere islamistische Vereinigun-gen hierarchisch aufgebaut. Der an der Spitze stehen[X.] [X.] wird von einem Vertreter, einem Pressesprecher sowie einem Kon-sultativrat (Shura) unterstützt; darunter bestehen verschiedene Komitees mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen. Die Organisation betreibt eine Me-dienstelle und -
jedenfalls zweitweise -
einen lokalen Fernsehsender.
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Der Beschwerdeführer und vier Mitangeklagte, die sämtlich [X.] Staatsangehörige sind, entschlossen sich im Jahre 2012, nach [X.] zu rei-sen und sich dort der [X.] anzuschließen. Sie identifizierten sich mit der Ideologie, den Zielen und Handlungen der Organisation. Für den Fall, dass sie bei ihrem Einsatz für die Vereinigung sterben würden, fertigten sie Abschieds-briefe oder ließen [X.] aufnehmen.
Im April bzw. Mai 2012 reisten die Mitangeklagten A.

W.

und N.

nach [X.]; im Oktober 2012 folgten ihnen der [X.] sowie die Mitangeklagten Ab.

W.

und T.

. Sie alle be-gaben sich in ein "[X.]"
der [X.] in [X.]/[X.], wo sie auf ihre körperliche und ideologische Eignung für die Aufnahme in die [X.] geprüft wurden. Anfang des Jahres 2013 legten zunächst die Mitange-klagten Ab.

W.

und T.

den Treueeid auf [X.] der [X.] ab und absolvierten im [X.] ein viermonatiges Trainingslager. Dabei wurden sie zur Teilnahme an Kampfhandlungen und zum Umgang mit Waffen ausgebildet. Danach versahen sie etwa fünf Monate lang einen parami-litärischen Dienst in einem Verteidigungsposten für die Organisation. Die Pres-sestelle der [X.] drehte von ihrem Einsatz ein [X.], das im [X.] veröffentlicht wurde. Nach krankheitsbedingter Verzögerung legten auch der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten A.

W.

und N.

den Treueeid ab und begannen Mitte des Jahres 2013 ihre Ausbil-dung für den bewaffneten Kampf in einem Trainingslager. Nach deren [X.] trafen sich alle fünf Angeklagten wieder. Zu Beginn des Jahres 2014 versahen der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten A.

W.

und N.

für etwa vier Monate einen paramilitärischen Dienst als Kämpfer an der Front in der Region [X.]. Nach etwa einem Monat stieß der [X.] Ab.

W.

zu ihnen. Der Mitangeklagte T.

war von 3
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Januar bis Mai 2014 als Kämpfer in einem Verteidigungsposten in der Nähe von [X.] tätig.
Da die Realität nicht ihren Vorstellungen entsprach, entschlossen sich [X.] fünf Angeklagten im Juli 2014, die [X.] und [X.] zu verlassen. Sie reisten nach [X.] und dort zunächst nach [X.]. Von [X.] aus begaben sich der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten A.

W.

und N.

am 6. September 2014 nach [X.], wo sie festgenom-men wurden. Die Mitangeklagten Ab.

W.

und T.

wurden am 29. August 2014 in [X.] festgenommen.
Der [X.] hat mit Beschluss vom 26. März 2015 ([X.].: [X.] bis 7/15) ge-gen den Beschwerdeführer und die vier genannten Mitangeklagten im [X.] nach den §§ 121 ff. StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Er hat diese Entscheidung darauf ge-stützt, dass ein dringender Tatverdacht
für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach den § 129a Abs. 1, §
129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB bestehe und offen gelassen, ob daneben mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vorbe-reitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 1, Abs.
2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB erfüllt seien und wie [X.] das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Delikten zu beurteilen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der Entschei-dung Bezug genommen.
Bereits zuvor hatte der [X.] gegen den [X.] und fünf weitere Angeklagte unter dem 4. März 2015 Anklage zum Ober-landesgericht [X.] erhoben. Die Anklageschrift hat einen Umfang von 81 Seiten, benennt u.a. 23 Zeugen, zwei Sachverständige und zahlreiche 5
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weitere Beweismittel. Das [X.] hat mit Beschluss vom 14. April 2015 die Anklage zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Die Hauptverhandlung hat am 12. Juni 2015 begonnen und dauert derzeit noch an.
Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz seiner Verteidiger ohne Da-tum, beim [X.] eingegangen am 17. Dezember 2015, [X.] gegen die [X.]entscheidung vom 14. April 2015 eingelegt und [X.], diese sowie den Haftbefehl vom 6. September 2014 aufzuheben, [X.] den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung hat er ausge-führt, in seinem Freiheitsgrundrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt zu sein, weil das Verfahren nicht mit der verfassungsrechtlich geforderten Beschleunigung geführt worden sei. Den vom [X.] aufgestellten [X.] sei zu keinem [X.]punkt Rechnung getragen worden; es sei auch nicht zu erwarten, dass dies in Zukunft geschehen werde.
Der [X.] beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Be-züglich der Begründung wird auf die Ausführungen in dessen Stellungnahme vom 23. Dezember 2015 ([X.] "Vorgänge ab Eingang der
Anklageschrift" Bd.
V, [X.]. 177 ff.) sowie den Schriftsatz vom 11. Januar 2016 verwiesen.
Das [X.] hat der Beschwerde durch Beschluss vom 21.
Dezember 2015 nicht abgeholfen. Es hat ausgeführt, der Beschwerdeführer sei der ihm in der Anklage vorgeworfenen Straftaten dringend verdächtig. Zur Begründung hat es mit ausführlichen Darlegungen auf die weitestgehend ge-ständige Einlassung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung sowie die bisher erhobenen Beweise abgestellt. Die Haftgründe der Fluchtgefahr (§
112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der [X.] (§ 112 Abs. 3 StPO) [X.] gegeben. Das Beschleunigungsgebot sei hinreichend beachtet worden. Im 8
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zurückliegenden [X.]raum sei die Hauptverhandlung an insgesamt 27 Tagen durchgeführt worden. Im Rahmen einer Vorbesprechung sei Einvernehmen dahin erzielt worden, dass zunächst mit einem reduzierten [X.] begonnen werden sollte, um die Möglichkeit einer Verständigung und das damit zusammenhängende Einlassungsverhalten der Angeklagten zu klären. In dem [X.] am 3. Juli 2015 hätten fünf Angeklagte, darunter der Beschwerdeführer, um einen Verständigungsvorschlag gebeten. Diesen habe der [X.] ausgearbeitet und am 21. Juli 2015 bekannt gegeben. Die Angeklag-ten hätten ihn abgelehnt und angekündigt, sich einlassen zu wollen, dies aber erst nach Ablauf der dem bereits vor Prozessbeginn feststehenden Erholungs-urlaub geschuldeten Sommerpause. Die Einlassungen seien sodann nur schleppend abgegeben worden. Dies sei u.a. dadurch begründet gewesen, dass der Beschwerdeführer und seine beiden mitangeklagten Brüder sich [X.] geeinigt hätten, dass zunächst der älteste Bruder Angaben mache. Dessen Verteidiger habe sich auserbeten, bei der Einlassung zugegen zu sein, [X.] werde sein Mandant nichts sagen. Aus diesem Grund habe auf die Ver-hinderung des Verteidigers bei einzelnen Terminen Rücksicht genommen wer-den müssen. Daneben seien Beweise erhoben worden; u.a. habe im [X.] 2015 der Sachverständige Dr. S.

sein Gutachten erstattet. Weitere Unterbrechungen seien auf langfristig geplante Erholungsurlaube zurückzufüh-ren gewesen. Der [X.] habe die sitzungsfreie [X.] zur Aufarbeitung der [X.] sowie zur kompakten Terminsvorbereitung ge-nutzt. Eine engere
Terminierung sei wegen der gleichzeitigen Inanspruchnah-me des [X.]s in zwei weiteren, parallel geführten Staatsschutzverfahren nicht möglich gewesen. Für Januar 2016 seien ergänzende Einlassungen zweier Mitangeklagter angekündigt. Die Hauptverhandlung solle an einem Kurztermin am 11. Januar 2016 sowie ab dem 14. Januar 2016 zweimal wöchentlich an den regulären Terminen fortgesetzt werden; zu diesen seien bereits mehrere -
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Zeugen geladen. Der Vollzug der Untersuchungshaft sei nach wie vor verhält-nismäßig; die Dauer des Freiheitsentzuges sei selbst dann noch angemessen, wenn man im Rahmen dieser Abwägung eine Reststrafenaussetzung nach §
57 StGB antizipiere. Es sei davon auszugehen, dass Anfang März 2016 die Beweisaufnahme abgeschlossen werden könne. Die weitere Untersuchungs-haft stehe zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der genannten Entscheidung Bezug genommen.
In der [X.] vom 21. bis zum 29. Januar 2016 konnte wegen der Erkran-kung eines [X.]smitgliedes nicht zur Sache verhandelt werden.
I[X.] Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin jedenfalls der -
von der Verteidigung in diesem Beschwerdeverfahren nicht angegriffene -
dringende Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terro-ristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB).
a) Nach der Rechtsprechung des [X.]s unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im [X.] nur in eingeschränk-tem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht ([X.], Beschlüsse vom 28. August 2014 -
StB 22/14, juris Rn.
5; 8. Oktober 2012 -
StB 9/12
[X.], 419, 420; 7.
August 2007 -
StB 17/07, juris Rn. 5; 19. Dezember 2003
-
StB 21/03, [X.]R StPO § 112 Tatverdacht 3 [X.]). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrens-11
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stand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
b) Bei Anwendung dieses [X.] hat das [X.] in seinem umfangreichen Beschluss vom 21. Dezember 2015 ausreichend [X.], dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der [X.] einen dringenden Tatverdacht dahin belegen, dass die [X.] im Tatzeitraum eine ausländische terroristische Vereinigung darstellte, deren [X.] und Tätigkeit darauf gerichtet waren, Katalogtaten nach § 129a Abs. 1 StGB zu begehen. Darüber hinaus hat es ebenfalls in genügender Weise Aus-führungen gemacht, welche die Annahme tragen, der Angeklagte habe sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt. Die An-forderungen an die Begründungstiefe der in laufender Hauptverhandlung erge-henden Haftentscheidungen sind damit insoweit gewahrt.
2. Das [X.] ist zudem
zutreffend davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund der [X.] nach §
112 Abs. 3 StPO auch derjenige der Fluchtgefahr gemäß §
112 Abs. 2 Nr.
2 StPO weiterhin vorliegt. Dem nach wie vor insbesondere aus der erheblichen Straferwartung folgenden hohen Fluchtanreiz stehen keine ausreichend belast-baren privaten Bindungen und [X.] Beziehungen des Angeklagten in [X.] gegenüber. Die gegebenen Umstände schließen zudem eine Aus-setzung des Vollzugs des Haftbefehls nach §
116 Abs. 1 StPO aus.
3. Die Fortdauer der nunmehr etwa ein Jahr und fünf Monate andauern-den Untersuchungshaft ist mit [X.]ick auf das
Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem Interesse der Allge-meinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwä-15
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gung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens -
insbeson-dere dessen zu erwartende Gesamtdauer -
noch verhältnismäßig

120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Insoweit gilt:
a) Bei Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft ist das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 [X.] ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erschei-nenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechts-kräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu-kommt.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, son-dern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass deren
weiterer
Vollzug
nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig vom Tatvorwurf und von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig
mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die [X.] in einer Haftsache mit der Länge
der Untersu-chungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die [X.] rechtfertigenden Grund zu.
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Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsa-chen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle mögli-chen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entschei-dung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderun-gen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur [X.] eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwen-dig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensver-zögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere [X.]räume umgreifende [X.] mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungs-interesse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Anzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der [X.] abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des [X.] erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraus-sichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], [X.] vom 17.
Januar 2013 -
2 BvR 2098/12, juris Rn. 39 ff. [X.]; [X.], [X.] vom 19. März 2013 -
StB 2/13, juris Rn. 12 ff.).
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b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrecht-zuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Dem steht im Er-gebnis -
entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers -
auch der Verlauf der Hauptverhandlung nicht entgegen.
aa) Gegen den Angeklagten besteht aufgrund der hohen Wahrschein-lichkeit, dass dieser sich als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt hat, der dringende Verdacht einer gewichtigen Straftat. Diese ist mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre bedroht und wiegt auch mit [X.]ick auf die konkret gegebenen Umstände schwer.
bb) Das Ermittlungsverfahren ist ohne Verzögerung betrieben worden. Der [X.] hat bereits frühzeitig und noch vor der ersten Haft-prüfung durch den [X.] Anklage erhoben. Auch im Zwischenverfahren sind Versäumnisse, die zu einer Verlängerung des Verfahrens geführt haben, nicht zu erkennen. Das [X.] hat vielmehr alsbald über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und sehr zeitnah mit der Hauptverhandlung begonnen.
cc) Das Verfahren richtet sich gegen insgesamt sechs Angeklagte und hat komplexe Tatvorwürfe mit deutlichen Auslandsbezügen zum Gegenstand; es weist somit insgesamt einen überdurchschnittlichen Umfang auf.
dd) Das [X.] hat die Hauptverhandlung -
mit Ausnahme der urlaubsbedingten, sich im Rahmen der Vorgaben der Strafprozessordnung haltenden Unterbrechungen -
in der Regel zweimal wöchentlich durchgeführt. Insoweit ist gegen die Verhandlungsdichte nichts zu erinnern. Bei der Bewer-tung des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung ist allerdings nicht zu
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kennen, dass das [X.] die ohne Weiteres mögliche Dauer eines [X.]s regelmäßig bei weitem nicht ausgeschöpft hat. So-weit es in diesem Zusammenhang darauf verweist, es sei zeitgleich mit der Durchführung von Hauptverhandlungen in zwei weiteren Verfahren befasst ge-wesen, sind derartige Umstände nicht geeignet, die Fortdauer der Untersu-chungshaft des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Die Justizverwaltung hat mit [X.]ick auf die rechtstaatliche Ordnung und den grundrechtlich verbürgten Freiheitsanspruch des Betroffenen vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass aus-reichende Kapazitäten zur Verfügung stehen, um Strafverfahren, insbesondere bei Haftsachen, angemessen führen und in einem vertretbaren [X.]raum ab-schließen zu können. Jedoch fällt hier auch ins Gewicht, dass das Verfahren sich gegen insgesamt sechs Angeklagte richtet und Sachverhalte betrifft, die sich im Wesentlichen im Ausland zugetragen haben. Diese Umstände erfordern zum einen eine überdurchschnittlich zeit-
und arbeitsintensive Vor-
und Nach-bereitung der [X.]e; zum anderen sind sie dazu geeignet, die konkreten [X.]e weniger voraussehbar zu machen, als dies bei einer geringeren Anzahl von Angeklagten der Fall ist. So beruht hier
der bisherige konkrete Verlauf der Hauptverhandlung zumindest auch auf dem Prozessverhalten der Angeklagten und ihrer Verteidiger, die etwa angekündigte Einlassungen zur Sache nur zu bestimmten [X.]punkten und unter bestimmten Voraussetzungen abzugeben bereit waren. Dies ist bei der Prüfung der Fort-dauer der Untersuchungshaft sowohl nach der Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts ([X.], Beschluss vom 23. Januar 2008 -
2 BvR 2652/07, [X.], 198 f.) als auch nach derjenigen des [X.] ([X.], Entscheidung vom 6. November 2014
-
Application no. 67522/09 Ereren gegen [X.], NJW 2015, 3773, 3775) und des [X.]s (vgl. Beschluss vom
8. Oktober 2012 -
StB 9/12, [X.], 419, 421) zu berücksichtigen, ohne dass es in diesem Zusammenhang maßgeblich -
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darauf ankommt, ob es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind.
ee) Soweit weiter das voraussichtliche Ende des Verfahrens von Bedeu-tung ist (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 16. April 2013 -
StB 6/13), ist [X.], dass die Prognose des [X.]s, die Hauptverhandlung in naher Zukunft abschließen zu können, bei allen Unwägbarkeiten, die mit [X.] notwendigerweise verbunden sind, auf einer tragfähigen Grundlage be-ruht. Dies gilt auch mit [X.]ick auf die zwischenzeitliche Erkrankung eines Mit-glieds des [X.]s des [X.]s. Das [X.] ist [X.] ersichtlich darum bemüht, das Verfahren in einem überschaubaren [X.]-raum abzuschließen.
ff) Das zügige Betreiben des Verfahrens bis zum Beginn der [X.] führt dazu, dass trotz deren bisherigen Verlaufs die zu erwartende Gesamtdauer der Untersuchungshaft bis zu dem voraussichtlichen Abschluss des Verfahrens auch vor dem Hintergrund der im Raum stehenden [X.] und einer möglichen Reststrafenaussetzung zur Bewährung noch nicht als unverhältnismäßig zu bewerten ist. Anhaltspunkte dafür, dass die besonderen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrests bereits nach deren hälfti-ger Verbüßung (§ 57 Abs. 2 StGB) vorliegen, sind nicht ersichtlich. Somit käme allenfalls eine Aussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs. 1 StGB) in Betracht. Der [X.] hat auch insoweit keinen Anlass, die Aus-führungen des [X.]s in dessen Nichtabhilfeentscheidung in Zwei-fel zu ziehen, wonach der hierfür maßgebende [X.]punkt noch nicht erreicht ist. Dies gilt auch für den Fall, dass eine Verurteilung wegen eines tateinheitlich verwirklichten Delikts nach § 89a StGB unterbleibt.

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gg) Der [X.] weist allerdings abschließend nachdrücklich darauf hin, dass die Anforderungen an die [X.], mit der ein Strafverfahren durchzu-führen ist, mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen. Vor diesem Hinter-grund liegt seiner Entscheidung die Erwartung zugrunde, dass die [X.] bis zu ihrem Ende in besonderer Weise intensiv betrieben werden wird. Dies gilt auch bezüglich der Dauer der einzelnen Termine. Das Oberlan-desgericht wird auch mit [X.]ick auf möglicherweise weiterhin geltend gemachte Interessen der übrigen Verfahrensbeteiligten alle nach der Strafprozessordnung vorgesehenen Möglichkeiten auszuschöpfen und dabei gegebenenfalls etwa zu erwägen haben, das Verfahren gegen den weitestgehend geständigen [X.] abzutrennen und diesen gesondert abzuurteilen.

[X.]Schäfer Spaniol

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Meta

StB 1/16

04.02.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2016, Az. StB 1/16 (REWIS RS 2016, 16603)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16603

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 2098/12

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