Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2015, Az. IX ZB 76/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12156

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Gegenstand

Aufhebung des Insolvenzverfahrens: Auswirkungen auf den Wert des Beschwerdegegenstands eines Berufungsverfahrens wegen der Feststellung einer Forderung


Leitsatz

Zu den Auswirkungen der Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf den Wert des Beschwerdegegenstands eines Berufungsverfahrens, dem die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle zugrunde lag.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des [X.] vom 20. Juni 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 10.061,28 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen eines Fahrradunfalls. Seine ursprünglich gegen den angeblichen Schädiger persönlich erhobene Klage auf Leistung und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden hat das [X.] abgewiesen und den Streitwert auf 12.301,60 € festgesetzt. Während der laufenden Berufungsfrist ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schädigers eröffnet und der Beklagte zum Verwalter bestellt worden. Sodann hat der Kläger Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Nachdem der Beklagte die zur Insolvenztabelle angemeldeten Schadensersatzforderungen bestritten hatte, hat der Kläger das Berufungsverfahren aufgenommen und seine Klage nunmehr gegen den Beklagten auf Feststellung des Bestehens einer Insolvenzforderung gerichtet. Am 10. Januar 2012 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schädigers aufgehoben worden. Mit Beschluss vom 20. Juni 2012 hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

3

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Wert des [X.] von mehr als 600 € werde nicht erreicht. Der Streitwert einer gegen den Verwalter gerichteten Insolvenzfeststellungsklage bestimme sich gemäß § 182 [X.] nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die streitige Forderung zu erwarten sei. Ob die Forderung durch sonstige Rechte gesichert sei oder ein Absonderungsrecht bestehe, bleibe außer Betracht. Könne mit einer Insolvenzquote nicht gerechnet werden, sei der Streitwert auf den Wert der niedrigsten [X.] festzusetzen. Für den Wert des [X.], der sich nach dem Interesse des Berufungsklägers an der Abänderung des angefochtenen Urteils bestimme, gelte Entsprechendes. Der Kläger habe schon zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungseinlegung die Auszahlung einer Quote nicht erwarten können.

4

2. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass es durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu einem gesetzlichen [X.]wechsel vom Beklagten auf den Schädiger gekommen ist.

5

a) Mit der rechtskräftigen Beendigung des Insolvenzverfahrens, gleich ob sie auf einer Aufhebung (§§ 200, 258 [X.]) oder Einstellung (§ 215 [X.]) beruht, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters grundsätzlich unter ([X.], Urteil vom 10. Februar 1982 - [X.], [X.]Z 83, 102; vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.], 99 Rn. 7). Neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis entfällt auch die Prozessführungsbefugnis ([X.], Urteil vom 15. Juni 1992 - [X.], [X.], 1152 f; vom 10. Dezember 2009, aaO).

6

Mit Blick auf einzelne Bestandteile des [X.] können Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und demzufolge auch die Prozessführungsbefugnis des Verwalters die [X.] ausnahmsweise überdauern. Geht es wie hier um eine streitige Insolvenzforderung, kommt der Fortbestand des [X.] in Betracht für einen nach § 189 Abs. 2 [X.] zurückbehaltenen und schließlich gemäß § 198 [X.] hinterlegten Betrag. Der Grund dafür ist, dass der hinterlegte Betrag grundsätzlich einer [X.] nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zuzuführen ist, wenn feststeht, dass er nicht zur Befriedigung des [X.] benötigt wird (vgl. [X.], Urteil vom 22. Februar 1973 - [X.], NJW 1973, 1198, 1199; vom 10. Februar 1982, aaO S. 103; vom 15. Juni 1992, aaO S. 1153). Ob der [X.] ohne weiteres fortbesteht (so [X.], [X.], 13. Aufl., § 200 Rn. 14; HmbKomm-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 200 Rn. 13; [X.]/[X.], [X.], 18. Aufl., § 200 Rn. 5), die [X.] vorzubehalten (so [X.], [X.], 2077, 2081; vgl. auch MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 200 Rn. 40) oder besonders anzuordnen ist (so Jaeger/[X.], [X.], § 200 Rn. 16), muss nicht entschieden werden. Eine Hinterlegung gemäß § 198 [X.] ist im Streitfall mangels Masse nicht erfolgt.

7

b) Endet mit der rechtskräftigen [X.] der [X.], erlangt der Schuldner sowohl Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis als auch die Prozessführungsbefugnis zurück. In einem zu diesem Zeitpunkt anhängigen Rechtsstreit, an dem der Insolvenzverwalter als [X.] kraft Amtes mit Wirkung für und gegen die Masse beteiligt ist, kommt es zu einem gesetzlichen [X.]wechsel von dem Insolvenzverwalter auf den Schuldner ([X.], Urteil vom 19. Dezember 1966 - [X.], [X.]Z 46, 249, 250; Beschluss vom 7. April 2011 - [X.], [X.], 989 Rn. 6; [X.], aaO Rn. 17; MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Rn. 37; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 239 Rn. 14), wenn nicht ein untrennbar mit dem Amt des Verwalters verbundenes Recht [X.] ist (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 1982, aaO [X.] ff). Der Insolvenzverwalter kann den Rechtsstreit nur noch in gewillkürter Prozessstandschaft führen (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 2008 - [X.], [X.], 1615).

8

Nicht einheitlich wird beantwortet, ob der gesetzliche [X.]wechsel den Rechtsstreit unterbricht und gegebenenfalls nach welcher Vorschrift (vgl. [X.], Beschluss vom 7. April 2011, aaO Rn. 7 mwN). Eine Unterbrechung wird teils auf eine analoge Anwendung des § 239 ZPO gestützt, teils wird eine Anwendung von § 241 ZPO für richtig gehalten (vgl. [X.]/[X.], [X.]). Der [X.] braucht diese Frage nicht zu entscheiden. § 246 Abs. 1 ZPO gilt sowohl für § 239 ZPO als auch für § 241 ZPO. Zu einer Unterbrechung des Rechtsstreits kann es im Streitfall schon deshalb nicht gekommen sein, weil der Beklagte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war; ein Aussetzungsantrag ist nicht gestellt. Ist kein Aussetzungsantrag gestellt, wird der Rechtsstreit wie bisher fortgesetzt. [X.] ist der Schuldner persönlich, auch wenn der Prozess noch auf den Namen des Insolvenzverwalters geführt wird (vgl. [X.], Urteil vom 8. Februar 1993 - [X.], [X.]Z 121, 263, 265 f; [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 246 Rn. 2b; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 12. Aufl., § 246 Rn. 5).

9

c) Prozesspartei ist demnach seit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr der Beklagte, sondern der angebliche Schädiger. In diesem Prozessrechtsverhältnis gelangt § 182 [X.] nicht zur Anwendung. Der Wert des [X.] ist nach den allgemeinen Vorschriften zu bestimmen (§ 2 iVm §§ 3 ff ZPO). Unter Berücksichtigung des gesetzlichen [X.]wechsels ist der Antrag des [X.] nicht mehr als Tabellenfeststellungsklage gemäß §§ 179, 180 [X.] zu verstehen, sondern als allgemeines Feststellungsbegehren. Seine abweichende Formulierung ist als unschädliche Falschbezeichnung anzusehen. Der Wert des [X.] ist daher mit dem üblichen Abschlag in Höhe von 20 v.H. zu bemessen und liegt mit 10.061,28 € oberhalb der Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

III.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst auf eine Berichtigung des Rubrums hinsichtlich des Beklagten hinzuwirken und dem Kläger Gelegenheit zu geben haben, seinen Berufungsantrag unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs der Leistungsklage zu überprüfen.

[X.]Vill

              Lohmann                       Fischer

Meta

IX ZB 76/12

23.04.2015

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 20. Juni 2012, Az: 13 U 1302/10

§ 2 ZPO, § 3 ZPO, §§ 3ff ZPO, § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 179 InsO, § 180 InsO, § 182 InsO, § 187 InsO, § 200 Abs 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2015, Az. IX ZB 76/12 (REWIS RS 2015, 12156)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12156

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

IX ZB 49/17

IX ZB 76/12

Zitiert

V ZB 11/10

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