Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.07.2017, Az. V ZR 72/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 7611

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Gegenstand

Anfechtungsklage im Wohnungseigentumsverfahren: Zulässigkeit der Berufung der im erstinstanzlichen Urteil als Beklagte aufgeführten Wohnungseigentümergemeinschaft


Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 1 bis 17 wird das Urteil der 29. Zivilkammer des [X.] vom 28. Januar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger haben unter Einreichung einer Eigentümerliste Anfechtungsklage gegen mehrere auf einer Eigentümerversammlung gefasste Beschlüsse erhoben. Die Beklagten zu 1 bis 17 waren erstinstanzlich anwaltlich vertreten, der Beklagte zu 18 hat sich selbst vertreten. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Im Rubrum dieses Urteils wird als Beklagte (allein) die „[X.]               “ aufgeführt. Gegen dieses Urteil haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 bis 17 im April 2015 Berufung eingelegt und als Berufungsklägerin die „Wohnungseigentümergemeinschaft A.                   “ angegeben. Das [X.] hat im November 2015 darauf hingewiesen, dass Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers bestünden. Nach der Berufungsschrift handele es sich um eine Berufung der Wohnungseigentümergemeinschaft, während Beklagte des erstinstanzlichen Verfahrens die übrigen Miteigentümer gewesen seien. Daraufhin haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 bis 17 erklärt, die Berufung habe nur für diese eingelegt werden sollen, nicht aber für den Beklagten zu 18 oder die Wohnungseigentümergemeinschaft.

2

Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17 durch Urteil als unzulässig verworfen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision möchten diese weiterhin die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht meint, die Berufungsschrift genüge nicht den Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO, weil sich aus ihr nicht zweifelsfrei ergebe, dass die Berufung für die Beklagten zu 1 bis 17 habe eingelegt werden sollen. Diese seien weder in der Berufungsschrift aufgeführt noch in dem angegriffenen Urteil, auch nicht in Form einer - beigefügten oder in Bezug genommenen - Eigentümerliste; es habe daher nicht nahegelegen, dass als Berufungskläger die übrigen Mitglieder der Eigentümergemeinschaft mit Ausnahme des Beklagten zu 18 gemeint gewesen seien. Dass erstinstanzlich nur die Beklagten zu 1 bis 17 durch Prozessbevollmächtigte vertreten worden seien, habe sich erst aus der nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangenen Gerichtsakte ergeben. Die Bezeichnung „Berufungsklägerin“ habe auch nicht auf eine Mehrzahl von Berufungsklägern schließen lassen.

4

Der Antrag der Beklagten zu 1 bis 17 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet. Sie könnten sich nicht darauf berufen, dass in dem Rubrum des amtsgerichtlichen Urteils die Wohnungseigentümergemeinschaft als Beklagte angegeben worden sei und sie deshalb diese Bezeichnung in die Berufungsschrift hätten übernehmen können, denn der Rechtsanwalt müsse die [X.] auf die zutreffende Angabe des Rechtsmittelführers hin überprüfen.

II.

5

Die Revision ist begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten zu 1 bis 17 auf Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 19 Abs. 4 GG.

6

1. Das Rechtsstaatsprinzip garantiert dem Bürger einen effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt; der Bürger hat Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Dies schließt die normative Ausgestaltung eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht aus, wonach die Geltendmachung eines [X.] an die Beachtung formeller Voraussetzungen gebunden wird. Solche Einschränkungen dürfen aber das Ziel eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht aus dem Auge verlieren; sie müssen im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtssuchenden zumutbar sein. Die Gerichte dürfen bei der Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den [X.] eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren ([X.] 74, 228, 234; 77, 275, 284; [X.], NJW 2002, 3534 mwN).

7

2. Gegen diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17 verworfen hat.

8

a) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] zu dem notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO die Angabe gehört, für und gegen welche [X.] das Rechtsmittel eingelegt wird. Die [X.] muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittelführer und wer [X.] sein soll (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Januar 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 699 Rn. 9; Urteil vom 15. [X.] - [X.], NJW-RR 2011, 359 Rn. 10 f. jeweils mwN). Daran fehlt es, wenn in der Berufungsschrift anstelle des wirklichen Berufungsklägers ein anderer, mit ihm nicht identischer Beteiligter bezeichnet wird ([X.], Beschluss vom 21. Februar 2008 - [X.]/07, juris Rn. 4 mwN).

9

b) Das bedeutet aber nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Rechtsmittelklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre. Vielmehr kann sie - nicht zuletzt unter Beachtung des Grundsatzes, dass der Zugang zu den Instanzen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unzumutbar erschwert werden darf - auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorhandenen Unterlagen gewonnen werden. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die Person des Rechtsmittelführers bis zum Ablauf der Berufungsfrist für das Berufungsgericht und den Gegner in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar wird ([X.], Beschluss vom 21. Februar 2008 - [X.]/07, juris Rn. 4 mwN).

c) Nach diesen Maßstäben durfte das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17 nicht mit der Begründung verwerfen, es habe bis zum Ablauf der Berufungsfrist nicht eindeutig erkennen können, wer Rechtsmittelführer sein solle.

aa) Die durch ein Urteil scheinbar beschwerte [X.] ist stets befugt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, um den [X.] eines sie [X.] Urteils zu beseitigen (vgl. Senat, Urteil vom 18. September 1963 - [X.], [X.], 248; [X.], Urteil vom 12. Oktober 1953 - [X.], [X.]Z 10, 346, 349; Beschluss vom 16. Oktober 1984 - [X.], [X.], 1192, 1193; Beschluss vom 3. November 1994 - [X.] 5/94, NJW 1994, 404; Urteil vom 4. Februar 1999 - [X.], NJW 1999). So ist selbst eine nicht parteifähige Personenvereinigung, die als solche verurteilt worden ist, befugt, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, und zwar auch dann, wenn die im Urteil enthaltene fehlerhafte [X.]bezeichnung im Wege der Berichtigung korrigierbar war ([X.], Beschluss vom 13. Juli 1993 - [X.], NJW 1993, 2943, 2944 für die damals noch nicht als parteifähig anerkannte Wohnungseigentümergemeinschaft).

Da das erstinstanzliche Urteil vorliegend im Rubrum allein die Wohnungseigentümergemeinschaft als Beklagte nennt, durfte diese folglich mit dieser Bezeichnung Berufung einlegen.

bb) Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der falschen Bezeichnung der Beklagten als Wohnungseigentümergemeinschaft um ein offensichtliches Versehen des Amtsgerichts gehandelt hat, weil nicht diese, sondern allein die Beklagten zu 1 bis 18 [X.]en des erstinstanzlichen Verfahrens waren.

(1) Zwar bestand vorliegend die Möglichkeit, das erstinstanzliche Urteil dahingehend auszulegen, dass nicht die Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern die Beteiligten zu 1 bis 18 verurteilt werden. Die Unrichtigkeit der [X.]bezeichnung ist schon aus dem Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils erkennbar, wonach die [X.]en die „Wohnungseigentümergemeinschaft A.            “ bilden. Hieraus folgt, dass letztere nicht selbst [X.] sein kann, sondern die übrigen Miteigentümer mit Ausnahme der Kläger verklagt sind. Der durch die falsche [X.]bezeichnung gesetzte [X.] konnte durch diese Auslegung aber nicht beseitigt werden. Vielmehr bedarf es hierzu der Berichtigung des Urteils, die nach § 319 Abs. 1 ZPO jederzeit von Amts wegen zulässig ist, da es sich um eine offenbare, aus dem Urteil selbst auch für Dritte erkennbare Unrichtigkeit handelt (vgl. zu dieser Voraussetzung Senat, Beschluss vom 9. Februar 1989 - [X.], [X.]Z 106, 370, 373). Eine solche Berichtigung ist bislang nicht erfolgt.

Da das Amtsgericht durch die gewählte [X.]bezeichnung den Anschein erweckt hat, die Wohnungseigentümergemeinschaft verurteilt zu haben, durfte die unter dieser Bezeichnung eingelegte Berufung folglich nicht ohne Berichtigung des amtsgerichtlichen Urteils unter Hinweis auf dessen Auslegungsfähigkeit verworfen werden. Die bloße Möglichkeit der Berichtigung der fehlerhaften [X.]bezeichnung ändert nichts an der Befugnis der scheinbar verurteilten [X.], Rechtsmittel mit dem Ziel der Beseitigung der scheinbaren Beschwer einzulegen (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 1993 - [X.], NJW 1993, 2943, 2944).

(2) Der Zulässigkeit der Berufung steht auch nicht entgegen, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 bis 17 nach Ablauf der Berufungsfrist erklärt haben, die Berufung habe nur für diese und nicht auch für den Beklagten zu 18 oder für die fehlerhaft verurteilte Wohnungseigentümergemeinschaft eingelegt werden sollen. Aus der Berechtigung der scheinbar beschwerten [X.] zur Rechtsmitteleinlegung folgt, dass es der Klarstellung, welche Personen nach Beseitigung des [X.]s - etwa durch Berichtigung des erstinstanzlichen Urteils - „richtige“ Rechtsmittelkläger sein sollen, nicht schon im Zusammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung bedarf. Diese kann vielmehr auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgen, wie dies hier im [X.] geschehen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 1993 - [X.], NJW 1993, 2943, 2944).

III.

Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil die erforderlichen Feststellungen fehlen. Sie ist daher unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Dieses wird nach Berichtigung des amtsgerichtlichen Urteils, zu der es als Rechtsmittelgericht selbst befugt ist (Senat, Beschluss vom 9. Februar 1989 - [X.], [X.]Z 133, 370, 373; [X.], Urteil vom 3. Juli 1996 - [X.], [X.]Z 133, 184, 191), nunmehr in der Sache über die Berufung der Beklagten zu 1 bis 17 zu entscheiden haben.

Stresemann     

       

Brückner     

       

Weinland

       

Kazele     

       

Hamdorf     

       

Meta

V ZR 72/16

21.07.2017

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Köln, 28. Januar 2016, Az: 29 S 82/15

§ 44 WoEigG, § 46 WoEigG, § 519 Abs 2 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.07.2017, Az. V ZR 72/16 (REWIS RS 2017, 7611)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7611

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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