Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2010, Az. XI ZB 23/10

11. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 956

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nebeneinander von Ansprüchen aus vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung und aus zivilrechtlicher Prospekthaftung im engeren Sinne: Aussetzung des gesamten Rechtsstreits nach KapMuG


Leitsatz

Werden Ansprüche aus einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung, die nicht Gegenstand eines Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) sein können, in einer Klage neben Ansprüchen aus zivilrechtlicher Prospekthaftung im engeren Sinne geltend gemacht, für die ein im Klageregister bekannt gemachtes Musterverfahren von Bedeutung sein kann, so ist eine Aussetzung des gesamten Rechtsstreits nach § 7 Abs. 1 KapMuG unzulässig, solange nicht über die Ansprüche aus vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung entschieden worden ist .

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 25. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

1. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit der von ihm am 15. Juni 2004 gezeichneten Beteiligung an der [X.] (im Folgenden: Fonds).

2

Er stützt sein Klagebegehren zum einen auf eine angebliche Prospektverantwortung der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Prospekthaftung im engeren Sinne mit der Begründung, der für die Anlage herausgegebene Prospekt sei inhaltlich aus verschiedenen Gründen falsch. Zum anderen nimmt er die Beklagte als die seine Beteiligung finanzierende Bank in Anspruch mit der Begründung, die Beklagte habe Aufklärungspflichten bei Eingehung des Darlehensvertrages verletzt.

3

Gesellschaftszweck des Fonds ist die weltweite Entwicklung, ([X.], Verwertung und Vermarktung und der Vertrieb von Kino-, TV- und Musikproduktionen sowie anderer audiovisueller Produktionen nebst Nebenrechten. Das [X.] sieht eine obligatorische Fremdfinanzierung jedes Anlegers in Höhe von 45,5% des [X.] durch die Beklagte vor. Die vom Kläger gezeichnete Anlage entwickelte sich nicht wie prognostiziert. Zum einen blieben die Ausschüttungen hinter den Prognosen zurück. Zum anderen entzog das Finanzamt M. dem Fonds die gewährte steuerliche Anerkennung als Abschreibungsmodell. Der Initiator des Fonds ist wegen der unzutreffenden steuerlichen Gestaltung des Fonds rechtskräftig zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

4

Beim [X.] ist unter dem Aktenzeichen [X.] ein Verfahren nach dem [X.] (nachfolgend: [X.]) anhängig. Die Beklagte ist dort Musterbeklagte zu 2). Zu klären sind in diesem Verfahren, soweit es die hiesige Beklagte betrifft, deren Prospektverantwortlichkeit und die Fehlerhaftigkeit des Prospekts.

5

2. Das [X.] hat das Verfahren nach § 7 [X.] ausgesetzt. Das Beschwerdegericht hat den Aussetzungsbeschluss auf die sofortige Beschwerde des [X.] aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

6

Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde sei auch gegen den auf § 7 Abs. 1 [X.] gestützten Aussetzungsbeschluss gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, weil vorliegend der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 [X.] nicht eröffnet sei und damit auch § 7 Abs. 1 Satz 4 [X.] nicht zur Anwendung komme.

7

Die Entscheidung des [X.]s habe auch in der Sache keinen Bestand. Die Aussetzung eines Verfahrens, dessen Ergebnis nicht vom Ergebnis eines Verfahrens nach dem [X.] abhängig sei, habe in § 7 Abs. 1 [X.] keine Grundlage. Das [X.] habe vorliegend ausweislich der Gründe der Nichtabhilfeentscheidung nicht hinreichend geprüft, ob eine Haftung aus vorvertraglichem Verschulden nach § 311 Abs. 2 BGB in Betracht komme, insbesondere die Beweisangebote des [X.] und den wechselseitigen Sachvortrag nicht unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt. Nach der Rechtsprechung des [X.] komme eine Aussetzung nach § 7 [X.] aber nur in Betracht, soweit eine Prospekthaftung im engeren Sinne und damit Ansprüche aufgrund einer fehlerhaften öffentlichen Kapitalmarktinformation geltend gemacht würden. Auf die daneben auch geltend gemachte Haftung auf (vor-)vertraglicher Grundlage sei § 7 [X.] nicht anwendbar. Die Frage, ob der Prospekt richtig oder falsch sei, sei bei dem gegenwärtigen Prüfungsstand jedenfalls noch nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung.

8

Mit der - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Aufhebung des Beschlusses des [X.] und die Wiederherstellung der Aussetzungsentscheidung des [X.]s.

II.

9

Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) ist nicht begründet.

1. Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Aussetzung des Rechtsstreits als unzulässig angesehen und den Aussetzungsbeschluss des [X.]s trotz der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 [X.] aufgehoben, da § 7 [X.] auf das Streitverhältnis der Parteien insoweit keine Anwendung findet, als Ansprüche aus vorvertraglicher [X.] der Beklagten aus dem [X.] im Streit sind.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] können Rechtsstreitigkeiten, in denen Schadensersatzansprüche auf vertraglicher Grundlage oder aus § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 und 3 BGB bzw. aus der sogenannten Prospekthaftung im weiteren Sinne geltend gemacht werden, von vornherein nicht Gegenstand eines Musterverfahrens gemäß § 1 Abs. 1 [X.] sein. Das gilt auch dann, wenn sich die Haftung aus der Verwendung eines fehlerhaften Prospektes im Zusammenhang mit einer Beratung oder einer Vermittlung ergibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. Juni 2008 - [X.], [X.], 88 Rn. 15; vom 16. Juni 2009 - [X.], juris Rn. 9 und - [X.], [X.], 1359 Rn. 9, vom 8. September 2009 - [X.]-38/08, 4, 7-9, 11/09, vom 6. Oktober 2009 - [X.], 18, 20, 21/09, vom 10. November 2009 - [X.], 30/09 und vom 8. Dezember 2009 - [X.], 27/09, jeweils juris Rn. 5; [X.], Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - [X.], [X.], 110 Rn. 12, 15 und vom 4. Dezember 2008 - [X.], juris Rn. 15 ff.).

b) Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass das auch für Ansprüche des Anlegers gegen die die Anlage finanzierende Bank wegen vorvertraglicher [X.]en aus dem [X.] gilt, wie sie hier in Rede stehen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist eine kreditgebende Bank bei steuersparenden Fondsmodellen zur Risikoaufklärung über das finanzierte Geschäft bei Vorliegen von ganz besonderen Umständen des Einzelfalls verpflichtet. Das kann der Fall sein, wenn die Bank im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb des Projektes über ihre Rolle als Kreditgeberin hinaus geht, wenn sie einen zu den allgemeinen wirtschaftlichen Risiken hinzutretenden besonderen Gefährdungstatbestand für den Kunden schafft oder dessen Entstehung begünstigt, wenn sie sich im Zusammenhang mit der Kreditgewährung sowohl an den [X.] als auch an einzelne Erwerber in schwerwiegende Interessenkonflikte verwickelt oder wenn sie in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann (vgl. etwa Senatsurteile vom 16. Mai 2006 - [X.], [X.]Z 168, 1 Rn. 41, vom 24. November 2009 - [X.], [X.], 34 Rn. 30, vom 29. Juni 2010 - [X.], [X.], 1451 Rn. 16, zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt, und vom 21. September 2010 - [X.], [X.], 2069 Rn. 17, jeweils mwN). Ein Wissensvorsprung in diesem Sinne liegt auch dann vor, wenn die finanzierende Bank positive Kenntnis davon hat, dass der Kreditnehmer von seinem Geschäftspartner oder durch den Fondsprospekt über das finanzierte Geschäft arglistig getäuscht wurde (st. Rspr. des Senats, siehe nur Urteile vom 10. November 2009 - [X.], [X.]Z 183, 112 Rn. 35, vom 29. Juni 2010 - [X.], [X.], 1451 Rn. 20, zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt, und vom 21. September 2010 - [X.], [X.], 2069 Rn. 17, jeweils mwN).

bb) Solche Ansprüche, die der Kläger hier neben einem Anspruch aus Prospekthaftung im engeren Sinne geltend macht, können nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein. Das gilt auch dann, wenn die Haftung - etwa aus einem Wissensvorsprung - die Kenntnis von einer durch fehlerhafte Prospektangaben begangenen arglistige Täuschung voraussetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 2008 - [X.], [X.], 88 Rn. 15 mwN).

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ändert die Tatsache, dass die Beklagte auch als Prospektverantwortliche nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren Sinne in Anspruch genommen wird, nichts daran, dass über die daneben geltend gemachten Ansprüche aus vertraglichen oder vorvertraglichen Pflichtverletzungen zu entscheiden ist, bevor eine Aussetzung nach dem [X.] in Betracht kommt.

Dies entspricht - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - der Senatsrechtsprechung (u.a. Beschluss vom 16. Juni 2009 - [X.], [X.], 1359 Rn. 14 mwN). Den [X.] im engeren Sinne liegt ein anderer Lebenssachverhalt zugrunde als den Ansprüchen wegen einer [X.] aus dem [X.]. Ein fehlerhafter Prospekt führt nicht notwendig zur Haftung des Darlehensgebers, ein fehlerfreier Prospekt schließt seine Haftung nicht notwendig aus. Es fehlt daher an gleichgerichteten Interessen, die allein durch das [X.] gebündelt werden sollen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juni 2009, aaO). Auch gebietet das Gebot effektiven Rechtsschutzes eine Entscheidung über die nicht dem Anwendungsbereich des [X.] unterliegenden Sachverhalte (Senatsbeschluss vom 16. Juni 2009, aaO Rn. 15 mwN). Denn wenn die Klage gegen die Beklagte als Darlehensgeberin begründet sein sollte, wären dem Kläger Verzögerungen und Kosten wegen eines Verfahrens, das auf den Erfolg seiner Klage keinen Einfluss hat, nicht zuzumuten.

Das Beschwerdegericht hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, dass aufgrund des Sachvortrags des [X.] eine Haftung der Beklagten als Darlehensgeberin unter dem Gesichtspunkt einer vorvertraglichen [X.] nicht ohne weiteres verneint werden kann. Das [X.] muss diesem Sachvortrag daher nachgehen und prüfen, ob der Anspruch des [X.] gegen die Beklagte wegen vorvertraglicher [X.] gegeben ist.

2. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (Senatsbeschluss vom 16. Juni 2009 - [X.], [X.], 1359 Rn. 19 mwN).

Wiechers                                    Ellenberger                              Maihold

                       Matthias                                         Pamp

Meta

XI ZB 23/10

30.11.2010

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 25. Juni 2010, Az: 5 W 1564/10, Beschluss

§ 7 Abs 1 KapMuG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2010, Az. XI ZB 23/10 (REWIS RS 2010, 956)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 956

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XI ZB 23/10 (Bundesgerichtshof)


XI ZB 28/10 (Bundesgerichtshof)

Haftung bei Kapitalanlageberatung: Aussetzung eines Verfahrens über Ansprüche des Anlegers aus Prospekthaftung und vertraglicher Pflichtverletzung …


XI ZB 29/10 (Bundesgerichtshof)

Haftung bei Kapitalanlageberatung: Aussetzung eines Verfahrens über Ansprüche des Anlegers aus Prospekthaftung und vertraglicher Pflichtverletzung …


XI ZB 25/10 (Bundesgerichtshof)

Haftung bei Kapitalanlageberatung: Aussetzung eines Verfahrens über Ansprüche des Anlegers aus Prospekthaftung und vertraglicher Pflichtverletzung …


XI ZB 29/10 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.