Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.03.2013, Az. 5 StR 39/13

5. Strafsenat | REWIS RS 2013, 7700

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen



5 StR 39/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 5. März 2013
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 5. März 2013
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird
das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 8. Oktober 2012 mit den [X.] nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung in fünf Fällen zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

1. Nach den durch das [X.] getroffenen Feststellungen verge-waltigte der bislang unbestrafte Angeklagte den am 1. November 1983 gebo-renen Nebenkläger zwischen Anfang 1992 und Januar 1993 in mindestens fünf Fällen brutal, wobei er in einem Fall dem Hund des Kindes zur Verstär-kung seiner Drohungen das Rückgrat brach und in einem anderen Fall [X.] ausdrückte. [X.] war ein von den Beteiligten [X.] mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Mutter des [X.], im fraglichen Zeitraum wohnte.

1
2
-
3
-

Der Nebenkläger war schon im Kindesalter verhaltensauffällig. Auf An-raten des behandelnden Psychologen und des [X.] wurde er 1992 aus der Familie herausgenommen und in die Obhut der Großmutter
gege-ben, hielt sich aber auch beim Angeklagten und seiner Mutter auf. Er befand sich mehrfach, auch stationär, in jugendpsychiatrischer Behandlung. So [X.] er aus einer psychiatrischen Einrichtung im Kindesalter am 14. Janu-ar
1993 entlassen und kehrte in
die Obhut der Großmutter zurück. [X.] der sexuellen Übergriffe teilte der Nebenkläger erstmals als Erwachsener seiner damaligen Lebensgefährtin und, nachdem sein Verteidiger solches pauschal in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren thematisiert hatte, im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 2. Januar 2012 mit.

a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:

Der Verteidiger hatte die Einholung eines Gutachtens zur Glaubhaf-tigkeit der belastenden Angaben des [X.] beantragt. Dieser leide an einer antisozialen bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörung, die sich aus bereits im frühen Kindesalter aufgetretenem aggressiv-dissozialem Verhalten herleite. Hauptmerkmal der Persönlichkeitsstörung sei ein tiefgreifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte
anderer, das in der Kindheit beginne und bis ins Erwachsenenalter fortdauere. Weil Täuschung und Manipulation zentrale Merkmale dieser Störung seien, müssten die Tat-schilderungen zu Lasten des Angeklagten als höchst unzuverlässig gelten.

Das [X.] hat den Antrag zurückgewiesen, weil es über die [X.] Sachkunde selbst verfüge (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die von der Verteidigung behauptete Persönlichkeitsstörung möge bei dem [X.] vorliegen. Jedoch seien Täuschung und Manipulation gerade keine zentralen Merkmale dieser Störung. Die Hinzuziehung medizinischer Hilfe sei 3
4
5
6
7
-
4
-

nicht erforderlich, weil die Aussage des [X.] eine Vielzahl von Re-alkennzeichen aufweise, in hohem Maße konstant sei und im Randbereich durch Bekundungen anderer Zeugen gestützt werde.

b) Entgegen der Auffassung des [X.] ist die Rüge zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben. Zwar bedarf es hierfür

was die Revision auch nicht verkennt

grundsätzlich des Vortrags der Einwilligung der zu begutachtenden Person in die beantragte [X.] (vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 8. Januar 2013

1 [X.] mwN). Das kann aber dann nicht gelten, wenn einem Sachverständigen er-sichtlich unabhängig von einer Einwilligung des Zeugen die erforderlichen Erkenntnisse auch ohne persönliche Begutachtung verschafft werden [X.] (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 27. März 1990

5 [X.], [X.]R StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 7, vom 25. September 1990

5 StR 401/90, [X.]R StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 6, vom 28.
Oktober 2008

3 [X.], [X.], 346, 347). So liegt es hier.

c) Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen [X.] durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Zwar kann sich das Gericht bei der
Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem [X.] nicht zur Verfügung steht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 1. März 1994

5 StR 62/94, [X.] 1994, 634, vom 29. Oktober 1996

4 StR 508/96,
[X.], 106, vom 28. Oktober 2008

3 [X.], [X.], 346, 347, vom 28. Oktober 2009

5 [X.], [X.], 100, 101, und vom 23. Mai 2012

5 [X.], [X.], 353, 354). Solche Umstände sind hier gegeben. Die Beurteilung einer psychischen Störung des vielfach in psychiatrischen Einrichtungen untergebrachten sowie in seinem Aussage-verhalten auffälligen [X.] und von deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemein-gut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darle-8
9
-
5
-

gung bedurft (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juli 1958

4 StR 211/58, [X.]St 12, 18, 20; Beschlüsse vom 21. Dezember 1983

3 [X.], [X.] 1984, 232, und vom 23. Mai 2012

5 [X.], aaO). Eine solche ist weder dem Zu-rückweisungsbeschluss noch den Urteilsgründen zu entnehmen.

d) Die Ablehnung des Beweisantrags führt auf die Revisionsrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils, weil dieses insgesamt auf dem Rechts-fehler beruhen kann.

3. Der Senat weist darauf hin, dass die im angefochtenen Urteil vor-genommene Beweiswürdigung auch sachlich-rechtlich revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standgehalten hätte. Hierzu sowie für die neue [X.] ist namentlich zu bemerken:

a) Angesichts der überaus schwierigen Beweislage betreffend die rund 20 Jahre zurückliegenden Taten hätte es einer eingehenden und zusam-menhängenden Darstellung und Bewertung der Bekundungen des [X.]s bedurft, wobei auch im angefochtenen Urteil angesprochene Wider-sprüche zwischen der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung und der [X.] in der Hauptverhandlung im Einzelnen zu benennen und zu würdigen ge-wesen wären. Dem genügen die eher kursorischen Erwägungen des Land-gerichts nicht, die jeglichen konkreten Beleg für Aussagekonstanz oder [X.] vermissen lassen. Gänzlich unzulänglich bleiben die Ausführungen zu der für die Einschätzung der Lebensumstände und einer Gewalttätigkeit des Angeklagten zur Tatzeit besonders bedeutsamen [X.] der Mutter des [X.].

b) Entsprechend den Ausführungen der Revision sind die [X.] zur zeitlichen Einordnung der Taten nicht frei von Widersprüchen. Das [X.] hat den Tatzeitraum auf Anfang 1992 bis Januar 1993 festge-legt. Dies tritt schon in erhebliche Spannung mit der zugleich zugrunde ge-legten Aussage des im November 1983 geborenen [X.], der Ange-10
11
12
13
-
6
-

klagte habe ihn im Alter von vier bis acht Jahren sexuell missbraucht. Ferner [X.] der Familie herausgenommen und bei der Großmutter untergebracht wurde und dass eine stationäre psychiatrische Unterbringung am 14. Janu-ar
1993 endete, nach der der Nebenkläger zur Großmutter zurückkehrte. Es versteht sich in diesem Zusammenhang auch nicht von selbst, dass die Großmutter, der der Nebenkläger nach seiner Aussage von sexuellen
Über-griffen des Angeklagten erzählt hat, gleichwohl und ungeachtet nach den Urteilsgründen aufgrund ständiger Misshandlungen von Seiten des Ang[X.]n vorhandener multipler Hämatome und anderer Verletzungen des Ne-

c) Das [X.] hat festgestellt, dass der Schließmuskel des [X.] durch die analen Vergewaltigungen geschädigt worden sei, wes-wegen dieser immer wieder eingekotet habe ([X.]. Der Angeklagte hat in diesem Zusammenhang angegeben, dass der Nebenkläger im fraglichen Zeitraum seinen Onkel

S.

sexueller Übergriffe beschuldigt habe, woraufhin der Nebenkläger ohne Befund durch einen in den [X.] benannten Arzt untersucht worden sei ([X.], 11). Diese Anga-ben, denen das [X.] nach den Urteilsgründen nicht nachgegangen ist, finden eine gewisse Bestätigung in der Aussage der Mutter des [X.]s, wonach aufgrund der Beschuldigung des Onkels das Jugendamt eingeschaltet worden sei,
ohne dass sich der Vorwurf habe erhärten lassen ([X.]). Hiermit und namentlich mit Art, Umfang und Ergebnis eingeleite-ter Untersuchungen hätte sich das [X.] im Einzelnen auseinander-setzen müssen.

d) Eine zentrale Bedeutung misst das Urteil der durch einen Polizei-beamten eingeführten Aussage der

durch das [X.] wegen einer Erkrankung nicht vernommenen

Tante des [X.] bei. Ihr gegen-über soll sich der Nebenkläger als einziger neben der verstorbenen Groß-14
15
-
7
-

mutter bereits im Kindesalter offenbart haben, indem er bekundete, er müsse seinen Po. Den Urteilsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, wie die Zeugin auf diese Mitteilung reagiert und was sie gegebenenfalls veranlasst hat. Der Mutter des [X.] scheint sie nach deren im Rahmen einer von der Verteidigung erhobenen Aufklärungsrüge wiedergegebenen polizeilichen Aussage hiervon nichts gesagt zu haben. Der Senat weist darauf hin, dass

bei unveränderter Beweissituation

die persönliche Vernehmung der ge-nannten Zeugin in der neuen Hauptverhandlung dringend angezeigt sein wird.

e) Nach den Feststellungen ist der unbestrafte Angeklagte nunmehr in vierter Ehe verheiratet, wobei in die 1995/1996 eingegangene dritte Ehe durch die Ehefrau Kinder im Alter von vier und sechs Jahren eingebracht worden sind ([X.]). Es könnte von [X.] Bedeutung sein, wenn ins-besondere diese Ehe

wie nach den Urteilsgründen die Beziehung zur Mut-ter des [X.]

durch fortwährenden Alkoholmissbrauch, ständige gravierende Gewalttätigkeiten und unter Umständen auch sexuelle Übergriffe des Angeklagten geprägt gewesen wäre.

f) Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei allen Taten beträchtlich alkoholisiert gewesen ist. Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Schuldfähigkeit hat es nicht gesehen ([X.]). Damit sind indessen die Voraussetzungen der verminderten Steuerungsfähigkeit im [X.] des § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Zwar zeigte der An-16
17
-
8
-

Hinblick darauf, dass für diesen Befund ausschließlich die Wahrnehmung eines Kindes von jedenfalls unter zehn Jahren in Betracht kommt, wären in-soweit nähere Ausführungen unabdingbar gewesen.

Basdorf

Sander Schneider

Dölp König

Meta

5 StR 39/13

05.03.2013

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.03.2013, Az. 5 StR 39/13 (REWIS RS 2013, 7700)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7700

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 39/13 (Bundesgerichtshof)

Beweisaufnahme im Strafverfahren: Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aussagefähigkeit des Zeugen unter Verweis auf …


5 StR 174/12 (Bundesgerichtshof)


3 StR 431/04 (Bundesgerichtshof)


5 StR 174/12 (Bundesgerichtshof)

Ablehnung von Beweisanträgen im Strafverfahren: Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit bei Vorwegnahme des Beweisergebnisses; eigene Sachkunde des …


2 StR 219/15 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 39/13

1 StR 602/12

5 StR 174/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.