Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2011, Az. VII R 63/10

7. Senat | REWIS RS 2011, 1230

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Gegenstand

(Erstreckung der Haftung des Eigentümers von Gegenständen nach § 74 AO auf das Surrogat)


Leitsatz

Die Haftung des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers nach § 74 AO erstreckt sich nicht nur auf die dem Unternehmen überlassenen und diesem dienenden Gegenstände, sondern sie erfasst in Fällen der Weggabe oder des Verlustes von Gegenständen nach der Haftungsinanspruchnahme auch die Surrogate, wie z.B. Veräußerungserlöse oder Schadenersatzzahlungen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war zusammen mit einem weiteren Gesellschafter ([X.]) Kommanditist einer GmbH & Co. [X.] ([X.]). Er hielt 75 %, [X.] % der [X.], am Gewinn der [X.] war der Kläger zu 40 % beteiligt. Daneben waren der Kläger und [X.] zu gleichen Teilen Gesellschafter einer GbR, die Anlagevermögen an die [X.] verpachtete, u.a. anderem zwei Grundstücke.

2

Während des [X.] über das Vermögen der [X.] verkaufte die GbR im März 2007 die beiden Grundstücke mit notariellem Vertrag zum Kaufpreis von 250.000 € und Teile des verpachteten beweglichen Anlagevermögens für insgesamt 237.000 €.

3

Am 1. April 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] eröffnet. Der Eigentumsübergang der Grundstücke wurde am 20. Juni 2007 im Grundbuch eingetragen.

4

Bereits unter dem 21. Mai 2007 hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) [X.] gegen den Kläger und [X.] wegen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der [X.] in Höhe von insgesamt rd. 215.000 € gemäß § 74 der Abgabenordnung ([X.]) erlassen. Den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der [X.] nahm das [X.] in Höhe von rd. 105.000 € nach § 69 [X.] in Haftung. Im Einspruchsverfahren des [X.] erhöhte das [X.] die Haftungssumme aufgrund entsprechend geänderter [X.]teuerfestsetzungen auf rd. 233.000 €. Die Haftung war gegenständlich auf genau bezeichnete Gegenstände des Anlagevermögens, u.a. die beiden Grundstücke, begrenzt, aber auf [X.]urrogate erstreckt, soweit diese Gegenstände nicht mehr im Eigentum des [X.] oder der GbR standen. Nicht erfasst waren Gegenstände, die bereits in den Jahren 2005 und 2006 aus dem Anlagevermögen ausgeschieden waren, die zwischenzeitlich verschrottet worden sind oder die sicherungsübereignet waren.

5

Das Finanzgericht (FG) gab der gegen den Haftungsbescheid erhobenen Klage teilweise statt. Es hob diesen auf, soweit darin die Haftung auf die Gegenstände des beweglichen Anlagevermögens erstreckt war. Die Haftungsinanspruchnahme nach § 74 Abs. 1 [X.] komme nur bezüglich der Grundstücke in Betracht. Der Kläger hafte im Haftungszeitraum als Eigentümer der bei Erlass des [X.] im Grundbuch noch nicht umgeschriebenen Grundstücke, da er wesentlich an der [X.] beteiligt gewesen sei, die Grundstücke dem Unternehmen der [X.] gedient hätten und die Umsatzsteuer als [X.] von der Haftung umfasst sei. Die Haftung sei aber auf die Grundstücke begrenzt, da sich nur diese zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme im Eigentum des [X.] befunden hätten. Ein Gegenstand, der vor Erlass des [X.] veräußert worden sei, scheide aus der Haftung nach § 74 [X.] aus. Eine Haftung mit den [X.]urrogaten solcher Gegenstände sei nicht mit dem Wortlaut des § 74 [X.] zu vereinbaren, wonach gerade mit den Gegenständen gehaftet werde. Auch dem Zivilrecht sei kein allgemeines [X.]urrogationsprinzip zu entnehmen, vielmehr sei nur in einzelnen Fallgruppen eine dingliche [X.]urrogation vorgesehen.

6

Das [X.] führt zur Begründung seiner Revision gegen dieses Urteil im Wesentlichen unter Bezugnahme auf das Urteil des [X.] vom 31. Mai 2005 II 143/2002 (nicht veröffentlicht --n.v.--) aus, die Haftungsbeschränkung auf Gegenstände, die im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme noch im Eigentum des [X.] stehen, habe zur Folge, dass die Haftung in das Belieben des [X.] gestellt würde, weil er sich durch Veräußerung der Haftung entziehen könne. § 74 [X.] sei vielmehr so auszulegen, dass zwar sämtliche haftungsbegründenden Umstände zugleich gegeben sein müssten. Nicht erforderlich sei jedoch, dass sämtliche Merkmale noch im Zeitpunkt der Inanspruchnahme zur Haftung vorlägen. Denn in erster Linie sei die Haftung nach § 74 [X.] eine persönliche Haftung des an einem Unternehmen wesentlich Beteiligten, wenn dieser einen maßgeblichen Beitrag zur Weiterführung des Unternehmens geleistet habe. Der einmal realisierte [X.] bleibe demnach bestehen, die Haftung umfasse dann den Wert der Gegenstände, die dem Unternehmen zum Zeitpunkt der Haftungsbegründung gedient hätten. Auch der Wortlaut der Vorschrift stehe einer Erstreckung der Haftung auf die [X.]urrogate nicht entgegen. Die Haftung des § 74 [X.] sei trotz der gegenständlichen Beschränkung nicht auf Duldung der Zwangsvollstreckung, sondern auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet, so dass der Haftungsbescheid unmittelbar mit einer Zahlungsaufforderung verbunden werden könne. Die Zahlung einer Geldsumme sei auch dann noch möglich, wenn der [X.] nach Begründung des [X.]es veräußert worden sei. Der gegenständlichen Beschränkung werde dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass eine Haftung nicht unbegrenzt beansprucht, sondern auf das für den ursprünglich vorhandenen [X.] erhaltene [X.]urrogat beschränkt werde.

7

Der Kläger schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils an. Ergänzend rügt er die Verletzung seines Eigentumsrechts aus Art. 14 des Grundgesetzes (GG), da bei Einbeziehung des [X.]urrogats in die Haftung letztlich sein Recht auf Veräußerung seines Eigentums verletzt werde. Außerdem werde durch eine über den Wortlaut des § 74 [X.] hinausgehende Auslegung unzulässig in die Kompetenz des Gesetzgebers eingegriffen. [X.]chließlich werde mit der Ausdehnung der Haftung auf das [X.]urrogat der allgemeine Grundsatz verletzt, dass der [X.] nicht weitergehend hafte als der [X.]. Hätte die [X.] eigene Gegenstände verkauft und mit dem Erlös die für deren Erwerb aufgenommenen Kredite zurückgeführt, hätte das [X.] auf den Verkaufserlös nicht zugreifen können.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), soweit der Klage stattgegeben worden ist.

9

Nach § 191 [X.] kann das [X.] einen Haftungsbescheid erlassen, wenn und soweit ein Haftungsanspruch besteht. Die im Streitfall auf § 74 [X.] gestützte Haftung des [X.] ist entgegen der Auffassung des [X.] nicht beschränkt auf die beiden, ihm bei Erlass des [X.] noch als Miteigentümer zur gesamten Hand gehörenden Grundstücke. Sie erstreckt sich vielmehr auch auf die von der GbR der [X.] überlassenen, im Haftungsbescheid bezeichneten und vor Erlass desselben aus dem Vermögen des [X.] ausgeschiedenen Gegenstände des Anlagevermögens bzw. die dafür erlangten Surrogate.

1. Nach § 74 [X.] haftet der Eigentümer der Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht --wie bei der Umsatzsteuer-- auf den Betrieb des Unternehmens gründet, wenn er an dem Unternehmen wesentlich beteiligt ist. Die Haftung erstreckt sich jedoch nur auf die Steuern, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind.

a) Die vom [X.] im Haftungsbescheid herangezogenen Gegenstände waren unstreitig Eigentum der GbR-Gesellschafter, des [X.] und S, die diese Gegenstände der [X.] als deren Anlagevermögen verpachteten.

Nach den Feststellungen des [X.] war der Kläger an der [X.] wesentlich beteiligt i.S. des § 74 Abs. 2 Satz 1 [X.], denn er war zu 75 % und damit zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital der [X.] beteiligt.

b) Zu Unrecht hat das [X.] die Haftung des [X.] mit dem Erlös der Gegenstände verneint, die bei Erlass des [X.] nicht mehr im Miteigentum des [X.] gestanden haben.

Der [X.] teilt nicht die Auffassung des [X.], der Wortlaut der Haftungsnorm schließe aus, die Haftung auf Surrogate auszudehnen. Dass der Eigentümer der dem Unternehmen dienenden Gegenstände mit diesen für Betriebssteuern haftet, mag auf den ersten Blick eine Beschränkung der Haftung auf die im Eigentum des Beteiligten verbliebenen Gegenstände nahelegen. Das hindert den [X.] aber nicht daran, die Vorschrift nach Sinn und Zweck auszulegen, wonach dem [X.] im Fall gepachteter Anlagegegenstände vergleichbare [X.] eröffnet werden sollen wie in Fällen, in denen das Unternehmen mit eigenen Gegenständen wirtschaftet, in die vollstreckt werden könnte.

aa) In der Literatur ist die Beschränkung der Haftung auf die bei Erlass des [X.] im Eigentum des in Anspruch [X.] stehenden Gegenstände umstritten (für eine strikt gegenständliche Beschränkung Klein/Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 74 [X.] 3; [X.], [X.], § 74 [X.] 17; [X.]/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 74 [X.] 14 ff.; [X.] in [X.]/ [X.], [X.], 5. Aufl., § 74 [X.] 5; [X.], [X.], 3. Aufl. 2004, [X.] 271; a.[X.], Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 82; Delcker, Haftung des Eigentümers von Gegenständen für Steuern des Unternehmens bei wesentlicher Beteiligung oder beherrschendem Einfluss, Betriebs-Berater 1984, 55, 58; [X.] in [X.], [X.] § 74 [X.] 19; Mösbauer, Die Haftung des Eigentümers von Gegenständen für Steuern des Unternehmens bei tatsächlicher oder fiktiver wesentlicher Beteiligung, [X.] Steuer-[X.]ung 1996, 513, 519; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 74 [X.] [X.] 17 --allerdings widersprüchlich, vgl. [X.] 3--; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 74 [X.] [X.] 45: Surrogathaftung schon bei Veräußerung nach Ankündigung der Haftungsinanspruchnahme; differenzierend nach dem [X.]punkt des [X.], [X.], 2. Aufl. 2007, [X.] 479; [X.], Die Haftung des Eigentümers von Gegenständen nach § 74 [X.], Betrieb und Wirtschaft 2003, 456, 458).

In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung findet sich abgesehen von einer Entscheidung des [X.] Nürnberg vom 31. Mai 2005 II 143/2002 (n.v., dazu unter [X.]) keine Aussage zu einer vergleichbaren Fallgestaltung. Zwar formulierte der [X.] ([X.]) in einer Entscheidung zu § 115 der Reichsabgabenordnung (R[X.]), Voraussetzung für die Anwendung des § 115 R[X.] sei, dass der in Anspruch Genommene Eigentümer der in Betracht kommenden Gegenstände sei, und zwar zu der [X.], zu der die Haftung geltend gemacht werde; allerdings waren die in Anspruch [X.] bei Erlass des [X.] noch nicht Eigentümer (Urteil vom 27. Juni 1957 V 298/56 U, [X.]E 65, 122, [X.] 1957, 279). Auch die Leitsätze in zwei Entscheidungen des [X.] Köln, wonach der in Anspruch Genommene auch im [X.]punkt der Geltendmachung des [X.] durch Haftungsbescheid Eigentümer des Gegenstandes sein muss, betrafen keine Fälle der Veräußerung vor Erlass des [X.], sondern eine --nach Auffassung des [X.] für die Haftung unschädliche-- spätere Veräußerung (Urteile vom 17. September 1997  6 K 5459/91, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 1998, 162; vom 9. Dezember 1999  15 K 1756/91, E[X.] 2000, 203). Im Urteil des Niedersächsischen [X.], in dem es --beiläufig-- die Eigentümerstellung im [X.]punkt der Haftungsinanspruchnahme fordert, weil die Haftung nur durch Zugriff auf die betreffenden Gegenstände verwirklicht werden könne, ging es nicht um die Eigentümerstellung des Haftenden, sondern darum, dass die Gegenstände zum [X.]punkt der Geltendmachung der Haftung nicht mehr dem Unternehmen der Steuerschuldner gedient hatten (Urteil vom 24. September 1980 VI 264/77, E[X.] 1981, 58).

Das [X.] Nürnberg (Urteil vom 31. Mai 2005 II 143/2002, n.v., [X.] 50) ist der Auffassung, die Haftung umfasse in den Fällen, in denen die haftenden Gegenstände zum [X.]punkt des [X.] nicht mehr im Eigentum des Haftenden vorhanden sind, den Wert der Gegenstände, die dem Unternehmen zum [X.]punkt der Haftungsbegründung dienten. Denn der einmal realisierte [X.] bleibe bestehen, auch wenn die haftenden Gegenstände zum [X.]punkt des [X.] nicht mehr im Eigentum des Haftenden vorhanden seien.

bb) Der [X.] vermag nicht die Auffassung zu teilen, dass die Haftung auf die noch im [X.]punkt des Ergehens des [X.] im Eigentum des Haftenden vorhandenen Gegenstände beschränkt ist. Sie umfasst vielmehr jedenfalls auch den Erlös aus dem Verkauf eines Gegenstandes, der dem Unternehmen gedient hat, selbst wenn dieser später veräußert worden ist, oder ein sonstiges Surrogat, wenn der Haftende anderweitig das Eigentum aufgegeben oder verloren hat. Dieses Normverständnis erscheint nach Sinn und Zweck der speziellen Haftungsnorm des § 74 [X.] geboten.

(1) Mit § 74 [X.] (früher § 115 R[X.], in Nachfolge zu § 7 Abs. 4 des [X.] vom 30. Juni 1935, [X.] 1935, 830) hat der Gesetzgeber dem besonderen Umstand Rechnung tragen wollen, dass ein Unternehmer mit gepachteten Betriebsmitteln wirtschaftet und auf diese Weise die Beitreibung von Unternehmenssteuern mangels Zugriffsmöglichkeit auf eigenes pfändbares Vermögen des Unternehmers unterlaufen werden könnte. Vor diesem Hintergrund hat es das [X.] --[X.]-- (Beschluss vom 14. Dezember 1966  1 BvR 496/65, [X.] 21, 6, [X.] 1967, 166) letztlich für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet, weil an der Natur des infrage stehenden Sachbereiches orientiert, dass der Gesetzgeber auf diese --nicht betriebseigenen-- Gegenstände zurückgreift, wenn das Vermögen des Schuldners zur Befriedigung betriebsbedingter Steuerforderungen nicht ausreicht. Wenn aber die Haftung mit den dem Betrieb überlassenen Gegenständen nicht gegen Art. 14 [X.] verstößt, so kann nichts anderes für den Zugriff auf das Surrogat gelten.

(2) Der eigentliche Grund der Haftung, so das [X.] (Beschluss in [X.] 21, 6, [X.] 1967, 166), ist der objektive Beitrag, den der Gesellschafter durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen dienen, für die Weiterführung des Gewerbebetriebes leistet.

(3) Darauf aufbauend sieht der [X.] den tieferen Grund für die Haftung des wesentlich beteiligten Gesellschafters mit den ihm gehörenden Gegenständen in der Parallelität des Einflusses auf die unternehmerische Tätigkeit des Unternehmens und des Einsatzes des eigenen Vermögens für diese Tätigkeit (Urteil vom 10. November 1983 [X.], [X.]E 139, 242, [X.] 1984, 127).

(4) Für den [X.] ergibt sich bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, dass das Haftungsobjekt des § 74 [X.] nicht beschränkt ist auf den (im [X.]punkt der Haftungsinanspruchnahme noch) im Eigentum des Beteiligten stehenden Gegenstand, sondern jedenfalls ein dafür ggf. erhaltenes Surrogat (Veräußerungserlös, Schadenersatz, [X.]) mit umfasst, wenn der Gegenstand in dem [X.]raum der Steuerschuldentstehung dem Unternehmen gedient hat. Damit ist dem [X.] des Fiskus Rechnung getragen, dem durch das Ersetzen eigenen pfändbaren Unternehmensvermögens durch von einem Unternehmensbeteiligten gepachtete Betriebsmittel die Beitreibung von Unternehmenssteuern erschwert oder gar unmöglich gemacht wird.

(5) Mit seiner Auslegung greift der [X.] nicht unzulässig in die Kompetenz des Gesetzgebers (Art. 20 Abs. 3 [X.]) ein. Das [X.] hat eine den Wortlaut der Vorschrift [X.] Interpretation dann als unzulässigen Eingriff in die Kompetenz des Gesetzgebers angesehen, wenn sie keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder --bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke-- stillschweigend gebilligt wird (Beschluss vom 25. Januar 2011  1 BvR 918/10, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 836). In Anwendung dieses Grundsatzes sieht sich der [X.] zur Auslegung berechtigt, da eine erkennbar planwidrige Gesetzeslücke insofern besteht, als die Haftung nach dem Gesetzeswortlaut auf die noch im [X.]punkt der Haftungsinanspruchnahme im Eigentum des [X.] stehenden Gegenstände beschränkt ist. Mit dem Sinn und Zweck der Regelung steht dies nicht in Einklang, weil bei einer solch strikt wortgetreuen Anwendung des § 74 [X.] ein gleichmäßiger Vollzug dieser Haftungsnorm nicht zu gewährleisten wäre: Der gut beratene bisherige Eigentümer könnte sich noch im Augenblick des Ergehens des [X.] durch Veräußerung des Gegenstandes der Haftung --unter Erhaltung der Gegenleistung (des Surrogats) für sich selbst-- entziehen. Nicht einmal eine Zäsur dergestalt, dass zumindest im Fall einer Veräußerung nach Erlass des [X.] oder nach Anhörung zur Haftungsinanspruchnahme mit dem Erlös gehaftet wird, ließe sich im Übrigen bei diesem Normverständnis überzeugend rechtfertigen.

(6) Ob der Haftungszugriff in den Fällen, in denen der ursprünglich überlassene Gegenstand selbst nicht mehr vorhanden ist, beschränkt ist auf den dem Beteiligten tatsächlich zugeflossenen Ersatz oder ob der vormalige Eigentümer mit dem Wert haftet, den der Gegenstand bei Entstehung des [X.] hatte, kann im Streitfall offenbleiben. Das [X.] hat den Kläger nach den Feststellungen des [X.] nur auf den tatsächlichen Erlös der Gegenstände in Anspruch genommen.

Offenbleiben kann auch die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob sich die Rückführung eines für die Anschaffung des Gegenstandes aufgenommenen Kredits aus dem Verkaufserlös auf den Haftungsumfang auswirken könnte. Diese Konstellation ist im Streitfall vom [X.] nicht festgestellt worden und der Kläger hat dazu keine Verfahrensrügen erhoben.

c) Die Klage erweist sich danach in vollem Umfang als unbegründet. Der auf den Kläger als Miteigentümer der in Haftung genommenen Gegenstände entfallende Erlös (50 % von 487.000 €) reicht aus, um den Kläger auf die in der Einspruchsentscheidung festgesetzte Haftungssumme von rd. 233.000 € in Anspruch zu nehmen.

Meta

VII R 63/10

22.11.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 2. September 2010, Az: 5 K 4112/08 U, Urteil

§ 74 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2011, Az. VII R 63/10 (REWIS RS 2011, 1230)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1230

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Wird zitiert von

9 C 1/18

Zitiert

1 BvR 918/10

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