Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.01.2017, Az. VI ZB 31/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 17709

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:100117BVIZB31.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

VI [X.]/16

vom

10. Januar 2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 406 Abs. 1 Satz 1, § 42 Abs. 2
Ein Sachverständiger kann wegen Besorgnis der Befangenheit auch dann abgelehnt werden, wenn er für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten [X.] ein entgeltliches Privatgutachten zu einer gleichartigen Fragestellung in einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat und wenn die Interessen der jeweiligen Par-teien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren.
[X.], Beschluss vom 10. Januar 2017 -
VI [X.]/16 -
Pfälzisches [X.] [X.]

LG [X.] (Pfalz)

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am 10. Januar 2017
durch den Vorsitzenden [X.], den
Richter Wellner, die Richterinnen
von Pentz und Müller
und [X.] Klein

beschlossen:
Auf die
Rechtsbeschwerde der Beklagten
wird der Beschluss
des

8. Zivilsenats
des [X.] [X.]
vom 3. Juni
2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-rückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
bis 7.000

.

Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten
materiellen und immateriellen Schadensersatz. Er behauptet, infolge einer Fehlkonstruktion der
von der Be-klagten hergestellten
und ihm eingesetzten
Hüftgelenkprothese
-
einer teilze-mentierten Oberflächenersatzprothese (Typ ASR)
-
sei es zu einem übermäßi-1
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gen Metallabrieb gekommen, der zu einer Fehlstellung und schließlich zu einer Lockerung der Prothese geführt habe.
Das [X.] hat die Einholung eines schriftlichen [X.] zu der Behauptung des [X.] angeordnet, die streitgegenständli-che ASR-Hüftgelenkprothese "sei aufgrund des erhöhten Metallabriebs fehler-haft, die Lebensdauer einer üblichen Hüftendoprothese läge zwischen 15 und 20 Jahren".
Zum Sachverständigen wurde Dr.
H. bestimmt.
Die Beklagte hat den
Sachverständigen
wegen Besorgnis der Befangen-heit abgelehnt und zur Begründung unter anderem ausgeführt,
der
Sachver-ständige habe
in einem gleichgelagerten anderen gegen die Beklagte
geführten Rechtsstreit
für den dortigen Kläger
ein entgeltliches Privatgutachten über eine Prothese derselben Modellreihe erstellt. Das Gesuch hatte vor dem [X.] keinen Erfolg. Die dagegen geführte sofortige Beschwerde der Beklagten hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.
Die gemäß §
574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
ZPO statthafte und auch im Übri-gen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Das
Ablehnungsge-such
wäre
bei der
mangels abweichender Feststellungen durch das Beschwer-degericht
im Rechtsbeschwerdeverfahren
zugunsten der Beklagten
zu unter-stellenden Gleichheit des in diesem Verfahren zu untersuchenden und des in dem Privatgutachten für einen anderen Patienten
untersuchten Produkts be-gründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Umstand, dass der Sachverständige bereits in einer ähnlichen oder vergleichbaren Sache ein Privatgutachten für einen [X.] erstattet habe, der ebenfalls Ersatzansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht habe, rechtfer-tige bei der hier gegebenen besonderen Sachlage jedenfalls allein nicht die [X.], der Sachverständige stehe dem gerichtlichen Gutachterauftrag nicht mehr neutral gegenüber. Es gebe keine allgemeine Erfahrung, dass ein öffent-lich bestellter und vereidigter Sachverständiger bei Erstellung eines Privatgut-achtens sein Amt mehr oder weniger einseitig ausübe. Auch falle einem Sach-verständigen die unvoreingenommene Beurteilung leichter, wenn nicht sein Auf-traggeber, sondern eine andere Partei an dem Rechtsstreit beteiligt sei. [X.] sei zu berücksichtigen, dass qualifizierte Sachverständige, wenn -
wie hier
-
auf dem betroffenen Sachgebiet nur eine kleine Anzahl zur Verfügung stehe, häufig und fast unausweichlich im Rahmen der erforderlichen gerichtli-chen und außergerichtlichen Aufklärung herangezogen würden; zu dieser Lage habe die Beklagte durch die Herstellung und den Rückruf der [X.] beigetragen. Schließlich werde die Fehlerhaftigkeit eines Medizinprodukts in der Regel dadurch ermittelt, dass dessen Zustand und Be-schaffenheit durch verschiedene Messverfahren untersucht und die [X.] mit den entsprechenden Vorgaben abgeglichen würden. Ein beson-ders ausgeprägter Beurteilungs-
und Ermessenspielraum bestehe dabei nicht, so dass die Gefahr geringer sei, dass sich der Sachverständige bei der [X.] einseitig von den Interessen seines Auftraggebers habe leiten lassen. Auch die übrigen von der Beklagten geltend gemachten Ab-lehnungsgründe lägen nicht vor.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1
ZPO
in [X.] mit § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Un-parteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstän-de handeln, die vom Standpunkt des [X.] aus bei vernünftiger Be-trachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sa-che nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber
([X.] vom 15. März 2005 -
VI [X.], NJW 2005, 1869, 1870
mwN; [X.], Beschlüsse
vom 11. Juni 2008 -
X [X.], [X.], 365 Rn.
2; vom 11. April 2013
-
VII ZB 32/12, [X.], 1308 Rn. 10; jeweils
mwN).
Ein Ablehnungsgrund liegt in der Regel vor, wenn der Sachverständige in derselben Sache für eine
Prozesspartei oder deren Versicherer
bereits ein Pri-vatgutachten erstattet hat (Senatsurteil vom 1. Februar 1972 -
VI [X.]/70,
NJW 1972, 1133, 1134; [X.] Köln, [X.] 2000, 130; [X.], 59; [X.] Oldenburg, [X.]R 1996, 273; [X.] Hamm, [X.], 1428, 1429;
[X.], 998; Beschluss vom 26. März 2014 -
32 [X.], juris Rn. 8;
[X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 24; [X.] in Prüt-ting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl., § 406 Rn. 14; [X.] in [X.] [X.] zur ZPO, 5. Aufl., § 406 Rn. 5; [X.] in [X.], ZPO, 23. Aufl.,

§ 406 Rn. 11; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 8). Hat der Sachver-ständige für einen nicht
unmittelbar oder mittelbar
am Rechtsstreit beteiligten
[X.] ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt
erstattet, so wird die Frage einer daraus herleitbaren
Besorgnis der Befangen-heit
unterschiedlich beurteilt. Die wohl überwiegende
Meinung
bejaht
in diesen Fällen
-
teilweise
unter der Voraussetzung, dass die Interessen des [X.] de-nen der ablehnenden Partei in gleicher Weise wie die der anderen Partei ent-gegengesetzt sind -
einen
Ablehnungsgrund ([X.] Düsseldorf, [X.], 365;
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[X.] Frankfurt a.M., [X.] 1982, 1489 f.;
vgl. auch [X.] Frankfurt a.M.,
[X.] 2006, 147,
148; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 24; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 13. Aufl., § 406 Rn. 7; [X.] in [X.], ZPO, 23. Aufl., § 406 Rn. 16; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 8; [X.] in [X.] ZPO, Stand 1.
September 2016, § 406 Rn. 23.1).
Nach anderer An-sicht soll
eine solche Fallgestaltung
für die Annahme eines
Ablehnungsgrundes
nicht ausreichen
([X.] Köln, [X.], 59 f.; [X.] Hamm, [X.], 1428, 1429; vgl. auch [X.] Koblenz, [X.] 1984, 675 f.).
Der Senat schließt sich der erstgenannten Meinung an.
Zwar hat
ein
öf-fentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger auch Privatgutachten unpar-teiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten.
Trotz dieser objek-tiven Pflichtenlage ist vom Standpunkt des [X.] die Befürchtung, der Gutachter könnte
sich jedenfalls in Zweifelsfällen
und auf der Grundlage der Angaben seines Auftraggebers
für ein diesem
günstiges Ergebnis entscheiden, nicht als unvernünftig von der Hand zu weisen.
Dass Zweifelsfälle bei der Be-gutachtung von Medizinprodukten
gänzlich
ausgeschlossen sind, ist unabhän-gig von der vom Beschwerdegericht aufgeworfenen Frage, wie ausgeprägt hier die Beurteilungs-
und Ermessenspielräume sind, nicht anzunehmen.
Vor allem aber steht auch bei vernünftiger Betrachtung
aus Sicht des [X.]
die Befürchtung im Raum, der Sachverständige werde nicht geneigt sein, bei der gerichtlich angeordneten Begutachtung von
seinem
früheren
Privatgutachten abzuweichen oder sich gar in Widerspruch zu diesem
zu setzen. Zwar kann von einem Sachverständigen erwartet werden, dass er bereit ist, seine zuvor ge-wonnene Überzeugung zu überprüfen und, wenn nötig, zu korrigieren. Aus [X.] ist die Ablehnung eines gerichtlich beauftragten
Sachverständigen, der in einem anderen Verfahren
ebenfalls als Gerichtssachverständiger ein Gutachten erstattet hat, nicht gerechtfertigt (vgl. auch [X.],
Beschluss vom
1. Februar
1961 -
IV [X.], [X.] 1961, 397; [X.] München, [X.], 10
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704; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl., § 406 Rn. 9; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 13. Aufl., § 406 Rn. 11). Anders als im Falle seiner gerichtlichen Beauftragung
ist der Sachverständige aber im Falle seiner Beauftragung mit einem Privatgut-achten mit einer der an der jeweiligen Streitigkeit beteiligten Personen vertrag-lich verbunden.
Beurteilt er den Sachverhalt, der
Gegenstand des Privatgutach-tens war, später
anders, so setzt
er sich möglicherweise dem -
gleich ob be-rechtigten oder unberechtigten
-
Vorwurf seines Auftraggebers aus, das Privat-gutachten nicht ordnungsgemäß erstattet oder sonstige vertragliche Pflichten verletzt zu haben. Diesem Vorwurf
seines Auftraggebers
kann er sich auch dann ausgesetzt sehen, wenn an der Streitigkeit, in der er
später als [X.] tätig wird, andere Personen beteiligt sind, es aber um einen gleichartigen Sachverhalt
und eine gleichartige Fragestellung
geht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Interessen
der jeweiligen Parteien
in beiden Fällen in gleicher Weise
kollidieren. Die Möglichkeit eines Konflikts des Sachverständi-gen
zwischen Rücksichtnahme auf den früheren Auftraggeber und der Pflicht zu
einer von der früheren Begutachtung losgelösten, objektiven Gutachtenerstat-tung im Auftrag des Gerichts ist geeignet, das Vertrauen des [X.] in eine unvoreingenommenen
Gutachtenerstattung zu beeinträchtigen.
Im vorliegenden Fall kann von einem gleichartigen Sachverhalt allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn es sich bei der
von dem Sachverständi-gen Dr. H. vormals privat begutachteten und der nunmehr zu begutachtenden ASR-Hüftgelenkprothese um das gleiche Produkt
aus derselben Modellreihe
handelt und die möglicherweise unterschiedlichen Arten der Befestigung den Fällen
im Hinblick auf die Beweisfrage
ihre Vergleichbarkeit nicht nehmen. Da die Parteien dies unterschiedlich sehen,
wird das Beschwerdegericht hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollten diese ergeben, dass es sich um einen gleichartigen Sachverhalt handelt, so würde
die damit [X.] nicht dadurch in Frage gestellt, dass
nicht
viele 11
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Sachverständige für das betroffene Sachgebiet zur Verfügung stehen und das Verhalten der Beklagten für den erhöhten Bedarf an Gutachten womöglich mit-ursächlich war.
3. Die Einwände der Rechtsbeschwerde gegen die Verneinung der übri-gen von der Beklagten geltend gemachten Ablehnungsgründe durch das Be-schwerdegericht hat der Senat geprüft; Rechtsfehler haben sich insoweit nicht ergeben.
Galke
Wellner
von Pentz

Müller
Klein

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 27.03.2015 -
7 [X.] -

[X.] [X.], Entscheidung vom 03.06.2016 -
8 W 48/15 -

12

Meta

VI ZB 31/16

10.01.2017

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.01.2017, Az. VI ZB 31/16 (REWIS RS 2017, 17709)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17709

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 W 4/15 (Oberlandesgericht Köln)


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VI ZB 31/16

VII ZB 32/12

32 W 6/14

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