Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.05.2013, Az. V ZB 201/12

5. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5593

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Gegenstand

Verfassungsmäßigkeit des Therapieunterbringungsgesetzes und der Überleitungsregelung; Aufhebung der Therapieunterbringung


Leitsatz

1. Das Therapieunterbringungsgesetz und Art. 316e Abs. 4 EGStGB sind verfassungsgemäß.

2. Die Therapieunterbringung ist nach § 13 Satz 1 ThUG von Amts wegen auch aufzuheben, wenn sie von Anfang an nicht hätte angeordnet werden dürfen.

Tenor

Die Sache wird an das [X.] zur Behandlung in eigener Zuständigkeit zurückgegeben.

Gründe

I.

1

Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene wurde durch Urteil des [X.] vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, weil er in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht hatte. Zugleich ordnete das Gericht die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an, weil jener auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige. Durch Urteil des [X.] vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, und zwar wegen einer gefährlichen Körperverletzung, die dieser am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte. Der Betroffene befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Vom 23. Dezember 2005 bis zum 22. Juni 2007 verbüßte er die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des [X.] vom 28. September 1989. Danach war er einstweilen untergebracht (§ 275a Abs. 5 StPO aF). Mit Urteilen vom 4. April 2007 und 17. Juli 2009 ordnete das [X.] gegen den Betroffenen gemäß § 66b Abs. 3 StGB aF nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Beide Urteile hob der [X.] mit Beschlüssen vom 10. Februar 2009 (4 [X.], [X.], 171) und vom 12. Mai 2010 (4 [X.], [X.], 567) auf. Der Betroffene wurde freigelassen und stand zunächst unter Führungsaufsicht. Das [X.] ordnete gegen den Betroffenen mit Beschluss vom 17. Februar 2012 die Therapieunterbringung bis zum 1. März 2013 an. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

2

Unter Berufung auf den Beschluss des Senats vom 12. Juli 2012 ([X.]/12, [X.], 97 = NJW 2012, 3181) hat der Betroffene die Aufhebung der Therapieunterbringung beantragt. Diesen Antrag hat das [X.] zurückgewiesen. Der Beschwerde des Betroffenen hat es nicht abgeholfen. Das [X.] möchte das Rechtsmittel zurückweisen, sieht sich daran aber durch den erwähnten Beschluss des Senats gehindert und hat die Sache deshalb zur Entscheidung vorgelegt. Während des Beschwerdeverfahrens hat die antragstellende Behörde die Verlängerung der Therapieunterbringung beantragt, über die noch nicht entschieden ist. Das [X.] hat im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Fortdauer der Unterbringung bis zum 31. Mai 2013 angeordnet.

II.

3

Das vorlegende Gericht meint, eine Therapieunterbringung sei nicht nur aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich weggefallen seien, sondern auch, wenn diese von vorneherein nicht vorgelegen hätten. Nach dem Beschluss des Senats komme eine Therapieunterbringung von Betroffenen, die sich zuvor nicht in der Sicherungsverwahrung befunden hätten, sondern auf Grund eines [X.]s nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebracht gewesen seien, nicht in Betracht. Danach müsse die Unterbringung des Betroffenen an sich aufgehoben werden. Allerdings sei es nicht bei dem [X.] geblieben. Vielmehr sei gegen den Betroffenen Sicherungsverwahrung angeordnet und von dem [X.] nicht wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen, sondern allein wegen des [X.] aufgehoben worden. Nach dem - später ergangenen - Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) habe sie hingegen aufrechterhalten werden können. Hierdurch unterscheide sich der vorliegende Fall von dem durch den Senat entschiedenen.

III.

4

Die Sache ist dem vorlegenden [X.] zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Betroffenen in eigener Zuständigkeit zurückzugeben.

5

1. Die Voraussetzungen für die Vorlage nach § 18 Abs. 1 Satz 1 [X.] waren zwar gegeben. Das vorlegende Gericht möchte die Rechtsfrage, "ob die vorläufige Unterbringung nach § 275a Abs. 5 StPO aF als Vollzug der Sicherungsverwahrung im Sinne von §§ 1, 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] anzusehen ist", anders beantworten als der Senat. Der Vorlage steht nicht entgegen, dass der Senat die Frage bereits entschieden hat. Denn das vorlegende Gericht zeigt einen neuen Gesichtspunkt, nämlich die Frage auf, ob ein nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebrachter Betroffener im Sinne von § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] "nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann", wenn gegen ihn Sicherungsverwahrung angeordnet war, aber wegen des [X.] aufgehoben worden ist.

6

2. Der Senat kann über das Rechtsmittel des Betroffenen aber nicht mehr entscheiden, weil die Vorlagefrage durch eine Änderung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften geklärt worden ist.

7

a) Die Vorlagepflicht nach § 18 [X.] soll sicherstellen, dass Auslegungsfragen, die von den [X.]en unterschiedlich beantwortet werden, im Interesse einer einheitlichen Anwendung des [X.]es durch den [X.] entschieden werden. Für eine Entscheidung des [X.]s ist deshalb kein Raum, wenn der Gesetzgeber mit einer Änderung des Gesetzes die notwendige Klärung selbst herbeiführt (Senat, Beschluss vom 23. November 1954 - [X.], [X.], 207 [dort allerdings mit unrichtigem Aktenzeichen veröffentlicht]).

8

b) Dieser Fall ist hier eingetreten.

9

aa) Für die Entscheidung über die nachträgliche Aufhebung der Therapieunterbringung des Betroffenen nach § 13 Satz 1 [X.] kam es im Zeitpunkt der Vorlage an den Senat darauf an, ob Therapieunterbringung nach §§ 1, 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] auch gegen einen Betroffenen angeordnet werden darf, der zwar auf Grund eines [X.]s nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebracht war, bei dem aber eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet war und allein wegen des [X.] aufgehoben worden ist. Denn die Therapieunterbringung ist nach § 13 [X.] nicht nur aufzuheben, wenn sich nachträglich neue Umstände ergeben, sondern auch, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung von Anfang an nicht vorgelegen haben. Das hat der Senat für den Fall der Freiheitsentziehung entschieden, die nach § 426 Abs. 1 FamFG ebenfalls von Amts wegen aufzuheben ist, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind (Beschluss vom 18. September 2008 - [X.], [X.], 299, 300 Rn. 18 f.). Für die Aufhebung einer Therapieunterbringung gilt nichts anderes. Auch ihre Fortdauer ist nicht nur unverhältnismäßig, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist, sondern in gleicher Weise, wenn eine erneute Prüfung ergibt, dass er (doch) nicht vorgelegen hat. Es war deshalb für die Entscheidung über den Aufhebungsantrag des Betroffenen zu prüfen, ob das [X.] auf Fälle wie seinen anwendbar ist.

bb) Diese Frage muss nicht mehr beantwortet werden, weil der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des [X.]es auf derartige Fälle unter einschränkenden, im Fall des Betroffenen gegebenen Voraussetzungen nunmehr ausdrücklich geregelt hat.

(1) Mit dem Gesetz vom 20. Dezember 2012 ([X.] I S. 2756) ist die Überleitungsregelung für das [X.] und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 ([X.] I S. 2300), als dessen Art. 5 das [X.] erlassen worden ist, in Art. 316e [X.] um den heutigen Absatz 4 ergänzt worden. Nach dieser Vorschrift ist § 1 [X.] unter den dort bestimmten sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre. Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Betroffenen vor. Gegen ihn war durch Urteil des [X.] vom 17. Juli 2009 nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Dieses Urteil hat der [X.] mit Beschluss vom 12. Mai 2010 (4 [X.], [X.], 567, 568) mit der Begründung aufgehoben, zwar habe das [X.] die Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB (aF) rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch sei diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] generell nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden seien.

(2) Die Regelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] erlaubt nicht nur, gegen die von ihr Betroffenen seit dem Inkrafttreten dieser Änderung am 28. Dezember 2012 (Art. 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 2012) Therapieunterbringung neu anzuordnen. Vielmehr ist das [X.] durch diese Regelung, wenn auch erst von seinem Inkrafttreten an, auf vorher erlassene Entscheidungen über eine Therapieunterbringung anwendbar geworden. Das ergibt sich aus Inhalt, Standort und Zweck der Regelung. Ihren Ausgangspunkt nimmt die Ergänzung bei dem Beschluss des Senats vom 12. Juli 2012 ([X.]/12, [X.], 97 = NJW 2012, 3181), mit welchem der Senat die zwischen den [X.]en streitige Frage nach einer Anwendung des [X.]es auf Betroffene verneint hat, die nicht in der Sicherungsverwahrung, sondern auf Grund eines vorläufigen [X.]s nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebracht waren. Dieses Ergebnis wollte der Gesetzgeber bei hochgradig gefährlichen Betroffenen vermeiden, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet und wieder aufhoben worden war, aber aufgrund der Weitergeltungsanordnung in dem Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) nicht hätte aufgehoben werden müssen (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/11726 [X.]). Sein Regelungsziel hat er aber nicht, was an sich nahe gelegen hätte, durch eine Erweiterung von § 1 [X.] verwirklicht, sondern durch eine Ergänzung der Überleitungsregelung für das [X.] in Art. 316e [X.]. Diese Regelungstechnik kann nur den Sinn haben, nicht nur die Anwendbarkeit des [X.]es auf solche Fälle überhaupt zu erreichen, sondern auch, bereits getroffene Entscheidungen über die Therapieunterbringung nachträglich - wenn auch nur für die Zukunft - dem [X.] zu unterstellen. Das Gesetz ist damit seit dem 28. Dezember 2012 auch auf die Therapieunterbringung des Betroffenen anwendbar, ohne dass es auf die Frage ankommt, deretwegen das [X.] die Sache vorgelegt hat.

3. Anders wäre es freilich, wenn die gegen das [X.] selbst und gegen die Ergänzung der Überleitungsvorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken zuträfen. Das ist aber nicht der Fall. Das Gesetz selbst und die Überleitungsregelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] sind verfassungsgemäß.

a) Das erste Bedenken richtet sich gegen die Gesetzgebungskompetenz des [X.]. Sowohl das [X.] selbst (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/3404 S. 19 f.) als auch die Änderung der Überleitungsregelung durch das erwähnte Gesetz vom 20. Dezember 2012 (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 17/11726 [X.]) sind auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des [X.] für das Strafrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt. Dieser Kompetenztitel, so wird eingewandt, erfasse das [X.] (und damit auch die spätere Ergänzung) nicht. Es handele sich in der Sache um Gefahrenabwehr, für die die Gesetzgebungskompetenz allein bei dem Landesgesetzgeber liege. Dass eine Kompetenz des [X.] nicht bestehe, zeige sich auch daran, dass die Entwurfsbegründung (an den zitierten Stellen) den Sachzusammenhang mit der Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht bemühe ([X.], [X.] 2011, 417, 418; Antrag des [X.] im [X.]rat auf [X.]. 794/2/10; vorsichtiger Kinzig, NJW 2011, 177, 181; [X.], NJW 2011, 1194). Diese Bedenken sind unbegründet. Das [X.]verfassungsgericht hat sich mit der Frage der Gesetzgebungskompetenz aus Anlass von [X.] [X.] über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter hochgefährlicher Straftäter befasst und beide landesgesetzlichen Regelungen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, weil solche Regelungen von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des [X.] für das Strafrecht erfasst seien und der [X.] von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht habe ([X.] 109, 190). Zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehöre die Regelung aller staatlichen Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpften, ausschließlich für Straftäter gälten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der [X.] bezögen. Das folge aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte der Norm und der Staatspraxis sowie unter systematischem Aspekt aus dem Gedanken des Sachzusammenhangs ([X.] 109, 190, 211 bis 217). An diese Vorgaben hat sich der [X.]gesetzgeber gehalten. Das [X.] und die Überleitungsregelung erfassen nur Personen, die wegen einer in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Tat verurteilt worden sind und wegen des Verbots rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können.

b) Das zweite Bedenken betrifft die Einhaltung des [X.]. Mit dem [X.] werde, gestützt auf die Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht, die nachträgliche Anordnung von Maßnahmen ermöglicht, die nach der Rechtsprechung des [X.] als strafrechtliche Sanktionen nicht nachträglich verhängt werden dürften. Es dränge sich der Gedanke einer Umgehung dieser Rechtsprechung auf ([X.], [X.] 2011, 417, 418). Auch mit diesem Einwand hat sich das [X.]verfassungsgericht inhaltlich befasst; es hat ihn zurückgewiesen ([X.] 128, 326, 399).

aa) Der [X.] hat in der nachträglichen Verlängerung der früheren Zehnjahreshöchstfrist des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB in der damals geltenden Fassung eine Verletzung des [X.] nach Art. 7 Abs. 1 [X.] gesehen, weil er die Anordnung der Sicherungsverwahrung als Anordnung einer zusätzlichen Strafe im Sinne dieser Vorschrift der Europäischen Menschenrechtskonvention wertete (Urteil vom 17. Dezember 2009 in der Rechtssache 19359/04, [X.], 218, 224 Rn. 126 ff.). Hierfür war die damalige Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung maßgeblich. Sie unterscheide sich, so der Gerichtshof, im praktischen Vollzug nicht von einer Strafhaft und umfasse keine besonderen Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hätten, die Gefährlichkeit von Sicherungsverwahrten zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich sei, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten ([X.], Urteil vom 17. Dezember 2009 in der Rechtssache 19359/04, [X.], 218, 224 Rn. 127-132). Für die Annahme eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 [X.] war danach der unzureichende Abstand des Vollzugs der Sicherungsverwahrung von dem der Freiheitsstrafe entscheidend.

bb) Dem ist das [X.]verfassungsgericht zwar nicht in der Begründung, wohl aber im praktischen Ergebnis gefolgt. Die Sicherungsverwahrung sei zwar keine Strafe im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG ([X.] 109, 133, 167-172; 128, 326, 392 f.). Nach der Wertung von Art. 7 Abs. 1 [X.] habe der unzureichende Abstand des Vollzugs der Sicherungsverwahrung von dem der Freiheitsstrafe aber zur Folge, dass sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen einem absoluten Vertrauensschutz annähere und eine solche Sicherungsverwahrung nicht rückwirkend angeordnet werden dürfe ([X.] 128, 326, 392 f. und 395). Das [X.] wäre deshalb unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen oder unverhältnismäßigen Rückwirkung nur zu beanstanden, wenn es den Vorgaben des [X.]s nicht entspräche.

cc) Um dem [X.] zu genügen, müssen der [X.]- und der Landesgesetzgeber im Rahmen ihrer jeweiligen [X.] ein legislatives Gesamtkonzept entwickeln, das den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen genügt ([X.] 128, 326, 378 f.). Dieses sind das [X.] (aaO S. 379), das [X.] (aaO S. 379 f.), das Motivierungsgebot (aaO S. 380), das Trennungsgebot (aaO S. 380 f.), das Minimierungsgebot (aaO S. 381 f.), das Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot (aaO S. 382) und das [X.] (aaO S. 382). Dabei ist der [X.]gesetzgeber angesichts seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich des Strafrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und des Fehlens einer Gesetzgebungskompetenz für den Straf- und Maßregelvollzug darauf beschränkt - aber, wenn er am [X.] grundsätzlich festhalten will, auch gehalten -, die wesentlichen Leitlinien vorzugeben ([X.] 128, 326, 388). Dieser Aufgabe hat er für den Bereich der Therapieunterbringung mit § 2 [X.] entsprochen ([X.] 128, 326, 388). Das [X.] ist deshalb unter [X.] nicht zu beanstanden. Nichts anderes gilt für Art. 316e Abs. 4 [X.], soweit darin die Anwendung des [X.]es auch auf Betroffene angeordnet wird, die auf Grund eines [X.]s nach § 275a Abs. 5 StPO aF untergebracht waren, deren Sicherungsverwahrung zwar aus Gründen des Vertrauensschutzes aufgehoben worden war, aber nach dem Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) hätte aufrecht erhalten werden können.

dd) Allerdings führt die Regelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] dazu, dass das [X.] von dem Inkrafttreten des Art. 316a Abs. 4 [X.] an auch auf Therapieunterbringungen anzuwenden ist, die vorher angeordnet worden sind. Das wiederum bewirkt, dass solche Therapieunterbringungen nicht mehr nach § 13 [X.] mit der Begründung aufgehoben werden können, das [X.] sei auf sie nicht anwendbar. Diese teilweise unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich zulässig. Die angeordnete und noch nicht abgelaufene Therapieunterbringung ist ein - für die Zukunft - noch nicht abgeschlossener Sachverhalt. In einen solchen Sachverhalt darf der Gesetzgeber zwar angesichts der hohen Bestandsinteressen der Betroffenen (vgl. [X.] 109, 133, 185 f.; 128, 326, 399) nicht ohne weiteres eingreifen. Möglich ist ein solcher Eingriff aber, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e [X.] in der von dem [X.]verfassungsgericht zugrundegelegten Auslegung erfüllt sind. In solchen Ausnahmefällen kann (noch) von einem Überwiegen der öffentlichen Sicherheitsinteressen ausgegangen werden ([X.] 128, 326, 399). Nur auf solchen Fälle ist das [X.] nach Art. 316e Abs. 4 [X.] anwendbar.

c) Gegen die Überleitungsregelung in Art. 316e Abs. 4 [X.] wendet der Betroffene schließlich noch ein, es handele sich um ein nach Art. 19 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Regelung erfasse mit ihren engen Tatbestandsmerkmalen nur seinen Fall und sei deshalb verfassungsrechtlich unzulässig. Auch dieser Einwand ist nicht begründet.

aa) Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG muss ein Gesetz, soweit ein Grundrecht nach dem Grundgesetz durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Ein Verstoß gegen diese Norm liegt nicht vor, wenn das Gesetz abstrakt gefasst ist, sich deswegen nicht genau übersehen lässt, auf wie viele und welche Fälle es Anwendung findet, und wenn nicht nur ein einmaliger Eintritt der Rechtsfolge möglich ist ([X.] 10, 234, 242; 13, 225, 229; 25, 371, 396). Dann ist es auch unerheblich, ob ein Einzelfall den Anlass zu der gesetzlichen Regelung gab ([X.] 13, 225, 229; 24, 33, 62; 25, 371, 396). So ist es hier.

bb) Der Gesetzgeber hat den Fall des Betroffenen zwar zum Anlass für die Ergänzung des Art. 316e [X.] um den heutigen Absatz 4 genommen (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/11726 [X.] mit Zitat des Beschlusses des [X.] vom 12. Mai 2010 - 4 [X.]). Er hat aber eine abstrakt-generelle Regelung getroffen, nach welcher das [X.] auch auf alle anderen Betroffenen anzuwenden ist, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet, aber aufgehoben worden war, bevor das [X.]verfassungsgericht durch die in dem Urteil vom 4. Mai 2011 getroffene einstweilige Anordnung die vorläufige Aufrechthaltung solcher Sicherungsverwahrungen mit Maßgaben zuließ ([X.] 128, 326, 332 unter III. und 406 f.).

cc) Sie ist auch in der Sache keine Norm, die nur auf den Fall des Betroffenen Anwendung fände. Der Gesetzgeber hatte in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens zum [X.] bemerkt, dass das vorgesehene (und dann auch so verabschiedete) Gesetz Fälle nicht erfasst, in denen die Unterbringung nicht auf einer gültigen Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern auf einem [X.] nach § 275a Abs. 5 StPO aF beruhte (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 12. Juli 2012 - [X.]/12, [X.], 97 = NJW 2012, 3181, 3182 Rn. 22 und Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 17/11726 [X.]). Er hat die aus seiner Sicht an sich sachgerechte Erstreckung des Anwendungsbereichs des [X.]es auf solche Fälle in diesem Gesetzgebungsverfahren nicht mehr verwirklicht, um das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2011 nicht zu gefährden. Bei der Vornahme der danach aus seiner Sicht angebrachten Korrektur dieses legislativen Versehens hat er sich entschlossen, nicht alle Fälle einer Unterbringung auf Grund eines [X.]s in den Anwendungsbereich des [X.]es einzubeziehen, sondern nur solche, in denen eine sachlich richtige Anordnung der Sicherungsverwahrung zwar wegen des [X.] aufgehoben worden war, nach den Vorgaben des [X.] in dem erwähnten Urteil vom 4. Mai 2011 aber hätte bestehen bleiben können (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/11726 [X.]). Diese Einschränkung ist sachlich vertretbar und wäre nach dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu dem [X.] in dieses aufgenommen worden, wäre der Fehler noch bei den Beratungen des Deutschen [X.]tags und nicht erst in der zweiten Beratung des [X.]rats aufgefallen. Die - zudem sachlich gerechtfertigte - nachträgliche Einbeziehung einer bei seinem Erlass übersehenen Fallgruppe in ein Gesetz ist kein unzulässiges Einzelfallgesetz.

[X.]                           Schmidt-Räntsch

                     Roth                        Weinland

Meta

V ZB 201/12

23.05.2013

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 8. November 2012, Az: 5 W 391/12

§ 13 S 1 ThUG, Art 316e Abs 4 StGBEG, § 275a StPO vom 29.07.2009, Art 74 Abs 1 Nr 1 GG, Art 7 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.05.2013, Az. V ZB 201/12 (REWIS RS 2013, 5593)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5593

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