Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2010, Az. IV ZR 30/10

4. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 2718

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Gegenstand

Rücktritt von einem Erbvertrag und einem damit verbundenen gegenseitigen Vertrag unter Lebenden: Fristsetzung zur Erbringung der vereinbarten Pflegeleistungen


Leitsatz

1. Ist mit einem Erbvertrag, durch den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen übernimmt (hier: keine Veräußerung oder Belastung seines Hausgrundstücks zu Lebzeiten), so kann letzterer wegen unterbliebener Pflegeleistungen gemäß § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten .

2. Ein derartiger Rücktritt kommt erst dann in Betracht, wenn der Erblasser den Bedachten unter Fristsetzung zuvor vergeblich aufgefordert hat, die im Einzelnen zu bezeichnenden Pflegeleistungen zu erbringen .

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des [X.] vom 12. Januar 2010 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 104.000 €

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt den [X.]n auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Erbvertrages in Anspruch. Mit [X.] setzte die Klägerin den [X.]n zu ihrem Erben ein. Ferner verpflichtete sie sich, ihr Hausgrundstück ohne Zustimmung des [X.]n weder zu veräußern noch zu belasten. Im Falle eines Verstoßes sollte der [X.] berechtigt sein, die sofortige unentgeltliche Übertragung des Grundstücks zu verlangen. Der [X.] seinerseits verpflichtete sich, "die Erschienene zu 1. in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass dafür [X.] von [X.] oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind".

2

Der [X.] wohnte seit 1980 zunächst in einer eigenen Wohnung im Haus der Klägerin, bis er Anfang 1993 auszog. Am 19. April 1999 forderte die Klägerin den [X.]n schriftlich unter Hinweis auf den Erbvertrag auf, bis zum 1. Mai 1999 in ihrer Wohnung vorstellig zu werden. Pflegeleistungen durch den [X.]n wurden in der Folgezeit nicht erbracht. Am 20. Juni 2007 zog die Klägerin in ein Alten- und Pflegeheim, wo sie sich auch gegenwärtig noch aufhält. Am 18. Januar 2008 erklärte sie den Rücktritt vom Erbvertrag unter Berufung darauf, dass sie seit Frühjahr 1999 geringfügig und seit Anfang des Jahres 2005 in größerem Umfang auf Pflege angewiesen gewesen sei. Das [X.] hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben.

3

II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne weitere Sachaufklärung verletzt den Anspruch des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise und rechtfertigt die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO.

4

1. Nicht verfahrensfehlerfrei hat das Berufungsgericht zunächst die Feststellung getroffen, die Klägerin sei gemäß §§ 2295, 323 Abs. 1 [X.] wirksam vom Erbvertrag zurückgetreten, da der [X.] seine Pflegeverpflichtung nicht erfüllt habe.

5

a) Nach § 2295 [X.] kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurückzutreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Grundsätzlich finden die Regelungen über gegenseitige Verträge nach § 320 ff. [X.], insbesondere über den Rücktritt nach § 323 [X.], auf Erbverträge keine Anwendung, da es am [X.] zwischen der erbrechtlichen Verfügung und der übernommenen Verpflichtung des [X.] fehlt ([X.] FamRZ 1997, 1180; [X.] [X.] 1978, 685; [X.]/Kanzleiter, [X.] [2006] § 2295 Rn. 3; MünchKomm[X.]/Musielak, 5. Aufl. § 2295 Rn. 1; Erman/[X.], [X.] 12. Aufl. § 2295 Rn. 8; [X.], [X.] 13. Aufl. § 2295 Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.], Testament und Erbvertrag 5. Aufl. § 2295 Rn. 6). Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings erkannt, dass hier ein gegenseitiger Vertrag vorliegt. Der Erbvertrag vom 15. April 1981 enthält nicht nur die Erbeinsetzung des [X.]n einerseits und die Pflegeverpflichtung des [X.]n andererseits; vielmehr hat die Klägerin weiter die Verpflichtung übernommen, ihr Hausgrundstück nicht zu veräußern und zu belasten. Zu deren Absicherung haben die Parteien bei Verstoß eine Pflicht zur sofortigen unentgeltlichen Übereignung in den Vertrag aufgenommen und diese zugunsten des [X.]n durch eine Vormerkung abgesichert. Diese Unterlassungspflicht der Klägerin sowie die [X.] des [X.]n stehen in einem [X.] i.S. von § 323 Abs. 1 [X.]. Ist aber mit dem Erbvertrag ein gegenseitiger [X.] verbunden, durch den der Bedachte sich dem Erblasser zur Gewährung von Pflege und/oder Unterhalt verpflichtet, so kann der Erblasser beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 [X.] von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 [X.] vom Erbvertrag zurücktreten (vgl. bereits RG [X.] 1935, 678; [X.] aaO Rn. 9; [X.] aaO Rn. 4).

6

b) Unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat das Berufungsgericht jedoch festgestellt, dass der [X.] seine Vertragspflichten zu keinem Zeitpunkt erfüllt habe und eine Fristsetzung wegen ernsthafter und endgültiger [X.] nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entbehrlich gewesen sei.

7

aa) Zunächst kann die nach § 323 Abs. 1 [X.] erforderliche Fristsetzung zur Leistung oder Nacherfüllung nicht in dem Schreiben der Klägerin vom 19. April 1999 gesehen werden. Dieses enthält schon keine konkrete Aufforderung zur Erbringung von Pflegeleistungen, sondern nur die allgemeine Feststellung, der [X.] habe sich seit dem 31. Juli 1992 nicht mehr um die Klägerin gekümmert und er solle bis zum 1. Mai 1999 in ihrer Wohnung vorstellig werden. Insoweit fehlt es schon an der erforderlichen bestimmten und eindeutigen Aufforderung zur Leistung (vgl. [X.]/[X.], [X.] 69. Aufl. § 323 Rn. 13).

8

bb) Aber auch eine ernsthafte und endgültige [X.] nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 [X.] hat das Berufungsgericht nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt. Es hat vielmehr ausschließlich den Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt und den Vortrag des [X.]n außer [X.] gelassen, wonach er auch nach dem Streit mit der Klägerin 1992/1993 zu ihrer Pflege bereit gewesen sei und auch heute noch ist. Der [X.] hat im Einzelnen vorgetragen, nach seinem Auszug aus dem Haus der Klägerin habe diese den Kontakt zu ihm abgebrochen und nicht umgekehrt. Er habe erst im Januar 2008 erfahren, dass die Erblasserin sich im Pflegeheim befinde. Ferner habe die Klägerin ihn zu keinem Zeitpunkt zu konkreten und bestimmten Pflegeleistungen aufgefordert. Bereits das [X.] hatte zumindest teilweise zu den maßgeblichen Fragen der Pflegebedürftigkeit der Klägerin, der Kenntnis des [X.]n hiervon sowie der Ablehnung eines Kontakts der Klägerin mit dem [X.]n durch Vernehmung der Zeuginnen M., [X.] sowie [X.] Beweis erhoben. Vor diesem Hintergrund stellt es daher einen Verstoß gegen den Anspruch des [X.]n auf rechtliches Gehör dar, wenn das Berufungsgericht ohne weitere Begründung von einer endgültigen Leistungsverweigerung des [X.]n ausgeht, ohne seinen Vortrag sowie die erfolgte Beweisaufnahme zu berücksichtigen.

9

cc) Nicht entscheidend kann hierbei auch auf den vom Berufungsgericht weiter herangezogenen Umstand abgestellt werden, den [X.]n habe eine fortlaufende Erkundigungs- und Überwachungspflicht dahin getroffen, ab wann tatsächlich die im Vertrag vorausgesetzte Bedürftigkeit bei der Klägerin eingesetzt habe. Zwar muss der Schuldner nach § 294 [X.] die Leistung dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich anbieten. Dies muss in einer Art und Weise geschehen, dass der Gläubiger nur noch zuzugreifen braucht ([X.], Urteil vom 6. Dezember 1991 - [X.], [X.]Z 116, 244, 249). Soweit es um die Verpflichtung zu Pflegeleistungen geht, muss diese aber, wenn keine klaren vertraglichen Abreden bestehen, inhaltlich, zeitlich und räumlich durch den Gläubiger konkretisiert werden, damit der Schuldner überhaupt weiß, was er zu tun hat. Es war deshalb zunächst Aufgabe der Klägerin, sich gegenüber dem [X.]n im Einzelnen dahin zu äußern, welche konkreten Pflegeleistungen dieser durchzuführen hat. Das allgemeine Schreiben vom 19. April 1999 genügte dafür nicht. Demgegenüber ist es nicht Aufgabe des nicht mehr im Haus der Klägerin wohnenden [X.]n, sich fortlaufend bei der Klägerin zu erkundigen, ab wann und welche Leistungen sie benötigt.

c) Nicht tragfähig sind ferner die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts, der [X.] sei nicht wegen Unmöglichkeit von der Erfüllung der Pflegeverpflichtung frei, sondern habe sich an den Kosten der Heimunterbringung in Höhe seiner ersparten Aufwendungen zu beteiligen. Dasselbe soll nach Ansicht des Berufungsgerichts dann gelten, wenn nicht die Heimunterbringung selbst, sondern die persönlichen Differenzen der Vertragspartner der Durchführung der Pflege entgegenstünden. In dem [X.] haben die Parteien vereinbart, dass der [X.] die Klägerin in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen hat, "ohne dass dafür geldwerte Mittel von [X.] oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind". Geschuldet werden vom [X.]n mithin nicht von ihm gesondert zu zahlende Sachleistungen, sondern nur die eigentlichen Pflege- und Dienstleistungen. Eine gesonderte Geldzahlungsverpflichtung des [X.]n kommt demgegenüber nach der neueren Rechtsprechung des [X.] nicht in Betracht. So hat der [X.] in seinem Urteil vom 29. Januar 2010 - [X.]/09 - ([X.], 554 unter 2 b) entschieden, ein Familienangehöriger, der als Gegenleistung für die Übertragung eines Grundstücks die Pflege des Übergebers übernommen habe und seine Leistung wegen Umzugs des Übergebers in ein Pflegeheim nicht mehr erbringen könne, sei aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung im Zweifel nicht verpflichtet, an Stelle des ersparten Zeitaufwands eine Zahlungsverpflichtung zu übernehmen. Der Übernehmer verpflichte sich zu der Pflege und Betreuung des Übergebers meist in der Annahme, die geschuldeten Dienste selbst oder durch Familienangehörige, also ohne finanziellen Aufwand, erbringen zu können. Es entspreche deshalb in aller Regel nicht dem hypothetischen Parteiwillen, dass Geldzahlungen an die Stelle der versprochenen Dienste träten, wenn diese aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten habe, nicht mehr erbracht werden könnten.

Kann der [X.] mithin die Pflegeleistungen wegen des Umzugs der Klägerin in das Alten- und Pflegeheim nicht mehr erbringen, so ist er grundsätzlich auch nicht zur Übernahme von Geldzahlungen verpflichtet. Anderes würde nur dann gelten, wenn die Pflegeleistungen aus vom [X.]n zu vertretenden Gründen nicht mehr erbracht werden und allein hierdurch ein Umzug in das Alten- und Pflegeheim erforderlich gewesen sein sollte. Das wiederum hängt von der ohnehin noch zu klärenden Frage ab, ob der [X.] ernsthaft und endgültig die Leistung verweigert hat. Nur dann käme wegen Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 [X.] überhaupt ein Rücktritt vom Vertrag in Betracht. Auf die vom [X.]n weiter aufgeworfene Frage, ob auch bereits bei sonstigen persönlichen Differenzen unabhängig von einem individuellen Verschulden die Verpflichtung zur anteiligen Geldzahlung entfällt, kommt es dagegen nicht an. Maßgebend sind vielmehr allein die Vorgaben des § 323 [X.], nämlich ob einerseits eine Fristsetzung nach Abs. 2 Nr. 1 wegen endgültiger und ernsthafter Leistungsverweigerung durch den [X.]n entbehrlich war, oder ob umgekehrt nach Absatz 6 ein Rücktritt der Klägerin ausgeschlossen ist, weil sie für den Umstand, der sie zum Rücktritt berechtigen würde (hier die unterlassene Erbringung der Pflegeleistung), allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, oder ob der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.

d) Für die weitere Verfahrensweise weist der Senat ferner auf einen bisher nicht hinreichend beachteten Gesichtspunkt hin. Als Aufhebung der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, ist gemäß § 2295 [X.] auch der Fall der nachträglichen Unmöglichkeit der zu erbringenden Leistung anzusehen (MünchKomm[X.]/Musielak, § 2295 Rn. 4; [X.], § 2295 Rn. 3; Erman/[X.], § 2295 Rn. 4). Eine derartige Unmöglichkeit der Leistungserbringung für den [X.]n gemäß § 275 Abs. 1 [X.] in Form der subjektiven Unmöglichkeit könnte sich hier daraus ergeben, dass die Erblasserin am 20. Juni 2007 in ein Alten- und Pflegeheim gezogen ist. Der [X.] selbst war lediglich zu einer Betreuung der Klägerin im häuslichen Umfeld mit den ihm gegebenen persönlichen Möglichkeiten verpflichtet. Sollte die Klägerin aber im [X.] in ein Alten- und Pflegeheim umgezogen sein, weil nur noch dort, nicht dagegen zu Hause, eine adäquate medizinische und pflegerische Betreuung möglich war, so entfiel gemäß § 275 Abs. 1 [X.] wegen nachträglicher Unmöglichkeit eine Pflegeverpflichtung des [X.]n, was der Klägerin dann die Möglichkeit eröffnete, ihrerseits von der erbvertraglichen Einsetzung des [X.]n zurückzutreten. Warum die Klägerin 2007 in ein Alten- und Pflegeheim gezogen ist, wurde von ihr bisher nicht hinreichend vorgetragen. Dies wird auf entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts nachzuholen sein.

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe mit der Rücktrittserklärung vom 18. Januar 2008 den Erbvertrag zugleich wirksam nach § 2281 Abs. 1 i.V. mit § 2078 Abs. 2 [X.] angefochten. Hierbei kann die Frage, ob überhaupt ein Anfechtungsgrund wegen Fehlvorstellungen der Klägerin über die vom Bedachten erbrachten Betreuungsleistungen vorliegt, offen bleiben. Jedenfalls hat die Klägerin die Anfechtung durch das Schreiben vom 18. Januar 2008 nicht rechtzeitig erklärt. Gemäß § 2283 Abs. 1 [X.] kann die Anfechtung durch den Erblasser nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz 2 im Falle eines Irrtums mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erblasser von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Kenntnis bedeutet sichere und überzeugte Kenntnis aller wesentlicher Tatumstände (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 1973 - [X.], FamRZ 1973, 539 unter 2; BayObLG [X.] 1995, 105; NJW-RR 1990, 200; FamRZ 1983, 1275; MünchKomm[X.]/Musielak, § 2283 Rn. 3; [X.], § 2283 Rn. 2). An diese Kenntnis dürfen zwar nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden, zumal es in derartigen Fällen häufig noch auf eine hinreichende innere Überzeugungsbildung des Erblassers ankommt.

Auch auf dieser Grundlage trifft aber die Annahme des Berufungsgerichts, die nötige Kenntnis vom Anfechtungsgrund liege erst vor, wenn sich der Erblasser der notwendigen Erkenntnis schlechterdings nicht mehr verschließen könne, nicht zu, weil hierdurch zu hohe Anforderungen an die Kenntniserlangung gestellt werden. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den Fristbeginn erst mit dem Umzug der Klägerin in das Alten- und Pflegeheim angenommen hat, wird verkannt, dass die Verpflichtung des [X.]n zur Erbringung von Pflegeleistungen nicht erst auf einem Niveau einsetzt, das Leistungen eines Alten- und Pflegeheims erforderlich macht. Nach der vertraglichen Regelung hat der [X.] generell die Klägerin in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen. Es kommt daher auf den Zeitpunkt an, zu dem die Klägerin sichere Kenntnis von ihrer eigenen Pflegebedürftigkeit und der tatsächlich nicht erbrachten Pflegeleistung durch den [X.]n hatte. Das ist spätestens im [X.] der Fall gewesen. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, sie sei ab Frühjahr 1999 geringfügig und seit Anfang 2005 in größerem Umfang pflegebedürftig gewesen. Sie selbst hatte über eine Anzeige bereits im Jahre 2005 eine Betreuerin gesucht. Die Zeugin M. war dann seit 2005 bei ihr tätig, wobei sich die Pflegeleistungen im [X.] dahin steigerten, dass nicht nur die allgemeine Haushaltsführung übernommen, sondern die Klägerin auch gebadet und angezogen werden musste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kann der Klägerin nicht mehr verborgen geblieben sein, dass sie objektiv pflegebedürftig war und der [X.] keine Pflegeleistungen erbrachte. Eine erst im [X.] erklärte Anfechtung war daher verfristet.

3. Auch eine Kündigung nach § 314 [X.] kommt schließlich nicht in Betracht. Nach § 314 Abs. 3 [X.] kann der Berechtigte nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Das Berufungsgericht orientiert sich hierfür an der Anfechtungsfrist des § 2283 [X.]. Ob eine derartige allgemeine Übertragung der Frist zulässig ist, erscheint zweifelhaft. Das Gesetz hat nämlich wegen der Vielgestaltigkeit der Dauerschuldverhältnisse bewusst von einer festen Ausschlussfrist abgesehen (vgl. MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl. § 314 Rn. 20). Fristbeginn ist jedenfalls der Zeitpunkt, zu dem der Kündigende Kenntnis vom Kündigungsgrund erlangt. Notwendig ist eine sichere und umfassende Kenntnis von den Tatsachen, aus denen sich der wichtige Grund ergibt (MünchKomm[X.] aaO Rn. 21). Das Berufungsgericht will hier erneut auf den Einzug der Klägerin in das Pflegeheim abstellen. Aus den oben genannten Gründen ist die erforderliche Kenntnis aber bereits im [X.] mit den häuslichen Pflegeleistungen durch die Zeugin M. anzunehmen, so dass eine Kündigung erst mit dem Schreiben vom 18. Januar 2008 verfristet war.

[X.]                                         Dr. [X.]

                 [X.][X.]

Meta

IV ZR 30/10

05.10.2010

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 12. Januar 2010, Az: 12 U 67/09, Urteil

§ 323 Abs 1 BGB, § 2295 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2010, Az. IV ZR 30/10 (REWIS RS 2010, 2718)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2718

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