Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.05.2020, Az. VI ZR 213/19

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11564

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:260520UVIZR213.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
VI [X.]

Verkündet am:

26. Mai 2020

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 280 Abs. 2; § 823 Abs. 1 Aa
a)
Der für die Auswertung eines Befundes verantwortliche Arzt hat all die Auffälligkei-ten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der [X.] (Senatsurteil vom 21. Dezember 2010 -
VI [X.], [X.], 29 Rn. 11 f.). Diese Pflicht besteht erst recht dann, wenn, wie bei einem Mammographie-Screening, Zweck der Untersuchung die Früherken-nung einer Krebserkrankung ist und es sich um eine im Rahmen der Anamnese nachgefragte und angegebene Auffälligkeit (hier: [X.]) handelt, die auf eben eine solche Krebserkrankung hindeuten kann.
b)
Zum Grundsatz der horizontalen Arbeitsteilung.
c)
Zur Abgrenzung eines Befunderhebungsfehlers von einem Fehler der therapeuti-schen Aufklärung ist danach zu differenzieren, ob der Schwerpunkt der Vorwerf-barkeit ärztlichen Fehlverhaltens in der unterbliebenen Befunderhebung als [X.] oder in dem Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des [X.] liegt. Wird etwa der Patient zutreffend über das Vorliegen -

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eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch gebotenen Maßnahmen einer weiteren Kontrolle informiert und unterbleibt (lediglich) der Hinweis auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahmen, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerf-barkeit regelmäßig in dem Unterlassen von Warnhinweisen (Senatsurteil vom 11.
April 2017 -
VI [X.], NJW 2018, 621 Rn. 15). Fehlt es dagegen schon an dem Hinweis, dass ein kontrollbedürftiger Befund vorliegt und dass Maßnahmen zur weiteren Abklärung medizinisch geboten sind, liegt der Schwerpunkt der [X.] regelmäßig in der unterbliebenen Befunderhebung.
[X.], Urteil vom 26. Mai 2020 -
VI [X.] -
OLG [X.]

[X.]

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-

Der VI.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren
nach

§ 128 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung bis zum 8. Mai 2020 eingegangener Schriftsätze durch den Vorsitzenden [X.], den
Richter
Offenloch,
die Richterinnen Dr. Roloff
und Müller und den Richter Dr. Allgayer
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 7. Mai 2019 wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagten
im Zusammenhang mit einem Mam-mographie-Screening
auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Die Klägerin unterzog sich Anfang
2010 in der
radiologischen
Praxis der Beklagten einem Mammographie-Screening, als dessen Ergebnis ihr
ein unauf-fälliger Status mitgeteilt wurde. Nach Krebsvorsorgeuntersuchungen, zuletzt bei Frau [X.] am 26. Januar 2012, bei denen keine pathologischen Befunde fest-gestellt
worden waren, stellte sich die Klägerin am 17. April 2012 erneut bei den Beklagten zum Mammographie-Screening vor. In der Anamnese gab sie an, die [X.] rechts sei seit ca. einem Jahr leicht eingezogen. Die Mammographie wurde mit [X.] ([X.]) bewertet; der Klägerin wurde mit Schrei-1
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ben vom 24. April 2012 mitgeteilt, es seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden.
Ende April 2014 stellte sich die Klägerin bei einem Frauenarzt wegen ei-ner zunehmenden Einziehung der rechten [X.] nebst "Delligkeit"
vor. Die folgenden Untersuchungen führten zur Diagnose von Brustkrebs. Es wurden ein invasives Karzinom und
ein begleitendes lobuläres Karzinom entfernt sowie eine Sentinellymphonodektomie und eine [X.] vorgenommen; in zwei der entnommenen Lymphknoten wurden Metastasen festgestellt. [X.] wurde nachreseziert. Es folgten Bestrahlungen und eine
Chemo-therapie.
Die Klägerin hat geltend gemacht, beide [X.] fehlerhaft bewertet und erforderliche weitere Befunderhebungen unterlassen worden. Bei korrektem Vorgehen wäre der Brustkrebs in einem Stadium ent-deckt und behandelt worden, in dem noch keine Lymphknoten bef[X.] gewe-sen wären. Einer Chemotherapie hätte es dann nicht bedurft und die Anzahl der Bestrahlungen wäre geringer gewesen.
Das [X.] hat die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übri-gen
zuzüglich
Ne-benkosten verurteilt und die Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden festgestellt. Die Berufung der Beklagten hat das [X.] zurückge-wiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die [X.] das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:
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I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass das Vorgehen der Beklagten anlässlich des zweiten [X.] vom 17. April 2012 fehlerhaft gewesen sei. Zwar sei es bei bloßer Betrachtung der Mammographieaufnahmen nicht zu beanstanden, dass das Bildmaterial als unauffällig ([X.]) beurteilt worden sei. Mit Blick auf die anamnestische Angabe der Klägerin, dass die rechte [X.] seit ca. einem Jahr leicht einge-zogen sei, seien aber
weitere Untersuchungen geboten gewesen, die der Klä-gerin von den Beklagten
hätten angeraten werden müssen. Im kurativen Be-reich, d.h. wenn sich die Klägerin mit eingezogener [X.] bei einem Arzt vor-gestellt hätte, wäre eine weitere Abklärung (unter anderem durch Tastbefund und Sonographie) auch bei Vorlage des unauffälligen Bildmaterials erforderlich gewesen. Dieses Erfordernis müsse [X.] bekannt sein, die sich mit der Mammadiagnostik beschäftigen, d.h. sowohl Gynäkologen als auch Radiolo-gen. Die Besonderheiten des Screenings schlössen ein weiteres Abklärungs-bedürfnis nicht aus. Der Verpflichtung, die Klägerin zumindest auf die Notwen-digkeit hinzuweisen, die von ihr geschilderte [X.] weiter abklären zu lassen, seien die Beklagten nicht
nachgekommen. Es sei im Gegenteil eher der Eindruck erweckt worden, die von der Klägerin
bei der Anamnese angege-bene
Einziehung der [X.] gebe keinen Anlass zur weiteren Abklärung. Bei dem Behandlungsfehler handle es sich weder um einen Diagnosefehler noch um eine fehlerhafte therapeutische Aufklärung, sondern um einen Befunderhe-bungsfehler. Dass der Arzt beim Screening möglicherweise nicht selbst zur Durchführung der weiteren Befunderhebung, sondern nur zu deren Veranlas-sung gehalten sei, ändere an der Einordnung als Befunderhebungsfehler nichts. Denn er verhindere durch seinen Fehler, dass der Patient auch nur die Chance einer weiteren Abklärung erhalte, weshalb der Arzt die Erschwerung der Aufklä-rung des Falls zu verantworten habe. Für die Kausalität komme der Klägerin 6
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somit nach den Regeln des einfachen Befunderhebungsfehlers eine Beweis-lastumkehr zugute. Dass die Klägerin bei dem gebotenen Hinweis die [X.] hätte genauer abklären lassen, entspreche der Lebenserfahrung und stehe zur Überzeugung des Senats fest. Die gebotenen Befunderhebungen (insbe-sondere Sonographie) hätten zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Krebsdiagnose als reaktionspflichtigen Befund erbracht. Der Primärschaden liege im Lymphknotenbefall, der zur [X.] und zur Chemotherapie
geführt habe, die ihrerseits mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die konkreten Beschwerden der Klägerin verursacht hätten.

II.
Diese Ausführungen halten der
revisionsrechtlichen
Überprüfung stand.
1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege ein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit dem zweiten Mammographie-Screening vom 17. April 2012 vor, weil die Beklagten es unterlassen haben, der Klägerin weitere Unter-suchungen zur Abklärung der von ihr geschilderten
[X.] anzura-ten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Beklagten waren zur ordnungsgemäßen Durchführung des Mam-mographie-Screenings und zur sorgfältigen Befundung
unter Einbeziehung
der im Rahmen der Anamnese gewonnenen Erkenntnisse verpflichtet. Bei Zugrun-delegung der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen
entsprach
es
nicht der ärztlichen Sorgfaltspflicht, dass sie im Hinblick auf die im Rahmen der Anamnese
mitgeteilte [X.] nichts weiter unternahmen und der Klägerin mit Schreiben vom 24. April 2012 mitteilten, es seien keine Auffälligkei-ten festgestellt worden.
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aa) Ein Arzt muss bei einer
Beobachtung, die er im Rahmen seiner Un-tersuchung macht und die auf eine ernst zu nehmende Erkrankung hinweisen kann, auf eine rasche diagnostische Abklärung hinwirken, um vermeidbare Schädigungen des Patienten auszuschließen (Senatsurteil vom 14. Juli 1992 -
VI [X.], [X.], 2962, 2963,
juris
Rn. 25). Er darf Auffälligkeiten, die ihm zur Kenntnis gelangen, nicht einfach übergehen
(Senatsurteil vom 14. Juli 1992
-
VI [X.], aaO Rn. 33). Sogar
vor "Zufallsbefunden",
auch
solchen, die aus medizinisch nicht gebotenen, aber dennoch veranlassten Untersuchun-gen herrühren, darf er nicht die Augen verschließen
(Senatsurteil vom 21. [X.] -
VI [X.], [X.], 29 Rn. 11 f.).
So hat der Senat in dem genannten Urteil vom 21. Dezember 2010 entschieden, dass der für die Aus-wertung eines Befundes verantwortliche Arzt
all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen
hat, die er aus [X.] Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung
der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der Behand-lungssituation
feststellen muss
(aaO Rn. 12).
Dementsprechend darf etwa ein Anästhesist, der vor einer Meniskusoperation die Anfertigung einer Röntgen-aufnahme
der Lunge veranlasst, auf der (auch für ihn) ein Lungenkarzinom er-kennbar
ist, die Aufnahme nicht lediglich auf anästhesierelevante Besonderhei-ten auswerten und vor dem Karzinom als Zufallsbefund die Augen verschließen (aaO Rn. 12). Die Pflicht des Arztes, Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum [X.] für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen, besteht erst recht dann, wenn
-
wie vorliegend
-
Zweck der Untersuchung die Früherkennung einer Krebser-krankung ist
und es sich um eine
im Rahmen der Anamnese nachgefragte
und angegebene
Auffälligkeit handelt, die auf eben eine solche Krebserkrankung hindeuten kann.
[X.]) Entgegen der Ansicht der Revision ist auf der Grundlage der ge-troffenen Feststellungen die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht rechtsfeh-10
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lerhaft, dass
nicht nur im kurativen Bereich
auf die Abklärung einer [X.]nret-raktion hinzuwirken ist, sondern
dass dies auch für die Beklagten im [X.] mit dem vorliegenden
Mammographie-Screening galt. Nach den [X.] von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] musste das Erfordernis weiterer Abklärung der [X.]
im ku-rativen
Bereich
-
auch bei unauffälligen Mammographieaufnahmen -
[X.] [X.] sein, die sich mit dem Bereich der Mammadiagnostik beschäftigen, d.h. sowohl Gynäkologen als auch Radiologen und damit auch den Beklagten. Dass das Berufungsgericht der Ansicht der Sachverständigen Prof. Dr. [X.] nicht gefolgt ist, wonach im Rahmen des Screenings eine Abweichung von der
dies-bezüglichen
Leitlinie gerechtfertigt gewesen sei, weil es sich bei der [X.]n-retraktion in Kombination mit einer unveränderten mammographischen Bildge-bung um ein sehr unspezifisches Symptom handle und nach den Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. einer eingezogenen [X.] nur
ein relativ geringer
positiv prädiktiver Wert zukomme, ist revisionsrechtlich nicht zu [X.].
Denn es hat,
ebenfalls sachverständig beraten und
insoweit von der Revision nicht beanstandet, festgestellt, dass trotz des geringen positiv prädikti-ven Wertes die [X.] ein "potentielles Frühzeichen des Mammakarzinoms"
ist.
Vor allem aber hat es
die Ansicht der Sachverständigen im Rahmen der ihm obliegenden und vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren Beweiswürdigung (vgl. nur Senatsurteile vom 28. August 2018 -
VI [X.], [X.], 1510 Rn. 18; vom
11.
November 2014 -
VI
ZR 76/13, [X.], 327 Rn. 13; jeweils mwN) deshalb als nicht überzeugend angesehen, weil es die
von den Sachverständigen
genannten Umstände im kurativen Bereich gerade nicht rechtfertigten, von weiteren Maßnahmen abzu-sehen.
Damit hat es entgegen der Ansicht der Revision nicht verkannt, dass die Beklagten nicht im kurativen Bereich tätig waren; seinen diesbezüglichen Über-legungen hat es im Gegenteil
ausdrücklich vorangestellt, dass vorliegend keine -

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kurative Situation vorlag, sondern die Klägerin sich im Rahmen eines Scree-nings vorstellte.
Es hat sich aber, wie sich aus dem Zusammenhang der [X.] ergibt, davon überzeugt, dass im kurativen Bereich der Mammadiagnostik
eine [X.] abgeklärt werden muss, und ist zu dem Schluss gekommen, dass sie auch
im [X.] der Mam-madiagnostik
zur Krebsfrüherkennung
bei diesbezüglichen
Erhebungen in der Anamnese
und angesichts
der vorauszusetzenden Kenntnisse der in diesem Bereich tätigen Ärzte
nicht ignoriert werden darf. Dies ist, insbesondere vor dem Hintergrund der unter aa)
zitierten Senatsrechtsprechung, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
b) Dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers lässt sich, anders als die Revision meint, nicht entgegenhalten, dass die Beklagten nach dem Grundsatz
der horizontalen Arbeitsteilung darauf
hätten
vertrauen dürfen, dass die
von der Klägerin angegebene [X.] bei einer
Brustkrebsvorsorgeuntersu-chung
nach dem im kurativen Bereich geltenden Standard
abgeklärt worden war.
aa) Nach dem Grundsatz der horizontalen Arbeitsteilung hat jeder Arzt denjenigen Gefahren zu begegnen, die in seinem Aufgabenbereich entstehen; er muss sich aber, jedenfalls solange keine offensichtlichen Qualifikationsmän-gel oder Fehlleistungen erkennbar werden, darauf verlassen dürfen, dass auch der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der gebotenen Sorg-falt erfüllt. Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht insoweit nicht (Se-natsurteil vom 26. Februar 1991 -
VI [X.], NJW 1991, 1539,
juris Rn. 13; vom 26.
Januar 1999 -
VI [X.], [X.]Z 140, 309, 313,
juris Rn. 14).
Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt schon begrifflich eine Arbeits-teilung, also ein
Zusammenwirken
von
zwei oder mehr Ärzten
verschiedener 12
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Fachrichtungen
voraus
(vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 1999 -
VI [X.], [X.]Z 140, 309, 316,
juris Rn. 18; [X.]/[X.], Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn.
106).
Das
Vertrauen
in die sorgfältige Aufgabenerfüllung durch den ande-ren Arzt
kann
denknotwendig nur begründet werden, wenn
ein Arzt von der
konkreten
Behandlung durch den anderen Arzt Kenntnis hat. Zudem gilt der [X.] nur in solchen Konstellationen, in denen es um Gefahren geht, die ausschließlich dem Aufgaben-
und Verantwortungsbereich eines der beteiligten Ärzte zugeordnet sind, die Schädigung des Patienten also in einem abgrenzbaren und auf das betreffende Fachgebiet beschränkten [X.] eintritt
(vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 1999 -
VI [X.], [X.]Z 140, 309, 314 f.,
juris Rn. 15 f.).
[X.]) Bei
Zugrundelegung der vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision insoweit nicht angegriffenen Feststellungen sind die genannten
Voraussetzungen
einer horizontalen Arbeitsteilung
vorliegend nicht erfüllt. Es fehlte
im Zeitpunkt des [X.] vom 17. April 2012
schon an einem irgendwie gearteten Zusammenwirken der Beklagten mit den die Klä-gerin behandelnden Frauenärzten, etwa mit Frau [X.], die die letzte Brust-krebsvorsorgeuntersuchung im Januar 2012 vorgenommen hatte. Nach dem im angefochtenen Urteil in Bezug genommen Einladungsschreiben zur Mammo-graphie
handelt es sich bei dem [X.] um eine regelmäßige, alle zwei Jahre durchgeführte Röntgenuntersuchung zur Früher-kennung von Brustkrebs. Die Einladung erfolgt
auf Basis der Melderegisterda-ten der Gemeinde
(also nicht auf Veranlassung des behandelnden Frauenarz-tes)
und richtet sich an Frauen zwischen 50 und 69 Jahren. Das Screening er-folgt demnach
unabhängig davon, ob und wann zuletzt eine Brustkrebsvorsor-geuntersuchung durch den behandelnden Frauenarzt erfolgt ist. Ein Zusam-menwirken der die Mammographie durchführenden Ärzte und des behandeln-den Frauenarztes
findet daher
ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht statt. 15
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Eine horizontale Arbeitsteilung wird entgegen der Ansicht der Revision nicht schon allein dadurch begründet, dass in dem Einladungsschreiben
zur Mam-mographie
darauf hingewiesen wird, dass das Screening nur ein "zusätzliches Angebot"
ist und nicht die jährliche [X.]suntersuchung bei dem Frauenarzt ersetzt, und dass es für Frauen gedacht ist, bei denen keine Anzeichen für eine
Erkrankung der Brust bestehen.
Für die Annahme eines Vertrauens
der Beklagten
in eine bereits
im kura-tiven Bereich
erfolgte Abklärung der [X.] fehlt es vor allem
an der Prämisse, dass die Beklagten
überhaupt
davon Kenntnis hatten, wann
die Klä-gerin zuletzt bei einer Brustkrebsvorsorgeuntersuchung
bei ihrem Frauenarzt
war und ob die [X.] bereits Gegenstand dieser Untersuchung war. Eine solche Kenntnis oder die Behauptung dieser Kenntnis ist weder fest-gestellt noch verweist die Revision auf diesbezüglichen Vortrag. Sie betont im Gegenteil in anderem Zusammenhang, dass die Beklagten von den (möglich-erweise unzureichenden) Untersuchungen durch [X.] keine Kenntnis hatten.
Hinzu kommt, dass
die Früherkennung des Brustkrebsrisikos in den [X.] sowohl der Beklagten als auch der die Klägerin behandelnden Frauenärzte fiel, mögen die diesbezüglichen Untersuchungen auch unter-schiedlich ausgestaltet
gewesen
sein. Die Gefahr, im Rahmen der Mammadi-agnostik mögliche Anzeichen für Brustkrebs zu übersehen
oder ihnen nicht nachzugehen, ist also sowohl dem kurativen Bereich als auch dem Bereich des
Screenings zuzuordnen.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungs-gericht den Behandlungsfehler als Befunderhebungsfehler und nicht als Diag-noseirrtum
oder als Fehler der therapeutischen Aufklärung
qualifiziert hat.
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a) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist nicht von einem Diagnoseirrtum auszugehen.
aa) Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung [X.] gebotener Befunde unterlassen
oder nicht veranlasst
wird. Im [X.] dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufs-fachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen -
therapeutischen oder diag-nostischen -
Maßnahmen ergreift (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2016 -
VI [X.], [X.], 1447
Rn. 6; vom 21. Dezember 2010 -
VI [X.], [X.], 29 Rn. 13; jeweils mwN). Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde
überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkran-kung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat,
er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose ge-langt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklä-ren, dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im [X.] nicht um die Fehlinterpretation von Befun-den, sondern um deren Nichterhebung (Senatsurteil vom 26.
Januar 2016 -
VI
[X.], [X.], 1447 Rn.
6 mwN).
[X.]) Vorliegend wirft das Berufungsgericht den Beklagten vor,
auf die anamnestische Angabe der [X.]
keine weiteren Untersuchungen veranlasst, diesbezüglich also die notwendigen
Befunde nicht
erhoben zu ha-ben, und so vorschnell zu der Diagnose "unauffällig"
gekommen zu sein.
Dem kann die Revision nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Fehler
liege
[X.]falls darin, dass aus der Bildgebung geschlossen worden sei, dass keine [X.]n-20
21
-

13

-

retraktion vorliege. Denn nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststel-lungen reicht die Bildgebung im Screening -
was auch ein Radiologe wissen muss -
für die zuverlässige Abklärung einer [X.] gerade nicht aus.
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14

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b)
Rechtsfehlerfrei hat ferner das
Berufungsgericht
den vorliegenden Be-funderhebungsfehler von einem
Fehler der therapeutischen Aufklärung abge-grenzt.
aa) Zutreffend hat es ausgeführt, dass
danach zu differenzieren
ist, ob der Schwerpunkt der [X.] ärztlichen Fehlverhaltens in der [X.] Befunderhebung als solcher oder in dem Unterlassen von [X.] zum Zwecke der Sicherstellung des [X.] liegt
(Senatsurteile vom 17.
November 2015 -
VI [X.], [X.], 563 Rn. 18; vom 11. April 2017 -
VI [X.], NJW 2018, 621 Rn. 15). Wird etwa der Patient zutreffend über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch ge-botenen Maßnahmen einer weiteren Kontrolle informiert und unterbleibt (ledig-lich) der Hinweis auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahmen, so liegt der Schwerpunkt der [X.] regelmäßig in dem Unterlassen von Warnhin-weisen (Senatsurteil vom 11. April 2017 -
VI [X.], NJW 2018, 621 Rn. 15).
Fehlt es dagegen schon an dem Hinweis, dass ein kontrollbedürftiger Be-fund vorliegt und dass Maßnahmen zur weiteren Abklärung medizinisch gebo-ten sind, liegt der Schwerpunkt der [X.] regelmäßig in der [X.] Befunderhebung.
[X.]) Vorliegend
fehlt es schon an dem Hinweis, dass die in der Anamnese
angegebene [X.] -
auch nach dem Screening -
noch kontrollbe-dürftig
ist und dass weitere Untersuchungen
zur Abklärung medizinisch geboten sind. Damit liegt der Schwerpunkt der [X.] des ärztlichen Fehlverhal-tens
hier in der unterbliebenen Befunderhebung.
Soweit die Revision auch in diesem Zusammenhang meint, die Beklagten hätten davon ausgehen dürfen, dass die notwendigen Untersuchungen bereits im Rahmen der jährlichen Brust-krebsvorsorgeuntersuchung erfolgt waren, fehlt es, wie unter [X.]) [X.])
darge-legt, an der notwendigen Vertrauensgrundlage.
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Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, spielt es für die Qualifizierung des vorliegenden Behandlungsfehlers
als Befunderhebungsfehler
keine Rolle, ob die Beklagten die weiteren Untersuchungen selbst durchzufüh-ren oder diese
der Klägerin anzuraten hatten.
3. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht schließlich die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem primären Gesundheitsschaden
be-jaht.
a) Entgegen der Auffassung der Revision ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht überzeugt gezeigt hat, die Klägerin hätte bei dem gebotenen Hinweis, dass die [X.] weiterer Abklärung bedarf, eine solche Abklärung veranlasst. Diese Reaktion entspre-che, so das Berufungsgericht, der Lebenserfahrung und stehe (zudem) zur Überzeugung des Gerichts fest. Grundsätzlich ist die Würdigung der Beweise dem Tatrichter vorbehalten. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinanderge-setzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtspre-chung, vgl. nur Senatsurteile vom 28. August 2018 -
VI [X.], [X.], 1510 Rn. 18; vom 11.
November 2014 -
VI
ZR 76/13, [X.], 327 Rn. 13; jeweils mwN). Das Berufungsgericht hat in seine Überzeugungsbildung aus-drücklich den von der Revision genannten Umstand einbezogen, dass die Klä-gerin bereits im Januar 2012 ihre Frauenärztin [X.] auf die Einziehung [X.] hatte, diese aber lediglich eine Tastuntersuchung vorgenommen und sonst nichts weiter veranlasst hatte. Weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze gebieten es, aus diesem Sachverhalt den Schluss zu ziehen, dass die Klägerin, 25
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die der Einladung zum Mammographie-Screening zur [X.] nachgekommen war und in der Anamnese die [X.] angegeben hatte,
einen Hinweis der Beklagten im April 2012 auf die Notwendigkeit der Ab-klärung dieses Befundes unter Inkaufnahme der damit möglicherweise verbun-denen Gefahren für ihre Gesundheit oder ihr Leben ignoriert hätte. Insoweit ist auch die Feststellung im angefochtenen Urteil in den Blick zu nehmen, dass die Schwester der Klägerin ebenfalls an Brustkrebs erkrankt war.
b) [X.] sind die Ausführungen des Berufungsgerichts auch insoweit,
als es davon ausgegangen ist, die Beweislast hinsichtlich des Kausalzusammenhangs zwischen der unterbliebenen weiteren Abklärung der [X.] und dem zu [X.] und Chemotherapie führenden Lymphknotenbefall treffe die Beklagten. Zwar trägt grundsätzlich der [X.] die Beweislast auch für die insoweit angesprochene haftungsbegründende Kausalität.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kann
aber
auch ein einfacher Befunderhebungsfehler zu einer Umkehr der Beweis-last hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravie-render Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die [X.] hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsscha-den herbeizuführen (vgl. nur Senatsurteil
vom 17. November 2015 -
VI [X.], [X.], 563 Rn. 17
mwN).
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt seien, ist frei von Rechtsfehlern.
c) Soweit es die Revision unter der von ihr nicht begründeten Prämisse, dass die Klägerin auf den gebotenen Hinweis der Beklagten
erneut Frau Dr.
K. (und keinen anderen Frauenarzt; in dem [X.] hat die Kläge-28
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-

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rin als ihren Frauenarzt Dr. R. angegeben, 2014 war sie bei [X.]) aufgesucht hätte, für möglich hält, dass diese sodann die -
medizinisch gebotenen -
Unter-suchungen nicht vorgenommen hätte, setzt sie in den Kausalverlauf ein hypo-thetisches pflichtwidriges Verhalten eines anderen Arztes ein. Unabhängig da-von, ob dies die Beklagten entlasten könnte, ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht nicht von sich aus einen derartigen Kausalverlauf in seine Überzeugungsbildung einbezogen hat.
4. Da das angefochtene Urteil auch im Übrigen keine Rechtsfehler er-kennen lässt
(§§ 545 Abs. 1 ZPO,
557 Abs. 3 Satz 1
ZPO), war die Revision zurückzuweisen.
Seiters
Offenloch
Roloff

Müller
Allgayer

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.01.2017
-
Ri 1 O 20/15 -

OLG [X.], Entscheidung vom 07.05.2019 -
1 U 16/17 -

30

Meta

VI ZR 213/19

26.05.2020

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.05.2020, Az. VI ZR 213/19 (REWIS RS 2020, 11564)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11564

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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