VG Ansbach, Urteil vom 09.08.2022, Az. AN 9 K 21.02301

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Gegenstand

Kerngebietstypische Vergnügungsstätte (Wettbüro), Zweckbestimmung und Umfang als Kriterien für Kerngebietstypik, Rücksichtnahmegebot


Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten die klägerische Bauvoranfrage vom 28. April 2021 zur Umnutzung einer Gaststätte in ein Wettbüro auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … (…, … …) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden. Zudem begehrt der Kläger die Aufhebung des entsprechenden negativen Bauvorbescheids der Beklagten vom 2. November 2021.

Ausweislich der Behördenakte „…“ wurde auf dem streitgegenständlichen Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, sowie auf dem unmittelbar im Süden angrenzenden Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, mit Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 1986 die Errichtung eines Ladens mit Tiefgarage sowie eines Restaurants genehmigt. Ausweislich der Auflage Nummer 54 der damaligen Genehmigung sind für das Restaurant 20 und für den Laden 25 Stellplätze für Kraftfahrzeuge zu errichten. Ausweislich derselben Auflage sind die Stellplätze auf dem Baugrundstück unterzubringen.

Ausweislich des Lageplans zum streitgegenständlichen Vorhaben vom 22. April 2021 sowie der allgemein zugänglichen Quellen (Google Maps, BayernAtlas, Geoportal der Beklagten) befindet sich auf dem Vorhabensgrundstück FlNr. …, Gemarkung …, ein Gebäude, welches im Erdgeschoss einen Betrieb der Systemgastronomie aufweist. Im 1. Obergeschoss findet sich ein Übergang zu dem im Süden angrenzenden Gebäude auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, in welchem sich der mit Genehmigung vom 29. Dezember 1986 errichtete Laden sowie ein weiteres Restaurant befinden. Das Vorhabensgrundstück verfügt ausweislich der genannten Quellen sowie des Ergebnisses des Augenscheins vom 9. August 2022 zudem über die in der Genehmigung von 29. Dezember 1986 vorgeschriebenen Stellplätze für Kraftfahrzeuge.

Das Vorhabensgrundstück befindet sich ausweislich des BayernAtlas sowie des Geoportals der Beklagten im Umgriff des rechtskräftigen, qualifizierten Bebauungsplans Nr. … Die zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind zudem der Behördenakte des streitgegenständlichen Vorhabens (Seiten 11-15) zu entnehmen. Ausweislich des Plans gilt für das Vorhabensgrundstück hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung das Folgende: Mischgebiet mit dem Zusatz „Läden, Büros, Praxen“. Zudem sind für das Grundstück 20 Stellplätze im Bebauungsplan festgesetzt. Die Eintragungen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung erstrecken sich auch auf das im Süden angrenzende Grundstück FlNr. …, Gemarkung … Im Westen des Vorhabensgrundstücks schließt sich jenseits der S. Straße dreigeschossige Wohnbebauung als Blockrandbebauung mit den Anschriften S. Straße ... bis … (jeweils nur gerade Hausnummern) an. Insgesamt handelt es sich um elf Mehrfamilienhäuser, welche sich auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, befinden. Ausweislich der zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … ist hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in diesem Bereich ein allgemeines Wohngebiet vorgesehen. In den textlichen Festsetzungen wird die Art der baulichen Nutzung wie folgt konkretisiert „1.1. Im allgemeinen Wohngebiet, mit Ausnahme des Grundstückes FlNr. …, Gem. …, sind sonstige nicht störende Gewerbebetriebe, Gartenbaubetriebe und Tankstellen (§ 4 Abs. 3 Nr. 2, 4 und 5 BauNVO) auch nicht ausnahmsweise zulässig.“

Mit Schreiben vom 22. April 2021, eingegangen bei der Bauordnungsbehörde der Beklagten am 28. April 2021, beantragte der Kläger die Erteilung eines Vorbescheides zur Umnutzung einer Gaststätte in ein Wettbüro für das Vorhabensgrundstück. Als Anlage zur Voranfrage findet sich ein Dokument, welches mit „Fragestellung zur Bauvoranfrage“ überschrieben ist und den folgenden Inhalt aufweist „Wir bitten um Prüfung, ob es zulässig ist, einen Teilbereich der Gewerbefläche in o.g. Gebäude in ein Wettbüro (unter 100 qm Gastfläche = mischgebietstypisch) umzunutzen. Die planungsrechtliche Zulässigkeit hierfür soll geprüft und ein Bauvorbescheid ausgestellt werden.“

Der Bauvoranfrage ist ein auf den 22. April 2021 datierender Grundriss des geplanten Wettbüros beigelegt.

In der Betriebsbeschreibung zur Bauvoranfrage heißt es wie folgt:

„Unter Punkt „Allgemeines - Art des Betriebs“

„Die im EG befindlichen Räume des Gebäudes … wurden zuletzt als Gaststätte genutzt. Hier soll nun ein Wettbüro eingerichtet werden.“

Unter Punkt „Allgemeiner Ablauf“

„Das Wettbüro dient der Vorbereitung der Wettabgabe am Schalter (Studieren der Wettprogramme, Ausfüllen des Tippzettels) sowie dem eigentlichen Wettvorgang durch Aufgabe des Tippscheins an der Kasse oder durch Durchführung der Wette an SB-Terminals. An der Kasse werden auch die Wettgewinne ausgezahlt. Die Wettprogramme werden in Papierform und in Quotendarstellung auf Bildschirmen vorgehalten. Zum Ausarbeiten der Wetten werden Tische und Stühle bereitgestellt. Die Kunden können die Übertragung von Sportereignissen an TV- Bildschirmen mitverfolgen. Es erfolgt kein (genehmigungspflichtiger) gastronomischer Betrieb, die Kunden haben die Möglichkeit Heißgetränke und alkoholfreie Kaltgetränke an Automaten zu erwerben (…).“

Unter Punkt „Betriebszeiten“

„Von 10:00-23:00 täglich“

Unter Punkt „Toiletten“

„Es werden für Damen und Herren getrennte WC-Anlagen bereitgestellt.“

Unter Punkt „Beschäftigte“

„Aufgrund des zu erwartenden Kundenaufkommens und der technischen Unterstützung beträgt die regelmäßige Mitarbeiteranzahl in der Betriebsstätte nur 1 Person, bei einer Gesamtmitarbeiterzahl von 3-4 Mitarbeitern.“

Unter Punkt „Maschinen und Apparate“

„(…) Keine Aufstellung von Geldspielgeräten!“

Unter Punkt „Außendarstellung“

„Firmenlogo und Eigendarstellung auf den Schaufenstern, keine vollkommen verdeckten Schaufenster.“

Zu der Bauvoranfrage wurde das Stadtplanungsamt der Beklagten beteiligt, welches mit Schreiben vom 17. Mai 2021 eine Stellungnahme abgab. Demnach befinde sich das Vorhaben im Gebiet eines qualifizierten Bebauungsplans, welcher unter anderem ein Mischgebiet mit Zweckbestimmung Laden, Büro und Praxen festsetze. Bei der beantragten Vergnügungsstätte handele es sich aufgrund ihrer Dimension um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, welche hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im vorliegenden, an ein allgemeines Wohngebiet angrenzende Mischgebiet mit der genannten Zweckbestimmung planungsrechtlich nicht zulässig sei. Die laut Betriebsbeschreibung weniger als 100 qm bezogen sich lediglich auf den Gastraum. Die vorliegend zu betrachtende Nutzungseinheit übersteige die zulässige Grenze von 100 qm und wäre somit nur in Kerngebieten zulässig. Auch unabhängig von der Größe der Nutzungseinheit sei eine Vergnügungsstätte im vorliegenden Mischgebiet an der Grenze zum allgemeinen Wohngebiet planungsrechtlich nicht in Aussicht zu stellen. Das Vorhaben sei nach alledem planungsrechtlich nicht zulässig.“

Die Gründe sowie das Ergebnis dieser planungsrechtlichen Beurteilung teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 10. Juni 2021 mit. Die Beklagte beabsichtige den klägerischen Vorbescheidsantrag negativ zu verbescheiden. Zudem wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass noch Unterlagen für die Beurteilung des Vorhabens fehlten (Nachweis der Bauvorlageberechtigung des Planfertigers, Baubeschreibung und Baukosten, Auszug aus dem Katasterwerk, Nachweis der Nachbarbeteiligung). Bevor ein förmlicher Bescheid erlassen werde, werde dem Kläger Gelegenheit gegeben, innerhalb der nächsten 4 Wochen zum Sachverhalt Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 19. August 2021 zeigte der Klägervertreter gegenüber der Beklagten die Vertretung an. Mit Blick auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 10. Juni 2021 sei der Grundriss des geplanten Wettbüros so abgeändert worden, dass die maßgebliche Fläche nunmehr eindeutig unter der 100 qm-Grenze liege. Das Vorhabensgrundstück würde sich im gewerblich geprägten Teilbereich des Mischgebiets befinden, sodass die Bauvoranfrage positiv zu verbescheiden sei.

Der abgeänderte Grundriss weist die folgenden Räumlichkeiten mit den folgenden Angaben zur Grundfläche auf:

- Wettbüro 92,41 qm

- Theke 5,5 qm

- Windfang 9,75 qm

- WC M 9,00 qm

- WC D 11,16 qm

Ausweislich des Grundrisses sind sämtliche dieser Räumlichkeiten miteinander verbunden. Der Eingang des Gebäudes befindet sich an dem mit „Windfang“ bezeichneten Raum. Dort grenzen auch unmittelbar die beiden WC an. Vom Windfang gelangen die Kunden augenscheinlich in das Wettbüro. Im östlichen Teil des Wettbüros findet sich die Theke. Lediglich die Theke weist eine Tür zu weiteren Räumlichkeiten „Personal/Lager“ (94,09 qm), „Abstell 1“ (6,26 qm)“ auf.

Zu dem abgeänderten Grundriss wurde das Stadtplanungsamt der Beklagten erneut beteiligt. Das Stadtplanungsamt gab eine auf den 1. September 2021 datierende, ergänzende Stellungnahme ab. Bei der beantragten Vergnügungsstätte handele es sich weiterhin um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte. Der Schwellenwert von 100 qm definiere nicht die reine Fläche des Wettbüros, sondern beziehe die zugehörigen Versorgungsstrukturen, wie WC, Lager, Flur, etc. mit ein. Man spreche von einer Nutzungseinheit, wenn sich Nutzungen unter anderem eine Zugangssituation sowie Versorgungsstruktur teilen würden. Im vorliegenden Fall bestehe zusätzlich zur gemeinsamen WC-Anlage auch eine Verbindung zwischen der Theke des Wettbüros sowie dem Raum „Personal/Lager“, welcher funktional dem Wettbüro zuzuordnen sei. Die Nutzungen wären für sich betrachtet eigenständig nicht funktionsfähig. Das Vorhaben sei aufgrund der Dimensionierung daher weiterhin planungsrechtlich nicht zulässig.

Mit Schreiben der Beklagten vom 9. September 2021 wurde dem Kläger das erneute Ergebnis der bauplanungsrechtlichen Einschätzung mitgeteilt. Der Kläger wurde abermals auf das Fehlen von Unterlagen hingewiesen. Dem Kläger wurde erneut gegenüber ausgedrückt, dass die Beklagte die Ablehnung des Vorbescheidsantrag beabsichtige. Eine Antwort des Klägers auf dieses Schreiben der Beklagten erfolgte ausweislich der Behördenakte nicht.

Mit Schreiben vom 2. November 2021 erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid. Ausweislich des Briefkopfs des Bescheides wurde dieser mit Zustellungsurkunde an den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt. Die Zustellungsurkunde selbst findet sich hingegen nicht in den Behördenakten. Die sich in der Gerichtsakte befindliche Kopie des streitgegenständlichen Bescheides weist einen Posteingangsstempel der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten auf, welcher auf den 25. November 2021 datiert.

Im streitgegenständlichen Bescheid heißt es wie folgt:

„Zu dem oben genannten Antrag ergeht zu der gestellten Frage Ist die Nutzungsänderung eines Teilbereiches der Gewerbefläche in ein Wettbüro planungsrechtlich zulässig? folgender Vorbescheid:

1. Das Vorhaben ist im Rahmen der gemäß Art. 71 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) gestellten Fragen nach Maßgabe der Bauvorlagen, Aktenzeichen …, nicht zulässig. (…)“

Der streitgegenständliche Bescheid wird wie folgt begründet: Bei dem Vorhaben handele es sich aufgrund seiner Dimension um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, welche hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im vorliegenden, an ein allgemeines Wohngebiet angrenzenden, Mischgebiet mit der beantragten Zweckbestimmung planungsrechtlich nicht zulässig sei. Der Bebauungsplan setze namentlich ein Mischgebiet mit Zweckbestimmung Laden, Büro und Praxen fest. Der Schwellenwert von 100 qm werde überschritten. Bei den Räumlichkeiten handele sich um eine wirtschaftliche und funktionale Einheit. Zudem wiederholt die Beklagte die Ausführungen des Stadtplanungsamtes vom 9. September 2021.

Gegen den Bescheid hat der Kläger am 27. Dezember 2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am selben Tag, Klage erheben lassen.

Der streitgegenständliche Bescheid sei erst am 25. November 2021 in der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten eingegangen. Es werde auf den Posteingangsstempel verwiesen. Die Behördenakte gebe auch keine Hinweise auf eine förmliche Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides. Sofern man überhaupt unterstellen wolle, dass die Monatsfrist zur Klageerhebung durch die nichtförmliche Bekanntgabe in Gang gesetzt worden sei, so wäre die Frist jedenfalls gewahrt.

Die für die Abgrenzung von kerngebietstypischen zu nicht kerngebietstypischen Spielstätten maßgebliche 100 qm-Grenze sei im vorliegenden Fall nach den grundlegenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur bau- und gewerberechtlichen Flächenberechnung gewahrt. Ausgangspunkt für die Rechtsprechung seien die Regelungen der Spielverordnung in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung gewesen. Die Verwaltungsgerichte wären zu dem Schluss gekommen, dass eine Spielhalle mit bis zu 100 qm Grundfläche nicht kerngebietstypisch sei, weil sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht im mittleren Bereich anzusiedeln wäre. Hieraus könne ein nutzungsartübergreifender Ansatz insoweit abgeleitet werden, als dass auch große Wettbüros kerngebietstypisch seien, mittlere Wettbüros hingegen nicht. Nur so könne eine für die verschiedenen Nutzungsarten passende, einheitliche Abgrenzung zu kerngebietstypischen Vergnügungsstätten geschaffen werden. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 20. August 1992 für die Abgrenzung von mittleren zu größeren Spielhallen auf § 3 Abs. 2 Spielverordnung abgestellt. Der damalige § 3 Abs. 2 Satz 4 Spielverordnung hätte jedoch wie folgt gelautet: „Bei der Berechnung der Grundfläche bleiben Nebenräume wie Abstellräume, Flure, Toiletten, Vorräume und Treppen außer Ansatz“. Auch Aufsichtsflächen dürften bei der Berechnung der Grundfläche unter bestimmten Voraussetzungen nicht einbezogen werden. Selbst wenn im vorliegenden Fall die Theke in die Berechnung der Grundfläche mit einbezogen werden würde, sei die 100 qm-Grenze nicht überschritten, da die Toiletten und der Windfang gewerberechtlich als Nebenräume galten und mithin nicht in die Grundflächenberechnung einbezogen werden dürften. Auch aus der Lage allein könne bei einer mittelgroßen Spielstätte keine Kerngebietstypik hergeleitet werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß unter Aufhebung des Bauvorbescheids vom 02.11.2021 wird die Beklagte verpflichtet, die am 28.04.2021 eingegangene Bauvoranfrage des Klägers (…) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die im streitgegenständlichen Bescheid genannten Ablehnungsgründe sowie die Stellungnahme des Stadtplanungsamtes der Beklagten in der Behördenakte. Das Vorhaben sei als kerngebietstypische Vergnügungsstätte unzulässig und wegen des benachbarten Wohngebiets nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO rücksichtslos. Dessen ungeachtet sei das Vorhaben schon deshalb planungsrechtlich unzulässig, weil nach dem einschlägigen Bebauungsplan als gewerbliche Nutzungen nur „Läden“, „Büros“ und „Praxen“, nicht aber Vergnügungsstätten, zulässig seien. Bei den beschriebenen Nutzungen handele es sich um Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, entweder nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder nach § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB („der besondere Nutzungszweck von Flächen“). Diese Einschränkung der zulässigen baulichen Nutzung sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass in den Obergeschossen der von der zeichnerischen Festsetzung erfassten Grundstücke nach den Festsetzungen jeweils Wohnnutzungen zulässig sein sollten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Behördenakten sowie auf die Gerichtsakte, wegen des Ergebnisses des Augenscheins sowie des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Streitgegenständlich ist die klägerseitig begehrte Verpflichtung der Beklagten die klägerische Bauvoranfrage vom 22. April 2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden und den entsprechenden negativen Bauvorhabescheid der Beklagten vom 2. November 2021 aufzuheben.

B.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erteilung des Vorbescheids nach Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu. Da auch keine formellen Mängel im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 2. November 2021 vorgetragen oder dem Gericht sonst wie ersichtlich sind, erweist sich der Bescheid als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Auch dem klägerischen Begehren zur Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides war damit nicht nachzukommen.

Ein Vorbescheid ist nach Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.

Die vorliegend geplante Nutzungsänderung von einem Betrieb der Systemgastronomie in ein Wettbüro ist nach Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 4 BayBO genehmigungspflichtig, da an die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen nach Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO gestellt werden als an die bisherige Nutzung. Bauplanungsrechtlich grenzt die Baunutzungsverordnung Speisewirtschaften von Vergnügungsstätten ab und unterscheidet bei Letzteren sodann nach kerngebietstypischen und nicht kerngebietstypischen Einrichtungen.

Im vorliegend einschlägigen, vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, mit den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO sowie mit den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO, beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 BayBO sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.

Nach Art. 71 Satz 1 BayBO können einzelne Fragen des Bauvorhabens allerdings vorab in einer Voranfrage geprüft werden. Vorliegend hat der Kläger die im Rahmen des Art. 71 BayBO zu stellende Frage mit dem Antrag vom 22. April 2021 auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beschränkt. Vonseiten der Bauaufsichtsbehörde der Beklagten war daher allein diese Frage zu prüfen.

Das streitgegenständliche Vorhaben stellt sich als bauplanungsrechtlich nicht zulässig dar. Das Vorhaben widerspricht der Festsetzung des einschlägigen Bebauungsplans hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung (s. Ziffer I.) und erweist sich darüber hinaus als rücksichtslos nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (s. Ziffer II.). Selbst bei Unterstellung einer etwaigen Unwirksamkeit der einschlägigen Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung wäre das Vorhaben dennoch bauplanungsrechtlich unzulässig (s. Ziffer III.).

I. Das streitgegenständliche Vorhaben widerspricht der Festsetzung des einschlägigen Bebauungsplans Nr. … hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, da es sich bei der geplanten Nutzung um eine im Mischgebiet generell unzulässige, kerngebietstypische Vergnügungsstätte handelt. Auch eine Befreiung von dieser Festsetzung kann nicht erteilt werden.

Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist (qualifizierter Bebauungsplan, § 30 Abs. 1 BauGB).

Ausweislich der zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans ist für das streitgegenständliche Grundstück hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO festgesetzt.

Auf dem Plan findet sich zudem der Zusatz „Laden, Büros, Praxen“. Ob es sich bei diesem Zusatz - entgegen der Ansicht des Klägervertreters - um eine Festsetzung handelt, kann dahinstehen, da das streitgegenständliche Vorhaben bereits der (allgemeinen) Festsetzung Mischgebiet widerspricht.

Mischgebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, § 6 Abs. 1 BauNVO.

Geplant ist vorliegend ausweislich der in der Voranfrage formulierten Frage sowie der Betriebsbeschreibung die Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes als Wettbüro. Unter dem Punkt „Allgemeiner Ablauf“ in der Betriebsbeschreibung findet sich die folgende Aussage: „Das Wettbüro dient der Vorbereitung der Wettabgabe am Schalter (…) sowie dem eigentlichen Wettvorgang durch Aufgabe des Tippscheins an der Kasse. (…) Die Wettprogramme werden in Papierform und in Quotendarstellung auf Bildschirmen vorgehalten. Zum Ausarbeiten der Wetten werden Tische und Stühle bereitgestellt. Die Kunden können die Übertragung von Sportereignissen an TV-Bildschirmen mitverfolgen. (…).“ Eine solche mit Quotenmonitoren ausgestattete und damit auf die Vermittlung von sogenannten Live-Wetten ausgerichtete Vermittlungsstelle von Sportwetten stellt ein Wettbüro und damit eine Vergnügungsstätte dar (BayVGH, B.v. 19.05. 2016 - 15 CS 16.300; BayVGH, B.v. 15.01.2016 - 9 ZB 14.1146).

Nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO sind Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Absatz 3 Nummer 2 BauNVO in denjenigen Teilen des Mischgebiets zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind. Mit dem Verweis auf § 4a Absatz 3 Nummer 2 BauNVO stellt § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO hierbei auch klar, dass in Mischgebieten allein der Betrieb derjenigen Vergnügungsstätten zulässig ist, welche nicht kerngebietstypisch sind.

1. Das Vorhaben des Klägers ist jedoch als kerngebietstypische Vergnügungsstätte einzustufen.

§ 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO erklärt in den dort normierten besonderen Wohngebieten Vergnügungsstätten als ausnahmsweise zulässig, soweit sie nicht wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in Kerngebieten allgemein zulässig sind. Anders als vonseiten des Klägervertreters angeführt, ist daher bereits dem Wortlaut nach nicht nur die Spielfläche (das heißt den Umfang) einer Vergnügungsstätte, sondern auch deren Zweckbestimmung für die Einstufung als kerngebietstypisch maßgeblich.

Dies gilt insbesondere auch für die Einstufung von Wettbüros als kerngebietstypisch. Hierzu wird auszugsweise aus der zutreffenden Rechtsprechung und Kommentarliteratur zitiert:

„Als Indikator für die Bedeutung einer Vergnügungsstätte, die Größe ihres Einzugsbereichs und die Erreichbarkeit für ein größeres und allgemeines Publikum kann die Betriebsgröße herangezogen werden.“ (so allgemein zu Vergnügungsstätten in BVerwG, B.v. 28.07.1988 - 4 B 119.88)

„Auf den Schwellenwert von 100 qm Grundfläche für Spielhallen kann zumindest als Orientierungsgröße auch bei Wettbüros zurückgegriffen werden.“ (König/Roeser/Stock, BauNVO § 4a Rn. 37a)

„Zur Abgrenzung der kerngebietstypischen von den nicht kerngebietstypischen Wettannahme- bzw. -vermittlungsstellen, Wettbüros und Wettlokalen wird in der Rechtsprechung zum Teil der für Spielhallen entwickelte Ansatz eines Schwellenwertes übertragen. Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, solange der Schwellenwert nicht als das allein maßgebliche Kriterium herangezogen wird (…).

Gewisse Unterschiede zu einer Spielhalle bestehen jedoch darin, dass allein aus der Grundfläche sich noch keine hinreichenden Schlüsse auf die Besucherfrequentierung und damit auf die Frage, ob der jeweilige Betriebstyp einen größeren Einzugsbereich besitzt und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein soll, ableiten lassen. Vielmehr hängt dies bei den genannten Betriebstypen von der Art und dem Umfang der Ausstattung mit Schaltern bzw. Automaten zur Annahme von Wetten, mit Bildschirmen zur Präsentation von Wettquoten und Sportereignissen sowie vom Angebot an Sitzgelegenheiten und sonstigen Leistungen wie etwa Getränken ab.“ (Bönker/Bischopink, BauNVO § 4a Rn. 96).

2. Maßgeblich ist daher für das streitgegenständliche Wettbüro, ob dieses als zentraler Dienstleistungsbetrieb einen größeren Einzugsbereich besitzt und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein soll (BVerwG, U.v. 21.02.1986 - 4 C 31.83; BayVGH, B.v. 13.05.2016 - 9 ZB 14.1419; VG Ansbach, U.v. 21.12.2016 - AN 9 K 15.02594; BeckOK BauNVO/Hornmann, BauNVO § 6 Rn. 72). An der Kerngebietstypik fehlt es hingegen bei Vergnügungsstätten, die der üblichen Freizeitgestaltung in einem begrenzten Stadtviertel dienen (Busse/Kraus, Teil D. Bauplanungsrecht, 120. Baurechtliche Steuerungsmöglichkeiten bei der Ansiedlung von Spielhallen). Maßgeblich für die Beurteilung der Kerngebietstypik ist eine auf der Einschätzung der tatsächlichen örtlichen Situation beruhende Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls (VGH Mannheim, U.v. 13.09.2018 - 8 S 2254/17). Die Größe des Betriebs spielt daher zwar eine maßgebliche (BayVGH, B.v. 13.05.2016 - 9 ZB 14.1419; VG Ansbach, U.v. 21.12.2016 - AN 9 K 15.02594), aber nicht alles entscheidende Rolle.

Ausweislich des Augenscheins sowie der allgemein zugänglichen Quellen (Google Maps, BayernAtlas) befindet sich das streitgegenständliche Gebäude in einer sehr verkehrsgünstig gelegenen, nahezu exponierten Lage. Das Gebäude grenzt im Osten unmittelbar an die regelmäßig vierspurig ausgebaute Bundestraße B. (E. Straße), welche die Städte … und … miteinander verbindet und eine der Hauptverkehrs- und Haupteinfahrtsstraßen der Stadt … bildet. Zudem grenzt das Gebäude im Norden unmittelbar an die B. Straße, welche die nähere Umgebung an die Stadt … sowie die Bundesautobahn A. anbindet und damit auch überörtlichem Verkehr zu dienen bestimmt ist. Auf diese verkehrsgünstige Lage wird auch in der Begründung zum einschlägigen Bebauungsplan Nr. … (vgl. dort Seite 4) Bezug genommen. Das streitgegenständliche Gebäude ist ausweislich des Augenscheins zudem von beiden Straßen gut einsehbar. Es ist daher - auch bei der nach der Betriebsbeschreibung lediglich geplanten Eigendarstellung und Firmenlogos auf den Schaufenstern - mit einer hohen Werbewirkung des Gebäudes für den Durchgangsverkehr auszugehen. Das Gebäude verfügt zudem über eine Vielzahl von Stellplätzen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind 20 Stellplätze dem aktuell in dem streitgegenständlichen Gebäude bestehenden Restaurant zugeordnet. Es besteht aber auch keine Abgrenzung zu den Stellplätzen des im Süden angrenzenden Einzelhandelbetriebs, sodass gerade in den Abendstunden nach Betriebsschluss des Einzelhandels die dortigen Stellplätze faktisch ebenfalls der geplanten Nutzung zur Verfügung ständen, welche ausweislich der Betriebsbeschreibung bis 23 Uhr geplant ist.

Das Gericht geht im Ergebnis davon aus, dass in der Kombination aus der sehr verkehrsgünstigen Lage und dem Vorhandensein einer Vielzahl an Stellplätzen das Vorhaben eine hohe Anziehungskraft für ein Publikum aus einem größeren Einzugsbereich entfalten wird. Es ist demnach gerade nicht davon auszugehen, dass das Vorhaben vorrangig der Bevölkerung des Baugebiets dient, was jedoch Voraussetzung für eine nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätte wäre. Vielmehr ist im Ergebnis davon auszugehen, dass Publikum aus einem größeren Einzugsbereich von außen „Unruhe“ in das Quartier bringen wird.

3. Die vonseiten des Klägervertreters vielfach thematisierte Größe des Betriebs erscheint angesichts der markanten Lage des Wettbüros als nachrangig für die Einstufung der Kerngebietstypik.

Selbst wenn die vonseiten des Klägervertreters angenommene Grundfläche von unter 100 qm, namentlich die Fläche des Wettbüros mit 92,41 qm und die Fläche der Theke mit 5,5 qm, vorliegend angesetzt werden würde, würde dies nicht zu einer Verneinung der Kerngebietstypik führen.

Hierfür spricht neben den Ausführungen zur markanten Lage des Vorhabens auch, dass sich der gewöhnlich herangezogene Flächenmaßstab an den Vorgaben der SpielV zur nutzflächenabhängigen Obergrenze an der Aufstellung von Geldspielgeräten und damit an den Besonderheiten von Spielhallen orientiert. Der Flächenmaßstab ist daher nicht ohne Weiteres auf Wettbüros übertragbar (vgl. näher VGH Mannheim, U.v. 09.10.2013 - 5 S 29/12; VG Ansbach, U.v. 17.05.2022 - AN 9 K 21.01690; a. A. offenbar OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 29.1.2018 - 2 S 37.17). Entgegen der Ansicht des Klägervertreters kann die Obergrenze von 100 qm für Wettbüros daher nicht als starre Grenze herangezogen werden.

Auch der Umstand, dass Wettbüro und Theke gemeinsam eine Grundfläche von ca. 98 qm erreichen, und damit die (nicht fixe) Obergrenze nur minimal unterschreiten, spricht in der Gesamtschau der Umstände für eine Kerngebietstypik des Vorhabens. Dass die Theke nicht die relevante Grundfläche einzurechnen wäre, sagt selbst § 3 Abs. 2 Satz 4 SpielV nicht, welcher nur „Nebenräume wie Abstellräume, Flure, Toiletten, Vorräume und Treppen“ von der Fläche ausnimmt.

4. Das klägerische Vorhaben ist auch nicht nach § 31 Abs. 2 BauGB befreiungsfähig, da bei einer Befreiung hinsichtlich der Art der Nutzung im Regelfall bereits der Gebietscharakter als solcher tangiert wird. Dies gilt hier in besonderem Maße, da die kerngebietstypische Vergnügungsstätte und die mit der Festsetzung Mischgebiet grundsätzlich angestrebte Wohnnutzung nicht kompatibel sind.

II. Die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens ergibt sich darüber hinaus auch aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO.

Unmittelbar westlich des streitgegenständlichen Vorhabens schließt sich jenseits der S. Straße ein im Bebauungsplan als allgemeines Wohngebiet festgesetztes Gebiet an, welches ausweislich des Augenscheins sowie der allgemein zugänglichen Quellen (Google Maps, BayernAtlas) auch tatsächlich nahezu ausschließlich mit Wohnbebauung bebaut ist. Auf Höhe des streitgegenständlichen Vorhabens finden sich dreigeschossige Mehrfamilienhäuser, während sich im Süden der S. Straße Reihenhäuser anschließen.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. In § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankert ist das generell drittschützende Gebot der Rücksichtnahme.

Das im Rahmen dieses Rücksichtnahmegebots maßgebliche Tatbestandsmerkmal ist regelmäßig das Tatbestandsmerkmal der „Unzumutbarkeit“ der Belästigung oder Störung. Ist eine Belästigung oder Störung unzumutbar, dann ist sie rücksichtslos (BeckOK BauNVO/Henkel, BauNVO § 15 Rn. 32). Ob eine Belästigung oder Störung danach als unzumutbar einzustufen ist, kann nicht schematisch bestimmt werden. Vielmehr sind alle Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu erfassen, zueinander in abwägenden Bezug zu setzen und im Wege einer Gesamtschau zu bewerten (BVerwG, B.v. 03.03.1992 - 4 B 70/91; BVerwG, U.v. 25.01.2007 - 4 C 1/06). Dabei handelt es sich um eine Aufgabe, die der Bauaufsichtsbehörde und ggf. dem Tatrichter im Rahmen der Sachverhaltswürdigung obliegt (BVerwG, U.v. 30.09.1983 - 4 C 74/78; BVerwG, U.v. 23.08.1996 - 4 C 13/94).

Insgesamt ist danach im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme eine Interessenabwägung vorzunehmen, in der zu prüfen ist, was dem Einzelnen nach Lage der Dinge billigerweise (noch) zugemutet werden kann (BVerwG, U.v. 21.01.1983 - 4 C 59/79). Die Zumutbarkeitsmaßstäbe ergeben sich entweder aus einschlägigen Regelwerken oder sie müssen von der Baugenehmigungsbehörde sowie ggf. später von den Verwaltungsgerichten unter Berücksichtigung der Spezifika des Einzelfalls eigenständig hergeleitet werden (z.B. Schutzwürdigkeit, insbesondere unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets; Intensität der Beeinträchtigung; Belange für eine Realisierung des Vorhabens; vgl. zu alledem BeckOK BauNVO/Henkel, BauNVO § 15 Rn. 34). Hierbei kommt es auch auf die gesellschaftliche Akzeptanz (Sozialadäquanz) der von dem Vorhaben ausgehenden Belästigungen oder Störungen sowie auf deren Dauer, Häufigkeit und den Zeitpunkt ihres Auftretens an (BVerwG, B.v. 03.05.1996 - 4 B 50/96; OVG Magdeburg, B.v. 19.05.2016 - 2 L 33/14).

Auch nutzer- oder nutzungsbedingte Konflikte zwischen mehreren Nutzungen werden vom Gebot der Rücksichtnahme erfasst und im Wege der Abwägung nach Maßgabe der vorstehend dargestellten Zumutbarkeitskriterien gelöst. Voraussetzung für das Eingreifen des Rücksichtnahmegebots ist hierbei jeweils, dass die geltend gemachte Belästigung oder Störung, die von dem zur Zulassung gestellten Vorhaben ausgehen soll, städtebaulich beachtlich ist (Brügelmann/Ziegler § 15 BauNVO Rn. 82 ff.; BeckOK BauNVO/Henkel, BauNVO § 15 Rn. 56).

Aufgrund der unmittelbaren Nähe des geplanten Wettbüros zu einem Gebiet, welches im Bebauungsplan als allgemeines Wohngebiet festgesetzt wurde und auch tatsächlich umfassend mit Wohngebäuden bebaut wurde, ist vorliegend davon auszugehen, dass sich das geplante Wettbüro als rücksichtlos nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO darstellt.

Hierfür spricht die sehr geringe Entfernung zwischen den Wohngebäuden und dem beantragten Vorhaben. Ausweislich von Messungen im „BayernAtlas“ beträgt die Entfernung zwischen dem nächsten Wohngebäude S. Straße ... und dem Vorhaben nur 35 Meter. Eine Trennung der Wohnbebauung von dem Vorhaben erfolgt allein durch die S. Straße, welche sich ausweislich des Augenscheins als vergleichsweise enge Straße darstellt, nur zweispurig ausgebaut und auf Tempo 30 km/h begrenzt ist sowie über keine Fahrbahnmarkierung verfügt. Optische Abgrenzungen zwischen der Wohnbebauung und dem streitgegenständlichen Vorhaben bestehen nicht. Auch stellt sich das Geländeprofil nach dem Ergebnis des Augenscheins als überwiegend eben dar, sodass sich das Vorhaben auch unmittelbar im Blickfeld der Bewohner zumindest der Gebäude S. Straße ... und ... befindet. Es ist zudem davon auszugehen, dass eine Vielzahl der Bewohner regelmäßig den Einzelhandelsbetrieb frequentieren, welcher unmittelbar im Süden an das streitgegenständliche Vorhaben angebaut ist, und auch so in Kontakt mit dem streitgegenständlichen Vorhaben gelangen würde. Zudem ist auch davon auszugehen, dass der Bebauungsplan selbst mit seinen textlichen Festsetzungen eine besondere Schutzwürdigkeit der hiesigen Wohnbebauung anerkannt hat. So führt dieser in den textlichen Festsetzungen unter Ziffer 1.1. wie folgt aus: „1.1. Im allgemeinen Wohngebiet, mit Ausnahme des Grundstückes FlNr. …, Gem. …, sind sonstige nicht störende Gewerbebetriebe, Gartenbaubetriebe und Tankstellen (§ 4 Abs. 3 Nr. 2, 4 und 5 BauNVO) auch nicht ausnahmsweise zulässig.“

Der dargelegte Nutzungskonflikt zwischen der Wohnbebauung und dem streitgegenständlichen Vorhaben wurde auch nicht bereits auf der Ebene des Bebauungsplans gelöst - was ggf. dazu führen könnte, dass § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO für den Nutzungskonflikt nicht einschlägig sein könnte -, da der einschlägige Bebauungsplan Nr. … ausweislich seiner Begründung nicht die Nutzung einer Vergnügungsstätte für das streitgegenständliche Gebäude vor Augen hatte (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 12.09.2013 - 4 C 8.12).

III. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen Unwirksamkeit der Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung Mischgebiet im einschlägigen Bebauungsplan.

Mischgebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, § 6 Abs. 1 BauNVO. Da sich ausweislich des Ergebnisses der Beweisaufnahme aktuell keine Wohnnutzung auf den Grundstücken befindet, für welche die Festsetzung Mischgebiet getroffen wurde, könnte grundsätzlich an der Wirksamkeit der Festsetzung gezweifelt werden. Gegen eine Unwirksamkeit spricht anderseits, dass das mit dem Bebauungsplan geschaffene Baurecht, ausweislich der zeichnerischen Festsetzungen sind mindestens zwei und höchstens vier Vollgeschossen für das Grundstück vorgesehen, mit den bestehenden zwei Vollgeschossen nicht vollständig ausgenutzt worden ist. Es besteht daher weiterhin die Möglichkeit, die Festsetzung Mischgebiet noch zu verwirklichen, was grundsätzlich gegen eine Unwirksamkeit der Festsetzung aufgrund Funktionslosigkeit spricht (BayVGH, U.v. 24.06.2020 - 15 N 19.442; BayVGH, B.v. 12.08.2014 - 2 ZB 13.912). Hiervon gingen Kläger und Beklagte auch übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung aus.

Im Ergebnis kann die Frage dahinstehen.

Denn für den Fall der Unwirksamkeit der Festsetzung würde sich das streitgegenständliche Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.

Die für ein Vorhaben maßgebliche nähere Umgebung ist ein spezifischer den Vorhabenstandort umgebender Bereich. Die Grenzen der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 1 BauGB lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BayVGH, U.v. 24.11.2010 - 9 B 10.363). Dabei sind die Grundstücke in der Umgebung insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt. Eine Straße kann insoweit ein trennendes oder verbindendes Element sein (BVerwG, U.v. 25.5.1978 - 4 C 9.77; VG Ansbach, U.v. 14.11.2018 - AN 9 K 16.641). Die Grenze der maßgeblichen näheren Umgebung kann auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinanderstoßen (BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74/03).

1. Möglich erscheint hierbei zunächst, dass für den Fall der Unwirksamkeit der gegenständlichen Festsetzung das streitgegenständliche Grundstück sowie das unmittelbar im Süden angrenzende Grundstück zusammen mit der unmittelbar im Westen angrenzenden Wohnbebauung die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB bilden würden.

Auch in diesem Fall würde sich die Eigenart der näheren Umgebung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung aber nach § 6 BauNVO (hier mit § 34 Abs. 1 und 2 BauGB) richten. Die Annahme des (faktischen) Mischgebiets würde sich darauf stützen, dass die nähere Umgebung dann gerade durch ein Nebeneinander von Wohnen und nicht störendem Gewerbe geprägt wäre, wie es § 6 Abs. 1 BauNVO vorsieht. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sieht Wohngebäude und § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO „Einzelhandelsbetriebe sowie Schank- und Speisewirtschaften“ (hier die Nutzungen auf dem Vorhabensgrundstück sowie dem unmittelbar im Süden angrenzenden Grundstück) als im Mischgebiet allgemein zulässig an.

Auch für den Fall eines solchen faktischen Mischgebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB und § 6 BauNVO würde sich die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens aber aus dessen Kerngebietstypik (s. bereits Ziffer I.) sowie aus dessen Rücksichtslosigkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (s. bereits Ziffer II.) ergeben.

2. Möglich erscheint zudem, dass für den Fall der Unwirksamkeit der Festsetzung das streitgegenständliche Grundstück sowie das unmittelbar im Süden angrenzende Grundstück zusammen mit den im Süden angrenzenden Gewerbebetrieben die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB bilden würden.

Die Eigenart der näheren Umgebung würde in diesem Fall wohl einem (faktischen) Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO mit § 34 Abs. 1 und 2 BauGB entsprechen. In diesem Fall wäre das streitgegenständliche Wettbüro als Vergnügungsstätte nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig. Anders als bei dem bereits thematisierten Mischgebiet wäre eine etwaige Kerngebietstypik des Vorhabens in diesem Zusammenhang ohne unmittelbare Relevanz. Ein Verweis auf § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ist in § 8 BauNVO für Gewerbegebiete nicht erfolgt.

Nach § 31 Abs. 1 BauGB können von den Festsetzungen eines Bebauungsplans solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind, was vorliegend über § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO erfolgt ist. Über § 34 Abs. 2 BauGB gilt die Möglichkeit einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB auch für faktische Baugebiete (Jarass/Kment/BauGB § 31 Rn. 3 und § 34 Rn. 48).

Für ausnahmsweise zulässige Nutzungen sind die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 BauGB zu prüfen. Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB ist jedenfalls, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Gebietes, das heißt das „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ gewahrt bleibt (EZBK/Söfker § 31 Rn. 25; BeckOK BauGB/Siegmund, BauGB § 31 Rn. 25a). Der vom Bundesverwaltungsgericht für dieses Verhältnis der regelhaften Zulässigkeit zu der vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit angewandte Gesichtspunkt der „Gebietsverträglichkeit“ ist nicht nur auf der Normebene, sondern erst recht im Rahmen der Ermessensentscheidung der Bauaufsichtsbehörde zu beachten (BVerwG, U.v. 21.03.2002 - 4 C 1/02; BeckOK BauGB/Siegmund, BauGB § 31 Rn. 25a).

Die Versagung einer gesetzlich vorgesehenen Ausnahme kommt daher aus bestimmten städtebaulichen Gründen in Betracht (vgl. Amtliche Begründung zur Novellierung der BauNVO, BR-Drs. 354/89, Seite 57; OVG Münster, B.v. 06.05.2005 - 7 B 2752/04; BeckOK BauGB/Siegmund, BauGB § 31 Rn. 30). So können Nachbarbelange der Erteilung einer Ausnahme unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BauNVO entgegengehalten werden. § 15 Abs. 1 BauNVO dient namentlich auch dem Anspruch auf Aufrechterhaltung der gebietstypischen Prägung (BVerwG, U.v. 24.09.1992 - 7 C 7/92; BeckOK BauGB/Siegmund, BauGB § 31 Rn. 29).

Daher würden auch in diesem Zusammenhang die zur Unzulässigkeit nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO aufgeführten Gründe (s. bereits Ziffer II.) der Erteilung einer Ausnahme entgegenstehen. Denn alleine die Zurechnung des streitgegenständlichen Vorhabens zu einer „näheren Umgebung“ mit den gewerblichen Vorhaben im Süden des Vorhabens ändert nichts an dessen unmittelbarer Nähe zu dem größeren Wohngebiet im Westen des Vorhabens ohne jegliche städtebauliche Abgrenzung. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO stellt gerade auch auf jene Belästigungen und Störungen ab, welche über das Baugebiet hinaus gegen (vgl. Wortlaut „in dessen Umgebung“).

3. Auch bei einer unterstellten Einordnung der näheren Umgebung als anderes Baugebiet der Baunutzungsverordnung oder als Gemengelage würde das Bauvorhaben an § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO scheitern. Die Ausführungen unter Ziffer II. sowie Ziffer III.2. gelten entsprechend.

C.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

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AN 9 K 21.02301

09.08.2022

VG Ansbach

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG Ansbach, Urteil vom 09.08.2022, Az. AN 9 K 21.02301 (REWIS RS 2022, 4431)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4431

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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