Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.11.2019, Az. 9 C 4/19

9. Senat | REWIS RS 2019, 1138

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete bei Zweitwohnungssteuer; Teilbarkeit eines Steuerbescheids


Leitsatz

1. Eine Zweitwohnungssteuer kann nicht anhand der auf den 1. Januar 1964 festgestellten Jahresrohmiete bemessen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvR 807/12 u.a. -).

2. Verwaltungsgerichte sind grundsätzlich nicht befugt, eine zeitlich befristete Fortgeltung rechtswidriger Satzungsbestimmungen anzuordnen.

3. Ist eine vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung der Berufungszulassung im Anfechtungsprozess wegen Unteilbarkeit des Streitgegenstands unwirksam, kann der Anspruch auf vollständige Aufhebung der Bescheide Gegenstand des Revisionsverfahrens werden.

4. Zu den Grenzen einer Teilbarkeit von Geldleistungsverwaltungsakten im Berufungszulassungsverfahren.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2014 und 2015. Sie lebt in [X.] Im Gebiet der Beklagten ist sie seit August 2013 Eigentümerin eines Hauses, das sie für sich und ihre Familie nutzt.

2

Die Beklagte erhebt eine Zweitwohnungssteuer auf der Grundlage ihrer Zweitwohnungssteuersatzung vom 30. Juni 2000, in den streitgegenständlichen Jahren in der Fassung der 3. bzw. 4. Nachtragssatzung ([X.]). Die Steuer bemisst sich gemäß § 4 Abs. 1 [X.] nach dem Mietwert der Wohnung. § 4 Abs. 2 bis 4 [X.] lauten:

(2) Als Mietwert gilt die [X.]. Die Vorschriften des § 79 des Bewertungsgesetzes in Fassung vom 26. September 1974 ([X.] I S. 2370 ff.) finden mit der Maßgabe Anwendung, dass die [X.]n, die gemäß Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 ([X.] I S. 851) vom Finanzamt auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01. Januar 1964 festgestellt wurden, jeweils für das Erhebungsjahr auf den September des Vorjahres hochgerechnet werden.

Die Hochrechnung gibt die statistische Steigerung der Wohnungsmieten in der [X.] vom 01.01.1964 bis zum 30.09. des dem jeweiligen Erhebungszeitraum vorausgehenden Jahres wieder. Grundlage für die Berechnung des Hochrechnungsfaktors bis zum Monat Januar 1995 ist die Steigerung der Wohnungsmieten nach dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren [X.], der vom [X.] veröffentlicht wurde (Bruttokaltmieten, Reihe Wohnungsmiete insgesamt). Ab Januar 1995 erfolgt die Hochrechnung entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Nettokaltmiete, Reihe Nettokaltmiete insgesamt) aus dem Verbraucherpreisindex für [X.], der vom [X.] veröffentlicht wird.

(3) Ist eine [X.] nicht zu ermitteln, so tritt an die Stelle des [X.] nach Abs. 2 die übliche Miete im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes.

(4) Ist die übliche Miete nicht zu ermitteln, so treten an deren Stelle sechs v.[X.] des gemeinen Wertes der Wohnung. Die Vorschrift des § 9 des Bewertungsgesetzes findet entsprechende Anwendung.

3

Mit [X.]n vom 8. Januar 2014 bzw. 7. Januar 2015 setzte die Beklagte eine Vorauszahlung für das [X.] in Höhe von 1 002,32 € bzw. für das [X.] in Höhe von 1 100,10 € fest, und zwar jeweils auf der Grundlage einer vom zuständigen Finanzamt ermittelten [X.] von 3 065,00 DM zum 1. Januar 1964. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies sie zurück. Das Verwaltungsgericht wies die beiden miteinander verbundenen Klagen ab.

4

Das Oberverwaltungsgericht ließ die Berufung in Höhe von 130,49 € für das [X.] und in Höhe von 143,22 € für das [X.] zu. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin habe die Nichtigkeit des in der Satzung verwendeten Steuermaßstabs erst außerhalb der Frist zur Darlegung der Zulassungsgründe geltend gemacht. Unbeschadet dessen seien ernstliche Zweifel an der zutreffenden Ermittlung der [X.] dargetan, soweit bei dem dazu anzuwendenden Mietspiegel der Oberfinanzdirektion [X.] von August 1967 eine unrichtige Ortsklasse angewendet worden sei. Die im Zulassungsverfahren angeforderte Vergleichsberechnung habe ergeben, dass die Zweitwohnungssteuer bei Einordnung in die richtige Ortsklasse entsprechend niedriger ausfalle.

5

Die Klägerin beantragte im Berufungsverfahren weiterhin die Aufhebung der [X.] in vollem Umfang; die Beschränkung der Zulassung der Berufung sei unwirksam, weil der jeweilige Jahressteuerbescheid nicht teilbar sei.

6

Mit Urteil vom 30. Januar 2019 verwarf das Oberverwaltungsgericht die Berufung im Umfang der Nichtzulassung als unzulässig und hob im Übrigen die angefochtenen [X.] auf. Zur Begründung stützte sich das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf das inzwischen zur Grundsteuer ergangene Urteil des [X.] vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 u.a. - ([X.] 148, 147) darauf, dass der in der Satzung geregelte Steuermaßstab der indexierten [X.], der auf die Wertverhältnisse des Jahres 1964 abstelle, inzwischen zu gravierend ungleichen und mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbaren Steuerbelastungen führe. Die Revision der Beklagten zur Frage der Gültigkeit des Steuermaßstabs wurde zugelassen.

7

Mit Beschluss vom 18. Juli 2019 (- 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 -) erkannte das [X.] zu den [X.] zweier [X.] Gemeinden, dass die Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach dem Maßstab einer auf den 1. Januar 1964 festgestellten [X.] mit dem Grundsatz der Lastengleichheit bei der Besteuerung nicht vereinbar und seit dem [X.] verfassungswidrig ist. Gleichzeitig ordnete die Kammer für die von den dortigen Verfassungsbeschwerden betroffenen Steuersatzungen deren Fortgeltung bis zum 31. März 2020 an.

8

Zur Begründung ihrer Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, selbst unter der Prämisse der Unwirksamkeit der angegriffenen Satzungsregelungen seien die angegriffenen [X.] nicht aufzuheben. Nicht nur das [X.], sondern auch die Verwaltungsgerichte seien zur übergangsweisen Anordnung der Fortgeltung für eine kommunale Satzung berechtigt und in Ausnahmefällen verpflichtet. Ohne eine übergangsweise Fortgeltungsanordnung seien große Einnahmeausfälle zu erwarten.

9

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] vom 30. Januar 2019 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 5. April 2016 zurückzuweisen, soweit sie nicht verworfen worden ist.

Die Klägerin hat [X.] eingelegt und beantragt,

die Revision zurückzuweisen

sowie unter Abänderung des Urteils des [X.] vom 30. Januar 2019 sowie des Urteils des [X.] vom 5. April 2016 die Vorauszahlungsbescheide der Beklagten auf die Zweitwohnungssteuer vom 8. Januar 2014 und vom 7. Januar 2015, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide, in vollem Umfang aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von weiteren 1 828,71 € zu zahlen, und sie zu verpflichten, hierfür nach § 238 AO berechnete Prozesszinsen ab dem 3. Juni 2014 für weitere 871,83 € und ab dem 4. Februar 2015 für weitere 956,88 € jeweils bis zum Tag der Erstattung festzusetzen.

Sie macht geltend, ihre Berufung sei unter Verstoß gegen § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO teilweise verworfen worden. Die Berufung sei mangels Teilbarkeit der [X.] als insgesamt zugelassen anzusehen. Die [X.] müsse in der Sache Erfolg haben, weil die Verwaltungsgerichte nicht zur Anordnung der Fortgeltung einer verfassungswidrigen Satzungsgrundlage befugt, vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet seien, [X.] aufzuheben, die auf keine gültige Satzungsgrundlage gestützt werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

die [X.] als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Sie meint, die [X.] sei unzulässig. Die Berufung sei zu Recht im Umfang ihrer nicht erfolgten Zulassung verworfen worden. Eine summenmäßige Beschränkung der [X.] sei statthaft.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]eklagten ist zulässig, aber unbegründet (1.), die [X.] der Klägerin hat hingegen Erfolg (2.).

1. Das Oberverwaltungsgericht hat die angefochtenen [X.]escheide - soweit es die [X.]erufung der Klägerin für zulässig hielt - ohne Verstoß gegen [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) aufgehoben. Die [X.]escheide können nicht auf die Zweitwohnungssteuersatzung der [X.]eklagten gestützt werden, weil § 4 [X.] insgesamt und insbesondere der in § 4 Abs. 2 und 3 [X.] geregelte Steuermaßstab der "indexierten [X.]" mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist (a); eine Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung kommt nicht in [X.]etracht (b).

a) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt stets auch eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der [X.]emessungsgrundlage. Der Normgeber hat für die Wahl der [X.]emessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen großen Spielraum, solange diese nur prinzipiell dazu geeignet sind, den [X.] der Steuer zu erfassen. [X.]ei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von [X.] leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden [X.]ewertungsvorgänge an [X.]edeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen (stRspr des [X.], vgl. Urteil vom 10. April 2018 - 1 [X.]vL 11/14 - [X.]E 148, 147 Rn. 96 ff.; [X.] vom 18. Juli 2019 - 1 [X.]vR 807/12 und 1 [X.]vR 2917/13 - juris Rn. 29, jeweils m.w.N.).

[X.]ei der [X.]emessung einer Zweitwohnungssteuer nach der auf den 1. Januar 1964 festgestellten [X.] gemäß § 79 [X.] kommt es durch erhebliche Wertverzerrungen zu Ungleichbehandlungen, die vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sind. Da die Verwendung dieses Maßstabs ganz generell keine realitätsnahe und relationsgerechte [X.]ewertung mehr ermöglicht, können jedenfalls seit dem [X.] weder das Ziel der Verwaltungsvereinfachung noch Gründe der Typisierung und Pauschalierung die Verwendung des Maßstabs rechtfertigen ([X.], [X.] vom 18. Juli 2019 - 1 [X.]vR 807/12 und 1 [X.]vR 2917/13 - juris Rn. 32 f.).

[X.]ei diesem auch von der [X.]eklagten verwendeten Steuermaßstab werden seit 1964 veränderte Ausstattungsstandards von Gebäuden ebenso wenig berücksichtigt wie Veränderungen der Lage oder verkehrlichen Anbindung von Grundstücken. Dies führt dazu, dass mit diesem Steuermaßstab der durch das Halten einer Zweitwohnung betriebene Aufwand nicht bei allen [X.] gleichmäßig abgebildet wird, sondern erhebliche Wertverzerrungen auftreten, die eine gleichheitsgerechte Erhebung der Zweitwohnungssteuer verhindern. Die Wertverzerrungen werden nicht durch die Hochrechnung der [X.] entsprechend dem Preisindex der Lebenshaltung für Wohnungsmieten ausgeglichen, vielmehr wird die ungleiche [X.]ehandlung unterschiedlicher Zweitwohnungsinhaber im Gemeindegebiet durch die Hochrechnung perpetuiert ([X.], [X.] vom 18. Juli 2019 - 1 [X.]vR 807/12 und 1 [X.]vR 2917/13 - juris Rn. 32 und 34 f.). Das [X.]erufungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass der [X.]eklagten andere als zulässig anerkannte und hinreichend praktikable Steuermaßstäbe wie die tatsächlich gezahlte bzw. die ortsübliche Miete für vergleichbare Objekte zur Verfügung stehen.

In Übereinstimmung mit [X.]undesrecht hat das Oberverwaltungsgericht weiter angenommen, dass der Gleichheitsverstoß der Regelung in § 4 Abs. 2 [X.] zur Gesamtnichtigkeit der [X.] führt. Ohne den in § 4 Abs. 2 [X.] normierten Primärmaßstab fehlt den Ersatzmaßstäben in den Absätzen 3 und 4 der [X.]ezug, da sie kein inhaltlich sinnvolles, anwendbares Regelwerk darstellen und der Satzungsgeber diese Regelungen nicht ohne den nichtigen Teil erlassen hätte.

b) Zu Recht hat es das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, eine zeitlich befristete Fortgeltung der verfassungswidrigen Satzung anzuordnen. Die Verwaltungsgerichte sind zu einer derartigen Fortgeltungsanordnung grundsätzlich nicht befugt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 [X.]vL 4/11 u.a. - [X.]E 150, 204 Rn. 70 zur entsprechenden Frage nach Nichtigerklärung eines Parlamentsgesetzes; [X.]VerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - 9 [X.]N 1.09 - [X.]VerwGE 137, 123 Rn. 29 zum Normenkontrollverfahren). Sie sind vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, angefochtene Steuerbescheide aufzuheben, wenn diese keine Grundlage in einer gültigen Satzung finden und deshalb die Steuerschuldner in ihren Rechten verletzen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 26. Januar 1995 - 8 [X.] - [X.] 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8 und vom 10. Februar 2000 - 11 [X.] - [X.] 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 S. 20). Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen "Notstand" zur Folge hätte, könnte etwas anderes gelten ([X.]VerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - 9 [X.]N 1.09 - [X.]VerwGE 137, 123 Rn. 29; [X.]eschluss vom 27. Juli 2010 - 9 [X.] 109.09 - juris Rn. 8). Von einem derartigen Notstand kann hier ersichtlich keine Rede sein. Einen darüber hinaus gehenden Spielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen verfassungswidriger Satzungsbestimmungen hat der Gesetzgeber den Verwaltungsgerichten nicht eingeräumt. Das [X.]undesverfassungsgericht stützt seine Praxis auf die speziellen Regelungen in § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 [X.]G (s. zuletzt [X.], [X.]eschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 [X.]vL 4/11 u.a. - [X.]E 150, 204 Rn. 108), die in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Entsprechung finden.

Es besteht hier auch kein Grund dafür, einem durch die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Steuermaßstabs (s. [X.]VerwG, Urteil vom 29. Januar 2003 - 9 [X.] 3.02 - [X.]VerwGE 117, 345) begründeten Vertrauenstatbestand mittels Übergangsregelungen Rechnung zu tragen. Das [X.]undesverfassungsgericht hat zwar angenommen, dass durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet und bei Änderung dieser Rechtsprechung dem erforderlichenfalls durch [X.]estimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder [X.]illigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden kann ([X.], [X.]eschluss vom 15. Januar 2009 - 2 [X.]vR 2044/07 - [X.]E 122, 248 <277 f.>). Eine solche Situation liegt jedoch nicht vor.

[X.]ereits durch den ausführlich begründeten Vorlagebeschluss des [X.]undesfinanzhofs zur Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung vom 22. Oktober 2014 (- [X.]/13 - [X.]FHE 247, 150) wurde das Vertrauen auf den dauerhaften Fortbestand der Rechtsprechung zum Steuermaßstab der indexierten [X.] erschüttert (vgl. zum Unzulässigwerden des [X.] bei der [X.] [X.]VerwG, Urteil vom 13. April 2005 - 10 [X.] 5.04 - [X.]VerwGE 123, 218 <234>). Nachdem das [X.]undesverfassungsgericht die Regelungen über die Einheitsbewertung wegen der gravierenden Wertverzerrungen durch das Festhalten am Hauptfeststellungszeitpunkt zum 1. Januar 1964 durch das Urteil vom 10. April 2018 (- 1 [X.]vL 11/14 - [X.]E 148, 147) für verfassungswidrig erklärt hatte, konnten die Gemeinden erst recht nicht mehr davon ausgehen, dass ein Steuermaßstab mit der Anknüpfung an die Wertverhältnisse des Jahres 1964 auf Dauer beibehalten werden kann.

Auch wenn in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im [X.] an dieses Urteil des [X.]undesverfassungsgerichts zum Teil noch die Auffassung vertreten wurde, der betreffende Steuermaßstab sei gleichwohl für die Zweitwohnungssteuer weiterhin zulässig, so konnte doch - zudem angesichts gegenteiliger Urteile - nicht mehr auf eine gefestigte Rechtsprechung vertraut werden.

Die im Schriftsatz der [X.]eklagten vom 24. Oktober 2019 zitierten Entscheidungen des [X.]undesverwaltungsgerichts (u.a. Urteile vom 17. Juni 2004 - 2 [X.] 50.02 - [X.]VerwGE 121, 103 <105> und vom 10. Oktober 2013 - 5 [X.] 29.12 - [X.]VerwGE 148, 116 Rn. 23) betrafen gänzlich andere Konstellationen. Dort ging es darum, durch eine vorläufige Weitergeltung von Verwaltungsvorschriften bis zur Schaffung der notwendigen gesetzlichen Grundlagen zugunsten von [X.] einen noch verfassungsferneren Zustand zu vermeiden.

Unzumutbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt durch die Aufhebung von Steuerbescheiden infolge der Nichtigkeit der Satzungsgrundlage sind regelmäßig und auch hier nicht zu befürchten. Denn für die Vergangenheit sind nur die noch nicht bestandskräftigen [X.]escheide betroffen. Es besteht keine Verpflichtung, unanfechtbare [X.]escheide zu überprüfen und anzupassen. Darüber hinaus sind die Kommunen berechtigt, eine ungültige Satzung rückwirkend durch eine neue Satzung zu ersetzen und auf dieser Grundlage Steuern auch für einen zurückliegenden Zeitraum neu zu erheben (stRspr, s. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 26. Januar 1995 - 8 [X.] - [X.] 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8).

An dieser [X.]eurteilung ändert sich nichts dadurch, dass die [X.]eklagte - wie sie erstmals in der mündlichen Verhandlung angegeben hat - im Hinblick auf die anhängigen Verfahren seither in anderen Fällen lediglich Vorauszahlungsbescheide erlassen hat und ohne Fortgeltungsanordnung nunmehr an einer endgültigen Heranziehung gehindert ist. Mit ihrer Verfahrensweise hat die [X.]eklagte die Entscheidung getroffen, sich am Ausgang der anhängigen Verfahren orientieren zu wollen. Sie kann auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Verpflichtung zur Rückzahlung vereinnahmter Vorauszahlungen eine übergangsweise Fortgeltung ihres unwirksamen Satzungsrechts verlangen. Ob und inwieweit die [X.]eklagte zur Abwendung einer Haushaltsnotlage die Rückzahlungen strecken dürfte, ist hier nicht zu entscheiden.

2. Die [X.] der Klägerin führt zur Aufhebung der [X.]escheide in vollem Umfang.

a) Das [X.]rechtsmittel ist zulässig. Nach § 141 Satz 1, § 127 Abs. 4 VwGO bedarf die [X.] keiner Zulassung. Sie ist nach § 141 Satz 1, § 127 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch dann noch statthaft, wenn - wie hier - die Frist für die [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verstrichen ist. Erforderlich ist allerdings ein sachlicher Zusammenhang zwischen den gegenläufigen prozessualen Ansprüchen ([X.]VerwG, Urteil vom 15. Februar 2018 - 9 [X.] 1.17 - [X.]VerwGE 161, 180 Rn. 10). Letzterer liegt hier vor, weil Revision und [X.] sich auf jeweils denselben Steuerbescheid beziehen.

b) Die [X.] ist auch begründet. Soweit das Oberverwaltungsgericht die [X.]erufung der Klägerin verworfen hat, beruht das [X.]erufungsurteil auf der Verletzung von [X.]undesrecht, § 137 Abs. 1 VwGO (aa). Das [X.]undesverwaltungsgericht kann über die [X.] in der Sache selbst entscheiden (bb).

aa) Das [X.]erufungsurteil verstößt gegen § 124 Abs. 1 und § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO, soweit in ihm die [X.]erufung der Klägerin verworfen worden ist. Die [X.]erufung war als in vollem Umfang zugelassen anzusehen. Die vom Oberverwaltungsgericht im [X.]erufungszulassungsverfahren ausgesprochene Zulassungsbeschränkung ist mangels Teilbarkeit der Steuerbescheide unwirksam. Damit ist der Anspruch auf vollständige Aufhebung der [X.]escheide Gegenstand des Revisionsverfahrens (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 14).

Die (nur) teilweise Zulassung eines Rechtsmittels ist möglich, soweit der Streitgegenstand teilbar ist ([X.]VerwG, Urteil vom 12. Mai 2016 - 9 [X.] 11.15 - [X.]VerwGE 155, 171 Rn. 12 m.w.N.; [X.]eschluss vom 24. August 2016 - 9 [X.] 54.15 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 108 Rn. 4). Die Wirksamkeit der [X.]eschränkung setzt voraus, dass die teilweise Zulassung sich auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen und abtrennbaren Teil des [X.] bezieht, auf den auch der Prozessbeteiligte sein Rechtsmittel beschränken könnte ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 30. Oktober 1987 - 2 [X.] 68.87 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 252). Soweit ein Streitgegenstand nicht teilbar ist, ist eine [X.]eschränkung der Rechtsmittelzulassung unwirksam, das Rechtsmittel ist als insgesamt zugelassen anzusehen (stRspr der obersten [X.]undesgerichte, s. [X.]VerwG, Urteile vom 1. April 1976 - 2 [X.] 39.73 - [X.]VerwGE 50, 292 <295> und vom 27. April 2010 - 10 [X.] 5.09 - [X.]VerwGE 136, 377 Rn. 13; [X.]GH, Urteil vom 6. Mai 1987 - IV b ZR 52/86 - NJW 1987, 3264; [X.]FH, Urteil vom 28. September 1990 - VI R 157/89 - [X.]FHE 162, 290).

Geldleistungsverwaltungsakte sind grundsätzlich teilbar. So wie der Kläger im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis (§ 88 VwGO) die Anfechtungsklage oder auch ein Rechtsmittel von sich aus auf einen Teilbetrag der durch den Abgabenbescheid geforderten Gesamtsumme beschränken kann, muss auch das Gericht ermitteln, ob der Geldleistungsverwaltungsakt zumindest hinsichtlich eines Teilbetrages (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO: "soweit") aufrechterhalten bleiben kann; dafür hat es sich erforderlichenfalls der Hilfestellung der beklagten [X.]ehörde zu bedienen ([X.]VerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 - 9 [X.] 2.08 - [X.]VerwGE 134, 139 Rn. 40 m.w.N.).

[X.]ei einer Aufteilung des Streitgegenstands durch das Gericht im [X.]erufungszulassungsverfahren sind darüber hinaus indes der Zweck und die Grenzen dieses Zwischenverfahrens zu berücksichtigen. Zwar muss sich das Gericht bei der Entscheidung über die Rechtsmittelzulassung nicht notwendig auf die Aktenlage beschränken. Eigene weitere Ermittlungen sind gelegentlich angezeigt, etwa im Zusammenhang mit einem behaupteten Verfahrensmangel oder bei der schon im Zulassungsverfahren anzustellenden Prüfung, ob sich das angefochtene Urteil auch auf der Grundlage eines dargelegten Zulassungsgrundes aus anderen Gründen als offensichtlich richtig erweist. Im letzteren Zusammenhang gilt, dass das Oberverwaltungsgericht im Zulassungsverfahren dann auf andere Gründe abstellen darf, wenn diese ohne Weiteres auf der Hand liegen, ihre Heranziehung also "nicht über den Aufwand hinausgeht, der in einem Zulassungsverfahren mit [X.]lick auf dessen Zweck vernünftigerweise zu leisten ist" ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 - [X.] 310 § 124 VwGO Nr. 33 S. 9; [X.], [X.]eschluss vom 16. Juli 2013 - 1 [X.]vR 3057/11 - [X.]E 134, 106 Rn. 40).

Entsprechend ist eine Teilzulassung der [X.]erufung (nur) möglich, wenn das [X.]erufungsgericht bei den eigenen über den Akteninhalt hinausgehenden Ermittlungen keinen unverhältnismäßig großen Aufwand betreiben muss, um einen Teil des Streitgegenstands abzuschichten, sondern eine Aufteilung unter [X.]erücksichtigung von Zweck und Grenzen des Zulassungsverfahrens ohne größeren Aufwand klar und zweifelsfrei vornehmen kann.

Danach war der vorliegende Streitgegenstand entgegen der Annahme des [X.]erufungsgerichts nicht anhand des [X.]etrages teilbar, der sich unter Zugrundelegung der Einordnung in die vom [X.]erufungsgericht angenommene Ortsklasse ergab. Hierbei handelte es sich nicht lediglich um den Austausch eines Faktors gegen einen anderen, feststehenden Faktor. Vielmehr beruhte der vom [X.]erufungsgericht herangezogene [X.]etrag seinerseits auf erstmals im Zulassungsverfahren angestellten komplexen, von weiteren rechtlichen [X.]ewertungen abhängigen [X.]erechnungen, deren Ergebnis ihrerseits zwischen den [X.]eteiligten in Streit stand und den das [X.]erufungsgericht im Umfang der teilweisen Nichtzulassung erstmals - und zwar unmittelbar rechtskräftig - entschied. Die [X.]eklagte hatte in dem angefochtenen [X.]escheid der Ermittlung der [X.] die [X.] statt [X.] zugrunde gelegt, was zu einer [X.] 1,90 DM/qm führte. Das [X.]erufungsgericht erachtete dies im Zulassungsverfahren als fehlerhaft, sah sich jedoch zu einer Teilzulassung noch nicht in der Lage und forderte von der [X.]eklagten eine entsprechende Vergleichsberechnung. Diese konnte die [X.]eklagte wiederum erst nach einer Rücksprache mit dem Finanzamt erstellen, weil die maßgeblichen Übersichten zum Mietspiegel verschiedene Ortsklassenkategorien enthalten. So ist für das Objekt der Klägerin ([X.]aujahr 1957) im [X.] die Kategorie [X.] vorgesehen; für später erbaute Objekte wechselt die Einordnung dann in die Kategorien A, [X.] und S. Nach der [X.] zum Mietspiegel beliefe sich die Ausgangsrohmiete für das Objekt der Klägerin danach auf 1,30 DM/qm. Nach Rücksprache mit dem Finanzamt ordnete die [X.]eklagte - und ihr folgend das [X.]erufungsgericht - entgegen der Ansicht der Klägerin das Objekt jedoch in die [X.] zum Mietspiegel ein und legte dort die Ortsklasse [X.] zugrunde; die Ausgangsrohmiete betrug danach 1,65 DM/qm. Der sich daraus ergebenden Ausgangsjahresrohmiete wurden sodann die verschiedenen Zuschläge hinzugerechnet, woraus sich die Grundlage ([X.]) für die Ermittlung der Zweitwohnungssteuer ergab. Unter diesen Umständen konnte das Oberverwaltungsgericht nicht (bereits) die Zulassung der [X.]erufung auf den aufwendig ermittelten Teilbetrag beschränken.

bb) Das [X.]undesverwaltungsgericht kann in der Sache über die [X.] entscheiden, denn weitere Feststellungen sind nicht erforderlich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die angefochtenen [X.]escheide sind in vollem Umfang aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sie auf keine gültige Satzungsgrundlage gestützt werden können. Hierzu wird auf die Ausführungen zur Revision der [X.]eklagten [X.]ezug genommen. Der Ausspruch zur Rückzahlung zu Unrecht festgesetzter und bezahlter Zweitwohnungssteuer findet seine Rechtsgrundlage in § 113 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 VwGO. Die zuerkannten Zinsen beruhen auf der landesrechtlichen Grundlage des § 11 Abs. 1 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes des [X.] i.V.m. §§ 236, 238 AO, deren Anwendung vorliegend unstreitig ist.

Die Kostenentscheidung ergibt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

9 C 4/19

27.11.2019

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 30. Januar 2019, Az: 2 LB 92/18, Urteil

§ 113 Abs 1 S 1 VwGO, § 124a Abs 5 S 2 VwGO, § 141 VwGO, § 127 VwGO, Art 3 Abs 1 GG, § 79 BewG, § 31 Abs 2 BVerfGG, § 79 Abs 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.11.2019, Az. 9 C 4/19 (REWIS RS 2019, 1138)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1138

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.