Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.09.2010, Az. 2 StR 274/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 3578

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Gegenstand

Versuchtes Tötungsdelikt: Mordmerkmal der Heimtücke; notwendige Prüfung eines minder schweren Fall des Totschlags


Tenor

1. Auf die Revisionen des Angeklagten und des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten [X.] in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten und des [X.] werden verworfen.

4. [X.] hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führt zur Ergänzung des Schuldspruchs und zur Aufhebung im Strafausspruch (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Die Revision des [X.] hat ebenfalls die Ergänzung des Schuldspruchs zur Folge, bleibt aber im Übrigen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält hinsichtlich beider Revisionsbegründungen rechtlicher Überprüfung stand. Er ist jedoch unter Berücksichtigung der [X.] begangenen gefährlichen Körperverletzung, die die Kammer versehentlich nicht in den [X.] aufgenommen hat (vgl. [X.]), zu ergänzen.

4

Entgegen der Rüge der Nebenklage begegnet die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe nicht heimtückisch gehandelt, da der Nebenkläger beim tödlichen Angriff nicht arglos gewesen sei, keinen durchgreifenden Bedenken. Die Kammer hat zwar ausdrücklich nur darauf abgestellt, dass der Nebenkläger schon beim ersten Anblick des Angeklagten mit einer körperlichen Auseinandersetzung gerechnet habe, weil er dessen 15-jährige Tochter sexuell belästigt hatte, und dass er sich deshalb sogleich, ohne den Angeklagten auch nur zu begrüßen, entfernen wollte. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich aber, dass die fehlende Arglosigkeit des [X.] auch zu Beginn der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung noch andauerte. Dies steht der Annahme der Heimtücke entgegen (vgl. BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7 und 13). Nach den Feststellungen der Kammer hat der Angeklagte den Nebenkläger im Folgenden nämlich angehalten und unvermittelt gefragt, was dieser mit seiner Tochter mache, und sodann, als er den Eindruck hatte, der Nebenkläger grinse ihn verhöhnend an, den [X.] gefasst. Vor diesem Hintergrund begegnet die Annahme, der Nebenkläger sei nicht arglos gewesen, keinen Bedenken, da insbesondere die Frage nach der Tochter des Angeklagten die Befürchtungen des [X.] verstärken musste. Dem steht nicht entgegen, dass der Nebenkläger bis zuletzt nicht bemerkt hatte, dass der Angeklagte ein Messer mit sich führte, und sich somit in der Gefährlichkeit des zu erwartenden Angriffs verschätzt haben kann (vgl. insoweit BGHR StGB § 211 Heimtücke 13).

5

2. Auf die Revision des Angeklagten war das Urteil im Strafausspruch aufzuheben. Die Bestimmung des Strafrahmens ist fehlerhaft.

6

a) Das [X.] hat sich rechtfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Voraussetzungen eines minderschweren Falls des versuchten Totschlags im Sinne des § 213 [X.]. 1 oder [X.]. 2 StGB vorlagen. Unter den gegebenen Umständen hätte es sich zu einer Erörterung gedrängt sehen müssen. Schon zur Prüfung der zwingenden Strafmilderung nach § 213 [X.]. 1 StGB bestand Anlass, da die Kammer davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe erst an diesem Abend von den sexuellen Übergriffen des [X.] auf seine Tochter erfahren und habe den Gesichtsausdruck des [X.] als verhöhnend und deshalb provozierend empfunden, was bei ihm zu einer affektiven Erregung und dem spontanen [X.] geführt habe ([X.]). Jedenfalls hätte es der Erörterung bedurft, ob die allgemeinen Strafmilderungsgründe die Annahme eines sonst minderschweren Falles nach § 213 [X.]. 2 StGB rechtfertigen konnten. Bereits an dieser Stelle wären zugunsten des Angeklagten die Strafmilderungsgründe, die das Gericht im Rahmen der konkreten Strafzumessung angeführt hat (Teilgeständnis, ernsthafte Reue, Handeln aufgrund von Ärger, Wut und Erregung aufgrund der Übergriffe auf seine Tochter, spontaner [X.], keine erhebliche dauerhafte körperliche Beeinträchtigung des Opfers, Erstverbüßer), unter Berücksichtigung der [X.] zu würdigen gewesen. Hätten nach der Bewertung des Tatrichters die allgemeinen Strafmilderungsgründe allein zur Begründung eines minderschweren Falls nicht ausgereicht, hätte auch der [X.] des § 23 Abs. 2 StGB neben allen anderen, in den Urteilsgründen dargestellten [X.] und Erschwerungsgründen im Rahmen einer Gesamtbewertung erörtert werden müssen.

7

b) Der Strafausspruch kann auf diesem Rechtsfehler beruhen. Zwar hat das Gericht die Strafe dem wegen Versuchs gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Doch schon der einfach gemilderte Strafrahmen des § 213 StGB (ein Jahr bis zehn Jahren Freiheitsstrafe) wäre für den Angeklagten günstiger, wobei auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei zutreffender Gesamtwürdigung selbst der Strafrahmen des § 213 StGB wegen eines - zur Begründung des minderschweren Falles womöglich nicht benötigten - vertypten [X.] noch einmal herabgesetzt worden wäre.

8

Angesichts der nicht unerheblichen Strafe in Höhe von sechs Jahren kann der [X.] nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei einem anderen Strafrahmen zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre. Die Strafe muss deshalb neu zugemessen werden.

[X.]     

Appl     

RiBGH Prof. Dr. Schmitt ist wegen
Urlaubs an der Unterschrift gehindert.

[X.]

Eschelbach     

Ott     

Meta

2 StR 274/10

08.09.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bad Kreuznach, 18. Dezember 2009, Az: 1025 Js 3016/08 Ks, Urteil

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 213 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.09.2010, Az. 2 StR 274/10 (REWIS RS 2010, 3578)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3578

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 274/10

4 StR 491/21

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