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PDF anzeigenBUNDESGERICHTSHOFIM NAMEN DES VOLKESURTEIL3 StR 222/02vom20. Februar 2003in der Strafsachegegenwegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.- 2 -Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlungenvom 19. Dezember 2002 und vom 13. und 20. Februar 2003, an denenteilgenommen haben:Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf,die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, Pfister, Hubert als beisitzende Richter,Staatsanwältin - am 19. Dezember 2002, 13. und 20. Februar 2003 -,Bundesanwalt - am 19. Dezember 2002 - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,Rechtsanwalt als Verteidiger - am 19. Dezember 2002 und 13. Februar 2003 - ,Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerinnen - am 19. Dezember 2002 und 13. Februar 2003 -,Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LandgerichtsMönchengladbach vom 22. Oktober 2001 wird verworfen.Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels unddie den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenennotwendigen Auslagen zu tragen.Von Rechts wegenGründe:Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs vonKindern in drei Fällen und sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in dreiFällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn imübrigen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagtenrügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie bleibt ohne Erfolg.I. Entgegen der Auffassung der Revision liegt eine wirksame Anklagevor; ein Verfahrenshindernis besteht deshalb nicht. Lassen sich - wie hier -wegen der Gleichförmigkeit der Begehungsweise und der langezurückliegenden Tatzeiten aufgrund der Angaben der Geschädigten imErmittlungsverfahren keine konkreten Einzelfälle im Anklagesatz darstellen, sowird den Anforderungen an die gebotene Individualisierung der Taten dadurchgenügt, daß in der Anklage das Tatopfer, die Art und Weise der Tatbegehungin ihren Grundzügen, ein bestimmter Tatzeitraum und die Zahl der denGegenstand des Vorwurfs bildenden Straftaten mitgeteilt werden (vgl. BGHSt40, 44, 46 f.). Diesen Anforderungen entspricht die Anklage. Daß dasTatgeschehen bei einem Teil der Fälle lediglich als Geschlechtsverkehr desAngeklagten mit dem Opfer beschrieben wird, ist ersichtlich Folge des dortimmer wieder gleich oder sehr ähnlich ablaufenden Geschehens.- 4 -II. Die Rüge, das Landgericht habe § 265 StPO verletzt, weil esangesichts der in den Tatkomplexen II 7 und 8 ungenau gefaßtenAnklageschrift den Angeklagten hätte unterrichten müssen, welchen genauerenGeschehensablauf es dem weiteren Verfahren zugrunde legen wolle, istunbegründet.1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenenAnklageschrift wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, in der Zeit zwischenAnfang 1994 und dem 14. Geburtstag seiner Tochter am 30. September 1996in mindestens 33 Fällen mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzogen (Komplex II7 der Anklage) sowie dieses Verhalten vom September 1996 bis Mai 1997 inmindestens acht weiteren Fällen fortgesetzt zu haben (Komplex II 8 derAnklage).Das Landgericht hat den Angeklagten im Komplex II 7 der Anklage unterFreisprechung im übrigen wegen eines sexuellen Mißbrauchs verurteilt (Fall II2 c der Urteilsgründe) und hierzu festgestellt, der Angeklagte habe seine 12oder 13 Jahre alte Tochter Jessica ins Schlafzimmer gerufen, wo er sie unterdem Vorwand, er müsse ein etwaiges Übergewicht feststellen, veranlaßt habe,sich auszuziehen. Sodann habe er den Körper des Kindes mit einem Maßbandvermessen, es aufgefordert, sich auf das Bett zu knien, von hinten mit ihm denGeschlechtsverkehr durchgeführt und in ein mitgebrachtes Handtuch ejakuliert.Zum Komplex II 8 der Anklage hat das Landgericht den Angeklagten in dreiEinzelfällen des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen schuldiggesprochen. Nach den Feststellungen zum Fall II 2 d der Urteilsgründe vollzogder Angeklagte mit seiner etwa 14 Jahre alten Tochter denGeschlechtsverkehr, nachdem er sie auf ihrem Bett eine Zeitschrift lesendangetroffen und sie gefragt hatte, ob sie wisse, wo der "G-Punkt" sei. Im Fall II- 5 -2 e der Urteilsgründe kürzte der Angeklagte als Belohnung für das Stillhaltenseiner Tochter beim festgestellten Geschlechtsverkehr einen zuvor verhängtenvierwöchigen Stubenarrest ab. Im Fall II 2 g der Urteilsgründe kam es zumGeschlechtsverkehr mit der etwa 14 Jahre alten Tochter, als diese in derBadewanne unter dem Angeklagten lag und dabei wegen des ihr bis zum Kinnstehenden Wassers Beklemmungsgefühle verspürte; der Angeklagteejakulierte ins Wasser und forderte seine Tochter auf, die Badewanneumgehend zu verlassen.2. Bei dieser Sachlage beanstandet der Beschwerdeführer zu Unrecht,daß ihm ein gebotener Hinweis nicht erteilt worden sei und er deswegen nichthabe erkennen können, daß das Gericht beabsichtige, die in den Ziffern II 7und 8 enthaltenen Anklagevorwürfe, soweit er verurteilt worden ist, wiegeschehen zu konkretisieren.a) Zutreffend ist allerdings, daß der Bundesgerichtshof in seinerjüngeren - von der Literatur durchweg zustimmend wiedergegebenen (vgl. u. a.Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 265 Rdn. 79; Meyer-Goßner,StPO 46. Aufl. § 265 Rdn. 22 f.) - Rechtsprechung in einer Reihe vonEntscheidungen, auf die sich der Beschwerdeführer für seinen Standpunktberuft, ausgeführt hat, im Falle einer nach der Natur der angeklagten Taten imTatsächlichen notwendigerweise ungenauen Fassung der Anklageschrift (vgl.BGHSt 40, 44) sei das Gericht verpflichtet, den Angeklagten zu unterrichten,welchen genauen Tatablauf es dem weiteren Verfahren zugrunde legen wolle(BGHSt 40, 44, 48; 44, 153; BGH NStZ 1999, 42). Dem entspricht dieForderung, daß Mängel in der Informationsfunktion der Anklage durchentsprechende Hinweise in der Hauptverhandlung zu beheben seien (BGHNStZ 1996, 95).- 6 -Zu den näheren Voraussetzungen der Hinweispflicht in diesenFallkonstellationen wie auch zu den Anforderungen an die Art und Weise derErteilung des Hinweises finden sich unterschiedliche Aussagen:aa) Es gibt Entscheidungen, die schlicht feststellen, daß das Gericht,wenn sich die in der Anklage im Tatsächlichen nicht oder wenig konkretbeschriebenen Vorwürfe in der Hauptverhandlung konkretisieren, mitHinweisen nach oder entsprechend § 265 StPO zu reagieren hat (vgl. u. a.BGHSt 40, 44; 43, 293, 299; 44, 153; BGH NStZ 1996, 95). EntsprechendeÄußerungen sind aber nicht dahin zu verstehen, daß jede Konkretisierung -und sei sie auch noch so unbedeutend - die Verpflichtung zur Erteilung einesHinweises begründet. Kernaussage der zitierten Entscheidungen ist vielmehr,daß eine Anklage ungeachtet ihrer Konkretisierungsdefizite im Tatsächlichenwirksam ist, wenn (und weil) die eigentlich gebotene Konkretisierung mit Blickauf Besonderheiten der Sache nicht geleistet werden kann. Soweit zurKompensation solcher Anklagemängel eine Hinweispflicht statuiert wird, sinddie Erwägungen in diesen Entscheidungen nicht tragend. Dementsprechendsind ihnen auch keine Anhaltspunkte zu entnehmen, welchen Grad dieKonkretisierung in der Hauptverhandlung erreichen und welche Umstände(Tatzeit, Tatort, Begleitumstände oder Ablauf der Tat) sie betreffen muß, damitdie Hinweispflicht entsteht. Das gilt auch für das Urteil BGHSt 44, 153, das sichder Hinweispflicht in zentralen - allerdings nicht entscheidungstragenden -Aussagen, auch leitsatzmäßig, widmet und deren Entstehen daran knüpft, daßsich "die Möglichkeit der genaueren Beschreibung des Tatablaufs ergibt".Eine nähere Beschreibung der Voraussetzungen der Hinweispflichtenthält der Beschluß BGH NStZ 1996, 295 f.. Danach hat "das Gericht, wennes bei einer zwar noch zulässigen, aber ungenauen Fassung der Anklage -- 7 -anders als diese - von nach Ort, Zeit und Tatbegehung konkret bestimmtenTaten ausgehen will, den Angeklagten entsprechend § 265 StPO daraufhinzuweisen". Ob diese Wendung wörtlich verstanden werden will, dieHinweispflicht also eine Konkretisierung in Bezug auf Ort, Zeit undTatbegehung voraussetzt oder schon dann entsteht, wenn dieHauptverhandlung konkretere Angaben zu einem dieser Umstände ermöglicht,sich insbesondere etwa der in der Anklage noch unbestimmte Tattag präzisefestlegen läßt, kann der Entscheidung auch unter Berücksichtigung ihrerweiteren Ausführungen nicht eindeutig entnommen werden.Außer Zweifel dürfte aber stehen, daß das Gericht keine Hinweise zuerteilen braucht, wenn sich die Konkretisierung auf Umstände beschränkt, dienicht unmittelbar die Tat betreffen, sondern Feststellungen in Bezug auf dieTatplanung oder -vorbereitung (so - unmittelbar allerdings für den Fall derVeränderung der Sachlage gegenüber der Anklage - BGH NStZ 2000, 48;BGH, Beschl. vom 5. April 2000 - 3 StR 95/00). Keine Hinweispflicht besteht,wenn die neuen Einzelheiten "lediglich den Tatablauf näher kennzeichnen"(BGH StraFo 2003, 95). Dazu, ob die Konkretisierung Tatsachen betreffenmuß, in denen die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes gefunden werden(so - für die Hinweispflicht bei Veränderung der Sachlage gegenüber derAnklage - BGH NStZ 2000, 48; BGH, Beschl. vom 5. April 2000 - 3 StR 95/00),hat sich die Rechtsprechung nicht geäußert.bb) Hinsichtlich der Anforderungen an die Art und Weise, in dererforderliche Hinweise zu erteilen sind, wird es teilweise für ausreichenderachtet, daß der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlungunterrichtet wird (vgl. etwa BGH NStZ 1996, 295). Das wird in anderenEntscheidungen dahin präzisiert, daß es nicht ausreicht, wenn die neuen- 8 -Gesichtspunkte lediglich von einer Beweisperson im Rahmen vonVernehmungen oder der Erstattung von Gutachten angesprochen werden;vielmehr muß das Gericht selbst dem Angeklagten deutlich machen, daß es diein der Anklage nicht enthaltenen neuen tatsächlichen Umstände in seineErwägungen einbeziehen will (BGH NStZ-RR 1997, 72, 73 m. w. N.). Nachanderen Entscheidungen muß er durch ausdrücklichen Hinweis konkret undeindeutig unterrichtet werden (vgl. BGHSt 44, 153; BGH, Urt. vom 5. November2002 - 1 StR 254/02). Die vom 1. Strafsenat in der Entscheidung BGHSt 44,153 (auch im Leitsatz, allerdings obiter dictu) vertretene Auffassung, dieUnterrichtung "(müsse) - regelmäßig im Hauptverhandlungsprotokoll -dokumentiert werden" hat sich nicht durchgesetzt und wird auch vom 1.Strafsenat - wie dieser ausdrücklich klargestellt hat - nicht mehr vertreten(BGH, Urt. vom 5. November 2002 - 1 StR 254/02; BGH NJW 1999, 802 f.).b) Der Senat zweifelt, ob die - auch von ihm (NStZ 1996, 95) vertretene -Auffassung, daß Konkretisierungsdefizite der Anklage, die sich aus der Naturder angeklagten Taten ergeben und ungeachtet ihrer nachteiligenAuswirkungen für eine sachgerechte Verteidigung hinzunehmen sind, in derHauptverhandlung durch Hinweise nach oder entsprechend § 265 StPOauszugleichen seien, zutrifft und ob die dem entsprechende Rechtsprechung indieser Allgemeinheit fortgeführt werden kann. Nach erneuter Überprüfung hälter, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung nähere Konkretisierungen vonEinzelfällen durch genauere Beschreibungen von Tatmodalitäten oderBegleitumständen ergeben, einen gerichtlichen Hinweis, mit dem dieVerfahrensbeteiligten darüber informiert werden, daß auch diese sich durch dieBeweisaufnahme ergebenden Präzisierungen in die Urteilsfindung einbezogenwerden können, im Grundsatz für nicht geboten. Ein solcher Hinweis, derlediglich Informationsdefizite einer Anklageschrift ausgleichen soll, die- 9 -hinsichtlich der vorgeschriebenen Umgrenzung des Anklagevorwurfs ihreFunktion erfüllt (anderenfalls wäre sie unwirksam, vgl. BGHSt 40, 44, 45 m. w.N.), ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und im Regelfall auch mit Blick auf dieVerteidigungsinteressen des Angeklagten nicht geboten.Für diese Auffassung spricht zunächst § 265 StPO. Die Vorschriftbegründet schon nach ihrem Wortlaut eine Hinweispflicht (nur) bei derVeränderung des rechtlichen Gesichtspunkts (§ 265 Abs. 1 StPO) und beimAuftreten straferhöhender oder die Anordnung einer Maßregel der Besserungund Sicherung rechtfertigender Umstände (§ 265 Abs. 2 StPO). Demgegenübersieht sie als Rechtsfolge auf bloße Veränderungen der Sachlage, die nichtzugleich zu einer - hinweispflichtigen - Änderung der rechtlichen Bewertungführt, ausschließlich die Aussetzung der Hauptverhandlung vor, die das Gerichtauf Antrag oder von Amts wegen anzuordnen hat (§ 265 Abs. 3 und 4 StPO).Diese differenzierte Regelung entspricht auch dem Sinn und Zweck des§ 265 StPO, der den Angeklagten vor Überraschungen schützen will(Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 265 Rdn. 5). Gelangt dasGericht zu einer gegenüber der Anklage veränderten Einschätzung derRechtslage, so ist diese Änderung aus der Beweisaufnahme und dem Gangder Hauptverhandlung ohne einen entsprechenden Hinweis nicht ohneweiteres zu erkennen; im Interesse des Angeklagten soll eine solche Änderungder rechtlichen Bewertung, zumal sich auch das Gericht in derEröffnungsentscheidung festgelegt hat, welche Gesetze es für anwendbar hält,unmißverständlich kundgetan und der Hinweis als wesentliche Förmlichkeit imProtokoll festgehalten werden. Demgegenüber kann es dem Angeklagten undseiner Verteidigung regelmäßig nicht verborgen bleiben, wenn sich - aufgrunddessen Einlassung oder als Ergebnis der Beweisaufnahme - der ihm- 10 -vorgeworfene Sachverhalt anders oder konkreter darstellt, als in der Anklagebeschrieben. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber bei der Formulierung des§ 265 Abs. 4 StPO ausdrücklich eine Hinweispflicht bei veränderter Sachlagegegenüber den "erheblichen, in der Anklage nicht aufgeführten Tatsachen" fürentbehrlich gehalten, weil der Angeklagte "vermöge seiner ununterbrochenenAnwesenheit in der Verhandlung ... ausreichende Gelegenheit hat, sich mit denneuen Ergebnissen der Verhandlung bekanntzumachen" (Hahn, Materialienzur Strafprozeßordnung, Abt. 1 S. 209).Dementsprechend würde in einem solchen Fall ein gerichtlicher Hinweisdarauf, daß es im weiteren von dem näher konkretisierten Sachverhaltausgehen will, die Verteidigungsposition des Angeklagten nicht stärken, denGang der Hauptverhandlung aber unnötig und empfindlich stören. Im Regelfallwürde der gerichtliche Hinweis in der Sache auf die bloße Wiederholung desInhalts einer Zeugenaussage, unter Umständen sogar der eigenen, nunmehrgeständigen Einlassung des Angeklagten, hinauslaufen und diesem nicht mehrvermitteln, als das, wovon er ohnehin ausgeht, nämlich daß auch das Gericht -wie er selbst - die den Sachverhalt konkreter als die Anklage beschreibendenBekundungen zur Kenntnis genommen hat und sich mit ihnenauseinandersetzen wird.Die Annahme einer grundsätzlichen gerichtlichen Hinweispflicht in denhier in Rede stehenden Fällen läßt sich zudem kaum damit in Einklang bringen,daß aus § 265 StPO keine Pflicht zur Unterrichtung folgt, wenn das Gericht dieAussage eines Zeugen etwa anders als die Verteidigung verstanden hat, unddaß sich das Gericht auch zu Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungennicht erklären muß (BGHSt 43, 212). Hinzu kommt schließlich, daß - wiedargelegt - handhabbare Kriterien, bei welchem Grad der Konkretisierung des- 11 -(zulässigerweise) unbestimmt angeklagten Verhaltens die Hinweispflichtentsteht, bislang nicht gefunden sind (siehe zu a) aa)) und sich auch kaumfinden lassen dürften.All diese Bedenken gegen die Anerkennung einer prinzipiellenVerpflichtung des Gerichts, auf im Vergleich zur Anklage neu hervorgetreteneTatsachen hinzuweisen, schließen freilich nicht aus, daß im Einzelfallausnahmsweise eine solche Pflicht bestehen kann, um das rechtliche Gehördes Angeklagten zu gewährleisten, ihm eine sachgerechte Einstellung derVerteidigung zu ermöglichen oder ihn vor Überraschungsentscheidungen zuschützen. Sie mag unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens oder dergerichtlichen Fürsorgepflicht begründet sein und etwa dann in Betrachtkommen, wenn das Tatgericht durch eine zunächst geäußerteSacheinschätzung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aber imweiteren Verlauf der Hauptverhandlung zu anderen Erkenntnissen gelangt (vgl.Julius in HK-StPO, 3. Aufl. § 265 Rdn. 10). Denkbar erscheint dem Senat eineHinweispflicht auch dann, wenn aus dem Verteidigungsverhalten desAngeklagten offenbar wird, daß dieser nicht erkannt hat, daß sich das ihm mitder Anklage noch unbestimmt vorgeworfene Verhalten nach Tatzeit, Tatortoder wesentlichen Einzelheiten des Tatablaufs in bestimmter Weisekonkretisiert hat.c) Gemessen daran war das Landgericht nicht verpflichtet, denAngeklagten im Anschluß an die Vernehmung der Geschädigten daraufhinzuweisen, daß es in Erwägung ziehe oder beabsichtige, dem Schuldspruchdie im Urteil festgestellten - gegenüber der Anklage in Bezug auf Tatzeiten,Tatorte und Begleitumstände näher konkretisierten - Sachverhaltezugrundezulegen. Eine solche Hinweispflicht besteht im Grundsatz nicht. Eine- 12 -Ausnahmekonstellation, in der sie begründet sein könnte, hat die Revisionnicht geltend gemacht und ist dem Revisionsvorbringen auch sonst nicht zuentnehmen.d) Die Sache gibt zu einer Anfrage bei den anderen Strafsenaten desBundesgerichtshofs gemäß § 132 Abs. 3 GVG keinen Anlaß. Mit seinerEntscheidung weicht der Senat von entscheidungserheblich geäußertenAuffassungen der anderen Senate nicht ab. Die Ansicht, daß das GerichtMängel der (gleichwohl wirksamen) Anklage in der Form von ungenauenBeschreibungen der Tat zum Anlaß für Hinweise nehmen muß, wenn sich inder Hauptverhandlung Möglichkeiten der Konkretisierung ergeben, istdurchweg nur in nicht entscheidungstragenden Erwägungen geäußert worden.Zudem sind von der Hinweispflicht ausdrücklich ausgenommen solcheKonkretisierungen, die - wie hier - "lediglich den Tatablauf näherkennzeichnen" (BGH, Urt. vom 5. November 2002 - 1 StR 254/02).Zu einer Aufhebung hat eine entsprechende Verfahrensrüge - soweitersichtlich - lediglich im Beschluß des 4. Strafsenats vom 19. Dezember 1995(4 StR 691/95 = BGH NStZ 1996, 295) geführt. Auch in dieser Entscheidungwar die Annahme einer Hinweispflicht bei Konkretisierung des unbestimmtenAnklagevorwurfs durch neu hervorgetretene Tatsachen aber nichtentscheidungstragend. Wie sich aus der mitgeteilten Verfahrensrüge ergibt,hatte in jener Sache schon die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegtenTaten konkret geschildert. In der Hauptverhandlung hat sich dann ein andererSachverhalt herausgestellt. Damit handelt es sich aber nicht um einen Fallneuer Tatsachen, die den unbestimmten Anklagevorwurf konkretisieren,sondern um den Fall einer veränderten Sachlage, in dem schon die Anklageden vorgeworfenen Sachverhalt konkret geschildert und die Hauptverhandlung- 13 -zur Feststellung eines davon abweichenden Sachverhalts geführt hat. Imübrigen lag dem Beschluß des 4. Strafsenats die besondere Fallgestaltungzugrunde, daß der Angeklagte die im Urteil festgestellten tatsächlichenUmstände nicht einmal aus der Aussage des geschädigten Kindes, auf das dietatrichterliche Überzeugung gestützt war, entnehmen und seine Verteidigungdarauf einstellen konnte. Für eine solche Sachlage bestehen hier keineAnhaltspunkte.3. Ob in der Konsequenz der oben zu 2. b) dargelegten Erwägungen diefür die Fallgruppe der Veränderung der Sachlage von der Rechtsprechungentwickelte (vgl. dazu Gillmeister in StraFo 1997, 8 ff.) - ebenfalls über § 265StPO hinausgehende, der älteren Rechtsprechung und Literatur nochunbekannte (vgl. etwa die Kommentierung zu § 265 StPO bei Eb. SchmidtLehrkommentar Teil II) - Verpflichtung des Gerichts zur Erteilung vonHinweisen im hier nicht gegebenen Fall einer Veränderung der Sachlagegegenüber dem in der Anklage beschriebenen Sachverhalt zwingend gebotenerscheint, bedarf hier nicht der Prüfung. Immerhin könnte aber der Umstand,daß eine Anklage mit präzisen Angaben zu Ablauf und Umständen der Tateinen Vertrauenstatbestand schafft, der ausgeräumt werden muß, wenn dasGericht von einem anderen Sachverhalt ausgehen will, eine differenzierendeBetrachtung nahelegen.III. Auch die auf § 338 Nr. 5 StPO gestützte Verfahrensrüge, daß überdie Vereidigung der Zeugen Jessica und Natascha B. , bei letzterer auchüber ihre Entlassung, in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt undentschieden worden sei, greift nicht durch.Folgendes prozessuale Geschehen liegt zugrunde: ImHauptverhandlungstermin vom 27. August 2001 wurde der Angeklagte für die- 14 -Dauer der Vernehmung der Zeugin Jessica B. nach § 247 Satz 1 StPOausgeschlossen. Nach der Vernehmung der Zeugin ordnete der Vorsitzende inAbwesenheit des Angeklagten das Absehen von der Vereidigung nach § 61Nr. 2 StPO an. Als der Angeklagte wieder anwesend war, wurde die Zeuginentlassen und der Angeklagte über ihre Aussage informiert. Am 12. Septemberund 1. Oktober 2001 kam es - jetzt in Anwesenheit des Angeklagten - zuweiteren Vernehmungen der Zeugin, die jeweils, ohne daß der Angeklagte demwidersprochen hätte, auf Anordnung des Vorsitzenden nach § 61 Nr. 2 StPOunvereidigt blieb und im allseitigen Einverständnis entlassen wurde.Auch während der Vernehmung der Zeugin Natascha B. am27. August 2001 wurde der Angeklagte nach § 247 Satz 1 StPO aus demSitzungssaal entfernt. Nach der Vernehmung traf der Vorsitzende eineVerfügung nach § 61 Nr. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten. Auch beider Entscheidung über die Entlassung der Zeugin war der Angeklagte nichtzugegen. In der Sitzung vom 1. Oktober 2001 wurde die Zeugin erneut, nun inAnwesenheit des Angeklagten, vernommen. Die Anordnung des Vorsitzenden,nach der die Zeugin nach § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt blieb, stieß auch hiernicht auf den Widerspruch des Angeklagten.1. Die Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung derZeuginnen Jessica und Natasche B. nach deren Vernehmung am 27.August 2001 in Abwesenheit des aus der Sitzung entferntenBeschwerdeführers verstieß gegen dessen Anwesenheitsrecht. § 247 Satz 1und Satz 2 StPO läßt die Entfernung des Angeklagten nur während derVernehmung eines Zeugen zu. Die Verhandlung und Entscheidung über dieVereidigung eines Zeugen gehören nicht zur Vernehmung im Sinne des § 247- 15 -StPO und bilden einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (BGHR StPO§ 338 Nr. 5 Angeklagter 23 m. w. N.).In der Regel erfüllt ein Verstoß gegen das Anwesenheitsrecht desAngeklagten während dieses Verfahrensteils die Voraussetzungen desunbedingten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO (BGH NStZ 2000, 440).Hier greift dieser Revisionsgrund jedoch nicht ein. War nämlich einAngeklagter, der für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen nach § 247StPO ausgeschlossen war, bei der Verhandlung und Entscheidung überdessen Vereidigung verfahrensfehlerhaft nicht anwesend, so wird derVerfahrensfehler regelmäßig geheilt, wenn die Verhandlung und Entscheidungüber die Vereidigung desselben Zeugen nach einer erneuten Vernehmung, wiehier in den Terminen vom 12. September und 1. Oktober 2001, in Anwesenheitdes Angeklagten stattfindet; jedenfalls kann in einem solchen Fall dieVerhandlung und Entscheidung über die Vereidigung des Zeugen nach dessenerster Vernehmung nicht als ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlungangesehen werden.Hinsichtlich der Vereidigung eines mehrfach vernommenen Zeugen istvon folgenden Grundsätzen auszugehen:Wird ein Zeuge in einem späteren Abschnitt der Hauptverhandlungnochmals vernommen, bedarf es einer neuen Entscheidung über dieVereidigung (BGHSt 1, 346, 348 f.; BGH bei Spiegel DAR 1981, 195). Diesebezieht sich grundsätzlich auf die gesamte bis dahin erstattete Aussage. Dennder Tatrichter kann - etwa bei einem Verletzten im Sinne des § 61 Nr. 2 StPO -frühestens nach dem Abschluß der gesamten Aussage alle diejenigenUmstände überblicken, die für die Ausübung seines Ermessens von Bedeutungsein können. Dabei bindet ihn die Vorentscheidung nicht, vielmehr kann der- 16 -zunächst unvereidigt gebliebene Zeuge nach einer erneuten Vernehmungwiederum unvereidigt bleiben oder vereidigt werden (Dahs in Löwe/Rosenberg,StPO 25. Aufl. § 61 Rdn. 42).Eine unterschiedliche Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugenkommt - auch bei einer wiederholten Vernehmung - nur für Teile einer Aussagein Betracht, die verschiedene Taten betreffen. Dies gilt etwa, wenn ein Zeugenur durch eine von mehreren Taten, zu denen er berichtet, im Sinne des § 61Nr. 2 StPO verletzt worden ist (BGHSt 17, 248, 249). Selbst dabei ist aber zubeachten, daß eine Teilvereidigung dann nicht statthaft ist, wenn die Taten ineinem inneren Zusammenhang miteinander stehen, insbesondere ein nichtoder nur schwer trennbares Gesamtgeschehen bilden (st. Rspr., vgl. BGHRStPO § 60 Nr. 2 Teilvereidigung 1, 3 und 5 m. w. N.). Ebenso kann ein Eidweder auf einzelne Bekundungen noch auf zeitlich getrennte Abschnitte einesTatsachenkomplexes beschränkt werden (Senge in KK 4. Aufl. § 59 Rdn. 4).Ausgehend hiervon war das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit beider Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung der gemäß § 247StPO in seiner Abwesenheit vernommenen Zeuginnen - ungeachtet seinerverfahrensfehlerhaften Abwesenheit während dieses Verfahrensabschnitts imHauptverhandlungstermin vom 27. August 2001 - im Ergebnis dadurchgewahrt, daß er wiederholt, nämlich in den Terminen vom 12. September und1. Oktober 2001, anwesend war, als über die Vereidigung der Zeuginnen nachihrer nochmaligen Vernehmung erneut verhandelt wurde. Dadurch hatte erauch Gelegenheit, auf die Entscheidung über die Vereidigung der Zeuginnenauf ihre gesamte Aussage, einschließlich ihrer Bekundungen am 27. August2001, Einfluß zu nehmen. Anhaltspunkte dafür, daß das Landgericht bei seinenEntscheidungen über die Vereidigung der Zeuginnen in den Terminen vom- 17 -12. September und 1. Oktober 2001 nur hinsichtlich der an diesen Terminengemachten Angaben von einer Vereidigung absehen wollte, sind nichtersichtlich. Eine solche Teilentscheidung wäre im übrigen nach denaufgezeigten Maßstäben nicht zulässig gewesen, weil die weiterenVernehmungen der Zeuginnen denselben Taten galten und deren nähererAufklärung, insbesondere durch Feststellungen zur Aussagegenese undGlaubwürdigkeit der Zeuginnen, dienten (UA S. 30 ff.).2. Die Rüge, auch über die Entlassung der Zeugin Natascha B. seiim Termin vom 27. August 2001 verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des ausdem Sitzungssaal entfernten Beschwerdeführers verhandelt und entschiedenworden, kann wegen Heilung des Fehlers keinen Erfolg haben. Insofern ist imübrigen anerkannt, daß die Entlassung eines Zeugen dann nicht alswesentlicher Teil der Hauptverhandlung zu bewerten ist, wenn der Angeklagte- wie hier der Beschwerdeführer - nach Unterrichtung über den Inhalt derAussage auf Fragen an den Zeugen verzichtet (BGH NStZ 1998, 425; BGH StV2000, 240; BGH StraFo 2001, 128).IV. Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund derRevisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagtenergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Auch die Sachrüge bleibt erfolglos. ZurStrafrahmenwahl in den Fällen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern bemerktder Senat, daß das Landgericht zu Recht § 176 Abs. 3 StGB aF herangezogenhat. Da die An-- 18 -nahme eines minder schweren Falles fern lag, handelt es sich nach dergebotenen konkreten Betrachtungsweise bei § 176 Abs. 3 StGB aF gegenüber§ 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nF um das mildere Recht (vgl. BGH bei Pfister NStZ-RR 1999, 323).Tolksdorf Miebach Winkler Pfister HubertNachschlagewerk: jaBGHSt: jaVeröffentlichung: ja________________1. StPO § 200, § 265 Abs. 1 und 4Auch bei einer durch die Natur der Sache bedingt im Tatsächlichenungenauen Fassung der Anklageschrift (vgl. BGHSt 40, 44) ist ein Hinweisentsprechend § 265 StPO grundsätzlich nicht vorgeschrieben, wenn sich imLaufe der Hauptverhandlung nähere Konkretisierungen von Einzelfällendurch genauere Beschreibungen von Tatmodalitäten oder Begleitumständenergeben (Abgrenzung zu BGHSt 44, 153). Ein Hinweis kann nurausnahmsweise geboten sein, etwa um das Recht des Angeklagten aufrechtliches Gehör oder den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zugewährleisten.2. StPO § 59, § 61 Nr. 2Wird ein Zeuge in einem späteren Abschnitt einer Hauptverhandlung noch- 19 -einmal vernommen, bedarf es einer neuen Entscheidung über dieVereidigung. Diese umfaßt grundsätzlich die gesamte bisherige Aussagedes Zeugen.3. StPO § 247War der Angeklagte, der für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen nach§ 247 StPO ausgeschlossen war, bei der Verhandlung und Entscheidungüber dessen Vereidigung verfahrensfehlerhaft nicht anwesend, so wird derVerfahrensfehler regelmäßig geheilt, wenn die Verhandlung undEntscheidung über die Vereidigung desselben Zeugen nach einer erneutenVernehmung in Anwesenheit des Angeklagten stattfindet.BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - 3 StR 222/02 - LG Mönchengladbach
Meta
20.02.2003
Bundesgerichtshof 3. Strafsenat
Sachgebiet: StR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.02.2003, Az. 3 StR 222/02 (REWIS RS 2003, 4276)
Papierfundstellen: REWIS RS 2003, 4276
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
4 StR 234/14 (Bundesgerichtshof)
Strafverfahren wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Hinweispflicht bei unvollständiger Fassung der …
4 StR 234/14 (Bundesgerichtshof)
3 StR 29/01 (Bundesgerichtshof)
1 StR 254/02 (Bundesgerichtshof)
4 StR 80/00 (Bundesgerichtshof)
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