Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2017, Az. IV ZB 6/15

4. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 8147

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Gegenstand

Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder: Teleologische Erweiterung einer Bestimmung des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes


Leitsatz

Zum Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder, hier: teleologische Erweiterung von Art. 5 Satz 2 des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes (ZwErbGleichG).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 16. Januar 2015 und das Verfahren aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

[X.]: 45.000 €

Gründe

1

I. Die am 13. Januar 1928 nichtehelich geborene Antragstellerin begehrt die Erteilung eines sie als Alleinerbin ihres am 13. Juni 1993 verstorbenen [X.] ausweisenden Erbscheins.

2

Sie ist das einzige Kind des Erblassers, der sein Leben lang ledig war. Er wurde im Jahr 1928 von dem [X.] verurteilt, Unterhalt an die nicht in seinem Haushalt lebende Antragstellerin zu leisten. Die Antragstellerin hatte - nach ihrem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Vortrag - vor dem Ende des [X.] das letzte Mal im Alter von etwa vierzehneinhalb Jahren Kontakt zu dem Erblasser. Nach dem [X.] war die Antragstellerin in einem Ministerium der ehemaligen [X.] tätig. Aus diesem Grund war ihr die Kontaktaufnahme zu dem auf dem Gebiet der [X.] lebenden Erblasser untersagt. Nach dem Fall der [X.] versuchte die Antragstellerin, den Erblasser wiederzufinden. Dies gelang ihr im Jahr 1991. Mit Schreiben vom 14. März 1992 erklärte der Erblasser "eidesstattlich", dass die Antragstellerin seine leibliche Tochter sei. Die Antragstellerin besuchte den Erblasser im Seniorenheim, war Ansprechpartnerin für seine Ärzte und wurde nach dem plötzlichen Tod des Erblassers um die Zustimmung zur Obduktion seines Leichnams gebeten. Sie kümmerte sich auch um das Begräbnis des Erblassers.

3

Nach dem Tod des Erblassers wurde die Antragstellerin als dessen einzige bekannte Angehörige vom Nachlassgericht benachrichtigt und um Mitteilung von Informationen zu dem Erbfall gebeten. Da sich keine weiteren als Erben in Betracht kommenden Personen bei dem Nachlassgericht meldeten, setzte dieses einen Nachlasspfleger ein, dessen Aufgabe unter anderem war, Erben zu ermitteln. Sein Versuch der Erbenermittlung blieb zunächst erfolglos. Im April 1996 stellte das Nachlassgericht fest, dass ein anderer Erbe als das [X.] nicht vorhanden sei.

4

Knapp vier Monate nach dem Erlass des Urteils des [X.] (im Folgenden: [X.]) vom 28. Mai 2009 zur Konventionswidrigkeit der erbrechtlichen Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern in der Rechtssache Brauer gegen [X.] ([X.] 2009, 510) beantragte die Antragstellerin unter Bezugnahme auf diese Entscheidung im September 2009 die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins. Der Antrag hatte keinen Erfolg.

5

Im Dezember 2009 bzw. August 2012 beantragten der Beteiligte zu 2, ein Neffe des Erblassers, bzw. die Beteiligten zu 3 bis 5, eine Großnichte, eine Nichte und ein weiterer Neffe des Erblassers, die Erteilung von Erbscheinen. Auf diese Anträge erteilte das Nachlassgericht am 14. Februar 2012 einen ersten gemeinschaftlichen [X.] zugunsten des Beteiligten zu 2 und seiner ausschließlich von ihm beerbten verstorbenen [X.] und am 30. August 2012 einen zweiten und letzten gemeinschaftlichen [X.] zugunsten der Beteiligten zu 3 bis 5. Der Beschluss über die Feststellung des Fiskuserbrechts aus dem [X.] wurde aufgehoben. Die Beteiligten zu 2 bis 5 waren durch einen [X.] ausfindig gemacht worden.

6

Nachdem in einem von der Antragstellerin eingeleiteten gesonderten Verfahren mit Beschluss des [X.] vom 3. Juni 2014 festgestellt worden war, dass der Erblasser ihr Vater ist, hat sie am 29. August 2014 erneut und unter Hinweis auf das Urteil des [X.] vom 7. Februar 2013 in der Rechtssache [X.] gegen [X.] ([X.] 2014, 491) beantragt, ihr einen Alleinerbschein zu erteilen und die den übrigen Beteiligten erteilten [X.]e einzuziehen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.

7

II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens unter Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FamFG).

8

1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in [X.] 2015, 529 veröffentlicht ist, ist der Auffassung, der Antragstellerin stehe kein gesetzliches Erbrecht nach dem Erblasser zu. Sie sei gemäß § 1589 Abs. 2 BGB in der bis zum 30. Juni 1970 geltenden Fassung (im Folgenden: § 1589 Abs. 2 BGB a.F.) nicht als mit dem Erblasser verwandt anzusehen. Die Aufhebung dieser Vorschrift durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 ([X.] I S. 1243; im Folgenden: Nichtehelichengesetz/NEhelG a.F.) gelte gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 dieses Gesetzes nicht für die vor dem 1. Juli 1949 geborene Antragstellerin. Die Ersetzung der letztgenannten Bestimmung gemäß Art. 1 Nr. 2 des [X.] zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12. April 2011 ([X.] I S. 615; im Folgenden: [X.]/ZwErbGleichG) habe für den in Streit stehenden Erbfall, der sich vor dem 29. Mai 2009 ereignete, gemäß Art. 5 Satz 2 des Gesetzes keine Geltung. Die begrenzte Rückwirkung der Ersetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. sei im Hinblick auf die [X.] zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: [X.]) nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergebe sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des [X.] in der Rechtssache [X.] gegen [X.].

9

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach dem mangels abweichender Feststellungen des [X.] dem Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Vortrag der Antragstellerin ist sie als Tochter des Erblassers gemäß § 1924 Abs. 1 BGB dessen Erbin erster Ordnung. Dies folgt aus einer über den Wortlaut von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG hinausgehenden, konventionsrechtlich gebotenen teleologischen Erweiterung der genannten Bestimmung.

a) Das Beschwerdegericht hat zunächst rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Antragstellerin nach dem Wortlaut von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG gemäß § 1589 Abs. 2 BGB a.F. in Verbindung mit Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. für erbrechtliche Verhältnisse nicht als mit dem Erblasser verwandt anzusehen ist. Danach tritt die durch Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG angeordnete Ersetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F., der bestimmte, dass für die erbrechtlichen Verhältnisse eines vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes zu seinem Vater § 1589 Abs. 2 BGB a.F. als bisher geltende Vorschrift maßgebend bleibt, erst mit Wirkung für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 in [X.]. Hier ist der Erblasser vor diesem Stichtag verstorben. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden (Senatsurteil vom 26. Oktober 2011 - [X.], [X.], 229 Rn. 19 ff.; [X.] [X.] 2013, 326 Rn. 27 ff.).

b) Indes würde die Antragstellerin - an[X.] als das Beschwerdegericht meint - bei diesem Ergebnis der Rechtsanwendung nach der neueren Rechtsprechung des [X.] in ihren Rechten aus Art. 14 [X.] (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur [X.] (Schutz des Eigentums) verletzt werden. Hiernach kommt ein Konventionsverstoß in Betracht, wenn ohne die gerügte Diskriminierung ein nach staatlichem Recht durchsetzbarer Anspruch auf den Vermögenswert bestanden hätte ([X.] in der Rechtssache [X.] gegen [X.] [X.] 2014, 491 Rn. 52). Dabei kann offen bleiben, welche Folgerungen sich aus der Entscheidung des [X.] in der Rechtssache [X.] gegen [X.] für das [X.] Recht ergeben (vgl. hierzu BT-Drucks. 17/13579 S. 20; [X.]/[X.], [X.] 2013, 192; [X.], [X.] 2014, 449; [X.], [X.], 851). Denn die Konventionswidrigkeit des Ergebnisses der wortlautgetreuen Anwendung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG ergibt sich nunmehr jedenfalls aus dem - nach dem Erlass des [X.] vom 26. Oktober 2011 ([X.], [X.], 229) und der Entscheidung des [X.] vom 18. März 2013 ([X.] 2013, 326) ergangenen - Urteil des [X.] vom 23. März 2017 in der Rechtssache [X.] und [X.] gegen [X.] ([X.], 1805; vgl. hierzu [X.], [X.], 831), welches (an[X.] als das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2017 in der Rechtssache Mitzinger gegen [X.], Zusammenfassung der Entscheidung in [X.], 656; vgl. hierzu auch [X.] [X.], 586) die derzeit geltende und im Streitfall maßgebliche Rechtslage nach Inkrafttreten des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes betrifft.

aa) Nach dem Urteil des [X.] vom 23. März 2017 verletzt das Ergebnis der strikten Anwendung der in Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG bestimmten Stichtagsregelung die sich aus den genannten Bestimmungen der [X.] ergebenden Rechte nichtehelicher Kinder, wenn unter den besonderen Umständen des Falles kein gerechter Ausgleich zwischen den betroffenen wi[X.]treitenden Interessen hergestellt würde, wobei die Kenntnis der Betroffenen, der Status der erbrechtlichen Ansprüche (Verjährung) und die bis zur Geltendmachung des Anspruchs verstrichene [X.] ebenso zu berücksichtigen sind wie der Umstand, ob durch das nationale Recht eine finanzielle Entschädigung für den Verlust des Erbrechts gewährt wird (vgl. [X.] aaO Rn. 51, 72 ff.).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Kriterien würde die Antragstellerin bei einer wortlautgetreuen Anwendung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG in ihren Rechten aus Art. 14 [X.] in Verbindung mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur [X.] verletzt. Wie im Fall des Beschwerdeführers zu 1 vor dem [X.] (vgl. [X.] aaO Rn. 73), hatten die Beteiligten zu 2 bis 5 Kenntnis von der Existenz der Antragstellerin, als ihnen die Erbscheine erteilt wurden. Weiter ist die gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB dreißigjährige Verjährungsfrist für den Anspruch aus § 2018 BGB im Streitfall ebenso wenig abgelaufen, wie dies in den Fällen der Beschwerdeführer bei dem [X.] der Fall war (vgl. [X.] aaO Rn. 75). Zudem hat die Antragstellerin den Erbschein nur knapp vier Monate nach der Entscheidung in der Rechtssache Brauer gegen [X.] beantragt; im Fall des Beschwerdeführers zu 1 beim [X.] war ein vergleichbarer [X.]raum - knapp zwei Monate (vgl. [X.] aaO Rn. 9 - insoweit in [X.], 1805 nicht abgedruckt - und Rn. 76) - verstrichen. Schließlich steht der Antragstellerin für den Ausschluss des Erbrechts insbesondere auch kein Anspruch auf Zahlung einer finanziellen Entschädigung zu, weil die Voraussetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG in der gemäß Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG geänderten Fassung - das Bestehen des Fiskuserbrechts gemäß § 1936 BGB - im Streitfall nicht erfüllt ist.

c) Aufgrund der danach gegebenen Konventionswidrigkeit des Ausschlusses des Erbrechts der Antragstellerin ist Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG im Streitfall teleologisch dahin zu erweitern, dass die Ersetzung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. gemäß Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG bereits für den in Rede stehenden Erbfall Geltung beansprucht und § 1589 Abs. 2 BGB a.F. damit nicht mehr anzuwenden ist.

Die [X.] und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die [X.] in [X.] getreten sind - stehen innerhalb der [X.]n Rechtsordnung zwar nur im Rang eines Bundesgesetzes ([X.] [X.], 1263 Rn. 47; [X.]E 128, 326 unter [X.] a; [X.]E 111, 307 unter [X.] a). [X.] Gerichte trifft jedoch die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Konvention zu berücksichtigen und in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung einzupassen. Die Möglichkeit einer konventionsfreundlichen Auslegung endet jedoch dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und [X.]interpretation nicht mehr vertretbar erscheint, etwa wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs gegen eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verstößt (vgl. [X.] [X.], 1263 Rn. 47 f.; [X.]E 111, 307, 329).

aa) Die vom [X.] in der Entscheidung vom 18. März 2013 ausdrücklich offen gelassene Frage, ob eine teleologische Erweiterung von Art. 5 ZwErbGleichG in bestimmten Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht mit dem durch den [X.] in der Rechtssache Brauer gegen [X.] entschiedenen Fall vergleichbar sind, in Betracht kommt ([X.] [X.] 2013, 326 Rn. 43), ist zu bejahen. Die teleologische Erweiterung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG liegt in den genannten Fällen im Rahmen geltender methodischer Standards (vgl. Lieder in [X.], [X.]. § 1924 Rn. 1e; [X.]/[X.], 7. Aufl. Einleitung Band 10 Rn. 113; [X.]., [X.] 2014, 449, 455; [X.]., [X.] 2011, 275, 279 f.; Lieder/[X.], [X.], 1528 f.; wohl auch BeckOGK/Tegelkamp, BGB Stand: 1.4.2017 § 1924 Rn. 52 ff.; [X.], [X.], 586, 590; a.A. OLG Düsseldorf [X.], 1526, 1527).

(1) Allgemein setzt die teleologische Erweiterung einer Gesetzesbestimmung eine Regelungslücke voraus. Die Bestimmung muss gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig sein. Ihre Ergänzung darf nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände wi[X.]prechen. Dass eine gesetzliche Regelung rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist, reicht nicht aus. Ihre Unvollständigkeit erschließt sich vielmehr aus dem gesetzesimmanenten Zweck und kann auch bei einem eindeutigen Wortlaut vorliegen ([X.] ZIP 2016, 463 Rn. 37; vgl. auch [X.], 2457 Rn. 22; jeweils m.w.N.).

(2) Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf Art. 5 Satz 2ZwErbGleichG bei Erbfällen erfüllt, die sich vor dem 29. Mai 2009 ereigneten und in tatsächlicher Hinsicht mit der Rechtssache Brauer gegen [X.] vergleichbar sind.

Das ZwErbGleichG bezweckt, die vom [X.] in der genannten Rechtssache für konventionswidrig befundene Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Erbrecht zu beseitigen, und zwar soweit möglich (BT-Drucks. 17/3305 S. 1; 17/4776 S. 1). Dabei hat der Gesetzgeber die Beseitigung der erbrechtlichen Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern auch für Erbfälle, die sich vor dem 29. Mai 2009 ereigneten, für wünschenswert gehalten (BT-Drucks. 17/4776 S. 7). Er hat sich jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes und aufgrund der mit einer Rückabwicklung weit in der Vergangenheit liegender Erbfälle verbundenen praktischen Schwierigkeiten dagegen entschieden, die Ungleichbehandlung auch insoweit zu beseitigen (BT-Drucks. 17/3305 S. 7 f.; 17/4776 S. 7). Dabei wollte der Gesetzgeber indes nicht in Kauf nehmen, dass die [X.] in einem Fall, der dieselben Besonderheiten wie die Rechtssache Brauer gegen [X.] aufweist, erneut durch den [X.] verurteilt wird. Das ergibt sich aus der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses des [X.]. Dort heißt es (BT-Drucks. 17/4776 S. 7):

"Weitere Verurteilungen [X.]s durch den [X.] sind unwahrscheinlich, selbst wenn dem nichtehelichen Kind in einer Fallkonstellation, wie sie dem vom [X.] entschiedenen Fall zu Grunde lag - der Erbfall ereignete sich schon im [X.]raum 30. Juni bis 3. Juli 1998 - auch nach dem Gesetzentwurf kein Erbrecht zustünde. Denn der [X.] entscheidet stets Einzelfälle. Der entschiedene Fall weist aber durch den [X.]-Bezug, die tatsächliche Nähebeziehung zwischen Kind und nichtehelichem Vater sowie das Fehlen anderer naher gesetzlicher Erben zahlreiche Besonderheiten auf und kann daher als atypisch bezeichnet werden. Vor allem betonte der [X.], dass dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes der gesetzlichen Erben in dem konkreten Fall keine Bedeutung zukam, da es nur Erben dritter Ordnung gab, die der Erblasser nicht einmal kannte (Rdnr. 44). Dem Vertrauensschutz näherer Verwandter würde ein größeres Gewicht zukommen, so dass in einem derartigen Fall ganz andere Ausgangsbedingungen vorlägen, die der [X.] in seine Abwägung einzubeziehen hätte."

Die Einschätzung, dass weitere Verurteilungen [X.]s durch den [X.] deswegen unwahrscheinlich seien, weil die Rechtssache Brauer gegen [X.] von zahlreichen Besonderheiten gekennzeichnet werde und dadurch ein "atypischer" Fall sei, macht deutlich, dass der Gesetzgeber solche aus seiner Sicht "atypischen Fälle" nicht dahingehend regeln wollte, dass es zu einer weiteren Verurteilung der [X.] kommt. Die Billigung einer erneuten Verurteilung gerade in einem Fall, der der Rechtssache Brauer gegen [X.] im [X.] entspricht, wi[X.]präche geradezu dem Regelungsziel, die vom [X.] in dieser Rechtssache festgestellte Konventionswidrigkeit der Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Erbrecht zu beseitigen.

bb) Der Streitfall ist in tatsächlicher Hinsicht mit der Rechtssache Brauer gegen [X.] vergleichbar. Er weist alle Besonderheiten auf, die diese Rechtssache aus Sicht des Gesetzgebers zu einem "atypischen" Fall gemacht haben.

Ebenso wie die Beschwerdeführerin Brauer lebte die Antragstellerin in der ehemaligen [X.], während ihr Vater in der [X.] wohnte. Die Antragstellerin und ihren Vater verband darüber hinaus - nach dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Vorbringen der Antragstellerin - eine tatsächliche Nähebeziehung, die sich, wie in der Rechtssache Brauer gegen [X.], unter anderem in Besuchen äußerte. Schließlich liegt auch im Streitfall die - vom Gesetzgeber beson[X.] hervorgehobene - Situation vor, dass andere nahe gesetzliche Erben fehlen und die übrigen als Erben in Betracht kommenden Personen in [X.]gelung einer tatsächlichen Beziehung zum Erblasser kein Vertrauen auf den Erhalt der Erbschaft bilden konnten; die Beteiligten zu 2 bis 5 als Erben höherer Ordnungen traten im nachlassgerichtlichen Verfahren erst viele Jahre nach dem Tod des Erblassers zum [X.] in Erscheinung.

cc) Die teleologische Erweiterung des Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG verletzt nicht die sich aus den Grundrechten der Beteiligten zu 2 bis 5 ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen der konventionskonformen Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht.

(1) Betrifft die Feststellung des [X.], dass das Ergebnis einer Gesetzesanwendung die [X.] verletzt, eine Bestimmung des Privatrechts, haben [X.] Gerichte bei der Anwendung der betreffenden Entscheidung auf das [X.] zu berücksichtigen, dass sie ein mehrpoliges Grundrechtsverhältnis auszugestalten haben und es insoweit regelmäßig auf sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen ankommt, was einer schematischen Anwendung der Entscheidung des [X.] entgegensteht (vgl. [X.]E 128, 326 unter [X.] f; [X.]E 111, 307 unter [X.] a).

(2) Das Grundrecht der Beteiligten zu 2 bis 5 aus Art. 14 Abs. 1 GG, welches das bis zur Änderung des [X.] durch das [X.] gemäß § 1925 Abs. 1 BGB bestehende Erbrecht der Beteiligten zu 2 bis 5 vom Eintritt des [X.] an schützt (vgl. [X.] [X.] 2013, 326 Rn. 28), überwiegt das ebenfalls gemäß Art. 6 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Antragstellerin auf grundsätzliche Gleichbehandlung mit ehelichen Kindern ([X.] aaO Rn. 32) nicht. Der Gesetzgeber war von [X.] wegen nicht daran gehindert, Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG a.F. für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 durch die in Art. 1 Nr. 2 ZwErbGleichG vorgesehene Regelung zu ersetzen, ein grundrechtlich geschütztes Erbrecht also zugunsten der Gleichbehandlung nichtehelicher und ehelicher Kinder mit - wenn auch zeitlich begrenzter - echter Rückwirkung zu entziehen (vgl. [X.] aaO Rn. 33 ff.). Maßgebend ist insoweit der Gesichtspunkt, dass seit der Entscheidung des [X.] in der Rechtssache Brauer gegen [X.] ein gefestigtes und schutzwürdiges Vertrauen der Väter nichtehelicher Kinder und deren erbberechtigter Familienangehöriger auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht mehr entstehen konnte (vgl. [X.] aaO Rn. 36; BT-Drucks. 17/3305 S. 7; 17/4776 S. 7).

Die Abwägung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen kann erst recht zu keinem anderen Ergebnis führen, wenn sich, wie hier in Bezug auf die Beteiligten zu 2 bis 5, auf Seiten der erbberechtigten Familienangehörigen des [X.] des nichtehelichen Kindes bereits faktisch kein - als schutzwürdig in Betracht kommendes - Vertrauen auf den Erhalt der Erbschaft gebildet hat, weil zwischen ihnen und dem Erblasser - nach dem für das Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt - keinerlei tatsächliche Beziehungen bestanden.

3. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif (§ 74 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FamFG). Da die Beteiligten zu 2 bis 5 aufgrund der Feststellungen des Nachlass- und des [X.] davon ausgehen konnten, dass der Antragstellerin kein Erbrecht zusteht, hatten sie keine Veranlassung, zu dem Vortrag der Antragstellerin Stellung zu nehmen. Ihnen ist Gelegenheit zu geben, dies nachzuholen.

[X.]     

       

Felsch     

       

Dr. Karczewski

       

Dr. Brockmöller     

       

Dr. Götz     

       

Meta

IV ZB 6/15

12.07.2017

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 16. Januar 2015, Az: 6 W 162/14, Beschluss

Art 12 § 10 Abs 2 S 1 NEhelG vom 19.08.1969, Art 1 Nr 2 ErbGleichG 2, Art 5 S 2 ErbGleichG 2, Art 14 MRK, Art 1 MRKZusProt1

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2017, Az. IV ZB 6/15 (REWIS RS 2017, 8147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8147

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