Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2011, Az. AK 18/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1426

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
___________
AK 18/11
vom
15. November
2011
in dem Strafverfahren
gegen

wegen
Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers am 15. No-vember 2011 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten
statt.
Bis zu diesem [X.]punkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:

I.
Der Angeschuldigte, ein [X.] Staatsbürger, wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 7. April 2010 (2 [X.]), neu gefasst mit Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundes-gerichtshofs vom 30. Juni 2010 (2 [X.] 164/10), berichtigt mit Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 26. Juli 2010 (2 [X.] 187/10), abgeändert und neu gefasst mit Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 13. Oktober 2011 (2 [X.] 545/11) am 21. April 2011 fest-genommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
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Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich durch zwei rechtlich selbstständige Handlungen zunächst in der [X.] bis Juli 2009 in [X.]/[X.] als Mitglied an der [X.] (im Folgenden: [X.]) sowie danach in derselben Region bis zum Juli 2010 als Mitglied an der [X.]
und damit jeweils an einer Vereini-gung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.
Der [X.] hat gegen den Angeschuldigten unter dem 26. Oktober 2011 Anklage zum [X.] erhoben.

II.
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Geschehen auszu-gehen:
a) Das in [X.] gelegene [X.] bildete ursprünglich einen einheitlichen Kulturraum. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es zwischen den [X.]n, [X.] und kirgisischen
Sowjetrepubli-ken aufgeteilt. Ab dem Jahr 1991 verstand sich die Vorgängerorganisation der [X.], deren Mitglieder überwiegend [X.] Islamisten sind, der aber auch [X.]is und [X.] angehören, als Befreiungsbewegung für dieses Ge-biet, wobei sie zunächst das säkulare Regime des Präsidenten [X.] in
[X.] beseitigen und einen [X.] Staat errichten wollte. Etwa im Jahr 1998 verlegte sie ihr Operations-
und Rückzugsgebiet nach [X.]. 2
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Am 16. Februar 1999 verübten Mitglieder einen Anschlag unter anderem auf den [X.]n Präsidenten, bei dem 13 Menschen starben und über 100 verletzt wurden. Nach der Tötung einer Vielzahl ihrer Mitglieder durch [X.] zog sie sich Ende des Jahres 2001 nach [X.] zurück.
Nach der Abspaltung der "[X.]" konzentrierten sich die Aktivitäten der [X.] auf den Kampf gegen die [X.]. [X.] seit dem [X.] richtete sie sich in stärkerem Maße international aus. Von ihr autorisierte Filmbotschaften definieren als Ziel des [X.] ("[X.]") die Vertreibung der mit den [X.] verbündeten Streitkräfte aus [X.] und die Ausweitung des Wirkungsbereichs des Islam. Sie belegen die partnerschaftliche Kooperation der [X.] mit anderen terroristischen Vereini-gungen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und ihre Bereitschaft, sich bei Einzelaktionen der Führung größerer Terrororganisationen unterzuordnen. Die [X.] bekannte sich 2009 zu einem Selbstmordattentat, bei dem unter ande-rem sieben Zivilisten getötet wurden.
Die [X.] ist als [X.] hierarchisch strukturiert. Sie bindet ihre Mitglieder durch einen Gefolgschaftseid an die Gruppierung bzw. ihren Führer. Der Führungsspitze -
seit dem [X.] um [X.] -
ist eine zehn-
bis fünfzehnköpfige [X.] nachgeordnet, die Organisationseinheiten in den Berei-chen Sicherheit, Ausbildung, Finanzen, Medien/Propaganda sowie militärische Operationen umfasst.
b) Die [X.] wurde im Jahre 1988 von [X.] und weite-ren Islamisten gegründet. Sie verfolgt das Ziel, Gottesstaaten auf der Basis des [X.] Rechts zu errichten und den westlichen Einfluss in der muslimi-schen Welt zu eliminieren. Aus diesem Grund bekämpft [X.] im Rahmen 7
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des "[X.]"
gewaltsam insbesondere die [X.] und [X.], aber auch die anderen westlichen [X.]. Ab 1996 entwickelte [X.]
zentralisierte organisatorische Strukturen und unterhielt vor allem in [X.] zahlreiche Ausbildungs-
und Rekrutierungslager. In der Folgezeit führten Mitglieder der [X.] zahlreiche terroristische Anschläge durch, etwa auf die [X.] Botschaft in [X.] am 7. August 1998 und in den Verei-nigten [X.] von Amerika am 11. September 2001.
Die dadurch ausgelösten militärischen Reaktionen beeinträchtigten in der Folgezeit die operative Handlungsfähigkeit der Organisation, führten aber nicht zu einer vollständigen Zerschlagung sämtlicher Strukturen von Al
Qaida, sondern nur zu deren -
dem [X.] angepassten -
Modifizierung. Nach einer Anpassung der Steuerungs-, Koordinations-
und Mobilisierungsme-chanismen führt [X.] den gewaltsamen "[X.]" fort. Zu den von ihr zentral gesteuerten Straftaten zählen etwa die Anschläge auf eine Synagoge auf der Insel [X.] im April 2002, auf das [X.] Nahverkehrssystem im Juli 2005 sowie auf die [X.] Botschaft in [X.] im Juni 2008.
An der Spitze der Organisation stand [X.]. Nach dessen Tod am 2. Mai 2011 wurde der bisherige Stellvertreter [X.] zu seinem Nachfolger bestimmt. Für die Bereiche Militär, Außenbeziehun-gen/Operationen, Finanzen sowie Medien/Propaganda bestehen nachgeordne-te Organisationsstrukturen mit jeweils eigenen Führungspersonen. Die von [X.] der [X.] geführten [X.] agieren zunehmend dezentral, d.h. sie orientieren sich an den Zielvorgaben und der strategischen Ausrichtung der Spitze der Organisation, führen die konkreten Anschläge jedoch eigenver-antwortlich durch.
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Durch den vor allem über das [X.], aber
auch über Rundfunk und Fernsehen verbreiteten Führungsanspruch von Bin
Laden und Al
Zawahiri ge-lang es, auch ohne die Bildung eigenständiger Netzwerke neue Mitglieder der Organisation unter dem "Dach" der Al
Qaida zu rekrutieren. Zahlreiche Video-
und Audiobotschaften, deren Häufigkeit in den letzten Jahren noch zugenom-men hat, dienen als Propagandamittel, um insbesondere Mitglieder und [X.] zu Aktionen im Rahmen des gewaltsamen "[X.]s" aufzufordern, die Ziele der Organisation darzustellen und zu legitimieren, neue Mitglieder und Unterstützer zu rekrutieren sowie den "politischen Gegner" zu beeinflussen und einzuschüchtern.
Die [X.] versteht sich als Anlaufstelle und terroristischer Überbau zahlreicher Unternetzwerke, regionaler "[X.]"-Gruppen sowie autonomer [X.]. Diese sind mit der [X.] in vielfältiger Form vernetzt und werden von dieser finanziell und logistisch unterstützt. Zu diesen Gruppierungen zählen [X.] die Organisation "[X.] im Zweistromland", "[X.] auf der [X.]" sowie die algerische frühere "[X.]", die sich mittlerweile in "Organisation [X.] im [X.]" umbenannt hat.
c) Der Angeschuldigte radikalisierte sich seit dem Jahre 2007 und ent-schloss sich spätestens zu Beginn des Jahres 2009, am "[X.]" teilzunehmen. Er reiste im März 2009 mit weiteren Personen nach [X.]/[X.] aus. Nach der Festnahme von Gesinnungsgenossen wurde er in die in Nord-[X.] gelegene Stadt [X.] gefahren und kam in Kontakt zur [X.]. Er be-schloss, sich dieser anzuschließen und begab sich nach [X.] in Süd-[X.]. Dort wurde er im April 2009 vom Leiter der [X.] willkommen ge-heißen und leistete wenig später bei einem Treffen von Mitgliedern der [X.] einen Treueschwur. Versuche vor allem seines [X.], ihn zur Rückkehr 12
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nach [X.] zu bewegen, blieben ohne Erfolg. Der Angeschuldigte wollte weiterhin am "[X.]"
teilnehmen und bei der [X.] bleiben, die ihm Unterkunft und Essen zur Verfügung stellte sowie ein monatliches Entgelt von 1.600 Ru-pien zusagte. Im Juni/Juli 2009 erhielt er in einem Trainingslager eine Waffen-ausbildung. Dort missfiel ihm der Umgangston und die Verpflegung, so dass er nach fünf Tagen nach [X.] zurückkehrte. In der Folgezeit wirkte er an einem Propagandafilm der [X.] mit.
Danach verließ er die [X.], um sich der [X.] anzuschließen. Nach einer Überprüfung kam er im August 2009 in ein Ausbildungscamp der [X.]
in Badr, wo er zur Vorbereitung auf Kampfeinsätze die Handhabung schwerer Kriegswaffen trainierte. Aufgrund einer Offensive der [X.] zog er sich in der Folgezeit nach [X.] zurück, wo die [X.] ihm und seiner Ehefrau ein Haus zur Verfügung stellte und ihm finanzielle Zuwendungen [X.] ließ. Auch in dieser [X.] lehnte er wiederholte Bitten seiner Familie ab, zurück nach [X.] zu kommen. In zahlreichen Telefonaten schwärmte er vielmehr von seinem Leben als Mujaheddin.
Im Juni 2010 kam er in näheren Kontakt zu [X.], einem hochrangigen Funktionär der [X.]. Dieser plante, in [X.] ein Netzwerk von Personen aufzubauen, die für die Organisation tätig werden soll-ten. Der Angeschuldigte erklärte sich damit einverstanden, als Teil dieses Netzwerks zu fungieren und seinen Beitrag zum "[X.]" auf diese Weise zu leisten. Zur Vorbereitung wurde er eine Woche lang von [X.] in das von [X.] entwickelte konspirative Kommunikationssystem der [X.] eingeführt. Ende Juni 2010 verließ er [X.], um seinem neuen Auftrag gemäß nach [X.] zurückzukehren. Er begab sich zunächst nach [X.]. Dort wurde er am 4. Juli 2010 festgenommen und verblieb bis zu seiner Überstellung nach [X.] am 21. April 2011 in [X.]m Gewahrsam.
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2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus der [X.], der im Ermittlungsverfahren umfangreiche Angaben zur Sache gemacht hat, den Bekundungen des Zeugen M.

sowie aus Erkenntnissen, die im Rahmen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, vor allem der Überwachung der Telekommunikation des Angeschuldigten im [X.]raum zwischen Oktober 2009 und Juli 2010, gewonnen worden sind. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Ermittlungs-richters des [X.]
vom 7. April 2010 und 13. Oktober 2011 [X.] genommen.
3. Danach besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dahin, dass der [X.] sich wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen nach § 129b Abs. 1 Satz 1, § 129a Abs.
1 Nr. 1, § 53 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
Die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung hat das Bundesminis-terium der Justiz für Taten im Zusammenhang mit der [X.] am 23. Oktober 2009 und für solche im Zusammenhang mit
der [X.] am 16. März 2009 erteilt (§
129b Abs. 1 Satz 3 und 4 StGB).
Der Angeschuldigte unterliegt als [X.] Staatsbürger auch für in [X.] und [X.] begangene mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen nach § 129b Abs. 1 Satz 1, § 129a
Abs. 1 Nr. 1 StGB der [X.] Strafge-walt ([X.], Beschlüsse vom 31. Juli 2009 -
StB 34/09, [X.]R StPO § 129b [X.]; vom 15. Dezember 2009 -
StB 52/09, [X.]St 54, 264, 267).
4. Es liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) vor; denn es ist mit Blick vor allem auf die persönlichen Lebensumstände des [X.] sowie die Straferwartung wahrscheinlich, dass dieser, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen wird. Wegen der Einzelheiten wird auf 17
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die zutreffenden Erwägungen in dem Haftbefehl vom 13. Oktober 2011 verwie-sen. Weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO vermögen nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersu-chungshaft erreicht werden kann.
5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die be-sondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersu-chungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Be-schleunigung geführt worden. Seit der Festnahme des Angeschuldigten wurden zahlreiche zeit-
und arbeitsintensive Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt. So wurde er nach der Bestellung von Rechtsanwalt R.

zum [X.] in der [X.] vom 27. Juli bis zum 21. September 2011 mehrfach zum [X.] vernommen. Seine ausführlichen Angaben waren mit den übrigen Ermitt-lungsergebnissen abzugleichen. Die umfangreichen Ergebnisse der
Überwa-chung von zahlreichen Telekommunikationsanschlüssen waren ebenso auszu-werten wie der Inhalt mehrerer sichergestellter Datenträger. Trotz dieses [X.] der Ermittlungen hat der [X.] bereits Anklage erhoben.
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6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker [X.] Schäfer

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Meta

AK 18/11

15.11.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2011, Az. AK 18/11 (REWIS RS 2011, 1426)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1426

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