Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2011, Az. 4 StR 434/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3215

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 434/11

vom
20. September
2011
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten schweren Raubes u.a.

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2
-
Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und auf Antrag des Beschwerdeführers am 20. September
2011
gemäß
§
349 Abs.
2 und 4 [X.] einstimmig beschlossen:
1.
Auf die
Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25.
Mai 2011 mit den zu-gehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2.
Die weiter
gehende Revision wird als unbegründet ver-worfen.

3.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu erneuter Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Kammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung in zwei tateinheitlichen Fällen, in weiterer Tateinheit mit versuchtem schweren
Raub,
zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision macht der Ange-klagte einen Verstoß gegen § 246a [X.] geltend und rügt
die Verletzung mate-riellen Rechts. Die Nachprüfung des Schuld-, und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 1
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Abs. 2 [X.]). Die [X.] einer Maßregel gemäß § 64 StGB hält da-gegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
I.

Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat das [X.] ohne sachverständige Hilfe verneint, weil es das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 Satz 1 StGB nicht festzustellen vermochte.
Zur Begründung hat das [X.] ausgeführt, dass es an hinreichenden Er-kenntnissen über die Trinkgewohnheiten des Angeklagten fehle. Zwar habe der Angeklagte schon Straftaten in alkoholisiertem Zustand begangen, doch spre-che vieles dafür, dass der Angeklagte lediglich bei gelegentlichen Alkoholeska-paden zu aggressiven Übergriffen neige. Auch seine berufliche und familiäre Integration stünden der Annahme eines Hanges entgegen.

II.

Die Erwägungen, mit denen das [X.] die Unterbringung des [X.] in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat, begegnen schon deshalb durchgreifenden rechtlichen
Bedenken, weil -
wie die Revision zu Recht rügt -
entgegen § 246a Satz 2 [X.] kein Sachverständiger hinzugezogen wurde.

Nach § 246a Satz 2 [X.] ist ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und seine [X.] zu vernehmen, wenn das [X.] eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erwägt. Diese durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatri-2
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schen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.
Juli 2007 (BGBl. I. S.
1327) neu geschaffene Vorschrift ist § 454 Abs. 2 Satz 1 [X.] nachgebildet und trägt nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie der zugleich vorge-nommenen Umwandlung von § 64 StGB in eine Soll-Vorschrift Rechnung (BT-Drucks. 16/1344, [X.]; 16/5137 S. 11; 16/1110, [X.]). Danach ist der Tatrich-ter auch weiterhin grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen
anzuhö-ren, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Ange-klagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anord-nung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist ([X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 246a, Rn. 8; [X.] in [X.],
[X.],
§ 246a, Rn. 2). Von dieser Verpflichtung ist er allerdings dann befreit, wenn er die [X.] nach §
64 StGB allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und [X.] Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist (BT-Drucks. 16/1344, [X.]; 16/5137 S. 11; [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., §
246a, Rn. 8; [X.], 6. Aufl., § 246a, Rn. 2). Ob darüber hinaus
von einer Begutachtung auch dann abgesehen werden darf, wenn eine grundsätz-lich in Betracht kommende [X.] nach § 64 StGB nicht in Erwä-gung gezogen wird, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht auf der Hand liegt (vgl. BT-Drucks. 16/1110, [X.]; BT-Drucks. 16/1344, [X.]; SK-[X.]/Frister,
§ 246a,
Rn. 6; [X.], [X.], 54. Aufl.,
§ 246a, Rn. 3; a.A. BT-Drucks. 16/5137, S. 11; [X.]/
[X.], [X.], 26. Aufl., § 246a, Rn. 8; [X.] in [X.],
[X.],
§
246a, Rn. 2; [X.] NStZ 2008, 68, 70), braucht der [X.] nicht zu [X.].

Das [X.] hat die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB im Einzelnen erörtert und damit konkret in Erwägung gezogen. Dabei hat es die Annahme eines Hanges unter anderem mit der Begründung verneint, dass [X.]
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ne ergiebigen Erkenntnisse über die Trinkgewohnheiten des Angeklagten ge-wonnen werden konnten.
Seine Negativentscheidung beruht damit weder auf einem sicheren Ausschluss einer hinreichenden Erfolgsaussicht kraft eigener Sachkunde, noch auf einer Ausübung des durch § 64 StGB eingeräumten Er-messens. Kann über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine im Raum ste-hende [X.] nach § 64 StGB keine Klarheit gewonnen werden, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Tatrichters zur Beurteilung des Zustands des Angeklagten nicht ausreichen, ist die Beiziehung eines Sachverständigen nach § 246a Satz 2
[X.] geboten. Dabei gehört es auch zu den Aufgaben des Sachverständigen, durch eine entsprechende Befragung des Angeklagten im Rahmen der Exploration und die Auswertung -
gegebenenfalls noch herbeizu-schaffenden -
Aktenmaterials Defizite des Gerichts bei der [X.] auszugleichen (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 1, [X.] f.).
Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.] einer Maß-regel nach § 64 StGB auf diesem Rechtsfehler beruht.

[X.] Franke

Bender Quentin

6

Meta

4 StR 434/11

20.09.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2011, Az. 4 StR 434/11 (REWIS RS 2011, 3215)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3215

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 434/11

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