1. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 2266
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Gegenstandswert von 2.742,00 Euro.
Gründe:
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß §§ 406, 567 ff. ZPO zulässig, aber nicht begründet.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. Dr. med. X zu Recht zurückgewiesen.
Die Beschwerdebegründung vom 18.02.2003 führt zu keinem anderen Ergebnis. Soweit gerügt wird, der Sachverständige habe es nicht nur unterlassen, die Gegenseite zur Untersuchung und Befragung der Klägerin zu laden, es sei noch nicht einmal eine Terminsmitteilung erfolgt, der Sachverständige habe nach eigenem Verständnis den Auftrag gehabt, ein Gutachten nach Aktenlage zu fertigen, der Sachverständige habe es nicht für nötig befunden, bei Gericht auf eine Erweiterung seines Auftrages anzutragen, der Sachverständige habe Erklärungen der Klägerin als unstreitig in seinem Gutachten aufgenommen und im unstreitigen Teil des Gutachtens wiedergegeben, obwohl derartige Behauptungen erstmals in das Verfahren Eingang gefunden hätten, kann hieraus keine Befangenheit des Sachverständigen abgeleitet werden.
Wie vom Beschwerdeführer selbst angeführt, kann ein Befangenheitsgrund nicht darin gesehen werden, dass der Sachverständige dem Beklagten keine Gelegenheit gegeben hat, bei der Untersuchung der Klägerin und deren Befragung zur Anamnese zugegen zu sein. Er selbst hat dazu eine Entscheidung des OLG Köln (OLGR 1992, S. 196) zitiert. Der vom OLG Köln vertretenen Auffassung schließt sich der Senat auch im vorliegenden Fall an: Ärztliche Untersuchungen greifen in den Intimbereich des Untersuchten ein und haben deshalb grundsätzlich in Abwesenheit dritter Personen stattzufinden. Die Achtung der Menschenwürde verbietet es, Eingriffe in die Intimssphäre zuzulassen, die weder dem erklärten Willen des Betroffenen entsprechen noch durch ein höherrangiges Gut gerechtfertigt sind. Die Gegenwart Dritter bei medizinischen Untersuchungen kann, namentlich wegen der damit verbundenen Offenbarung körperlicher Eigenheiten, von dem Untersuchten als Beeinträchtigung seiner menschlichen Würde empfunden werden. Die Anwesenheit dritter Personen bei einer ärztlichen Untersuchung ist daher, sofern diese nicht als ärztliche Hilfskraft hinzugezogen werden, ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen nicht statthaft. Aus diesem Grund hat auch eine Partei nicht das Recht, an einer Untersuchung des Prozessgegners durch einen medizinischen Sachverständigen teilzunehmen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Partei – wie hier der Beklagte – selbst Arzt und die Prozessgegnerin dessen frühere Patientin ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten spielt es auch keine Rolle, dass es um die Begutachtung einer Narbe im Gesicht der Klägerin geht, die die Klägerin "ständig der Öffentlichkeit präsentiert" (Originalton des Beklagtenvortrags). Abgesehen davon, dass ein Mensch nicht weniger schutzwürdig ist, wenn es um einen von ihm empfundenen äußerlichen Mangel geht, den er schlechterdings nicht verbergen kann, hat der Gutachter in seiner Stellungnahme vom 17.01.2003 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es nicht nur um eine äußerlich erkennbare Veränderung der Hautoberfläche, sondern auch um eine Veränderung des darunter liegenden Fett-, Muskel- und Nervengewebes geht. Darüber hinaus war nach dem Gutachtenauftrag auch ein Anamnesegespräch erforderlich, bei dem ebenfalls ein Anwesenheitsrecht aus dem Gesichtspunkt der möglichen Verletzungen der Menschenwürde nicht besteht. Wenn aber ein Anwesenheitsrecht nicht besteht, lässt sich aus dem Umstand, dass von der beabsichtigten Untersuchung und Befragung keine Mitteilung gemacht worden ist, ebenfalls kein Befangenheitsgrund ableiten.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag durch die Untersuchung der Klägerin überschritten hat. Der Gutachtenauftrag vom 31.05.2002 enthält eine Einschränkung auf die Aktenlage nicht. Er ist vielmehr – wie nahezu in allen Arzthaftungsprozessen üblich – dahin auszulegen, dass eine Untersuchung der Klägerin stattfinden sollte. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus Beweisfrage Nr. 5, die eine Untersuchung der Klägerin voraussetzt.
Der Vorwurf der Befangenheit kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Sachverständige Tatsachen ermittelt hat. Die Ermittlung von Tatsachen durch den Sachverständigen entgegen dem im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz führt nicht ohne weiteres zur Ablehnung des Sachverständigen. Der Beibringungsgrundsatz hindert den Sachverständigen zwar grundsätzlich, von den Parteien nicht gehaltenen Tatsachenvortrag zugrunde zu legen. "Unantastbarer" Sachvortrag in diesem Sinne ist jedoch nur der Parteivortrag, an den die Parteien ihre unmittelbaren rechtlichen Folgerungen anknüpfen. Davon zu unterscheiden sind Umstände, die zur Aufklärung des Sachverhalts führen und die das Gericht bei entsprechender Sachkunde gemäß § 139 ZPO zu erörtern hätte, falls es die erforderliche Sachkunde selbst besitzen würde. Darüber hinaus kann die Ermittlung von Tatsachen dann nicht zur Ablehnung des Sachverständigen führen, wenn die Ermittlung durch den Beweisbeschluss des Gerichts gedeckt ist (vgl. OLG Hamburg, OLGR 2000, S. 18). Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass der Sachverständige, unter Berücksichtigung der Aufgabenstellung, hier insbesondere der Beantwortung der Beweisfrage Nr. 5, seinen Gutachtenauftrag entgegen den vorgenannten Ausführungen überschritten hat. Soweit der Sachverständige in der "Vorgeschichte" des Gutachtens vom 03.12.2002 Angaben der Klägerin verwendet hat, ergibt sich aus dem Zusammenhang des Gutachtens hinreichend deutlich, dass er diese Angaben seinem Gutachten nur zugrunde gelegt hat, soweit er sie bei seinen Untersuchungen selbst festgestellt hat. Die Anforderungen an das Gutachten würden überspannt, wenn man die dort geschilderte "Vorgeschichte" dem unstreitigen Teil eines Tatbestandes gleichsetzen würde. Dass der Sachverständige in irgendeiner Weise eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen hat, ist nicht ersichtlich. Dass der Sachverständige die Mundwinkelschwäche und als deren Folge Trinkstörungen und Taubheit festgestellt hat, mag nicht Gegenstand des prozessualen Vortrags der Klägerin gewesen sein, jedenfalls war deren Feststellung Gegenstand des Beweisbeschlusses (vgl. Beweisfrage Nr. 5).
Schließlich kann auch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen, dass die plastische Chirurgie kein junges Fachgebiet sei und die gegenteilige Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auf der "erklärbaren Unkenntnis eines Fachfremden" beruhe, nicht zu dessen Befangenheit führen. Wie die detaillierten Ausführungen des Sachverständigen zu diesem Thema zeigen, wollte er nur die Geschichte des Begriffs der plastischen Chirurgie darlegen und sich nicht mit dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten um den in diesem Rechtsstreit sicher nicht im Vordergrund stehenden Aspekt, der Historie der plastischen Chirurgie als Fachgebiet ernsthaft streiten. Auch wollte der Sachverständige erkennbar durch die bewußt moderate Bezeichnung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als "Fachfremden" diesen nicht in seiner Ehre beschneiden oder gar dessen Sachkompetenz auf dem Gebiet des Arztrechtes, die sicherlich durch seinen universitären Lehrauftrag belegt werden, in Zweifel ziehen. Dabei hat der Senat, wie es erforderlich ist, einen objektiven Maßstab angelegt. Subjektive Empfindlichkeiten spielen bei der Bewertung eines Befangenheitsgesuchs keine Rolle.
Meta
16.07.2003
Oberlandesgericht Hamm 1. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: W
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 16.07.2003, Az. 1 W 13/03 (REWIS RS 2003, 2266)
Papierfundstellen: REWIS RS 2003, 2266
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