Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. 2 StR 509/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 52

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VO[X.][X.]ES

URTEI[X.]

2 StR 509/10
vom
22. Dezember
2011

Nachschlagewerk: ja
[X.]St: ja
Veröffentlichung: ja

GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, [X.] § 100 f

Ein in einem [X.]raftfahrzeug mittels
akustischer Überwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch eines sich unbeobachtet fühlenden Beschuldigten ist im Straf-verfahren

auch gegen Mitbeschuldigte

unverwertbar, da es dem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 absolut geschützten [X.]ernbereich der Persönlichkeit zuzurechnen ist (im [X.] an [X.], Urteil vom 10. August 2005

1 [X.], [X.]St 50, 206).

[X.], Urteil vom 22.
Dezember 2011 -
2 StR 509/10 -
[X.]G [X.]

in der Strafsache
gegen

1.

-
2
-

2.

3.

wegen Mordes
-
3
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund
der Hauptverhandlung
vom 14.
Dezember
2011
in der Sitzung am 22.
Dezember 2011, an denen
teil-genommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender

die [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

[X.]

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwalt

in der Verhandlung,
Rechtsanwalt

und
Rechtsanwalt

als Verteidiger des Angeklagten S.

[X.].

,

Rechtsanwältin

und
Rechtsanwältin

in der Verhandlung

als Verteidigerinnen
der Angeklagten [X.]

[X.].

,

Rechtsanwalt

und
Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger des Angeklagten W.

[X.].

,

-
4
-
Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin

Justizhauptsekretärin

und
Justizangestellte

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Auf die Revisionen der
Angeklagten wird das Urteil des [X.]and-gerichts [X.] vom 11.
Dezember 2009
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die [X.]osten der
Rechtsmittel,
an eine andere Schwurgerichts-kammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen Mordes zu lebens-langer
Freiheitsstrafe
verurteilt. Hiergegen richten sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten.
Die
Rechtsmittel haben mit einer Verfahrensrüge
Erfolg.
1
-
5
-
A.
Das [X.] hat folgendes festgestellt:

Die Angeklagten S.

und [X.]

[X.].

sind Geschwister, der An-geklagte W.

[X.].

ist der Ehemann von [X.]

[X.].

, deren Ehe trotz [X.] kinderlos blieb. Die Angeklagten
[X.]

und W.

[X.].

verfügen über ein Haus, in dem auch der Angeklagte S.

[X.].

nach sei-ner Übersiedlung aus [X.] nach der [X.] eine Wohnung erhielt. Dort
nahm der Angeklagte S.

[X.].

im Jahre 2001 sei-ne Ehefrau [X.].

auf, die er auf den [X.] geheiratet hatte. Am 7.
Februar 2002 wurde der [X.] M.

der
Eheleute geboren. Die Angeklagten [X.]

und W.

[X.].

mischten sich in deren
Angelegenheiten ein, was [X.].

zunehmend störte. Während der Angeklagte S.

[X.].

sich wenig um sein [X.]ind kümmerte, wurde der Junge
von den Angeklagten [X.]

und W.

[X.].

wie ihr eigenes [X.]ind
behandelt. Vor diesem Hintergrund kam es zu Spannungen zwischen den Eheleuten [X.].

und S.

[X.].

. [X.].

zog am 28.
September 2005 zusammen mit ihrem [X.] aus der Ehewohnung aus
und
bezog eine eigene Wohnung in [X.].

. Der Angeklagte W.

[X.].

bot ihr Geld für den Fall an, dass sie das [X.]ind im Hause [X.].

aufwach-sen
lassen
werde. [X.].

lehnte dies entschieden ab. Am 18.
Januar 2006 einigten sich die Eheleute über den Unterhalt. Am
27.
Januar 2006 beantragte
die Angeklagte [X.]

[X.].

ein eigenes Umgangsrecht mit dem [X.]ind; der Antrag blieb
jedoch
in allen Instanzen erfolglos. Der Angeklagte S.

[X.].

erhielt vom Familiengericht ein Umgangsrecht zugesprochen. Er
befürchtete
jedoch, dass seine Ehefrau
nach der Scheidung weit wegziehen werde, um sei-nen [X.]ontakt mit dem [X.] zu vereiteln.
Im Frühjahr 2007
beschlossen die Angeklagten, dass das Problem durch die Tötung
von
[X.].

gelöst werden solle.
Einzelheiten dazu waren
nicht feststellbar.

2
3
4
-
6
-
Im März und April 2007 renovierte der Angeklagte S.

[X.].

das
[X.]inderzimmer in der Wohnung von [X.].

und führte weitere
Arbeiten durch. Er wechselte auch das [X.] aus. [X.].

hegte
angesichts dieser Arbeiten die Hoffnung auf einen Neubeginn der Beziehung
zu ihrem Ehemann, die sich jedoch nicht realisierte. Am Mittwoch, dem 18. April 2007
telefonierte sie zweimal mit ihrem Ehemann. Ein anschließendes Telefo-nat mit einer Freundin beendete sie um 14.45 Uhr mit dem Hinweis, dass ihr Ehemann erscheine. Der Angeklagte S.

[X.].

kam aber nicht alleine, sondern in Begleitung der Mitangeklagten
[X.]

und W.

[X.].

. Er
nahm seinen [X.] in
Empfang und sagte diesem, er dürfe jetzt 50mal beim
Vater schlafen. Dann
fuhren die Angeklagten mit dem [X.]ind davon.
Der Angeklagte S.

[X.].

suchte später
im Einvernehmen mit den Angeklagten [X.]

und W.

[X.].

seine Ehefrau in deren Wohnung auf und tötete sie, um zu ermöglichen, dass das [X.]ind bei den Angeklagten aufwachsen könne. Einzelheiten der
Tatausführung
blieben
ungeklärt, da keine Spuren auf-findbar waren. Trotz umfangreicher Suche der Ermittlungsbehörden wurde die [X.]eiche der Getöteten nicht gefunden.
Das [X.] hat dies als Mord aus niedrigen Beweggründen bewer-tet und die
Angeklagten jeweils als Mittäter angesehen.
B.
Die Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
[X.] Im Vorverfahren wurden verschiedene verdeckte Überwachungsmaß-nahmen durchgeführt. Unter anderem fand mit ermittlungsrichterlicher Gestat-tung gemäß
§
100f [X.] in Verbindung mit §§
100b Abs.
1, 100d Abs.
2 [X.] eine elektronische Überwachung im Auto des Angeklagten S.

[X.].

statt. Dabei wurden dessen Selbstgespräche, als er sich alleine im Auto befand,
an mehreren Tagen aufgezeichnet und später in die Hauptverhandlung eingeführt sowie im Urteil des [X.] verwertet.
5
6
7
8
9
-
7
-
Am 22.
Oktober 2007 war auf den umfangreichen Aufzeichnungen neben zahlreichen
unerheblichen
Äußerungen auch die Bemerkung zu hören: "die [X.].

sagen ...". Am 23. Oktober 2007 fielen im Rahmen der Selbstgespräche die Worte: "[X.]"
und "wie? [X.] "oho I kill he. "sein, dass die Polizei mal auf eure Truppe kommt". Am 26. Oktober 2007 konn-te den Selbstgesprächen
die Anmerkung entnommen werden: "ich sag". Am 29.
Oktober 2007 erklärte der Ange-klagte S.

[X.].

im Selbstgespräch unter anderem, es sei: "

nö [X.]

, wir haben sie tot gemacht ".
Schließ-lich war aus
einem weiteren Selbstgespräch am selben Tag zu späterer Stunde
herauszuhören: "
".

Das [X.] hat darin ein geständnisgleiches Indiz für die Tötung von [X.].

durch den Angeklagten S.

[X.].

gesehen. Die Bemer-kung "nö [X.]

, wir haben sie tot gemacht"
deute zudem auf Mittäterschaft hin. Die Schwurgerichtskammer
hat angenommen, die Selbstgespräche seien ver-wertbar. Der unantastbare [X.]ernbereich der privaten [X.]ebensgestaltung werde dadurch nicht berührt, denn es liege inhaltlich ein Bezug der Äußerungen zu dem Tötungsverbrechen
vor. Dadurch verliere ein
Selbstgespräch den Charak-ter des Höchstpersönlichen. Die
Revisionen der Angeklagten machen demge-genüber ein Beweisverwertungsverbot
geltend.
I[X.] Die
Verfahrensrüge
ist
begründet.
1.
Das nichtöffentlich geführte Selbstgespräch unterliegt einem selbstän-digen Beweisverwertungsverbot
von Verfassungs wegen
(vgl. [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 210; Dalakouras, Beweisver-bote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, 1988, S.
264; [X.]R/[X.], [X.], 10
11
12
13
-
8
-
26.
Aufl., [X.].
[X.] Rn. 88; [X.], Gutachten
C zum 67.
Deutschen Juristentag 2008, C
84; [X.]/[X.], Strafverfahrensrecht, 26.
Aufl., §
36 Rn.
45; S[X.]/[X.], [X.],
4.
Aufl. 2010, §
100f Rn.
35).
a) Der absolut
geschützte [X.]ernbereich der Persönlichkeitsentfaltung wird aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.
1 Abs.
1 GG
hergeleitet
(vgl. [X.], Beschluss vom 31.
Januar 1973 -
2 BvR 454/71, [X.]E 34, 238, 245; Beschluss vom 14.
September 1989 -
2 BvR 1062/87, [X.]E 80, 367, 373). Sein Schutzbereich
wird durch heimliche Aufzeichnung des
nichtöffentlich geführten
Selbstgesprächs
der Zielperson staatlicher Ermittlungsmaßnahmen und deren Verwertung in der Hauptverhandlung berührt
(vgl. [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 212). Ob das nichtöffentlich gesprochene Wort zum absolut geschützten [X.]ernbereich oder zu dem nur [X.] geschützten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört, ist durch Gesamtbewertung aller
Umstände im Einzelfall festzustellen. Aus einer [X.]umula-tion von Umständen folgt
hier, dass die Selbstgespräche des Angeklagten S.

[X.].

dem [X.]ernbereich zuzurechnen sind. Dazu zählen
die Eindimensio-nalität der "[X.]", die Nichtöffentlichkeit der [X.], die mögliche Unbewusstheit
der Äußerungen im Selbstgespräch, die Identi-tät der Äußerung
mit den
inneren
Gedanken
beim Selbstgespräch und die
Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes.
Der Grund für den absoluten Schutz eines [X.]ernbereichs der Persönlich-keitsentfaltung besteht in der
Eröffnung einer Möglichkeit für Menschen, sich in einem letzten Rückzugsraum mit dem eigenen Ich befassen zu können, ohne Angst
davor haben zu müssen, dass staatliche Stellen dies überwachen (vgl. Senat, Urteil vom 16.
März 1983 -
2 StR
775/82, [X.]St 31, 296, 299 f.). Die Gedanken sind grundsätzlich frei, weil Denken für Menschen
eine Existenzbe-dingung darstellt (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/[X.] in [X.], Beschluss vom 14.
September 1989 -
2 BvR 1062/87, [X.]E 80, 367, 381). Den Gedanken fehlt aus sich heraus die [X.]sbezogenheit, die jen-seits des
[X.]ernbereichs
der Persönlichkeitsentfaltung liegt.
Gleiches gilt für die 14
15
-
9
-
Gedankenäußerung im nicht öffentlich geführten Selbstgespräch (vgl. [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 213). Gedanken werden
typischerweise in Form eines "inneren Sprechens"
entwickelt (vgl. [X.], [X.], 1994, S.
16). Denken und Sprache, die dem Men-schen als einzigem [X.]ebewesen zur Verfügung steht, sind untrennbar miteinan-der verbunden. Die Gedankeninhalte des inneren Sprechens treten vor allem in Situationen, in denen der Sprechende
sich unbeobachtet fühlt, durch Ausspre-chen
hervor. Das möglicherweise
unbewusste "laute Denken"
beim nichtöffent-lich geführten Selbstgespräch nimmt sodann an der Gedankenfreiheit teil. Be-deutung für die Zuordnung zum [X.]ernbereich der Persönlichkeitsentfaltung hat dabei auch die Nichtöffentlichkeit der [X.]. Zwar fanden die hier in Rede stehenden Selbstgespräche nicht in einer
Wohnung im Sinne von Art.
13 Abs.
1 GG statt, woraus sich eine "Vermutung"
hätte ergeben können, "dass der [X.]ernbereich tangiert sein kann"
(vgl. [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 210); dies folgt auch aus dem [X.] von §
100c Abs. 4 mit §
100f [X.]. Hieraus ist aber nicht zu schlie-ßen, dass der Schutz des [X.]ernbereichs der Persönlichkeit in Bezug auf [X.] sich ausschließlich auf den räumlichen Bereich von Wohnungen [X.]. Vielmehr kann auch das "Alleinsein mit sich selbst"
in einem Pkw diesen Schutz begründen. Es
bestand aus der Sicht des Angeklagten S.

[X.].

nicht die Gefahr, dass andere Personen den Inhalt
seiner Äußerungen im Selbstgespräch
erfassten. Der rechtlich geringere Schutz des Aufenthaltsorts im Auto gegenüber der Wohnung im Sinne von Art.
13 Abs.
1 GG (zur [X.] bei
der
Äußerung im [X.]rankenzimmer [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1
[X.], [X.]St 50, 206, 212) wird hier deshalb im Einzelfall dadurch kompensiert, dass tatsächlich das Risiko einer Außenwirkung der spontanen Äußerungen
nahezu ausgeschlossen war; das Selbstgespräch konnte nur durch eine heimliche staatliche Überwachungsmaßnahme erfasst werden. Die Nichtöffentlichkeit der Gesprächssituation war daher bei einer
Gesamtbewer-tung der Umstände des Einzelfalls derjenigen in einer Wohnung gleichzusetzen.
-
10
-
b) Auf
den Inhalt der Gedankenäußerung und dessen mehr oder weniger großen Sozialbezug kommt es demgegenüber bei Selbstgesprächen nicht ent-scheidend an. Insoweit gilt etwas anderes als bei der Fixierung von Gedanken in einem Tagebuch oder
bei der Erfassung des Gesprächs
eines Beschuldigten mit Dritten.
Die Tagebuchentscheidung des [X.]
([X.], Beschluss vom 14.
September 1989 -
2 BvR 1062/87, [X.]E 80, 367, 374), bei der wegen Stimmengleichheit eine Grundrechtsverletzung nicht festgestellt werden konnte,
kann
nicht ohne Weiteres
auf die Frage der Zuordnung des heimlich abgehörten Selbstgesprächs zum [X.]ernbereich der Persönlichkeitsent-faltung oder zur allgemeinen Persönlichkeitssphäre übertragen werden. War
dort
der Raum, in dem die Anfertigung
von Notizen stattfand, für die Frage der Verwertbarkeit der schriftlich fixierten Gedanken
im Strafverfahren ohne Belang, weil die Notizen freiwillig der Sicherstellung preisgegeben wurden, so erlangt im vorliegenden Fall das [X.]riterium der Nichtöffentlichkeit des Ortes der Gedan-kenäußerung erhebliche
Bedeutung. Spielte
in der Tagebuchentscheidung die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes keine Rolle, weil der Betroffene seine Gedanken dort im Tagebuch fixiert und bei
diesem Schreibvorgang unter [X.] auch noch
repetiert hatte, so erlangt
die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes als Abgrenzungskriterium
im vorliegenden Fall besonderes Gewicht. In der Tagebuchentscheidung waren überdies
auch
präventive Überlegungen für die Annahme der Verwertbarkeit von Bedeutung (aaO S.
377, 380), weil die dort fraglichen Tagebuchaufzeichnungen vor der Tatbegehung gemacht worden waren
und bei rechtzeitiger Erfassung durch die Polizeibehörden
theoretisch auch zur Verhinderung der Tat als Maßnahme der Gefahrenabwehr hätten ge-nutzt werden können. Dagegen spielt
die Möglichkeit der Prävention zugunsten anderer Grundrechtsträger als Frage der Grundrechtskollision hier keine Rolle
(vgl. auch [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 214).

16
17
-
11
-
Das "Selbstgespräch"
kann auch nicht mit einem Zwiegespräch gleich-gesetzt werden, das regelmäßig nicht dem absolut geschützten [X.]ernbereich der Persönlichkeitsentfaltung zuzuordnen ist, wenn es mit seinem Inhalt
einen Tat-bezug und damit Sozialbezug aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 3.
März 2004 -
1
BvR 2378/98, 1084/99, [X.]E 109, 279, 319; Beschluss vom 12.
Oktober 2011 -
2 BvR 236/08 u.a.; Beschluss vom 7.
Dezember 2011 -
2
BvR 2500/09 u.a.; vgl. auch §
100c Abs.
4 Satz
3 [X.]). Es unterscheidet sich von einem solchen Gespräch
schon dadurch, dass die Äußerungen nicht auf [X.] angelegt und jedenfalls auch durch unwillkürlich auftretende Bewusstseins-inhalte gekennzeichnet sind ([X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 213).
c) Der somit gebotene
[X.]ernbereichsschutz entfällt
nur, wenn der [X.] den Bereich der privaten [X.]ebensgestaltung von sich aus öffnet, bestimmte Angelegenheiten der Öffentlichkeit zugänglich macht und damit die Sphäre anderer oder die Belange der [X.] berührt (vgl. [X.], Urteil vom 25.
Oktober 2011 -
VI [X.]). Dies geschieht nicht ohne weiteres schon
dadurch, dass er
sich außerhalb des besonders geschützten Bereichs seiner Wohnung im Sinne von Art.
13 Abs.
1 GG aufhält, sofern
er einen ande-ren Rückzugsraum wählt, in dem er sich unbeobachtet fühlen kann. Das war hier hinsichtlich des Pkw der Fall. Nach außen gerichtete Äußerungen in einem Pkw, in dem die betreffende Person allein ist, können nicht Äußerungen in der Öffentlichkeit gleichgestellt werden. Es bleibt deshalb bei der Zuordnung der Selbstgespräche des Angeklagten S.

[X.].

zum absolut geschützten [X.]ernbereich der Persönlichkeitsentfaltung mit der Folge ihrer Unverwertbarkeit.
2.
Das Beweisverbot entfaltet wegen seiner Absolutheit, die ein Beweis-erhebungsverbot für die Hauptverhandlung bezüglich der im Vorverfahren er-langten
Informationen einschließt
(vgl. [X.], Die personelle Reichweite von [X.], 2005, S.
101 f.), seine
Wirkung
auch auf die nicht unmittelbar von der akustischen Überwachung
im Vorverfahren [X.] Mitangeklagten.
18
19
20
-
12
-
Die Unverwertbarkeit
des Selbstgesprächs von S.

[X.].

als Indiz für und gegen alle Angeklagten (zur Frage der "Überkreuzverwertung"
[X.], Gutachten
C zum
67.
Deutschen Juristentag 2008, C
114 f.) entspricht den
Verboten, die
in
§§
100a Abs.
4 Satz
2, 100c Abs.
5 Satz
3 [X.] für den Fall des Eingriffs in den absolut geschützten [X.]ernbereich der Persönlichkeitsentfal-tung positivrechtlich geregelt sind. Der Gesetzgeber hat dort für den Fall, dass tatsächlich der [X.]ernbereich betroffen ist, jede Verwendung der hierüber erlang-ten Informationen im Strafverfahren ausgeschlossen. Er ist damit nicht dem Gedanken gefolgt, dass [X.] auch mit Blick auf die Am-bivalenz ihrer Beweisbedeutung als Be-
oder Entlastungsbeweis ausschließlich den Bedeutungsgehalt von [X.] haben sollen
(vgl. dazu [X.], Urteil vom 10.
August 2005 -
1 [X.], [X.]St 50, 206, 215; [X.]
aaO
C
112 ff.). Zwar hat der Gesetzgeber in §
100f [X.] auf eine entsprechende [X.]ernbereichsregelung verzichtet, jedoch gilt für das unmittelbar aus der Verfas-sung
abgeleitete Beweisverwertungsverbot in diesem Zusammenhang nichts anderes. Auch Art.
1 Abs.
1 Satz
2 GG spricht gegen die Verwertbarkeit der Selbstgesprächsinhalte für oder gegen Dritte, weil insoweit ein selbständiges Beweisverwertungsverbot begründet wird (vgl. zur ausnahmsweise absoluten Wirkung eines Beweisverbots im Übrigen auch
§§
136a Abs.
3, 69 Abs.
3 [X.]).
3.
Das
Urteil beruht hinsichtlich aller Angeklagten auf der Verletzung von
Art.
2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.
1 Abs. 1 GG. Das Selbstgespräch wurde als Indiz für die Tatbegehung überhaupt sowie
für die Täterschaft des Angeklagten S.

[X.].

herangezogen. Obwohl eine Reihe von weiteren Indizien für dieses Beweisergebnis spricht, kann der Senat nicht sicher ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten S.

[X.].

auf der
Verwertung seiner Äußerungen in den überwachten Selbstgesprächen beruht. Das [X.] hat daraus auch
Hinweise auf die Mittäterschaft der Mitangeklagten [X.]

und W.

[X.].

entnommen. Auch deren Verurteilung beruht auf der Verwertung der Selbstgespräche. Ob eine Verurteilung eines Angeklagten oder mehrerer 21
22
-
13
-
Angeklagten auch ohne die Verwertung der aufgezeichneten Selbstgespräche des Angeklagten S.

[X.].

möglich ist, muss dem neuen Tatrichter vor-behalten bleiben.

Fischer

[X.]

Berger

Eschelbach

[X.]

Meta

2 StR 509/10

22.12.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. 2 StR 509/10 (REWIS RS 2011, 52)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 52

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 509/10

VI ZR 332/09

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