Bundessozialgericht, Urteil vom 19.12.2017, Az. B 1 KR 18/17 R

1. Senat | REWIS RS 2017, 334

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhaus - Vergütung von Zeiten maschineller Beatmung - Einbeziehung von Zeiten beatmungsfreier Spontanatmung


Leitsatz

Ein Krankenhaus darf für die Vergütung der Zeit maschineller Beatmung Versicherter Zeiten beatmungsfreier Spontanatmung nur in Phasen gezielter methodischer Entwöhnung nach Gewöhnung an maschinelle Beatmung einbeziehen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. November 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 6174,49 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

2

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 [X.] zugelassenen Krankenhauses. Sie behandelte den bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherten [X.] (im Folgenden: Versicherter) vollstationär vom 19.1. bis 1.2.2011 wegen eines generalisierten epileptischen Anfalls mit Verdacht auf [X.]. In der [X.] (23:10 Uhr) bis 1.2. (15:00 Uhr) wurde er bei klinischem Bild einer Sepsis mit Tachypnoe und peripherem Kreislaufversagen intensivmedizinisch versorgt und zur Stabilisierung der Atmungs- und Kreislaufsituation über das Maskensystem [X.] 4 intermittierend nicht invasiv beatmet ([X.]). Das Maskensystem unterstützte die Atmung des Versicherten kalendertäglich jeweils mehr als sechs Stunden. Die reine Beatmungszeit betrug 77 Stunden. In den Spontanatmungsphasen kam [X.] zum Einsatz. Die Klägerin berechnete die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2011 ) [X.] (Beatmung > 95 und < 250 Stunden ohne komplexe oder bestimmte [X.], ohne intensivmedizin. Komplexbehandlung > 552 Punkte, ohne kompliz. Konstellation, Alter > 15 J., oder verstorben oder verlegt < 9 Tage, ohne kompl. Diagnose, ohne kompl. Prozedur) und erhielt hierfür 10 685,48 Euro. Die Beklagte forderte später vergeblich 6174,49 Euro auf der Grundlage mehrerer Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ([X.]) zurück. Abzurechnen sei die geringer vergütete [X.] (Anfälle, mehr als ein Belegungstag, ohne komplexe Diagnostik u. Therapie, mit [X.]. [X.], Alter < 3 J. od. mit komplexer Diagnose od. m. äußerst [X.]. [X.], Alter > 15 J. od. ohne äußerst [X.]. od. [X.]. [X.], mit [X.], mit kompl. Diagnose). Die Beklagte kürzte in dieser Höhe unstreitige Rechnungsbeträge für die Vergütung der Behandlung anderer Versicherter. Das [X.] hat die Beklagte - ua nach Einholung eines anästhesiologischen Gutachtens - verurteilt, der Klägerin 6174,49 Euro nebst Zinsen zu zahlen (Urteil vom 6.8.2015). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die [X.] Intervalle seien zur Beatmungszeit hinzuzurechnen, die damit über 95 Stunden betrage. Dies folge aus einer strengen Wortlautauslegung der [X.] ([X.]) für 2011: Die Beatmung ende nach einer Periode der Entwöhnung. Das Ende der Entwöhnung könne nur retrospektiv nach Eintreten einer stabilen respiratorischen Situation festgestellt werden; als Zeitraum einer vollständigen Spontanatmung ohne maschinelle Unterstützung würden für Patienten, die (inklusive Entwöhnung) bis zu sieben Tage beatmet würden, 24 Stunden definiert. Weitere Anforderungen, etwa, dass eine Entwöhnung die vorherige Gewöhnung an das Atemgerät voraussetze, könnten den [X.] nicht entnommen werden (Urteil vom 15.11.2016).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs 4 S 3 [X.] iVm § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz ([X.]), § 1 Abs 1, § 7 Abs 1 S 1 [X.], § 9 Abs 1 [X.] und 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und den Regelungen der [X.] zur Berechnung der Beatmungsdauer: Einer Entwöhnung müsse eine länger andauernde kontrollierte Beatmung vorausgehen. Bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch - der sich auch in den Fallbeispielen der [X.] widerspiegele - setze eine Entwöhnung die vorherige Gewöhnung voraus. Der Patient müsse vom Beatmungsgerät abhängig und zu einer dauerhaften Spontanatmung aufgrund einer Schwäche der Atemmuskulatur (noch) nicht in der Lage sein. Vorliegend sei die [X.] lediglich zur Stabilisierung der Atmungs- und Kreislaufsituation eingesetzt worden, ohne dass eine Abhängigkeit vom Beatmungsgerät eingetreten sei.

4

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 15. November 2016 und des [X.] vom 6. August 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des [X.] vom 15. November 2016 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten [X.] ist im [X.]inne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 [X.] 2 [X.]G). Das angefochtene [X.]-Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung materiellen Rechts beruht und sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Der klagenden [X.] steht der im [X.] zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage (stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], RdNr 9 mwN; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]2) verfolgte Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter zu (dazu 1.). Ob die Beklagte diesen Vergütungsanspruch in Höhe von 6174,49 Euro dadurch erfüllte, dass sie mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch wirksam aufrechnete, kann der erkennende [X.]enat wegen fehlender Feststellungen des [X.] aber nicht entscheiden (dazu 2.).

8

1. Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten Anspruch auf die abgerechnete Vergütung von 6174,49 Euro hatte; eine nähere Prüfung des erkennenden [X.]enats erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB B[X.] [X.]-2500 § 129 [X.] Rd[X.]0; B[X.] [X.]-2500 § 130 [X.] Rd[X.]5; B[X.] [X.]-5562 § 9 [X.] RdNr 8).

9

2. Der [X.]enat kann wegen fehlender Feststellungen des [X.] nicht in der [X.]ache selbst abschließend über den Erfolg der Berufung der Beklagten gegen das der Klägerin 6174,49 Euro nebst Zinsen zusprechende Urteil des [X.] entscheiden. Der Klägerin steht kein Vergütungsanspruch nebst Zinsen zu, wenn die Beklagte für ihre - im Übrigen wirksame - Aufrechnung (§ 387 BGB; vgl zur Aufrechnung B[X.] [X.]-2500 § 264 [X.] Rd[X.]6; B[X.] [X.]-5562 § 11 [X.]; B[X.] [X.]-7610 § 366 [X.]) einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl dazu allgemein B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], RdNr 9 ff mwN) in Höhe von 6174,49 Euro als Gegenforderung hatte.

Der [X.]enat kann nicht abschließend beurteilen, dass die Voraussetzungen des Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung in Höhe von 6174,49 Euro erfüllt waren. Der Vergütungsanspruch der Klägerin ist dem Grunde nach entstanden; dies ist zwischen den Beteiligten im Übrigen auch nicht streitig (dazu a). Für den Anspruch ist maßgeblich, dass im Behandlungsfall des Versicherten eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät i[X.] der speziellen Kodierrichtlinie [X.] 1001h für Krankheiten des Atmungssystems erfolgte (dazu b). Es fehlen Feststellungen des [X.] dazu, dass der Versicherte eine Entwöhnung erhielt, die die Klägerin zur Kodierung von mehr als 95 [X.] berechtigte. Nur dann sind die Voraussetzungen der von der Klägerin abgerechneten Fallpauschale [X.] erfüllt (dazu c).

a) Die Zahlungsverpflichtung einer [X.] entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i[X.] von § 39 Abs 1 [X.] 2 [X.]B V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]1; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]5; B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]; alle mwN). Diese Voraussetzungen waren nach dem Gesamtzusammenhang der [X.], den [X.]enat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) erfüllt.

b) Die Vergütung für Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei [X.] wie jenem der Klägerin nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs 4 [X.] 3 [X.]B V (idF durch Art 1 [X.] Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom [X.], [X.]) iVm § 7 KHEntgG (idF durch Art 8 [X.] Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2010, [X.] 2309) und § 17b [X.] (idF durch Art 1 [X.] Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem [X.] vom [X.], [X.] 534; vgl entsprechend B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]5 f; B[X.] [X.]-2500 § 109 [X.]4 Rd[X.]5; B[X.] [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]2; B[X.] Urteil vom [X.] KR 29/16 R - Juris Rd[X.]0, für B[X.]E und [X.] vorgesehen). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch [X.] ([X.], [X.] <[X.]>) konkretisiert. Die [X.]pitzenverbände der [X.]n (ab [X.]: [X.] [X.]n) und der [X.] gemeinsam vereinbaren nach § 9 [X.] [X.] KHEntgG (idF durch Art 2 [X.] a KHRG vom [X.], [X.] 534) mit der [X.] als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG (idF durch Art 2 [X.]1 KHRG) einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit [X.] in den [X.] auf der Grundlage des § 9 [X.] [X.] KHEntgG (idF durch Art 19 [X.] Gesetz zur [X.]tärkung des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung vom [X.], [X.] 378).

Welche [X.] abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (vgl § 1 Abs 6 [X.] 1 [X.] 2011; zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]9 ff). Zugelassen sind nur solche Programme, die von der [X.], einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b [X.] [X.] und § 9 [X.] [X.] KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind (vgl B[X.] [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]). Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (zB die Zuordnung von [X.]-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer [X.]telle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten ([X.]) in der jeweiligen vom [X.] ([X.]) im Auftrag des [X.] ([X.]) herausgegebenen [X.] Fassung (<[X.]-GM> hier in der Version 2011 idF der Bekanntmachung des [X.] gemäß §§ 295 und 301 [X.]B V zur Anwendung des Diagnoseschlüssels vom 21.10.2010, BAnz [X.]69 vom [X.], [X.], in [X.] getreten am 1.1.2011 <[X.]-GM 2011>), die Klassifikation des vom [X.] im Auftrag des [X.] herausgegebenen [X.] (hier in der Version 2011 idF der Bekanntmachung des [X.] gemäß §§ 295 und 301 [X.]B V zur Anwendung des [X.] vom 21.10.2010, BAnz [X.]69 vom [X.], [X.] 3752, in [X.] getreten am 1.1.2011; zur Grundlage der Rechtsbindung vgl B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]4) sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den [X.] für das [X.] (Vereinbarung zu den [X.] ichtlinien Version 2011 für das G-[X.]-[X.]ystem‎ gem äß § 17b [X.]; zu deren normativer Wirkung vgl B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]8).

Die Anwendung der normenvertraglichen [X.] ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die [X.] sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten [X.] gehandhabt wird und keinen [X.]pielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl B[X.] [X.]-2500 § 109 [X.]9 Rd[X.] mwN; B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]7; B[X.] [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] mwN; B[X.] [X.]-5562 § 2 [X.] Rd[X.]5; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im [X.] vgl B[X.] [X.]-1500 § 160a [X.]2 Rd[X.]2 ff). Dies gilt auch für die Auslegung der [X.].

§ 21 Abs 2 [X.] Buchst f KHEntgG bestimmt ua ausdrücklich, dass das Krankenhaus bei [X.] die Beatmungszeit in [X.]tunden entsprechend der Kodierregeln nach § 17b Abs 5 [X.] [X.] mitzuteilen hat. § 301 [X.]B V iVm der Anlage 1 zur Vereinbarung gemäß § 301 Abs 3 [X.]B V über das Verfahren zur Abrechnung und Übermittlung der Daten nach § 301 Abs 1 [X.]B V zwischen den [X.]pitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen (ab [X.]: [X.] [X.]n) und der [X.] (Datenübermittlungsvereinbarung § 301; [X.]tand 2011) sieht ebenfalls ein Datenfeld für die Mitteilung der [X.] vor. Die Voraussetzungen für die Kodierung der Anzahl der [X.] ergeben sich weder aus dem [X.]-GM noch aus dem [X.], sondern allein aus der [X.] 1001h, die auch 2011 galt. [X.]ie bestimmt ua, dass maschinelle Beatmung ("künstliche Beatmung") ein Vorgang ist, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an [X.]telle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden. Die Berechnung der Dauer der Beatmung beginnt ua mit dem Einsetzen der maschinellen Beatmung und endet ua mit der Verlegung eines Patienten, der eine künstliche Beatmung erhält. Die Dauer der Entwöhnung wird insgesamt (inklusive beatmungsfreier Intervalle während der jeweiligen Entwöhnung) bei der Berechnung der Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt. Es kann mehrere Versuche geben, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Das Ende der Entwöhnung kann nur retrospektiv nach Eintreten einer stabilen respiratorischen [X.]ituation festgestellt werden. Eine stabile respiratorische [X.]ituation liegt vor, wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmet. Zur Entwöhnung vom [X.] zählt auch die maschinelle Unterstützung der Atmung durch intermittierende Phasen assistierter nichtinvasiver Beatmung bzw Atemunterstützung wie zB durch [X.]/A[X.]B oder durch [X.] jeweils im Wechsel mit [X.]pontanatmung ohne maschinelle Unterstützung. [X.]auerstoffinsufflation bzw -inhalation über Maskensysteme oder O2-[X.]onden gehören jedoch nicht dazu. Im speziellen Fall einer Entwöhnung mit intermittierenden Phasen der maschinellen Unterstützung der Atmung durch [X.] im Wechsel mit [X.]pontanatmung ist eine Anrechnung auf die Beatmungszeit nur möglich, wenn die [X.]pontanatmung des Patienten insgesamt mindestens sechs [X.]tunden pro Kalendertag durch [X.] unterstützt wurde. Die Berechnung der Beatmungsdauer endet in diesem Fall nach der letzten [X.]-Phase an dem Kalendertag, an dem der Patient zuletzt insgesamt mindestens sechs [X.]tunden durch [X.] unterstützt wurde.

Nach Wortlaut und Regelungssystem der [X.] 1001h sind [X.]pontanatmungsstunden nur dann als [X.] mitzuzählen, wenn der Wechsel von Beatmung und [X.]pontanatmung in einer Phase der Entwöhnung erfolgt. Diese Phase ist durch das Ziel geprägt, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. [X.]chon begrifflich setzt eine Entwöhnung eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus. Das vernachlässigt das [X.], wenn es meint, die Entwöhnung von der [X.] beginne bereits mit dem Beginn der maschinellen Beatmung. Es fingiert damit eine Entwöhnung, auch wenn sie tatsächlich überhaupt nicht stattfindet. Die [X.] 1001h fingiert jedoch an keiner [X.]telle eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung, also die erhebliche Einschränkung oder den Verlust der Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können. Vielmehr setzt sie voraus, wenn sie die Zeit einer Entwöhnung in die [X.] einbezieht, dass das Krankenhaus tatsächlich eine Methode der Entwöhnung anwendet, weil eine Gewöhnung eingetreten ist. Die [X.] 1001h verlangt nur nicht, dass die Methode der Entwöhnung (zB [X.], [X.]IMV, P[X.]V) von der künstlichen Beatmung eigens kodiert wird. Nur dann, wenn sich der Patient an die maschinelle Beatmung gewöhnt hat und dadurch seine Fähigkeit eingeschränkt ist, vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können, setzt das Krankenhaus eine Methode der Entwöhnung ein und wird der Patient im [X.]inne der [X.] 1001h entwöhnt. Es genügt hierfür nicht, dass sich der Patient nicht an eine erfolgte maschinelle Beatmung gewöhnt hat, aber aus anderen Gründen - etwa wegen einer noch nicht hinreichend antibiotisch beherrschten [X.]epsis - nach Intervallen mit [X.]pontanatmung wieder maschinelle [X.] erhält, um solche Intervalle in die Beatmungszeit einzubeziehen.

Behandelt das Krankenhaus den Patienten dagegen wegen seiner Gewöhnung an die maschinelle Beatmung zielgerichtet mit einer Methode der Entwöhnung, definiert die [X.] 1001h den erforderlichen Zeitraum vollständiger spontaner Atmung ohne maschinelle Unterstützung wie folgt: Für Patienten, die (inklusive Entwöhnung) bis zu sieben Tage beatmet wurden: 24 [X.]tunden; für Patienten, die (inklusive Entwöhnung) mehr als sieben Tage beatmet wurden: 36 [X.]tunden. [X.] 1001h macht insoweit keine weiteren Vorgaben, wie lange ein Patient ununterbrochen beatmet werden muss. Eine maschinelle Beatmung kann jedenfalls weniger als sieben Tage dauern, um relevant zu sein. Dabei geht [X.] 1001h von dem normativen Regelfall aus, dass ein Patient zunächst mittels Intubation oder Tracheotomie ununterbrochen maschinell beatmet wird und sich schon durch den Wechsel der Art der maschinellen Beatmung, insbesondere beim nachfolgenden Einsatz einer Beatmungsmaske eine zeitliche Zäsur zwischen Gewöhnungs- und Entwöhnungsphase ergeben kann. Ein solcher Anknüpfungspunkt fehlt dann, wenn ein Patient schon von Anbeginn mittels Maske maschinell beatmet wird. Es richtet sich nach den medizinischen Umständen des Einzelfalls, dass eine Gewöhnung durch Maskenbeatmung, orientiert am Leitbild der Folgen einer maschinellen Beatmung mittels Intubation oder Tracheotomie bereits mit solchen Einschränkungen eingetreten ist, dass sie eine Entwöhnung von maschineller Beatmung pulmologisch erforderlich macht. Nur unter dieser Voraussetzung sind bei einer intermittierenden Entwöhnungsbehandlung auch [X.]tunden der [X.]pontanatmung als [X.] zu berücksichtigen, sofern die [X.] im Falle der Beatmung durch [X.] sechs [X.]tunden am Tag nicht unterschreiten.

Eine Entwöhnungsbehandlung schließt [X.] 1001h allerdings solange aus, als [X.]auerstoffinsufflation bzw -inhalation über Maskensysteme oder O2-[X.]onden erfolgt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der [X.] 1001h gilt: Diese [X.] "gehören jedoch nicht dazu", nämlich nicht "zur Entwöhnung vom [X.]".

c) Es steht nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht fest, dass die Klägerin den Versicherten von der maschinellen [X.] wegen vorausgegangener Gewöhnung an die maschinelle Beatmung eigens entwöhnte mit der Folge, dass dies die Klägerin zur Kodierung von mehr als 95 [X.] berechtigte. [X.]ofern sich nicht feststellen lassen sollte, dass beim Versicherten eine Gewöhnung zunächst eingetreten war, schließt dies die Annahme einer nachfolgenden Entwöhnung aus. Die von der Klägerin abgerechnete [X.] [X.] setzt ua eine Beatmungszeit von mehr als 95 [X.]tunden, nämlich mindestens 96 [X.]tunden voraus, da nur volle [X.]tunden kodierfähig sind. Die übrigen Voraussetzungen dieser [X.] sind nach den [X.], den erkennenden [X.]enat bindenden Feststellungen des [X.] erfüllt (vgl § 163 [X.]G). Der Versicherte wurde während seines stationären Aufenthalts nach den Feststellungen des [X.] intermittierend mit Maske beatmet, dh [X.] unter der Maske wechselten sich mit [X.] Intervallen ab, in denen der Versicherte spontan atmete. Die reinen Beatmungszeiträume betrugen nach [X.] 1001h gerundet 77 [X.]tunden. Die Beatmungszeit ist nur dann mit mehr als 95 [X.]tunden anzusetzen, wenn die [X.] Intervalle ohne Maske als Entwöhnung i[X.] des [X.] 1001h im oben dargelegten [X.]inne einzubeziehen sind. Wie bereits ausgeführt, sind dabei Zeiten beatmungsfreier Intervalle mit [X.]auerstoffinsufflation bzw -inhalation über Maskensysteme oder O2-[X.]onden in keinem Fall berücksichtigungsfähig. Das [X.] wird die hierzu erforderlichen Feststellungen im Wege des Beweises durch medizinische Ermittlungen nachzuholen haben.

3. [X.] bleibt dem [X.] vorbehalten.

4. Die [X.]treitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Teils 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.

Meta

B 1 KR 18/17 R

19.12.2017

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Ulm, 6. August 2015, Az: S 13 KR 3667/13, Urteil

§ 109 Abs 4 S 3 SGB 5 vom 23.04.2002, § 301 SGB 5, § 7 KHEntgG vom 22.12.2010, § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG vom 17.03.2009, § 9 Abs 1 S 1 Nr 3 KHEntgG vom 26.03.2007, § 11 KHEntgG vom 17.03.2009, § 21 Abs 2 Nr 2 Buchst f KHEntgG, § 17b KHG vom 17.03.2009, Nr 1001h DKR 2011, Anl 1 Teil a Nr A13G FPVBG 2011, ICD-10-GM 2011, OPS 2011

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.12.2017, Az. B 1 KR 18/17 R (REWIS RS 2017, 334)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 334

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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