Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2016, Az. 1 StR 352/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 11555

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Gegenstand

Verhinderungsvermerk des Vorsitzenden bei Ersetzung der Unterschrift eines am Strafurteil beteiligten Richters: Spielraum des Vorsitzenden bei der Annahme der Verhinderung und Pflicht zu organisatorischen Maßnahmen zur Ermöglichung der Unterschriftsleistung durch sämtliche Richter; Umfang und Prüfungsmaßstab der revisionsgerichtlichen Überprüfung


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. Dezember 2014 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Jeder [X.]schwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1

1. Die von den Angeklagten B.    , [X.].     und [X.]erhobenen [X.] der Verletzung von § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 1 und 2 [X.] dringen unter keinem der durch die jeweilige Angriffsrichtung der Verfahrensbeanstandungen erfassten Aspekte durch.

2

a) Eine Verletzung von § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] liegt nicht vor. Das Urteil ist innerhalb der bis zum 5. Februar 2015 laufenden Frist vollständig abgesetzt worden. Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle (§ 275 Abs. 1 Satz 5 [X.]) auf dem zu den [X.]ten gelangten Urteil ist dieses am 27. Januar 2015 und damit vor Ablauf der am 5. Februar 2015 endenden Absetzungsfrist dort eingegangen. Es trägt die Unterschriften der Vorsitzenden und eines der beiden beisitzenden [X.]. [X.]züglich des weiteren [X.]isitzers hat die Vorsitzende auf dieser [X.] einen Verhinderungsvermerk angebracht, nach dem der betreffende [X.] wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert ist. Durch den Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist die Einhaltung der Absetzungsfrist belegt, auch wenn es sich bei dem Vermerk gemäß § 275 Abs. 1 Satz 5 [X.] nicht um die einzige Weise handelt, durch die der Nachweis der Fristwahrung erbracht werden kann ([X.], [X.]schluss vom 21. April 2015 – 1 StR 555/14 Rn. 7).

3

Dem Nachweis der Einhaltung der Absetzungsfrist steht nicht entgegen, dass die den Verteidigern zunächst zugestellten Urteilsausfertigungen den auf dem [X.] vorhandenen Verhinderungsvermerk nicht erkennen ließen. Anhaltspunkte für eine erst nachträgliche Anbringung dieses Vermerks und eine damit inhaltlich unrichtige [X.]urkundung sind nicht ersichtlich. Dienstliche Erklärungen über den Zeitpunkt der Anbringung des Verhinderungsvermerks und den Grund für die zunächst erfolgte Zustellung von diesen nicht enthaltenden Urteilsausfertigungen waren daher nicht einzuholen.

4

b) Soweit die Revisionen der genannten Angeklagten zudem eine Verletzung von § 275 Abs. 2 Satz 2 [X.] beanstanden, bleiben diese ebenfalls ohne Erfolg.

5

aa) Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit der jeweiligen [X.], weil diese nicht sämtliche tatsächlichen Umstände vortragen, aus denen sich ein Verstoß der Vorsitzenden gegen § 275 Abs. 2 Satz 2 [X.] ergeben soll.

6

bb) Jedenfalls sind die [X.]anstandungen unbegründet.

7

(1) Nach in der Sache übereinstimmender Rechtsprechung des [X.] steht dem Vorsitzenden ein Spielraum hinsichtlich der Annahme der Verhinderung eines [X.]isitzers aus tatsächlichen Gründen zu (vgl. [X.], Urteile vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, [X.]St 31, 212, 215; vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, [X.], 96; [X.], [X.]schluss vom 14. September 2011 – 5 StR 331/11, [X.]R [X.] § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 8 sowie [X.]schluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, [X.], 358 f.). Teils wird dieser Spielraum als Ausübung pflichtgemäßen Ermessens verstanden ([X.], Urteile vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, [X.]St 31, 212, 215; vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, [X.], 96), teils als [X.]urteilungsspielraum gedeutet ([X.], [X.]schlüsse vom 14. September 2011 – 5 StR 331/11, [X.]R [X.] § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 8 und vom 27. Oktober 2010 – 2 [X.], [X.], 358 f.). Ungeachtet der Unterschiede in den Formulierungen besteht in der Sache Einigkeit darüber, dass der im Verhinderungsvermerk genannte Grund generell geeignet sein muss, den [X.] von der im Gesetz als Grundsatz vorgesehenen Unterschriftsleistung (§ 275 Abs. 2 Satz 1 [X.]) abzuhalten ([X.], Urteile vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, [X.]St 31, 212, 215 und vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, [X.], 96). Durch Urlaub eines [X.]s bedingte Abwesenheit stellt einen solchen Grund dar (siehe nur [X.], [X.]schluss vom 14. September 2011 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 8; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl., § 275 Rn. 33 mwN; [X.] in Systematischer Kommentar zur [X.], 4. Aufl., [X.]nd V, § 275 Rn. 35). Ob im konkreten Fall ein generell geeigneter Grund zur Verhinderung eines an der Urteilsfindung beteiligten [X.]s führt, obliegt der [X.]urteilung des Vorsitzenden (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 1983 – 1 StR 757/82, [X.]St 31, 212, 215).

8

Wurde – wie vorliegend – eine Verhinderung fristgerecht beurkundet und auf einen diese grundsätzlich tragenden Grund gestützt, kann das Revisionsgericht die Entscheidung des Vorsitzenden lediglich daraufhin überprüfen, ob dabei der eingeräumte Spielraum in rechtsfehlerhafter Weise überschritten ist oder die Annahme der Verhinderung auf sachfremden Erwägungen beruht und sie sich deshalb als willkürlich erweist ([X.], aaO [X.]St 31, 212, 214; [X.], Urteil vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, [X.], 96; [X.], [X.]schluss vom 8. Juni 2011 – 3 StR 56/11 Rn. 13; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], aaO, § 275 Rn. 70; [X.] in Systematischer Kommentar zur [X.], aaO, § 275 Rn. 47 i.V.m. Rn. 33). Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage der von den Revisionen vorgetragenen tatsächlichen Umstände nicht gegeben.

9

(2) Soweit die von Rechtsanwältin [X.].      begründete Revision des Angeklagten B.     geltend macht, bereits bei einer anderen Gestaltung der Hauptverhandlungstermine hätte die Vorsitzende eine Unterschriftsleistung durch den urlaubsabwesenden [X.] ermöglichen können, zeigt sie damit sachfremde Erwägungen oder eine Überschreitung des [X.]urteilungsspielraums nicht auf. Die Vorsitzende war auch nicht gehalten, mit der Anbringung eines Verhinderungsvermerks bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist zu warten, um gegebenenfalls dem zu diesem Zeitpunkt urlaubsabwesenden [X.]isitzer noch eine Unterschriftsleistung zu ermöglichen. Es handelt sich um eine Höchstfrist, deren Zweck darin besteht, der „Erfahrung nachlassender Erinnerung“ zu begegnen und eine möglichst frische Erinnerung an die Ergebnisse der Hauptverhandlung und der [X.]ratung zu sichern ([X.], [X.]schluss vom 21. April 2015 – 1 StR 555/14 Rn. 12 mwN). Dies darf in die Entscheidung, einen Verhinderungsvermerk vor Ausschöpfung der Absetzungsfrist anzubringen, einbezogen werden.

(3) Stützt sich der Vermerk auf einen generell die Verhinderung tragenden Grund, bedarf es keiner näheren Ausführungen des Vorsitzenden zu den Umständen der Verhinderung ([X.], Urteil vom 18. Januar 1983 – 1 [X.], [X.]St 31, 212, 215; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], aaO, § 275 Rn. 36; siehe auch [X.] [X.], 359).

cc) Wollten die Revisionen weitergehend Umstände geltend machen, aus denen sich eine rechtsfehlerhafte Überschreitung des Spielraums der Vorsitzenden oder der Einbeziehung sachfremder Erwägungen ergeben soll, wäre dazu substantiierter und schlüssiger Vortrag erforderlich gewesen ([X.], aaO; [X.], [X.]schluss vom 23. Oktober 1992 – 5 StR 364/92, [X.], 96). Daran fehlt es.

dd) Die Revisionen haben auch mit der [X.]anstandung, die Vorsitzende habe entgegen § 275 Abs. 2 Satz 1 [X.] keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen getroffen, um die Unterzeichnung des Urteils durch den urlaubsabwesenden [X.]isitzer zu ermöglichen, keinen Erfolg.

Die Rechtsprechung des [X.] hat eine solche Pflicht bislang für den Fall „zulässiger Ausschöpfung“ der Frist aus § 275 Abs. 1 [X.] angenommen ([X.], [X.]schlüsse vom 26. April 2006 – 5 StR 21/06, [X.], 586 f. und vom 8. Juni 2011 – 3 StR 95/11 Rn. 14 mit zahlr. Nachw.). Dabei handelte es sich jeweils um Konstellationen, in denen die (mögliche) Verhinderung eines an der Entscheidung mitwirkenden [X.]s auf dessen mittlerweile erfolgten Versetzung bzw. Abordnung an ein anderes Gericht beruhte (so auch in der [X.], [X.]schluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, [X.], 358 f. zugrunde liegenden Verfahrenslage). Die für eine derartige Pflicht in den Fällen der Abordnung oder Versetzung angeführten Gründe (vgl. [X.], jeweils aaO) lassen sich auf die Inanspruchnahme von Urlaub durch den betroffenen [X.] nicht übertragen.

Im Übrigen darf das Aufstellen einer Pflicht des Vorsitzenden, organisatorische Vorkehrungen zu treffen, die eine Unterschriftleistung durch sämtliche an der Entscheidung mitwirkenden [X.]rufsrichter ermöglichen, nicht zu einer Veränderung des zuvor dargelegten revisionsgerichtlichen [X.] hinsichtlich der Annahme tatsächlicher Verhinderung führen. Ist das Revisionsgericht insoweit auf eine Willkürkontrolle beschränkt (Rn. 7 und 8), kann es nicht berechtigt sein, mittels bis ins Einzelne gehender Kontrolle ergriffener (oder unterlassener) organisatorischer Maßnahmen die angenommene Verhinderung unterhalb der – mit einer entsprechenden Verfahrensrüge vorzutragender – Schwelle sachfremder Erwägungen oder einer rechtsfehlerhaften Überschreitung des Spielraums des Vorsitzenden zu überprüfen. Sollte der [X.]schluss des 2. Strafsenats vom 27. Oktober 2010 (2 StR 331/10, [X.], 358 f.) so zu verstehen sein, dass das Revisionsgericht anhand von Aspekten wie etwa dem Umfang des fraglichen Urteils, dem bis zum Ablauf der Absetzungsfrist noch zur Verfügung stehenden Zeitraum o.ä. (vgl. [X.], aaO [X.], 358) vollumfänglich eigenständig die tatsächliche Verhinderung des betroffenen [X.]s prüfen darf, würde der Senat dem auch für Fälle der Versetzung oder Abordnung nicht folgen wollen. Denn ein derartiger, auf die rechtsmittelgerichtliche Kontrolle organisatorischer Maßnahmen des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts bezogener Prüfungsmaßstab ist mit dem bislang in der Rechtsprechung zu Recht angenommenen Umfang der revisionsgerichtlichen Überprüfung von [X.]urteilungen des Vorsitzenden über die tatsächliche Verhinderung nicht vereinbar (vgl. [X.] [X.], 359).

2. Die auf [X.] [X.]weiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten A.    wegen Geldwäsche und wegen versuchter Geldwäsche in den Fällen [X.]. [X.] 4, Taten 22 und 23 der Urteilsgründe.

Der Angeklagte hat bei der Tat 22 einem anderen, dem gesondert verfolgten [X.].    , durch die seitens des             M.          an [X.].     geleisteten Zahlungen in einer Gesamthöhe von 15.000 Euro ([X.] 105 f.) einen „Gegenstand“ (vgl. § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB) verschafft (§ 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB), der aus einer von § 261 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 4 Buchst. b) erfassten Vortat stammte, nämlich einer bandenmäßig begangenen Steuerhinterziehung von [X.] Biersteuer (§ 370 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 6 AO). Als „Gegenstand“ im Sinne von § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB gelten gemäß § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB in den Fällen gewerbs- oder bandenmäßiger Steuerhinterziehung auch die durch eine solche Tat ersparten Aufwendungen. Um solche handelt es sich hier, weil der zur Zahlung veranlasste M.          durch unrichtige Steuererklärungen gegenüber den zuständigen [X.] Finanzbehörden von ihm geschuldete Biersteuer nicht entrichtet hatte. Die durch Mitwirkung des Angeklagten seitens M.          an [X.].     geleisteten [X.]träge rührten auch aus den Vortaten der bandenmäßigen Steuerhinterziehung her. Denn dafür genügt es bereits, dass zwischen dem „Gegenstand“ und der Vortat ein Kausalzusammenhang besteht, der „Gegenstand“ also seine Ursache in der rechtswidrigen Tat hat (siehe nur [X.], [X.]schluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 4/09, [X.]St 53, 205, 209 Rn. 13). So verhält es sich hier. M.          verfügte über entsprechende Gelder, weil er in großem Umfang Bier von [X.] in das [X.] veräußerte bzw. veräußern ließ, ohne die dafür geschuldete [X.] Biersteuer zu entrichten.

Entsprechendes gilt bei der Tat 23 hinsichtlich derjenigen Geldbeträge, die der Angeklagte und [X.].     zugunsten des gesondert Verfolgten Al. bei dem         V.    , der ebenfalls unversteuert Bier von [X.] aus in das [X.] lieferte und dort veräußerte, erfolglos einforderten.

Raum                             Jäger                        Radtke

               [X.]

Meta

1 StR 352/15

11.05.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mannheim, 4. Dezember 2014, Az: 24 KLs 616 Js 13381/14

§ 275 Abs 2 S 1 StPO, § 275 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2016, Az. 1 StR 352/15 (REWIS RS 2016, 11555)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11555

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