Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 01.03.2010, Az. 1 BvR 249/10

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2010, 8873

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zum Beginn der Einlegungsfrist für eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung gem § 93 Abs 1 S 2, S 3 BVerfGG - hier: Berufungsurteil gem §§ 55 JGG, 35 StPO - Beginn der Einlegungsfrist mit Verkündung der angegriffenen Entscheidung


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 [X.]) nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht binnen der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] eingelegt worden ist.

2

Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2, 3 [X.] beginnt die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde bereits mit Verkündung der Entscheidung zu laufen, wenn die Zustellung oder Bekanntgabe einer in vollständiger Form abgefassten Entscheidung in den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht zwingend vorgeschrieben ist (vgl. [X.] 9, 109 <114 ff.>; 18, 192 <193 ff.>). So liegt es hier. Die Strafprozessordnung, die gemäß § 2 Abs. 2 JGG im Jugendgerichtsverfahren Anwendung findet, sieht die Zustellung oder Bekanntgabe des letztinstanzlichen Urteils in vollständig abgefasster Form nicht zwingend vor; vielmehr sind Abschriften der Entscheidungen, die in Anwesenheit des Betroffenen gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 StPO durch Verkündung bekannt gemacht werden, nur auf Antrag zu erteilen, [ref=7fa3c50b-5938-4eb7-af2a-4ccb8e9c5c96]§ 35 Abs. 1 Satz 2 StPO[/ref]. Soweit in Praxis tatsächlich, etwa auf Grundlage von Nr. 140 Abs. 1 Satz 1 RiStBV auf andere Weise verfahren wird und dem Verurteilten regelmäßig auch ohne Antrag eine in vollständiger Form abgefasste Ausfertigung rechtskräftiger Urteile zumindest formlos übersandt wird, ist dies für die Frage des Fristbeginns unerheblich. Der Gesetzgeber hat die Formulierung des § 93 Abs. 1 Satz 2 [X.], wonach es auf den Zeitpunkt der Zustellung oder Bekanntmachung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung dann ankommt, wenn diese nach den "maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften" von Amts wegen vorzunehmen ist, bewusst gewählt, um sicherzustellen, dass nur verfahrensrechtlich notwendige Mitteilungen den Lauf der Frist beginnen lassen. Soweit eine Bekanntmachung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung lediglich auf Grundlage von Verwaltungsvorschriften oder langjähriger gerichtlicher Übung erfolgt, stellt dies keine für den Fristbeginn maßgebliche Mitteilung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 [X.] dar (vgl. [X.] 9, 109 <116 ff.>; 18, 192 <193 ff.>). Im Falle eines in Anwesenheit verkündeten Strafurteils kommt es daher nicht auf eine spätere Zustellung oder Bekanntgabe des vollständig abgefassten Urteils, sondern auf den Zeitpunkt der Verkündung an (vgl. statt vieler [X.], [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.], [X.], Loseblatt, [X.].Lieferung, Stand: Oktober 2009, § 93 Rn. 20; [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., [X.] 2006, § 93 Rn. 31; vgl. mittelbar auch [X.] 12, 113 <123>; 20, 336 <342>; 21, 245 <248>; 28, 151 <159>).

3

Das [X.] sieht eine hiervon abweichende Regelung nicht ausdrücklich, jedenfalls nicht mit der für die Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 [X.] gebotenen Eindeutigkeit vor (vgl. anders allein [X.], [X.], 13. Aufl., [X.] 2009, § 54 Rn. 45).

4

Dem Interesse des Betroffenen, sich über die Erhebung der Verfassungsbeschwerde erst dann schlüssig werden zu müssen, wenn er anhand des vollständig abgefassten Urteils prüfen kann, ob seine Grundrechte beeinträchtigt sind, trägt [[X.]-4df3-9a45-2a7bf8bb38e4]§ 93 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz [X.][/ref] Rechnung. Danach hat der Betroffene die Möglichkeit, den Lauf der Verfassungsbeschwerdefrist zu unterbrechen, indem er schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefassten Entscheidung beantragt.

5

Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, dass das Berufungsurteil, welches hier gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 JGG den Rechtsweg abschließt, ausnahmsweise in ihrer Abwesenheit verkündet worden wäre, so dass die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] mit Verkündung des Berufungsurteils am 28. Oktober 2009 zu laufen begann. Da sie auch nicht dargelegt haben, dass sie binnen der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] einen Antrag nach [ref=f7543fd9-d1b7-4182-a8d1-07f87fbfcc19]§ 93 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz [X.][/ref] gestellt hätten, ist die am 16. Januar 2010 eingegangene Verfassungsbeschwerde verfristet.

6

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 249/10

01.03.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Stuttgart, 28. Oktober 2009, Az: 103 Ns 5 Js 18849/09 Jug., Urteil

GG, § 93 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 3 Halbs 2 BVerfGG, § 2 Abs 2 JGG, § 55 Abs 2 S 1 JGG, Nr 140 Abs 1 S 1 RiStBV, § 35 Abs 1 S 1 StPO, § 35 Abs 1 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 01.03.2010, Az. 1 BvR 249/10 (REWIS RS 2010, 8873)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8873

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3 Sa 232/03 (Landesarbeitsgericht Köln)


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