Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.10.2015, Az. IV ZR 68/15

4. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 3628

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Gegenstand

Zuständigkeitsbestimmung: Voraussetzungen internationaler Zuständigkeit türkischer Gerichte im Streit unter Miterben


Leitsatz

Erbschaftsansprüche i.S. des § 15 der Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28. Mai 1929 liegen nur vor, wenn das materielle Erbrecht der Parteien Gegenstand des Rechtsstreits ist; der Rechtsstreit über diese Ansprüche muss dazu führen, dass über eine zwischen den Parteien streitige Erbenstellung oder erbrechtliche Berechtigung eine verbindliche Entscheidung getroffen wird.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 17. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien sind Brüder und wohnen in Deutschland.

2

Ihr Vater war [X.] Staatsangehöriger und lebte zuletzt in der [X.]; er verstarb am 15. Juni 1994 in [X.]. Erben waren seine vier Söhne, darunter die beiden Parteien, und seine Ehefrau, die Mutter der Geschwister. Zur Erbschaft gehörte ein Haus in [X.]. Die Erben veräußerten das Haus mit Vertrag vom 9. März 2011 zu einem Preis von 100.000 [X.]. Der Käufer bezahlte hiervon 90.000 [X.]. Diese verteilten die Erben unter sich. Den [X.] behielt der Käufer zunächst ein.

3

[X.] reiste der Beklagte in die [X.] und erhielt vom Käufer den restlichen Kaufpreis von 10.000 [X.]. Hiervon zahlte er ein Viertel an einen Bruder aus. Er sagte dem Kläger mehrfach zu, ihm den zustehenden Anteil auszuzahlen. Mit Anwaltsschreiben vom 7. März 2013 forderte der Kläger den Beklagten auf, ihm 2.500 [X.] - nach seiner Behauptung umgerechnet 1.082 € - als seinen Anteil auszuzahlen. Nachdem der Kläger einen [X.] über 1.082 € erwirkte, zahlte der Beklagte in zwei Raten insgesamt 300 €.

4

Der Beklagte hat Einspruch gegen den [X.] eingelegt. Das Amtsgericht hat den [X.] - abzüglich der erfolgten Zahlungen und eines Teils der Nebenforderungen - aufrechterhalten. Das [X.] hat die Klage auf die Berufung des Beklagten, der auch die internationale Zuständigkeit gerügt hat, als unzulässig abgewiesen. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der zugelassenen Revision weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist begründet.

6

I. Das Berufungsgericht - dessen Entscheidung in [X.] 2015, 588 veröffentlicht ist - meint, es fehle an der internationalen Zuständigkeit. Auf den Streitfall sei § 15 Satz 1 des deutsch-[X.] [X.] anzuwenden (in [X.] getreten als Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrages zwischen der [X.] und dem [X.] vom 28. Mai 1929, [X.] 1930 II S. 747; 1931 [X.]; BGBl. [X.]; fortan: Nachlassabkommen); danach sei nur die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte eröffnet. § 15 des [X.] begründe eine ausschließliche Zuständigkeit. Der Rechtsstreit betreffe einen Erbschaftsanspruch im Sinne dieser Regelung. Diese gelte für Streitigkeiten unter (potentiell) erbrechtlich Berechtigten; es komme nicht darauf an, ob eine Vereinbarung über die Verteilung des Erlöses aus dem Hausverkauf vorliege oder ob der Kläger seinen Anspruch auf unerlaubte Handlung oder Bereicherung stütze. Eine einschränkende Auslegung aufgrund der [X.] Staatsangehörigkeit des Beklagten komme nicht in Betracht.

7

II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8

Die [X.] Gerichte sind international zuständig. Eine - ausschließliche - internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte gemäß § 15 des [X.] besteht nicht. Vielmehr richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 [X.] bzw. - sofern die Streitigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a [X.] nicht in den Anwendungsbereich der [X.] fallen sollte - §§ 12, 13 ZPO). Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in Deutschland.

9

1. Die Voraussetzungen von § 15 des [X.] sind - anders als das Berufungsgericht meint - nicht erfüllt.

§ 15 Satz 1 des [X.] lautet:

"Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen sowie Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand haben, sind, soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates anhängig zu machen, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte, soweit es sich um unbeweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates, in dessen Gebiet sich der unbewegliche Nachlass befindet."

Die Zuständigkeit nach dieser Norm setzt also voraus, dass Gegenstand des Rechtsstreits die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsansprüche sind. Daran fehlt es.

a) Maßgeblich für die Frage, welche Ansprüche Gegenstand des Rechtsstreits sind, ist der Sachvortrag des [X.]. Dabei kommt es nicht auf die rechtliche Qualifikation durch den Kläger an, sondern darauf, auf welche Tatsachengrundlage der Kläger seinen Anspruch stützt und inwieweit der Kläger auf dieser Tatsachengrundlage bestimmte Ansprüche verfolgt. Wie die Revision zutreffend geltend macht, erfasst § 15 des [X.] nicht die vom Kläger im Rechtsstreit erhobenen Ansprüche.

b) Im Streitfall kommen allein Erbschaftsansprüche i.S. des § 15 des [X.] in Betracht. Solche Ansprüche liegen nur vor, wenn das materielle Erbrecht der Parteien Gegenstand des Rechtsstreits ist; der Rechtsstreit über diese Ansprüche muss dazu führen, dass über eine zwischen den Parteien streitige Erbenstellung oder erbrechtliche Berechtigung eine verbindliche Entscheidung getroffen wird. Dies ist nach [X.] Sachrecht bei Ansprüchen aus § 2018 BGB, nach [X.] Sachrecht bei Ansprüchen aus Art. 637 des [X.] ZGB der Fall (vgl. [X.], [X.] 1986, 210, 212). Gemeinsam ist diesen Ansprüchen, dass sich der Gläubiger auf ein ihm zustehendes Erbrecht beruft, dessen Reichweite zwischen den Parteien streitig ist. Nur wenn der Rechtsstreit dazu dient, auch über diesen Streit um Bestand und Ausmaß des Erbrechts zu entscheiden, handelt es sich um einen Erbschaftsanspruch i.S. von § 15 des [X.].

Dies ergibt sich aus der Auslegung von § 15 des [X.]. Hierzu sind die Bestimmungen des [X.] aus sich heraus auszulegen; dabei sind zugleich die erbrechtlichen Bestimmungen [X.] und der [X.] als der beiden Vertragsstaaten zu berücksichtigen. Beide Rechtsordnungen kennen in § 2018 BGB (Erbschaftsanspruch) bzw. Art. 637 [X.] ZGB ([X.] Sebebiyle Istihkak Davası) Herausgabeansprüche, bei denen zugleich über die Erbeneigenschaft entschieden wird. Nach diesem Auslegungsmaßstab meint der Begriff "Erbschaftsansprüche" nicht sämtliche Streitigkeiten zwischen Erben. Erst recht meint er nicht sämtliche Ansprüche, bei denen [X.] eine Rolle spielen. § 15 des [X.] zählt die betroffenen Ansprüche vielmehr enumerativ auf. Gemeinsam ist diesen Ansprüchen, dass sie die Frage betreffen, wer (in welchem Umfang) Erbe geworden ist, wie sich aus den neben den Erbschaftsansprüchen genannten Klagen auf Feststellung des Erbrechts, Pflichtteilsansprüchen und Vermächtnisansprüchen ergibt. Die Vorschrift zielt also darauf, für Streitigkeiten, die einen besonders engen Bezug zur jeweiligen Erbfolge aufweisen, angesichts der aus § 14 des [X.] folgenden Nachlassspaltung (vgl. Senatsbeschluss vom 12. September 2012 - [X.], [X.], 1871 Rn. 7) klare [X.] aufzustellen. Dies sind Ansprüche, bei denen das Erbrecht selbst oder bestimmte erbrechtliche Ansprüche gegen den Nachlass selbst im Streit stehen. Hier will § 15 des [X.] - wie sich aus der ebenfalls zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass unterscheidenden Kollisionsnorm des § 14 des [X.] ergibt - einen Gleichlauf zwischen Forum und anwendbarem Recht erreichen.

Streitigkeiten zwischen Erben, die sich nicht auf ihr Erbrecht als solches beziehen, erfüllen die Voraussetzungen des § 15 des [X.] hingegen nicht. Dies zeigt auch § 8 des [X.]. Er lautet: "Streitigkeiten infolge von Ansprüchen gegen den Nachlass sind bei den zuständigen Behörden des [X.], in dem dieser sich befindet, anhängig zu machen und von diesen zu entscheiden." Es genügt für die ausschließliche Zuständigkeit also nicht, wenn lediglich die Rechtsnachfolge von der Erbenstellung abhängt oder erbrechtliche Probleme eine Vorfrage darstellen.

2. Im Streitfall haben die Erben ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück gemeinschaftlich an einen Dritten veräußert. Sie haben den erhaltenen Erlös sodann unter sich verteilt. Den vom Käufer geschuldeten [X.] von 10.000 [X.] hat der Beklagte unstreitig vereinnahmt und hiervon ein Viertel an einen weiteren Bruder ausgezahlt. Der Kläger begehrt nun, einen entsprechenden Anteil an dem vereinnahmten Entgelt zu erhalten.

Gegenstand dieses Rechtsstreits ist daher kein Erbschaftsanspruch i.S. des § 15 des [X.], sondern eine Auseinandersetzung um die Frage, in welchem Umfang der Beklagte einen aus dem Verkauf eines Erbschaftsgegenstandes vereinnahmten Erlösanteil auskehren muss. Denn es stehen weder die Erbquote noch die Eigenschaft als Erbe im Streit; vielmehr ist allein zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Kläger den ihm - unstreitig - zustehenden Anteil am vereinnahmten Geld durchsetzen kann.

III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Das [X.] wird über die Sache selbst zu entscheiden haben.

[X.]                                 Felsch                                      Harsdorf-Gebhardt

                Dr. Karczewski                      Dr. [X.]

Meta

IV ZR 68/15

21.10.2015

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Karlsruhe, 17. Dezember 2014, Az: 9 S 24/14, Urteil

§ 15 NachlAbk TUR, Art 20 Anlage § 15 KonsVtr TUR, § 2018 BGB, Art 637 ZGB TUR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.10.2015, Az. IV ZR 68/15 (REWIS RS 2015, 3628)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 571 REWIS RS 2015, 3628

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 68/15

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