Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2010, Az. IX ZB 184/09

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 824

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Gegenstand

Verbraucherinsolvenzverfahren: Behandlung eines während des Insolvenzverfahrens erworbenen Pflichtteilsanspruchs


Leitsatz

1. Der vom Schuldner durch einen Erbfall während des Insolvenzverfahrens erworbene Pflichtteilsanspruch gehört zur Insolvenzmasse .

2. Wird der während des Insolvenzverfahrens entstandene Pflichtteilsanspruch erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens anerkannt oder rechtshängig gemacht, unterliegt er der Nachtragsverteilung .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 13. Juli 2009 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 33.485,38 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf ihren eigenen Antrag am 30. Dezember 2002 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Am 8. Juli 2003 verstarb der Vater der Schuldnerin, der ihren Bruder zum Alleinerben eingesetzt hatte. Mit [X.]uss vom 17. Juni 2004 hob das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren nach Ankündigung der Restschuldbefreiung auf. Eine Verteilung hatte mangels Masse nicht stattgefunden. Am 6. Juli 2004 erhob die Schuldnerin gegen ihren Bruder Klage wegen ihres [X.]. Durch rechtskräftiges Urteil vom 16. Januar 2009 wurde entschieden, dass der Bruder an die Schuldnerin 33.485,38 € nebst Zinsen zu zahlen hat. Zuvor hatte am 30. Dezember 2008 die Laufzeit der Abtretungserklärung geendet. Das Insolvenzgericht hat mit [X.]uss vom 2. April 2009 die [X.] hinsichtlich des zugesprochenen Betrags angeordnet. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt sie die Aufhebung der angefochtenen [X.]üsse.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 204 Abs. 2 Satz 2 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

3

1. Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen der Anordnung einer [X.] nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 [X.] bejaht und dazu ausgeführt: Der Pflichtteilsanspruch sei mit dem Erbfall am 8. Juli 2003 und damit während des laufenden Insolvenzverfahrens entstanden. Er gehöre zur Insolvenzmasse, weil er der Zwangsvollstreckung nicht entzogen sei. Nach der Rechtsprechung des [X.] stehe § 852 ZPO der Pfändung eines [X.] vor seiner Anerkennung oder Rechtshängigkeit als eines in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingten Anspruchs nicht entgegen. Der Einwand der Schuldnerin, der Tod ihres [X.] sei dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder schon vor dem Schlusstermin bekannt gewesen, greife nicht durch, weil eine "nachträgliche Ermittlung" im Sinne von § 203 Abs. 1 Nr. 3 [X.] selbst dann vorliege, wenn der Verwalter Ansprüche vergessen oder fälschlich als nicht werthaltig oder als nicht zur Insolvenzmasse gehörig gewertet habe. Der Halbteilungsgrundsatz des § 295 Abs. 1 Nr. 2 [X.] sei nicht anzuwenden, weil der Pflichtteilsanspruch schon im laufenden Insolvenzverfahren zur Masse gehört habe und kein in der Wohlverhaltensperiode neu erworbenes Vermögen darstelle. Das Interesse der Schuldnerin, durch ein Hinauszögern der Geltendmachung des [X.] diesen dem Zugriff der Gläubiger ganz oder zumindest zur Hälfte seines Wertes zu entziehen, sei nicht schutzwürdig.

4

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

5

a) Die Anordnung einer [X.] ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren möglich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Schlusstermin nach § 197 [X.] stattgefunden hat ([X.], [X.]. v. 1. Dezember 2005 - [X.], [X.], 143), sei es auch - wie hier - im schriftlichen Verfahren (§ 312 Abs. 2 [X.] a.F., § 5 Abs. 2 [X.] n.F.). Zu Unrecht wendet die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang ein, die Bestimmung des [X.] sei nur der Schuldnerin und dem Treuhänder, nicht aber den sonstigen Verfahrensbeteiligten zugestellt worden. Bloße Verfahrensfehler stellen die Zäsurwirkung des [X.], an die § 203 [X.] anknüpft, nicht in Frage. Im Übrigen liegt der gerügte Zustellungsmangel nicht vor. Eine unmittelbare Ladung aller Verfahrensbeteiligten zum Schlusstermin verlangt das Gesetz nicht. Es genügt die öffentliche Bekanntmachung des Termins, die hier erfolgt ist (§ 197 Abs. 2, § 74 Abs. 1 Satz 1, § 9 [X.]; vgl. [X.], [X.], 13. Aufl. § 197 Rn. 3; HmbKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 197 Rn. 3; BK-[X.]/Breutigam, § 197 Rn. 26).

6

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war die Anordnung der [X.] auch nicht wegen Verfristung des darauf gerichteten Antrags des Treuhänders unzulässig. Nach § 203 Abs. 1 [X.] ist der Antrag des Insolvenzverwalters an keine Frist gebunden. Die für [X.] geltende Notfrist von einem Monat, beginnend mit der Erlangung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund (§ 586 ZPO, § 4 [X.]), ist auf die Anordnung einer [X.] schon deshalb nicht anzuwenden, weil eine [X.] auch von Amts wegen angeordnet werden kann (a.A. [X.], [X.] 2009, 199, 207 f).

7

c) Mit Recht hat das Beschwerdegericht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 Nr. 3 [X.] bejaht. Nach dieser Bestimmung ist die Anordnung einer [X.] möglich, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände der Masse ermittelt werden.

8

aa) Der Pflichtteilsanspruch der Schuldnerin entstand mit dem Erbfall am 8. Juli 2003 (§ 2317 Abs. 1, § 1922 Abs. 1 BGB). Von diesem Zeitpunkt an gehörte er zum Vermögen der Schuldnerin und damit auch zur Insolvenzmasse, denn er unterlag der Zwangsvollstreckung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Zwar ist ein Pflichtteilsanspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Diese Vorschrift steht einer Pfändung jedoch nicht entgegen. Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] kann der Pflichtteilsanspruch bereits vor der vertraglichen Anerkennung oder Rechtshängigkeit als in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden ([X.], Urt. v. 8. Juli 1993 - [X.], [X.]Z 123, 183, 185 ff; v. 6. Mai 1997 - [X.], [X.], 1302; [X.]. v. 18. Dezember 2008 - [X.] 249/07, Z[X.] 2009, 299 Rn. 14; vom 25. Juni 2009 - [X.] 196/08, Z[X.] 2009, 1461 Rn. 8). Maßgeblich für die Zuordnung des [X.] zur Insolvenzmasse oder zum Neuerwerb während der Wohlverhaltensphase ist, ob der Erbfall vor oder nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat ([X.], [X.]. v. 18. Dezember 2008 - [X.] 249/07, aaO Rn. 15; v. 25. Juni 2009 - [X.] 196/08, aaO Rn. 9; vgl. auch [X.], [X.]. v. 16. Juli 2009 - [X.] 72/09, Z[X.] 2009, 1831, Rn. 9; v. 15. Juli 2010 - [X.] 229/07, [X.], 741 Rn. 4; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 315 Anh. Rn. 27; HK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 83 Rn. 3; Jaeger/Windel, [X.] § 83 Rn. 15; HmbKomm-[X.]/Kuleisa, 3. Aufl. § 83 Rn. 8).

9

Offen gelassen hat der [X.] bisher, ob dann, wenn der Schuldner einen während des Insolvenzverfahrens erworbenen Pflichtteilsanspruch nach dessen Aufhebung gerichtlich geltend macht, eine [X.] nach § 203 [X.] zu erfolgen hat, ob der Halbteilungsgrundsatz des § 295 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gilt oder ob es sich nunmehr um dem Schuldner insgesamt zustehendes Vermögen handelt ([X.], [X.]. v. 18. Dezember 2008 - [X.] 249/07, aaO Rn. 15 a.E.). Nach richtiger Ansicht hat eine [X.] zu erfolgen, weil der nachträglich eingeklagte Anspruch bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens zur Masse gehörte. Die Bedingtheit des Anspruchs ändert daran nichts. Der Pflichtteilsanspruch selbst ist mit dem Erbfall unbedingt entstanden. Damit hat der Schuldner den Anspruch im Sinne von § 35 Abs. 1 [X.] erlangt. [X.] bedingt ist lediglich die zwangsweise Verwertbarkeit. Diese Wirkung tritt erst mit der vertraglichen Anerkennung des Anspruchs oder mit Rechtshängigkeit ein (§ 852 Abs. 1 ZPO, § 158 Abs. 1 BGB). Die uneingeschränkte, sofortige Verwertbarkeit ist aber keine Voraussetzung der Zugehörigkeit eines Vermögensgegenstands zur Masse (vgl. für den Fall der Testamentsvollstreckung [X.], Urt. v. 11. Mai 2006 - [X.], [X.], 1258 Rn. 12).

Die Zuordnung eines [X.] zur Masse schon vor seiner Anerkennung oder Rechtshängigkeit entspricht auch dem Zweck der gesetzlichen Regelung. Gemäß dem Charakter des Insolvenzverfahrens als Zwangsvollstreckungsverfahren sind Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nach § 36 Abs. 1 [X.] von der Insolvenzmasse ausgenommen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass dem Schuldner auch im Insolvenzverfahren die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendigen Mittel verbleiben und er nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist ([X.], Urt. v. 11. Mai 2006, aaO Rn. 16; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 36 Rn. 1). Die beschränkte Pfändbarkeit des [X.] nach § 852 Abs. 1 ZPO hingegen dient nicht der Sicherung des Existenzminimums des Schuldners, sondern soll vermeiden, dass der Anspruch gegen den Willen des Berechtigten geltend gemacht wird; die Entscheidung darüber, ob dieser Anspruch gegenüber dem Erben durchgesetzt wird, soll mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem allein diesem überlassen bleiben ([X.], Urt. v. 8. Juli 1993 - [X.], [X.]Z 123, 183, 186 m.w.[X.]). Dieses Bestimmungsrecht des Schuldners wird nicht in Frage gestellt, wenn ein während des Insolvenzverfahrens erworbener, nach Aufhebung des Verfahrens von ihm rechtshängig gemachter Pflichtteilsanspruch der [X.] unterstellt wird. Der Schuldner bleibt in seiner Entscheidung, ob der Anspruch realisiert werden soll, frei. Entscheidet er sich gegen die Geltendmachung, kann der Anspruch nicht für die Masse verwertet werden. Entscheidet er sich für die Geltendmachung, unterliegt das erworbene Vermögen aber als Neuerwerb während des Insolvenzverfahrens der [X.].

bb) Der Pflichtteilsanspruch der Schuldnerin wurde im Sinne von § 203 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nachträglich ermittelt. Der Begriff der Ermittlung in dieser Norm ist weit auszulegen. Er setzt nicht voraus, dass die Existenz oder der Aufenthaltsort eines Massegegenstands dem Verwalter während der Dauer des Insolvenzverfahrens unbekannt war. Die Vorschrift erfasst vielmehr auch Gegenstände, von deren Existenz der Verwalter wusste, die er aber irrtümlich für nicht verwertbar hielt und deswegen nicht zur Masse zog ([X.], [X.]. v. 1. Dezember 2005 - [X.], [X.], 143, 144 m.w.[X.]). Gleiches muss gelten, wenn Gegenstände während der Verfahrensdauer tatsächlich (noch) nicht verwertbar waren. Für solche Gegenstände kann die [X.] bereits im Schlusstermin vorbehalten werden (FK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 203 Rn. 4). Aber auch ohne einen Vorbehalt kann die [X.] angeordnet werden.

Im vorliegenden Fall wären die Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 Nr. 3 [X.] indes auch bei einem engeren Verständnis des "[X.]" erfüllt. Denn die Schuldnerin hat ihren Pflichtteilsanspruch entgegen der Behauptung der Rechtsbeschwerde während des gesamten Insolvenzverfahrens dem Treuhänder und dem Insolvenzgericht verschwiegen und erst im September 2008, also lange nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, den Treuhänder vom Erbfall, dem Pflichtteilsanspruch und der zwischenzeitlich erhobenen Klage in Kenntnis gesetzt.

d) Der Anordnung der [X.] stand nicht entgegen, dass die Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 [X.] bereits abgelaufen war. Mit der Abtretung der pfändbaren Forderungen auf Bezüge für die Dauer von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die [X.] nichts zu tun. Letztere betrifft Vermögensgegenstände, die während des Insolvenzverfahrens zur Masse gehörten, die Abtretung hingegen erfasst Forderungen, die erst nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und dem damit verbundenen Ende des [X.] entstehen.

[X.]                                  Raebel                                      Pape

                    Grupp                                    Möhring

Meta

IX ZB 184/09

02.12.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Münster, 13. Juli 2009, Az: 5 T 296/09, Beschluss

§ 35 InsO, § 36 Abs 1 S 1 InsO, § 203 InsO, § 2317 Abs 1 BGB, § 852 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2010, Az. IX ZB 184/09 (REWIS RS 2010, 824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 824

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