Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2014, Az. 4 StR 439/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4986

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4
StR
439/13

vom
5. Juni
2014

[X.]St:
nein
[X.]R:
ja (nur III.)
Nachschlagewerk:
ja (nur III.)
Veröffentlichung:
ja (nur III.)

-

StPO §
267 Abs.
1 Satz
2

Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Mole-kulargenetik sind zur Nachvollziehbarkeit der Wahrscheinlichkeitsberechnung bei [X.], die keine Besonderheiten in der forensischen Fra-gestellung aufweisen, im tatrichterlichen Urteil keine Ausführungen zur unabhängi-gen Vererblichkeit der untersuchten [X.] erforderlich (in Fortführung zu [X.], 212).

[X.], Urteil vom 5. Juni 2014 -
4 StR 439/13 -
LG Neuruppin

in der Strafsache
gegen

wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat
aufgrund der Verhandlung vom 8.
Mai 2014
in der Sitzung vom 5.
Juni
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Bender

als beisitzende [X.],

[X.]in am [X.]

als Vertreterin
des
[X.]s,

Rechtsanwalt

,
Rechtsanwalt

als Verteidiger
in der Verhandlung am 8.
Mai 2014,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 7.
Mai 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.
2.
Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte
Urteil wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihrer vom [X.] vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass die [X.] den Angeklagten nicht auch wegen eines tat-einheitlich begangenen versuchten Tötungsdelikts verurteilt hat. Das Rechtsmit-tel
des Angeklagten wendet sich mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge gegen die Verurteilung. Während die Revision der Staatsanwalt-schaft begründet ist, bleibt das Rechtsmittel des Angeklagten ohne Erfolg.
1
-
4
-
I.
Nach den Feststellungen gelangte der Angeklagte am 22.
Oktober 2012 gegen 20.40
Uhr auf dem Rückweg von einer Gaststätte zu seiner Wohnung an die Fußgängerbrücke, die östlich der Abfahrt B.

die [X.]
A
10
überquert. Leicht enthemmt durch den vorangegangenen Alkoholgenuss verspürte der Angeklagte Lust, die gusseisernen [X.]e der an beiden Enden der Brücke befindlichen [X.] auf die Fahrbahnen der [X.] zu werfen. Er hob die Roste,
welche jeweils eine Größe von 44
x
44
cm, eine Höhe von 6
cm und ein Gewicht von jeweils 41,5
kg aufwie-sen, aus den
Rahmen der Schächte, trug sie auf die Brücke und ließ sie auf die in östlicher und westlicher Richtung führenden Fahrbahnen fallen. Zwar unter-querte in diesen Augenblicken kein Fahrzeug die Brücke, sodass nicht zu be-fürchten war, dass ein fahrendes Fahrzeug von den schweren Eisenrosten ge-troffen wird. Jedoch handelte der Angeklagte gleichwohl in der Absicht, [X.] herbeizuführen. Er rechnete damit und wollte auch, dass Fahrzeuge, die über die flach auf den Fahrbahnen liegenden Roste fuhren, erhebliche Schäden nehmen. Er dachte allerdings nicht daran, Unfälle mit tödlichem Aus-gang herbeizuführen.
Während einer der [X.] auf dem rechten Fahrstreifen der nach
Osten führenden Richtungsfahrbahn auftraf und vermutlich schon durch den Aufprall in mehrere Teile zerbrach, blieb der andere Rost unbeschädigt auf dem linken Fahrstreifen der Gegenfahrbahn liegen. Der Fahrzeugverkehr auf der [X.], dessen Geschwindigkeit an dieser Stelle erst
ab 21.00
Uhr auf 100
km/h für Pkws und 60
km/h für Lkws beschränkt ist, war durch die in der Dunkelheit nicht rechtzeitig sichtbaren Hindernisse erheblich gefährdet. Der auf der nach Osten führenden Fahrbahn liegende Rost oder dessen Trümmer-2
3
-
5
-
teile wurden von drei Pkws überrollt, was jeweils Schäden u.a. an der Bereifung der Fahrzeuge zur Folge hatte. Über den unzerbrochenen [X.] auf der Gegenfahrbahn fuhren ebenfalls drei Pkws, wodurch bei zwei Fahrzeugen [X.] beschädigt wurden. Bei einem dieser Fahrzeuge platzte der rechte [X.], was dazu führte, dass der mit vier Personen besetzte Pkw auf den rech-ten Fahrstreifen der Fahrbahn schleuderte, ehe der Fahrer das Fahrzeug [X.] unter Kontrolle bringen konnte und auf dem Standstreifen anhielt.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
1.
Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils kann schon deshalb kei-nen Bestand haben, weil das [X.] den festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht nicht umfassend gewürdigt hat. Die [X.] r-, eine Strafbar-keit des Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung nach
§§
22, 224 Abs.
1 Nr.
5, Abs.
2 StGB zu prüfen (vgl. [X.], Urteil vom 14.
Janu-ar 2010

4
StR
450/09, insoweit in NStZ-RR 2010, 373 nicht abgedruckt).
2.
Die Ausführungen der [X.] zur Verneinung
eines bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten halten
einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
a)
Bedingter
Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fern
liegende Folge seines Handelns erkennt (Wissens-4
5
6
7
-
6
-
element) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement). Beide Elemente des beding-ten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und [X.] durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. [X.], Urteile vom 17.
Juli 2013

2
StR
139/13, [X.], 467; vom 27.
Januar 2011

4
StR
502/10, [X.], 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven
Umstände des Einzelfalles erfolgen (vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Oktober 2013

4
StR
364/13, [X.], 345, 346; Urteil vom 22.
März 2012

4
StR
558/11, [X.]St 57, 183 Rn.
26), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfas-sung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ist (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Mai 2013

3
StR
45/13, [X.], 581, 582). Im Rah-men der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der [X.] einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive, als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Oktober 2013

4
StR
364/13, aaO,
mwN; Urteile vom 16.
Mai 2013

3
StR
45/13,
aaO, vom 23.
Februar 2012

4
StR
608/11, [X.], 443, 444). Hat der Täter eine
offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es

vorbe-haltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände im Einzelfall

nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den [X.] auch billigend in Kauf genommen hat
(st. Rspr.; vgl. nur [X.],
Urteil vom 1.
Dezember 2011

5
StR
360/11, [X.], 207, 208 mwN).

-
7
-
b)
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen, mit denen das [X.] das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten ver-neint hat, nicht gerecht.
Es ist bereits zu besorgen, dass das [X.] mit der Hervorhebung Menschen diesem Gesichtspunkt eine Bedeutung beigemessen hat, die ihm nicht zukommt (vgl. [X.], Urteil vom 22.
März 2012

4
StR
558/11, aaO Rn.
31
ff.).
Die Ausführungen zur Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil lassen ferner
nicht erkennen, ob die [X.] es schon für nicht nach-weisbar gehalten hat, dass der Angeklagte mit Gefahren für das Leben von Fahrzeuginsassen als Folge seines Tuns rechnete, oder sich nicht hat davon überzeugen können, dass der Angeklagte einen als möglich erkannten töd-lichen Erfolg billigte oder sich zumindest um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfand
(vgl. [X.], Urteil vom 22.
März 2012

4
StR
558/11, aaO Rn.
27).
Die erforderliche Gesamtschau aller in objektiver und subjektiver Hinsicht für das Tatgeschehen bedeutsamen
Umstände hat das [X.] weder zum kognitiven noch hinsichtlich des voluntativen Elements
des bedingten Tötungs-vorsatzes erkennbar vorgenommen. Soweit die [X.] bei
ihrer Beurteilung der von den [X.]en oder ihren Trümmerteilen ausge-henden Gefahren für den Kraftfahrzeugverkehr maßgeblich darauf abgestellt hat, dass infolge des [X.] tatsächlich keine Personen-schäden eintraten, hat sie übersehen, dass aus der im konkreten Fall [X.] Realisierung einer Gefahr nicht ohne Weiteres auf das Ausmaß der Gefährdung geschlossen werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 23.
Februar 2012

4
StR
608/11, aaO). Auch die Höhe der an den Fahrzeugen jeweils entstan-8
9
10
-
8
-
denen Sachschäden ist für die Einschätzung der mit dem Überfahren der [X.] verbundenen Risiken für Leib und Leben der Fahrzeuginsassen ohne jede Aussagekraft. Das [X.] hätte in diesem Zusammenhang vielmehr unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten

wie etwa der Blickrich-tung des Angeklagten bei den Abwürfen, der Beschaffenheit der gusseisernen [X.]e und deren Trümmerteile, des Verkehrsaufkommens auf der [X.] zur Tatzeit, der unter der Fußgängerbrücke gefahrenen Ge-schwindigkeiten, der beim Überfahren der Hindernisse drohenden Schäden insbesondere an den Reifen der Fahrzeuge und deren zu erwartenden Auswir-kungen auf das Fahrverhalten der Fahrzeuge

eine Bewertung der Gefahren-lage, die von der vom Angeklagten bewusst geschaffenen Situation ausging,
vornehmen und sich mit der Frage befassen müssen, ob sich aus der Perspek-tive des Angeklagten für jedermann die Möglichkeit von in ihrem Verlauf weder vorhersehbaren noch beherrschbaren Unfallgeschehen mit unkalkulierbaren Folgen auch für das Leben von Fahrzeuginsassen aufgedrängt hätte. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass das Überfahren des unzerbro-chenen Rostes in einem Fall bei dem betroffenen Fahrzeug zum Platzen des rechten [X.] mit einem anschließenden Schleudervorgang vom linken auf den rechten Fahrstreifen der Fahrbahn der [X.] führte, [X.] das [X.] als Beinahe-Unfall

mit konkreter Gefahr für Leib oder Leben der vier Insassen gewertet hat. Insgesamt entbehrt die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe als Folge seines Handelns zwar nicht näher umschriebene Personenschäden, nicht aber den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen,
einer tragfähigen Begründung.
-
9
-
III.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der [X.] lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
Die Darstellung der Ergebnisse des [X.] im [X.] begegnet keinen sachlich-rechtlichen Bedenken.
1.
Das [X.] hat seine Überzeugung von der [X.]chaft des An-geklagten

auf eine vom [X.]

durch-
geführte vergleichende molekulargenetische Untersuchung von zwei jeweils an der Unterseite des unzerbrochenen [X.]es gesicherten
[X.] gestützt. Zum Ergebnis des Gutachtens teilen die Urteilsgründe mit, dass das zelluläre Material aus den beiden [X.] jeweils in allen 16 untersuchten PCR-Systemen mit dem [X.] vom Angeklagten überein-stimme, wobei die festgestellte Merkmalskombination in der [X.] Popula-tion nur ca. einmal unter 3,5
Quadrillionen Personen vorkomme. Zur getrennten Vererblichkeit der 16
untersuchten [X.] verhalten sich die Urteils-ausführungen nicht.
2.
Diese Darstellung des [X.] genügt den in [X.] Hinsicht zu stellenden Anforderungen. Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik sind

abweichend von der Bewertung in der bisherigen Rechtsprechung des Bun-desgerichtshofs

zur Nachvollziehbarkeit der Wahrscheinlichkeitsberechnung bei [X.], die keine
Besonderheiten in der forensi-11
12
13
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-
10
-
schen Fragestellung
aufweisen,
keine Ausführungen zur genetischen Unab-hängigkeit der untersuchten [X.] im tatrichterlichen Urteil [X.].
a)
Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausfüh-rungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage be-ruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfah-rungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. [X.], Beschluss vom 31.
Juli 2013

4
StR
270/13, [X.], 115, 116; Urteil vom 21.
März 2013

3
StR
247/12, [X.], 212 Rn.
12; Beschluss vom 19.
August 1993

4
StR
627/92, [X.]St 39, 291, 296
f.). Dabei dürfen die Anforderungen, welche das Tatgericht an das Gutach-ten zu stellen hat, nicht mit den sachlich-rechtlichen Anforderungen an den In-halt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Mögliche Fehlerquellen sind nur zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (vgl. [X.], Beschluss vom 31.
Juli 2013

4
StR
270/13,
aaO; Urteil vom 21.
März 2013

3
StR
247/12,
aaO). Dies beeinträchtigt die Rechtsposition des Angeklagten nicht, da er etwa-ige Fehler des Sachverständigengutachtens sowohl in der Hauptverhandlung als auch mit der Verfahrensrüge im Revisionsverfahren geltend machen kann (vgl. [X.], Urteil vom 21.
März 2013

3
StR
247/12,
aaO).
Für die Darstellung des
Ergebnisses
einer auf einer molekulargeneti-schen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist danach in der bisherigen Rechtsprechung des [X.] für [X.] gehalten worden, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Pro-15
16
-
11
-
duktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den un-tersuchten Systemen ergeben haben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die fest-gestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Ver-gleichspopulation von Bedeutung war (vgl. [X.], Urteil vom 21.
März 2013

3
StR
247/12,
aaO,
Rn.
13 mwN
auch zur früheren Rspr.; Beschlüsse vom 16.
April 2013

3
StR
67/13; vom 31.
Juli 2013

4
StR
270/13, aaO). Soweit damit
bislang stets ausdrückliche Ausführungen zur unabhängigen Vererbbar-keit der untersuchten [X.] verlangt worden sind, hält der Senat hieran
für die in der Praxis vorkommenden Regelfälle der [X.], die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung auf-weisen, nicht fest.
b)
Der Senat hat zu der Frage, ob bei den [X.]n, die in [X.] von [X.], den [X.] und vom [X.] bei der vergleichenden [X.] von Tatortspuren üblicherweise eingesetzt werden, nach dem Stand der forensi-schen [X.] gewährleistet ist, dass sie unabhängig voneinander vererbt werden, gutachterliche Stellungnahmen der Sachverständigen Prof.
Dr.

vom [X.] des [X.]sklinikums

und Privat-
dozentin Dr.

vom [X.] der [X.]

eingeholt. Unter Berücksichtigung der
Ausführungen der beiden Sachverständi-gen in der [X.] ist von folgenden Gegebenheiten [X.]:
aa)
Die im Bereich der forensischen [X.] tätigen
öffentlichen und privaten
Einrichtungen orientieren sich bei der Auswahl der bei [X.] zu verwendenden [X.] an 17
18
-
12
-
dem Format, das für die Einstellung von [X.] in die [X.] beim [X.] und den diesbezüglichen automa-tisierten Informationsaustausch innerhalb der [X.] (vgl. Art.
2
ff. des Beschlusses 2008/615[X.] des Rates vom 23.
Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit,
insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, [X.].
L
210 vom 6.
Au-gust 2008, S.
1; Art.
1 und 3 des Ausführungsgesetzes
zum [X.] und zum Ratsbeschluss [X.], zuletzt geändert durch Art.
1 des Gesetzes vom 31.
Juli 2009 zur Umsetzung des Beschlusses des Rates 2008/615[X.] vom 23.
Juni 2008, [X.]
I 2009, S.
2507) vorgesehen ist. Nach Errichtung der als [X.] nach §
11 BKAG
beim [X.] geführten [X.] im Jahr 1998
erstreckte sich die Speicherung in der Datei [X.] auf die Ergebnisse in den fünf [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] ([X.]). Mit Entschließung des Rates vom 25.
Juni 2001 über den Austausch von DNS-Analyseergebnissen ([X.].
C
187 vom 3.
Juli 2001, S.
1)
wurde zur Erleichterung des Informationsaustauschs ein Europäi-scher Standardsatz ([X.]) von [X.] definiert, der

mit Ausnahme des Systems [X.]

die bis dahin für die [X.] beim [X.] herangezogenen Systeme und darüber hinaus die [X.], [X.] und [X.] umfasste. Durch die weitere Ratsentschließung vom 30.
November 2009 (Entschließung des Rates vom 30.
November 2009 über den Austausch von DNS-Analyseergebnissen,
[X.].
C
296 vom 5.
Dezember 2009, S.
1) erfolgte die Erweiterung des [X.] ([X.]) von sieben auf
insgesamt zwölf [X.] unter Einbeziehung der [X.] [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] Die Ent-schließungen des Rates vom 25.
Juni 2001 und 30.
November 2009 enthielten jeweils die Aufforderung an die Mitgliedsstaaten der [X.],
bei der kriminaltechnischen DNA-Analyse zumindest die zum Europäischen Stan--
13
-
dardsatz gehörenden [X.] zu verwenden. Zur Umsetzung der im Rah-men der [X.] beschlossenen Empfehlungen wurde auf der 167.
Tagung der [X.] am 15./16.
September 2010
durch die [X.] und der Länder
festgelegt, für die in der [X.] beim [X.] zu speichernden [X.] die zwölf [X.] des [X.] und zusätzlich das seit Errichtung der Datei berücksichtigte
System [X.] heranzuziehen. Darüber
hinaus sollen auch weitere routinemäßig untersuchte [X.] obli-gatorisch in der [X.] gespeichert werden. Hierbei handelt es sich in der derzeitigen forensischen Praxis um drei [X.]

[X.], [X.] und [X.]

, die in für die Untersuchungslabore kommerziell ver-fügbaren [X.]-Typisierungs-Kits mit enthalten sind, da sie in einer Reihe von europäischen Ländern in deren nationalen Datenbanken erfasst werden.
bb)
Die bis zu 16 genannten [X.] werden bei molekularge-netischen Vergleichsuntersuchungen ohne Besonderheiten in der forensischen Fragestellung routinemäßig eingesetzt.
Zu den Regelfällen der DNA-Analyse gehört insbesondere die Vergleichsuntersuchung von an Gegenständen [X.] unspezifischen Tatortspuren. Lediglich in speziellen Fallkonstellationen

z.B. bei Mischspuren von Mitspurenverursachern verschiedenen Geschlechts bei Sexualdelikten
oder bei schlechtem Spurenmaterial in Fällen der Exhumie-rung

besteht aus forensischer Sicht die Notwendigkeit, ergänzende moleku-largenetische Untersuchungen durchzuführen, bei denen über die 16 genann-ten Merkmale hinaus weitere
autosomale [X.] oder [X.], die auf den Geschlechtschromosomen des menschlichen Genoms lokalisiert sind, zur Anwendung kommen.

19
-
14
-
cc)
Die Unabhängigkeit der Vererbung von Merkmalen als genetische Voraussetzung zur Anwendung der Produktregel ist seit vielen Jahrzehnten etabliert und bildet
in Verbindung
mit den Gesetzmäßigkeiten des [X.] die Grundlage aller biostatistischen Berechnungen zur Wahrscheinlichkeit von [X.], die sich aus den Merkmalen verschiedener Genorte zusammensetzen (vgl. [X.]/
[X.]/Eckert/Fimmers/[X.], [X.], 693, 694
f.). Die Un-abhängigkeit der Vererblichkeit bei verschiedenen [X.]n hängt von deren Lokalisierung im menschlichen Genom ab. [X.]ische Merkmale, die auf verschiedenen Chromosomen des menschlichen Genoms liegen, werden un-abhängig voneinander vererbt. Befinden sich zwei Genorte auf einem Chromo-som, führt der Vorgang des chromosomalen [X.] bei der Entwicklung der Keimzellen dazu, dass die Allele der beiden Genorte auf einem elterlichen Chromosom getrennt werden können. Je nach Entfernung und Lage der [X.] auf dem
Chromosom kann dies mit einer als Rekombinationsrate bezeich-neten Wahrscheinlichkeit zwischen 0
% und 50
%
geschehen. In einer Popu-lation, in der über mehrere Generationen eine ausreichend zufällige [X.] stattgefunden hat, kann bei einer Rekombinationsrate von über 10
% zwi-schen zwei Genorten davon ausgegangen werden, dass das Vorkommen der Merkmale an
beiden Genorten praktisch unabhängig ist, sodass die [X.] über die Merkmalshäufigkeiten an beiden Genorten nicht zu einer relevan-ten Abweichung führt (vgl. [X.]/[X.]/Eckert/Fimmers/[X.],
aaO).
dd)
Von den 16 routinemäßig bei der vergleichenden [X.] zur Anwendung kommenden [X.]n liegen die [X.] [X.], [X.], [X.], [X.] ([X.]), [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.]
20
21
-
15
-
auf jeweils unterschiedlichen Chromosomen des menschlichen Genoms
und sind daher voneinander unabhängig vererbbar. Die Genorte der [X.] [X.] und [X.]
befinden sich
jeweils
mit den Systemen [X.] bzw. [X.]
auf einem Chromosom. Zu den Kopplungsverhältnissen
zwischen
diesen
jeweils auf einem Chromosom lokalisierten [X.]n
existieren belastbare wissenschaftliche Daten aus drei Studien (B.
Budowle, J.
Ge, R.
Chakraborty, A.J.
Eisenberg, R.
Green, J.
Mulero, R.T.
Lagace, L.
Hennessy:
Population genetic analyses of
the NGM [X.] loci. [X.]. [X.]., (2011), 125, 101-109; K.

Hill, P.M.
Vallone, J.M.
Butler, Linkage disequilibrium analysis of [X.] and vWA in
[X.]

population and paternity samples, and Corrigendum to: Linkage disequilibrium analysis of [X.] and vWA in [X.] population and paternity samples.
Forensic
Sci. [X.]. [X.]. (2011) 5, 538-540 und 541-542; C.
Phillips, D.
Ballard, P.
Gill, D.
Syndercombe
Court, A.
Carracedo, M.V.
Lareu. The recombination landscape around forensic [X.]s: [X.] syntenic
[X.] pairs using [X.] high density SNP data. [X.]. [X.]. [X.]. (2012) 6, 354-365). Danach liegen die [X.] [X.] und [X.] mit einem Abstand von über 100
Millionen Basenpaaren auf dem langen bzw. kurzen Arm des Chromosoms
2 und weisen eine Rekombinations-rate von 50
% auf. Die Genorte der [X.] [X.] und [X.] befinden sich mit einem Abstand von 6,36
Millionen Basenpaaren auf dem kurzen Arm des Chromosoms
12, wobei in den vorhandenen wissenschaftlichen Studien eine mittlere Rekombinationsrate von 12
% ermittelt worden ist. Damit ist auch für diese jeweils auf einem Chromosom lokalisierten Markerpaare die geneti-sche Unabhängigkeit der Merkmale gesichert.
c)
Aus den Darlegungen der beiden Sachverständigen Prof.
Dr.

und Dr.

ergeben sich für die in sachlich-rechtlicher Hinsicht zu
22
-
16
-
stellenden Anforderungen an die Darstellung vergleichender molekulargeneti-scher Untersuchungen im tatrichterlichen Urteil die folgenden Konsequenzen:
Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensi-schen Molekulargenetik ist die Durchführung von [X.] soweit vereinheitlicht, dass in den Regelfällen, die keine Besonderheiten
in den forensischen Fragestellungen aufweisen, standardmäßig bis zu
16
der oben genannten [X.] Anwendung finden, deren genetische Unabhän-gigkeit wissenschaftlich gesichert ist. In diesen Fällen bedarf es im tatrichter-lichen Urteil keiner
Ausführungen zur unabhängigen Vererblichkeit der [X.]. Etwas anderes gilt für die Fälle der ergänzenden DNA-Analyse, in welchen andere
autosomale Markersysteme oder geschlechtsgebunden vererb-liche DNA-Merkmale in die Untersuchung mit einbezogen werden. In
diesen Ausnahmekonstellationen, in denen die Unabhängigkeit der weiteren autoso-malen [X.] im Einzelfall gesondert geprüft und die Besonderheiten der geschlechtsgebundenen Vererbung berücksichtigt werden müssen, ist der Tatrichter gehalten,
im Urteil hierzu nähere Ausführungen zu machen.
d)
Die oben zitierten Entscheidungen des
3.
Strafsenats des Bundes-gerichtshofs, denen der erkennende Senat in der Vergangenheit
gefolgt ist, stehen der dargelegten Entscheidung nicht entgegen.
Da der Senat auf der Grundlage des in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Maßstabs für die sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darstellung von Sachverständigengutachten im tatrichterlichen Urteil lediglich eine im Tatsäch-lichen abweichende Bewertung
des
wissenschaftlichen Stands der DNA-
23
24
-
17
-
Analyse vorgenommen hat, fehlt es an einer
eine Rechtsfrage betreffenden

Divergenz im Sinne des §
132 Abs.
2 GVG.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Mutzbauer
Bender

Meta

4 StR 439/13

05.06.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2014, Az. 4 StR 439/13 (REWIS RS 2014, 4986)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4986

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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