Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.09.2013, Az. IX ZR 3/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2423

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Gegenstand

Tod des Insolvenzschuldners: Anspruchsgegner für einen Anspruch eines Neugläubigers auf Ausgleich einer Nachlassverbindlichkeit


Leitsatz

Nach dem Tod des Schuldners richtet sich der Anspruch des Neugläubigers auf Ausgleich einer Nachlassverbindlichkeit gegen den Erben.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des [X.] vom 29. November 2012 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Am 1. September 2008 wurde über das Vermögen der Mutter des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 17. Dezember 2008 schloss die Mutter mit dem Kläger einen Mietvertrag über eine Wohnung in einer Seniorenresidenz. Der Beginn des Mietverhältnisses wurde auf den 1. Januar 2009 festgelegt. Die monatliche Miete betrug 740 € zuzüglich einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 140 €. Gleichzeitig ging sie mit einer Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Kläger war, ein als "Betreuungsvertrag" bezeichnetes Vertragsverhältnis ein, nach dessen Inhalt für die Grundversorgung ein weiteres Entgelt von monatlich 90 € geschuldet wurde. Am 30. November 2010 verstarb die Mutter; der Beklagte ist deren Alleinerbe. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2010 kündigte er das Mietverhältnis zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

2

Der Kläger macht restliche Mietzahlungen für die Monate Dezember 2010, Januar und Februar 2011 sowie Telefonkosten und vorgerichtliche Anwaltskosten geltend. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Dem Beklagten wurde die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass seiner Mutter vorbehalten. Das [X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision nicht auf einen Teil des [X.] beschränkt. Soweit das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, die Revision werde zugelassen, weil der Frage, ob aufgrund der Regelung des § 325 [X.] der Kreis der Insolvenzgläubiger insoweit erweitert werde, als auch [X.] eines Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahrens durch den Übergang in das Nachlassinsolvenzverfahren zu [X.] werden könnten, grundsätzliche Bedeutung zukomme und eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu bislang fehle, ergibt sich hieraus kein eindeutiger Beschränkungswille. Wird die Zulassung, wie hier, nicht im Tenor beschränkt, kann eine Zulassungsbeschränkung nur dann angenommen werden, wenn aus den Gründen klar und eindeutig hervorgeht, dass das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Nachprüfung im Revisionsverfahren nur wegen eines abtrennbaren Teils seiner Entscheidung eröffnen wollte (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Mai 2008 - [X.], NJW 2008, 2351 Rn. 16; Urteil vom 30. September 2010 - [X.], Z[X.] 2010, 2089 Rn. 6; vom 20. Januar 2011 - [X.], [X.], 371 Rn. 5; vom 25. April 2013 - [X.], Z[X.] 2013, 1081 Rn. 7). Dies ist hier nicht der Fall. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zeigen nur auf, weshalb es die Revision zugelassen hat.

II.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage gegen den Beklagten als Rechtsnachfolger und Erben seiner Mutter sei zulässig. Insbesondere sei er hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche aus dem Mietverhältnis prozessführungsbefugt. Hierbei handele es sich nicht um Insolvenzforderungen. Maßgeblich sei, dass die Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien. Der Übergang des Insolvenzverfahrens nach dem Tod des Schuldners in das Nachlassinsolvenzverfahren erfasse nicht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Forderungen. Dieser Übergang stelle kein neues Insolvenzverfahren dar. Der Erbe des Schuldners sei hinreichend durch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung geschützt, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt eine Erweiterung der Gruppe der Insolvenzgläubiger durch den Übergang in das Nachlassinsolvenzverfahren nicht geboten sei.

III.

6

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Zu Recht ist das Berufungsgericht von der Passivlegitimation des Beklagten hinsichtlich der geltend gemachten Mietforderungen und deren Begründetheit ausgegangen.

7

1. Die streitgegenständlichen Mietforderungen unterliegen nicht der [X.] des § 87 [X.].

8

a) Die Sperre erfasst nur Insolvenzgläubiger. Gemäß § 38 [X.] sind dies nur diejenigen Gläubiger, die einen bereits zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Anspruch gegen den Schuldner haben. [X.] sind durch § 87 [X.] nicht gehindert, ihre nach Verfahrenseröffnung entstandenen [X.] gegen den Schuldner unmittelbar geltend zu machen und in das beschlagnahmefreie Vermögen zu vollstrecken ([X.], Beschluss vom 28. Juni 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1465 Rn. 4; [X.], [X.], 201, 202; [X.], [X.], 13. Aufl., § 87 Rn. 4; FK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 87 Rn. 7; Jaeger/Windel, [X.], § 87 Rn. 6).

9

b) Die hier geltend gemachten Forderungen beziehen sich auf die Monate Dezember 2010, Januar und Februar 2011, sind mithin nach der am 1. September 2008 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin entstanden.

2. [X.] ist der Beklagte. Die Mietforderungen betreffen den [X.]raum nach dem Tod der Schuldnerin bis zum Ende des Mietverhältnisses, das der Beklagte mit Schreiben vom 1. Dezember 2010 zum nächstmöglichen [X.]punkt gekündigt hat. Hierbei handelt es sich um eine reine Nachlassverbindlichkeit, sodass der Erbe - hier der Beklagte - seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann (vgl. [X.], Urteil vom 23. Januar 2013 - [X.], [X.], 933 Rn. 15).

3. Die Passivlegitimation des Beklagten wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen seiner Mutter mit deren Tod unmittelbar in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde.

a) [X.] nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt ohne weiteres eine Überleitung des bisherigen Insolvenzverfahrens in das Nachlassinsolvenzverfahren, wobei dies sowohl für ein Regelinsolvenzverfahren als auch für ein Verbraucherinsolvenzverfahren gilt (vgl. [X.], Urteil vom 22. Januar 2004 - [X.], [X.]Z 157, 350, 354; Beschluss vom 21. Februar 2008 - [X.], [X.]Z 175, 307 Rn. 6; Urteil vom 13. Januar 2011 - [X.], Z[X.] 2011, 389 Rn. 12). Das bisherige Insolvenzverfahren nimmt daher ohne Unterbrechung seinen Fortgang mit dem Erben als neuem Schuldner (vgl. [X.], Urteil vom 22. Januar 2004, aaO).

aa) Nach ganz überwiegender Ansicht wird angenommen, dass nur das zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erbfall erworbene pfändbare Vermögen des Erblassers zur Masse gehört, so dass sich die [X.] des Erblassers an das bisher nicht pfändbare Restvermögen des Schuldners halten müssen (MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl., Vor §§ 315 bis 331 Rn. 3; [X.]/[X.], aaO § 312 Rn. 49a; [X.] in Kübler/Prütting/Bork, [X.], 2011, § 315 Rn. 31; [X.]/[X.], [X.] 2007, 497, 499; [X.] in [X.]/[X.], [X.], S. 425 f).

bb) Demgegenüber wird - worauf sich auch die Revision stützt - vertreten, § 38 [X.] werde durch § 325 [X.] insoweit verdrängt, als auch Verbindlichkeiten des Schuldners, die dieser nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet hat und die gemäß § 1967 BGB mit dem Erbfall Nachlassverbindlichkeiten werden, gemäß § 325 [X.] Insolvenzforderungen sind ([X.], [X.] in der Insolvenz, 2005, Rn. 354 ff, 437; HK-[X.]/[X.], aaO § 325 Rn. 2; [X.]/[X.]/[X.], Z[X.] 2007, 1202, 1204).

b) Die erstgenannte Auffassung ist zutreffend.

aa) Der Umfang der Insolvenzmasse wird abschließend durch die Vorschriften der §§ 35, 36 [X.] bestimmt. In die Insolvenzmasse fällt nach § 35 Abs. 1 [X.] das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er im Laufe des Verfahrens erlangt. Nicht in die Insolvenzmasse gehören gemäß § 36 Abs. 1 [X.] die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 2011 - [X.], [X.]Z 189, 65 Rn. 21; Beschluss vom 10. November 2011 - [X.], [X.], 2376 Rn. 4). Das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners steht den [X.] nicht zu, sondern ausschließlich den am Insolvenzverfahren nicht beteiligten [X.]n des Schuldners. Daher haftet der nach "Freigabe" einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 [X.] vom Schuldner durch diese Tätigkeit erzielte Neuerwerb während des eröffneten ([X.] grundsätzlich nur den [X.]n, nicht aber den [X.] ([X.], Beschluss vom 9. Juni 2011 - [X.], [X.], 1344 Rn. 11; Urteil vom 9. Februar 2012 - [X.], [X.]Z 192, 322 Rn. 14, 28; Beschluss vom 13. Juni 2013 - [X.], [X.], 1612 Rn. 17; [X.], Z[X.] 2008, 1101, 1106).

[X.] ändert hieran nichts. Dessen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Verbindlichkeiten waren keine Insolvenzforderungen und können im Todesfall diese Eigenschaft nicht erhalten. Dies wäre einerseits eine Bevorzugung der bisherigen Insolvenzgläubiger zu Lasten der [X.], soweit es den Neuerwerb angeht. Andererseits ginge der Vorrang des § 325 [X.] zu Lasten der Insolvenzgläubiger, soweit die Masse auch für nach Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten des Schuldners haften müsste (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Rn. 3a; [X.]/[X.], aaO; [X.] in [X.]/[X.], aaO S. 426; vgl. auch [X.], Z[X.] 2013, 365, 369). Von einer strikten Trennung der den [X.] zugewiesenen Vermögensmasse und dem insbesondere bei einer Freigabe (§ 35 Abs. 2 [X.]) von [X.] aus der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter entstehendem ([X.] geht auch die Senatsrechtsprechung aus, nach der im Falle der Freigabe über das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners gegebenenfalls ein zweites Insolvenzverfahren zu eröffnen ist ([X.], Beschluss vom 9. Juni 2011, aaO). Sollten beim Tod des Schuldners bereits zwei Insolvenzverfahren anhängig sein, so werden diese jeweils unmittelbar in selbständige Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet; auch hier scheidet eine Zusammenführung beider Vermögensmassen aus (vgl. auch [X.]/[X.], aaO [X.]; [X.] in [X.]/[X.], aaO S. 426 f).

bb) Aus der Bestimmung des § 325 [X.] kann nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Diese Vorschrift, nach der im Insolvenzverfahren über einen Nachlass nur die Nachlassverbindlichkeiten geltend gemacht werden können, spricht lediglich die Selbstverständlichkeit an, dass Eigenverbindlichkeiten des Erben im Insolvenzverfahren nicht verfolgt werden können (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO § 325 Rn. 1). Sie ist die Kehrseite der Trennung zwischen dem Nachlass und dem Eigenvermögen des Erben (vgl. [X.], aaO § 325 Rn. 2). Die Bestimmung ist keine Ersatzregelung, welche den Anwendungsbereich des § 38 [X.] vom [X.]punkt der Insolvenzeröffnung auf den des Todes des Insolvenzschuldners erstreckt (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Vor §§ 315 bis 331 Rn. 3).

4. Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Miete begründet ist.

Das [X.] des Beklagten unterliegt den allgemeinen mietvertraglichen Bestimmungen. Der Anwendungsbereich des [X.] über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistung ([X.]) ist nicht eröffnet. Die von der Revision für maßgeblich angesehene Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.], wonach das Mietverhältnis bei [X.] bereits mit dem Tode des Betreuten endet, ist auf das verfahrensrechtliche Mietverhältnis nicht anwendbar.

Nach § 17 Abs. 2 [X.] finden die Vorschriften dieses Gesetzes auf die bis zum 30. September 2009 geschlossenen Verträge, die keine Heimverträge im Sinne des § 5 Absatz 1 Satz 1 [X.] sind, keine Anwendung. Im Rahmen tatrichterlicher Würdigung der maßgeblichen Umstände hat das Berufungsgericht annehmen können, dass das hier in Rede stehende Vertragsverhältnis keinen Heimvertrag beinhaltet. Es hat in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des [X.]es auf die Auslegungsregeln des § 1 Abs. 2 [X.] abgestellt (vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2005 - [X.], NJW 2005, 2008, 2009) und hierbei der Ausgestaltung der [X.] besonderes Gewicht beigemessen. Die vom Berufungsgericht getroffene Würdigung, die [X.] - monatlich 90 € im Verhältnis zur Monatsmiete 740 € ([X.] Nebenkostenpauschale von 140 €) - sei lediglich von untergeordneter Bedeutung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 [X.], erweist sich als beanstandungsfrei. Eine nicht mehr untergeordnete Bedeutung liegt vor, wenn die [X.] für den [X.] erheblich über 20 v.H. der Miete einschließlich Betriebskosten liegt (BT-Drucks. 14/5399, [X.]; [X.] in [X.]/Butz/[X.], [X.], 10. Aufl., § 1 Rn. 14). Das Berufungsgericht konnte mithin davon ausgehen, dass kein Heimvertrag vorliegt und deshalb die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.], wonach das Mietverhältnis mit dem Tode des Bewohners ende, nicht eingreift.

[X.]                        Vill

               Fischer                          Grupp

Meta

IX ZR 3/13

26.09.2013

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Bonn, 29. November 2012, Az: 6 S 72/12

§ 38 InsO, § 87 InsO, § 325 InsO, § 1967 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.09.2013, Az. IX ZR 3/13 (REWIS RS 2013, 2423)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2423

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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